Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmißbrauch, Urlaubsübertragung
Orientierungssatz
Nach § 10 des Manteltarifvertrages für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30.4.1980 erlischt der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Diese Bestimmung gilt nicht nur für den gesetzlichen und den tariflichen Erholungsurlaub, sondern auch für den Schwerbehindertenurlaub, der auch hinsichtlich seines Erlöschens dem gesetzlichen Urlaub folgt.
Normenkette
TVG § 1; BUrlG § 4
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 23.10.1984; Aktenzeichen 11 Sa 590/84) |
ArbG Dortmund (Entscheidung vom 01.02.1984; Aktenzeichen 4 Ca 1834/83) |
Tatbestand
Der Kläger ist seit 1943 bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 30. April 1980 (MTV) Anwendung. Darin ist geregelt:
"§ 10
Allgemeine Urlaubsbestimmungen
.....
2. Der Zeitpunkt des Urlaubs richtet sich
nach dem aufgestellten Urlaubsplan. Soweit
kein Urlaubsplan besteht, kann der Urlaubsanspruch,
abgesehen vom Eintrittsjahr, ab
1. April in voller Höhe geltend gemacht
werden.
3. Im Ein- und Austrittsjahr hat der Arbeitnehmer/Auszubildende
gegen den alten und
neuen Arbeitgeber/Ausbildungsbetrieb auf
so viele Zwölftel des ihm zustehenden Urlaubs
Anspruch, als er Monate bei ihnen gearbeitet
hat (Beschäftigungsmonate)/ausgebildet
wurde (Ausbildungsmonate). Ein
angefangener Monat wird voll gerechnet,
wenn die Beschäftigung/Ausbildung mindestens
zehn Kalendertage bestanden hat.
Für eine Beschäftigung/Ausbildung bis zu
zwei Wochen besteht kein Urlaubsanspruch.
Dieser Anspruch kann bei Eintritt bis zum
31. Mai nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit,
bei Eintritt nach dem 31. Mai
ab 1. Dezember geltend gemacht werden.
4. In den auf das Eintrittsjahr folgenden Kalenderjahren
ist der volle Jahresurlaub
zu gewähren, wenn das Arbeitsverhältnis
durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers
nach dem 1. April beendet wird.
Arbeitnehmer, die wegen Erhalts einer Rente
aus der gesetzlichen Rentenversicherung
aus dem Betrieb ausscheiden, haben unabhängig
vom Termin ihres Ausscheidens Anspruch
auf den vollen Jahresurlaub, wenn
sie im Austrittsjahr bis zum 31. Januar
tatsächlich gearbeitet haben.
.....
8. Der Urlaubsanspruch erlischt drei Monate
nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei
denn, daß er erfolglos geltend gemacht
wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen
Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen
werden konnte."
Vom 23. Oktober 1981 bis 30. Dezember 1982 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Am 31. Dezember 1982 arbeitete er nicht, weil im Betrieb der Beklagten Kurzarbeit eingeführt war. Mit Schreiben vom 12. März 1983 bat der Kläger die Beklagte, ihm den Jahresurlaub für 1982 zu gewähren in unstreitiger Höhe von 30 Tagen Erholungsurlaub, sechs Tagen Schwerbehindertenurlaub und zwei Tagen Treueurlaub gemäß einer Betriebsvereinbarung. Die Beklagte lehnte den Anspruch ab.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm für 1982
38 Tage Urlaub zu gewähren.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, dem Kläger stehe für 1982 kein Urlaub zu, weil er nicht gearbeitet habe. Jedenfalls sei der Urlaub am 31. März 1983 verfallen. Zumindest gelte dies für den Teil des Urlaubs, der nach der schriftlichen Geltendmachung bis zum 31. März 1983 nicht mehr hätte gewährt werden können. Außerdem müsse der Kläger sich acht Urlaubstage aus dem Jahr 1981 anrechnen lassen, die sie ihm im Jahr 1983 gewährt habe, ohne daß sie dazu verpflichtet gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der Revision bittet die Beklagte um Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg, soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte verurteilt hat, dem Kläger mehr als 13 Tage Urlaub zu gewähren. Im übrigen muß sie zurückgewiesen werden.
I. Dem Urlaubsanspruch steht nicht entgegen, daß der Kläger im Jahr 1982 keine Arbeitsleistung im Betrieb der Beklagten erbracht hat. Dies hat das Landesarbeitsgericht zu Recht entschieden.
1. Der Senat hat sich bereits im Urteil vom 14. Mai 1986 - 8 AZR 604/84 - (zu I 2 der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt) der Rechtsprechung des Sechsten Senats angeschlossen, nach der der Urlaubsanspruch nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 4 BUrlG, nicht aber die Erbringung von Arbeitsleistungen im Urlaubsjahr voraussetzt. Entgegen der Auffassung der Revision ist der Anspruch somit nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger wegen Krankheit und Kurzarbeit im Jahr 1982 nicht gearbeitet hat.
2. Dies gilt auch für den Teil des Tarifurlaubs, der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt. Aus § 10 Nr. 3 Abs. 1 und Nr. 4 Abs. 2 MTV ergibt sich nichts Gegenteiliges.
§ 10 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 MTV, der Urlaubskürzungen im Eintritts- und Austrittsjahr vorsieht, § 10 Nr. 3 Abs. 1 Satz 3 MTV, der den Urlaubsanspruch für eine Beschäftigung bis zu zwei Wochen regelt und § 10 Nr. 4 Abs. 2 MTV, der beim Ausscheiden wegen Eintritts des Versorgungsfalls den Anspruch auf den vollen Urlaub an bestimmte Voraussetzungen knüpft, gelten nicht für den Urlaubsanspruch aufgrund eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses. Dieser entsteht unabhängig vom Umfang der im Urlaubsjahr erbrachten Arbeitsleistung, wie sich aus § 10 Nr. 2 Satz 2 und § 10 Nr. 3 Abs. 2 MTV ergibt (vgl. BAG Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 62/84 - AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt, zu 3 a der Gründe).
3. Auch soweit es sich bei dem geforderten Urlaub um Schwerbehindertenurlaub nach § 44 SchwbG handelt, setzt dieser keine Arbeitsleistung im Urlaubsjahr 1982 voraus. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 18. Oktober 1957 - 1 AZR 437/56 - AP Nr. 2 zu § 33 SchwBeschG und Urteil vom 26. Juni 1986 - 8 AZR 75/83 -, zu I 2 a der Gründe, zur Veröffentlichung bestimmt) folgt der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte hinsichtlich seines Entstehens dem Anspruch auf Erholungsurlaub.
4. Schließlich gilt auch für den Treueurlaub, den der Kläger auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung für das Jahr 1982 fordert, nichts anderes. Die Parteien haben keine Anhaltspunkte vorgetragen, aus denen geschlossen werden könnte, daß für diesen Urlaub andere Entstehungsvoraussetzungen gelten, als für den gesetzlichen und tariflichen Urlaub.
II. Der Urlaubsanspruch des Klägers ist allerdings nur in Höhe von 13 Tagen in das Urlaubsjahr 1983 übertragen worden. Im übrigen ist er erloschen.
1. Nach § 10 Nr. 8 MTV erlischt der Urlaubsanspruch drei Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, es sei denn, daß er erfolglos geltend gemacht wurde oder daß Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte. Diese Bestimmung gilt nicht nur für den gesetzlichen und den tariflichen Erholungsurlaub, sondern auch für den Schwerbehindertenurlaub, der auch hinsichtlich seines Erlöschens dem gesetzlichen Urlaub folgt (BAG Urteile vom 18. Oktober 1957 und vom 26. Juni 1986, jeweils aaO). Für den Treueurlaub gilt das gleiche auch hier. Die Parteien haben nicht vorgetragen, daß dieser an andere Erlöschensvoraussetzungen geknüpft ist als der gesetzliche und der tarifliche Urlaub.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts hat die Geltendmachung im Schreiben des Klägers vom 12. März 1983 nicht dazu geführt, daß der Urlaub in vollem Umfang in das Urlaubsjahr 1983 übertragen wurde.
a) Eine wirksame Geltendmachung lag nur hinsichtlich der 13 Urlaubstage vor, die dem Kläger in der Zeit vom 15. bis 31. März 1983 hätten gewährt werden können. Der 12. März 1983 war ein Samstag. Es ist davon auszugehen, daß das Schreiben des Klägers von diesem Tag am Montag, dem 14. März 1983, bei der Beklagten einging. Die Beklagte hätte dem Kläger somit vom 15. März 1983 an Urlaub gewähren können. Bis einschließlich 31. März 1983 wären dies noch 13 Urlaubstage gewesen.
b) In Höhe der weiteren 25 Urlaubstage ist der Urlaubsanspruch des Klägers am 31. März 1983 erloschen.
Allein dadurch, daß der Arbeitnehmer den Urlaub vor dem Ende der Befristung fordert, kann unter der Geltung einer Tarifregelung dieses Wortlauts der Verfall des Urlaubsanspruchs nicht vermieden werden (Rechtsprechung des Senats: vgl. Urteile vom 13. November 1986 - 8 AZR 212/84 -, zur Veröffentlichung bestimmt; vom 15. Januar 1987 - 8 AZR 174/85 -, unveröffentlicht). Voraussetzung für den Fortbestand eines Urlaubsanspruchs ist vielmehr, daß eine Möglichkeit bestand, den Urlaub zwischen dem Zeitpunkt der Geltendmachung und dem 31. März zu erfüllen. Ein Urlaubsanspruch ist nur dann wirksam geltend gemacht, wenn er erfüllt werden kann, bevor er durch Zeitablauf erlischt. Dies haben in Übereinstimmung mit dem erkennenden Senat bereits der Sechste und der Fünfte Senat entschieden, die früher für das Urlaubsrecht zuständig waren (Urteil vom 7. November 1985 - 6 AZR 62/84 - AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung; BAGE 22, 85 = AP Nr. 1 zu § 7 BUrlG Urlaubsjahr).
c) Diese 25 Urlaubstage sind dem Kläger auch nicht deshalb erhalten geblieben, weil er sie wegen Krankheit nicht nehmen konnte (§ 10 Nr. 8 MTV, dritte Modalität). Die Erkrankung des Klägers war am 1. Januar 1983 beendet. Von diesem Zeitpunkt an hätte der Kläger in der Zeit bis 31. März 1983 für die Dauer des vollen Urlaubs aus 1982 von der Arbeit freigestellt werden können.
3. Hinsichtlich der wirksam geltend gemachten 13 Tage ist der Urlaubsanspruch des Klägers für 1982 in das Jahr 1983 und später auch in das Jahr 1984 übertragen worden.
a) Dadurch, daß die Beklagte dem Urlaubsverlangen des Klägers nicht nachkam, blieb die Geltendmachung erfolglos im Sinne des § 10 Nr. 8 MTV. Dies hatte zur Folge, daß der Anspruch auf den Jahresurlaub 1982 nicht am 31. März 1983 erlosch. Insoweit unterscheidet sich diese Tarifbestimmung von der des § 12 Abs. 1 Nr. 10 MTV Chemie und der des § 15 Abs. 1 Nr. 1 und 7 MTV Papier, die Gegenstand der Entscheidungen des Senats vom 31. Oktober 1986 - 8 AZR 244/84 - und vom 13. November 1986 - 8 AZR 212/84 - (beide zur Veröffentlichung bestimmt) waren. Diese Bestimmungen berühren die Befristung des Urlaubsanspruchs nicht. Im Falle des § 10 Nr. 8 MTV indes wird die erfolglose Geltendmachung des Urlaubsanspruchs den Fällen gleichgestellt, in denen der Urlaub aus betrieblichen Gründen oder wegen Krankheit nicht genommen werden konnte und daher nicht erlischt.
b) Der noch nicht gewährte Urlaub aus 1982 in Höhe von 13 Tagen trat somit zu dem Urlaub 1983 hinzu (vgl. das zum Abdruck in der Amtliche Sammlung des Gerichts bestimmte Urteil des Sechsten Senats vom 7. November 1985 - 6 AZR 62/84 - AP Nr. 8 zu § 7 BUrlG Übertragung). Er ist auch am 31. März 1984 nicht erloschen. Durch die Klagezustellung vom 3. Juni 1983 hat der Kläger ihn erneut gefordert. Auch diese Geltendmachung blieb erfolglos im Sinne des § 10 Nr. 8 MTV. Der Urlaub trat somit nach dem 31. März 1984 zu dem Urlaub für 1984 hinzu.
III. Die Beklagte kann den Urlaub, den sie dem Kläger für 1982 noch gewähren muß, nicht um die acht Tage kürzen, die sie dem Kläger im Jahr 1983 als Resturlaub für 1981 gewährt hat. Dieser Urlaub stand dem Kläger zu. Er hatte ihn wegen seiner Erkrankung nicht bis 31. März 1982 nehmen können. Nach § 10 Nr. 8 MTV war der Urlaub somit nicht erloschen, sondern zu dem Jahresurlaub 1982 und dem Jahresurlaub 1983 hinzugetreten (vgl. BAG, aaO).
Dr. Leinemann Dr. Peifer Dr. Olderog
Dr. Haible Hannig
Fundstellen