Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung bei Wegfall eines leidensgerechten Arbeitsplatzes wegen betrieblicher Organisationsänderung
Leitsatz (amtlich)
Führt eine rechtlich nicht zu beanstandende betriebliche Organisationsänderung dazu, daß ein in seiner Gesundheit beeinträchtigter Arbeitnehmer nur noch in einer Weise beschäftigt werden könnte, die sein Leiden verschlimmert, so rechtfertigt dies grundsätzlich eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer nicht auf der gesundheitsbeeinträchtigenden Beschäftigung besteht, sondern diese ablehnt. Eine Sozialauswahl ist in diesem Fall entbehrlich, weil der Arbeitnehmer mit weiterbeschäftigten gesunden Arbeitnehmern nicht vergleichbar ist.
Normenkette
KSchG § 1; BetrVG § 102
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. September 1996 – 9 Sa 606/96 – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Kläger die Kosten des gesamten Rechtsstreits jeweils zu 1/3 tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Kläger führen als Erben der am 21. September 1995 verstorbenen früheren Klägerin Lydia B… das Verfahren fort. Diese, geboren am 19. Juni 1937, war seit April 1979 bei der Beklagten zunächst als Presserin und seit 1990 in der Schweißerei zu einem Bruttomonatsentgelt von etwa 2.200,00 DM beschäftigt. Sie war schwerbehindert mit einem GdB von 90.
Die Beklagte betreibt eine Maschinenfabrik und beschäftigte 1993 etwa 120 Arbeitnehmer. Zwischen ihr und dem Betriebsrat ist am 10. November 1992 eine Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan abgeschlossen worden, die aufgrund der wirtschaftlich schlechten Situation des Unternehmens den Abbau von Arbeitsplätzen nach Maßgabe einer der Vereinbarung beigefügten Personalliste vorsieht.
Der Betriebsarzt der Beklagten hatte am 2. Dezember 1992 hinsichtlich der “Einsatzproblematik der Mitarbeiterin B…” auf eine Anfrage der Beklagten hin an diese ein Schreiben gerichtet, das unter anderem folgenden Wortlaut hat:
“Wie Ihnen ja bekannt, bestehen bei der Mitarbeiterin eine ganze Reihe von zum Teil erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen, welche sich ja auch in ihrer MdE von 90 % und auch in der durchgeführten innerbetrieblichen Umsetzung ausdrücken. Im Rahmen einer allgemeinen arbeitsmedizinischen Eignungsbeurteilung bestehen bei Frau B… folgende Einschränkungen:
Kein Einsatz im Lärmbereich über 85 dBA
Kein ständiges Stehen
Kein schweres Heben oder Tragen von mehr als 10 kg.”
Mit Schreiben vom 4. Juni 1993 hat die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung auch der früheren Klägerin angehört.
Das Anhörungsschreiben hat unter anderem folgenden Wortlaut:
“Im Zuge dieser Maßnahmen ist ein weiterer Personalabbau unabwendbar. Die in der Anlage 1 aufgeführten 15 Personen scheiden nach Vereinbarung planmäßig in 1993 zu den angegebenen Terminen aus.
Daneben beabsichtigen wir, den in der Anlage 2 aufgeführten Personen die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses fristgerecht zu den angegebenen Ausscheide-Zeitpunkten auszusprechen. Wir werden den Arbeitgeber-Kündigungen unsere gültige Betriebsvereinbarung vom 10.11.1992 (Sozialplan) zugrunde legen und die hierin vereinbarten Abfindungen auszahlen. …
Bei den schwerbehinderten Mitarbeitern, Frau B… und Herrn M…, werden wir bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur Kündigung einholen.
Wir bitten um Zustimmung zu den geplanten Entlassungen.
Zu weiteren Auskünften stehen Herr Dr. R…, Herr G… und Herr Q… jederzeit zu Ihrer Verfügung.”
Der Betriebsrat hat in seiner Stellungnahme an das Landesamt für Jugend und Soziales – Hauptfürsorgestelle – vom 16. Juni 1993 unter anderem mitgeteilt:
“Der Antrag der R… GmbH vom 09.06.1993 ist inhaltlich richtig. Leider kann auch aus Sicht des Betriebsrates zur Zeit kein Alternativarbeitsplatz für die Mitarbeiterin angeboten werden. Bei dem uns bevorstehenden Personalabbau wird unsere gesamte Fertigung auf ein Minimum reduziert, was sowohl den Wegfall des Arbeitsplatzes von Frau B…, als auch die Zusammenlegung von einigen Abteilungen in unserem Hause mit sich bringt. Insbesondere durch diesen Zusammenschluß verwandter Produktionsverfahren ist es nicht mehr möglich, einen für Frau B… geeigneten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Die von unserem Betriebsarzt Herrn Dr. D… bescheinigten gesundheitlichen Einschränkungen von Frau B… verbieten uns eine Weiterbeschäftigung der Mitarbeiterin unter den gegebenen Umständen. Aus unserer Sicht wird es überhaupt schwierig sein, Frau B… in einem Industriebetrieb, mit seinen typischen Umwelteinflüssen und den körperlichen Anforderungen, bei der Schwere ihrer Behinderung zu beschäftigen.
Der Betriebsrat würde einer Kündigung der Mitarbeiterin, bei einer Zustimmung zu dem Antrag Ihrerseits, unter den gegebenen Umständen zustimmen.
Eine finanzielle Abfindung der Betroffenen ist durch den 1992 vereinbarten Sozialplan sichergestellt.”
Die frühere Klägerin hat mit Schreiben vom 25. Juni 1993 der Hauptfürsorgestelle unter anderem mitgeteilt:
“M.… E.… könnte ich zukünftig in der Verpackungsabteilung der Firma eingesetzt werden. Dies würde sowohl meiner Qualifikation als auch meinen gesundheitlichen Einschränkungen Rechnung tragen. In der Verpackungsabteilung besteht keine Lärmbelastung, ich könnte dort überwiegend im Sitzen arbeiten und müßte auch nicht schwer heben. Vor kurzem ging ein Mitarbeiter aus dieser Abteilung in Rente.
Ich wäre auch bereit, weiterhin im Lärmbereich zu arbeiten, wenn sichergestellt wäre, daß die Lärmbelastung unter 85 dBA liegt und der Betriebsarzt seine Zustimmung gibt.”
Mit Bescheid vom 22. Juli 1993 hat die Hauptfürsorgestelle der beabsichtigten ordentlichen Kündigung der früheren Klägerin zugestimmt.
Die Beklagte hat sodann mit Schreiben vom 27. Juli 1993 das Arbeitsverhältnis mit der früheren Klägerin unter Einhaltung der tarifvertraglichen ordentlichen Kündigungsfrist zum 31. Oktober 1993 gekündigt.
Gegen die ihr am 28. Juli 1993 zugegangene Kündigung hat sich die Erblasserin mit der am 11. August 1993 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gewandt.
In einem von ihr vorgelegten ärztlichen Gutachten vom 5. April 1994, erstellt für die Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektronik Bezirksverwaltung Köln, kommt der Gutachter zu folgenden abschließenden Feststellungen:
“Frau Lydia B… war im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit bei der Firma R… GmbH einer signifikanten Lärmbelastung mit Beurteilungspegeln zwischen 85 und 90 dB ausgesetzt. Bei ihrer vorherigen Tätigkeit war sie nach ihren Angaben keinen Lärmbelastungen ausgesetzt. Seit November 93 ist Frau B… arbeitslos und ebenfalls keinem Lärm ausgesetzt. Während ihrer Tätigkeit benutzte sie den ihr zugewiesenen Gehörschutz.
Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung diagnostizierten wir rechts eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit, links eine hochgradige Innenohrschwerhörigkeit. Gegenüber der Untersuchung von Frau Dr. S…, Idar-Oberstein, vom 03.09.92 hat sich der Befund deutlich verschlechtert.
Die vorliegende Hörstörung ist unter Berücksichtigung der signifikanten Lärmexposition, unter Berücksichtigung des Kurvenverlaufs, des positiven Recruitmentphänomens sowie der fehlenden familiären Belastung und der fehlenden außerberuflichen Lärmexposition als lärmbedingt anzusehen.
…
Die im Gutachtenauftrag gestellten Fragen beantworten wir wie folgt:
…
5. Bei Vermeidung einer Lärmexposition ist von einem Dauerzustand auszugehen, eine Besserung ist nicht zu erwarten. Eine Nachuntersuchung ist nur nach erneuter Lärmexposition erforderlich.
6. Es bestehen gegen weitere Arbeit im Lärmbereich dauernde gesundheitliche Bedenken.
7. Falls dennoch Arbeiten im Lärmbereich erfolgen sollten, ist Gehörschutz notwendig.
…”.
Die verstorbene Klägerin bzw. die jetzigen Kläger haben geltend gemacht, die streitige Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die bislang von der Klägerin ausgeführten Arbeiten seien nicht weggefallen, insbesondere sei ihr Arbeitsplatz nicht durch eine Zusammenlegung der Schweißerei und der Presserei entfallen. Auch habe die Beklagte keine Sozialauswahl durchgeführt. Aus § 14 SchwbG ergebe sich eine besondere Fürsorgepflicht der Beklagten, zudem ferner daraus, daß sich die Klägerin ihre Schwerhörigkeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Betrieb der Beklagten zugezogen habe. Auch habe ihr ein individueller Lärmschutz zur Verfügung gestellt werden können. Mit relativ geringem Kostenaufwand sei es möglich gewesen, für sie einen Hörschutz anzufertigen, der ihr ein Arbeiten in Räumen mit 85 dB ermöglicht hätte. Zudem habe es allein bei ihr gelegen, ob sie es sich trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung und einer möglichen Verschlechtung zumuten wollte, weiter im Lärmbereich zu arbeiten; dazu sei sie bereit gewesen. Die Beklagte könne nicht personenbedingte Gründe in den Bereich der betriebsbedingten Kündigung einführen, da sich die Anhörung des Betriebsrats nur auf eine betriebsbedingte Kündigung bezogen habe.
Die Kläger haben beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen der verstorbenen Klägerin, Frau Lydia B…, A…, … S…, und der Beklagten durch die Kündigung der Beklagten vom 27. Juli 1993 zum 31. Oktober 1993 nicht aufgelöst wurde, sondern ungekündigt fortbestanden hat bis 21. September 1995.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, aus Gründen der Rationalisierung seien die Schweißerei und die Presserei zusammengelegt worden, was durch den starken Rückgang der Produktion veranlaßt worden sei. Für die Klägerin sei danach nur ein Arbeitsplatz mit einer Lärmbelastung von mehr als 85 dBA vorhanden gewesen, auf dem sie nach dem Befund des Betriebsarztes aber nicht habe beschäftigt werden können. Eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes, der es ermöglicht hätte, trotz der Hörbehinderung weiterhin zu arbeiten, sei bei der vorhandenen Konzeption in der Presserei- und Schweißereiabteilung nicht möglich gewesen, denn alle ca. 20 pressenden Schweißmaschinen seien in ein rollierendes System eingebunden, so daß jede Maschine einen ganz bestimmten Fertigungsabschnitt verrichte. Das frühere Prinzip der Werkstattfertigung (= Maschinenstand nach Typen geordnet) sei zu einer Fertigungsorganisation entsprechend dem Produktionsprozeß umgeändert worden, bei dem die verschiedenen Maschinen einander entsprechend dem Produktionsprozeß unmittelbar folgten. Zugleich seien an das verbleibende Team erhöhte Qualifikationsanforderungen gestellt worden, indem eine Springerfunktion zwischen verschiedenen Fertigungslinien in der Abteilung und zwischen verschiedenen Abteilungen installiert worden sei. In diesem Rahmen sei die ehemalige Schweißerei in den Metallverformungsprozeß integriert worden. Der dafür zuvor benutzte Produktionsraum sei stillgelegt worden. Durch diese Umstrukturierung sei hinsichtlich der Zeit für den Materialfluß durch die Abteilung ein Einspareffekt von 20 bis 25 % erzielt worden.
Eine Möglichkeit, die frühere Klägerin in der Verpackung zu beschäftigen, habe nicht bestanden, da die Arbeiten dort hauptsächlich administrativ seien und kaufmännische Kenntnisse, z.B. von Import- und Exportregelungen voraussetzten, über die die frühere Klägerin nicht verfügt habe und deren Erwerb auch nicht habe erwartet werden können. Die manuelle Tätigkeit mache für die zwei dort beschäftigten Personen allenfalls ein Drittel der Arbeitszeit aus und 60 % der dabei zu hebenden und zu bewegenden Gegenstände hätten ein Gewicht von über 10 kg, so daß im Hinblick auf die vom Werksarzt bestätigten Einschränkungen auch insoweit eine Beschäftigung in der Verpackungsabteilung nicht in Betracht gekommen sei. Andere Umsetzungsmöglichkeiten seien im Zeitpunkt der Kündigung nicht vorhanden und auch nicht absehbar gewesen.
Auch eine Sozialauswahl habe angesichts der gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin nicht durchgeführt werden können, da es im Betrieb der Beklagten keine lärmgeschützten Arbeitsplätze gebe, wie sie für die Klägerin erforderlich gewesen seien und die sie hätte ausfüllen können. Dies entspreche auch der Auffassung des Betriebsrates, die er in seinem Schreiben vom 16. Juni 1993 an die Hauptfürsorgestelle mitgeteilt habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht in Abänderung des angegriffenen Urteils die Klage abgewiesen.
Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehren die Kläger die Wiederherstellung des Urteils I. Instanz.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist unbegründet, denn die streitige Kündigung war nicht sozial ungerechtfertigt (§ 1 KSchG).
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die streitige Kündigung sei als betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 KSchG sozial gerechtfertigt. Bei der Zusammenlegung der Schweißerei mit der Presserei handle es sich um eine unternehmerische Entscheidung, die letzte Ursache für den Wegfall einer Möglichkeit zur Beschäftigung der Erblasserin gewesen und nur in beschränktem Umfang gerichtlich nachprüfbar sei. Unstreitig wäre die frühere Klägerin nach Zusammenlegung der beiden Abteilungen einer Lärmbelastung von mehr als 85 dBA ausgesetzt gewesen. Damit sei die Möglichkeit, die Erblasserin vertragsgemäß zu beschäftigen, entfallen. Die Verstorbene selbst habe in ihrer Mitteilung an die Hauptfürsorgestelle vom 25. Juni 1993 ihre Bereitschaft zur Weiterarbeit im Lärmbereich davon abhängig gemacht, daß eine Lärmbelastung von unter 85 dBA sichergestellt sei und der Betriebsarzt seine Zustimmung gebe. Bei der Beklagten habe auch keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit für die ehemalige Klägerin bestanden. Eine Sozialauswahl sei vorliegend entbehrlich gewesen, weil es im Kündigungszeitpunkt aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen der früheren Klägerin an einer Vergleichbarkeit mit anderen Arbeitnehmern gefehlt habe.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BAGE 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; BAGE 42, 151, 157 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe; Senatsurteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II der Gründe). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil im Ergebnis stand.
2. Bei einem einheitlichen Kündigungssachverhalt ist das Bundesarbeitsgericht davon ausgegangen, er sei ausschließlich einem der drei gesetzlich geregelten Kündigungstatbestände zuzuordnen (Urteil vom 21. November 1985 – 2 AZR 21/85 – AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969; vgl. auch Hueck/von Hoyningen-Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rz 166; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 3. Aufl., 10 Rz 4). Die Abgrenzung richte sich in erster Linie danach, aus welchem der im Gesetz genannten Bereiche die Störung des Arbeitsverhältnisses primär stamme (BAG, aaO; KR-Etzel, 4. Aufl., § 1 KSchG Rz 256; ähnlich von Hoyningen-Huene, RdA 1990, 199 f.; derselbe in Anm. zu BAG AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Danach ist “Störquelle” vorliegend nicht die gesundheitliche Beeinträchtigung der früheren Klägerin als solche, denn die Verstorbene hatte trotz ihrer Gehörschädigung ihre geschuldete Arbeit in der Schweißerei geleistet, ohne daß ihre persönliche Eignung in Frage gestellt worden wäre. Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, daß letzte und eigentliche Ursache des Kündigungsentschlusses die Zusammenlegung der Schweißerei mit der Presserei und daher der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für die ehemalige Klägerin in der bisherigen, weniger lärmexponierten Ausgestaltung war. Die streitige Kündigung ist danach, wovon auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen ist, unter dem Aspekt des Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zu prüfen. Dies steht zudem in Übereinstimmung mit dem Urteil des Senats vom 29. Januar 1997 (– 2 AZR 49/96 – AuR 1997, 166), wonach im Fall der Anschaffung neuer Technik bei mangelnder Fähigkeit älterer Arbeitnehmer zur Einarbeitung ein betriebsbedingter Kündigungsgrund in Betracht kommt (vgl. auch Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, aaO, Rz 5).
Hält man demgegenüber bei sogenannten Mischtatbeständen eine eindeutige Zuordnung zu einem der in § 1 Abs. 2 KSchG geregelten Kündigungstatbestände nicht für zwingend (vgl. KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 121f, g, m.w.N.) und sieht man in dem vorliegenden Fall einen solchen Mischtatbestand, dann ist die streitige Kündigung jedenfalls auch unter dem Aspekt einer betriebsbedingten Kündigung zu prüfen.
3. Das Landesarbeitsgericht hat in der – inzwischen unstreitigen – Zusammenlegung der Schweißerei mit der Presserei zutreffend eine unternehmerische Organisationsentscheidung gesehen, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur eingeschränkt gerichtlich darauf überprüfbar ist, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 26. Juni 1997 – 2 AZR 494/96 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 1 der Gründe; Senatsurteil vom 24. April 1997 – 2 AZR 352/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 1 der Gründe, m.w.N.). Daß für Unsachlichkeit oder Willkür hinsichtlich der Zusammenlegung beider Abteilungen keine Anhaltspunkte bestehen, hat das Landesarbeitsgericht für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO) festgestellt. Dies wird von der Revision auch nicht angegriffen. Gleiches gilt für die Feststellung des Landesarbeitsgerichts, damit sei die weniger lärmbelastete Beschäftigungsmöglichkeit für die Erblasserin weggefallen, in der neuen Abteilung wäre sie einer Lärmbelastung von mehr als 85 dBA ausgesetzt gewesen, der Beklagten zumutbare Gehörschutzmaßnahmen zur Verminderung der Lärmbelastung auf weniger als 85 dBA seien nicht möglich gewesen und eine Weiterbeschäftigung in der Verpakkungsabteilung habe nicht erfolgen können.
4. War somit die Beschäftigungsmöglichkeit für die frühere Klägerin in der bisherigen, weniger lärmexponierten Ausgestaltung weggefallen und war die Weiterbeschäftigung in der Verpackungsabteilung nicht möglich, so lagen für die streitige Kündigung dringende betriebliche Erfordernisse im Sinn von § 1 Abs. 2 KSchG an sich vor, wenn die Beklagte die Klägerin auch in der neuen Abteilung (Schweißerei und Presserei) nicht einsetzen konnte. Eben dies war jedoch nach den nicht mit zulässigen Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Fall.
Insoweit kann dahinstehen, ob sich der Arbeitgeber zur Begründung einer Kündigung darauf berufen kann, seine Fürsorgepflicht habe ungeachtet der Arbeitsbereitschaft eines Arbeitnehmers dessen weiteren Einsatz ausgeschlossen, weil die Weiterarbeit eine Krankheit des Arbeitnehmers verschlimmert hätte (vgl. BAG Urteil vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/89 – AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; zweifelnd BAG Urteil vom 12. Juli 1995 – 2 AZR 762/94 – AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit, mit zust. Anm. von Bezani). Weder die ehemalige Klägerin noch ihre Erben haben substantiiert behauptet, die Klägerin habe sich gegenüber der Beklagten bereit erklärt, auch bei einer Lärmbelastung von mehr als 85 dBA weiterzuarbeiten. Die einzig konkrete Aussage hierüber findet sich in der Stellungnahme der Verstorbenen vom 25. Juni 1993 gegenüber der Hauptfürsorgestelle, in der sie ihre Bereitschaft zur Weiterarbeit im Lärmbereich davon abhängig gemacht hat, daß eine Lärmbelastung von unter 85 dBA sichergestellt sei und der Betriebsarzt seine Zustimmung gebe. Beides war gerade nicht der Fall. Die frühere Klägerin durfte angesichts des arbeitsmedizinischen Befundes mit Recht einen Einsatz im Lärmbereich bei einer Lärmbelastung von 85 dBA oder mehr ablehnen und hat diese Ablehnung mit dem genannten Schreiben unmißverständlich zum Ausdruck gebracht. Die Beklagte war somit auf Dauer oder jedenfalls auf unabsehbare Zeit an einer Ausübung ihres Direktionsrechts dahingehend gehindert, der Klägerin in der neuen Abteilung Schweißerei/Presserei Arbeit zuzuweisen. Schon deshalb schied eine Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG aus, denn eine solche Auswahl kann nur zwischen vergleichbaren Arbeitnehmern erfolgen. Vergleichbarkeit bedeutet Austauschbarkeit in Ausübung des Direktionsrechts (vgl. BAG Urteil vom 29. März 1990 – 2 AZR 369/89 – BAGE 65, 61 = AP Nr. 50 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung), welche vorliegend wegen der berechtigten Ablehnung der Klägerin, im Lärmbereich bei einer Lärmbelastung von 85 dBA oder mehr zu arbeiten, gerade nicht gegeben war.
5. Das Landesarbeitsgericht hat auch zutreffend erkannt, daß die von der Beklagten vorgetragenen gesundheitlichen Hinderungsgründe, die Klägerin im Lärmbereich der Abteilung Schweißerei/Presserei einzusetzen, nicht deshalb prozessual unverwertbar sind, weil es insoweit an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG fehlen würde. Die gesundheitliche Situation der Klägerin als mitursächlicher Hintergrund der streitigen Kündigung war nach den bindenden Feststellungen des angefochtenen Urteils dem Betriebsrat bei seiner Anhörung im vollen Umfang bekannt. Beachtliche Revisionsrügen haben ihre Erben insoweit nicht erhoben.
6. Es kann dahinstehen, ob es angesichts der primär aus betrieblichen Gründen erfolgten Kündigung noch einer umfassenden Interessenabwägung bedurfte, was zweifelhaft erscheint (vgl. dazu BAG Urteil vom 17. Oktober 1984 – 2 AZR 109/83 – BAGE 46, 191 = AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; gegen eine solche “Vermischung der Prüfkriterien” KR-Hillebrecht, aaO, Rz 121 f.; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 621 f.). Hält man eine der personenbedingten Kündigung entsprechende Interessenabwägung für erforderlich, so ist jedenfalls die in dem angegriffenen Urteil vorgenommene revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht hat alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und die Abwägung hält sich innerhalb des dem Tatsachengericht zustehenden Beurteilungsspielraums. Auch die Revision hat insoweit letztlich keinen beachtlichen Fehler gerügt, sondern will lediglich die Interessenabwägung des Landesarbeitsgerichts durch ihre eigene ersetzen.
Unterschriften
Etzel, Bröhl, Fischermeier, Engel, Dr. Kirchner
Fundstellen
Haufe-Index 884855 |
BB 1998, 168 |
BB 1998, 375 |
DB 1998, 424 |
NJW 1998, 1971 |
FA 1998, 166 |
NZA 1998, 143 |
RdA 1998, 128 |
ZAP 1998, 161 |