Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussperrung schwerbehinderter Arbeitnehmer
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG Urteil vom 7.6.1988, 1 AZR 597/86.
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger ist bei der Beklagten, einem Betrieb der Metallindustrie, als Arbeiter zu einem Stundenlohn von 14,48 DM brutto beschäftigt. Er ist Schwerbehinderter und im Betrieb Vertrauensmann der Schwerbehinderten.
Im Zuge des Arbeitskampfes in der hessischen Metallindustrie 1984 beschloß der Arbeitgeberverband der hessischen Metallindustrie am 24. Mai 1984 zunächst die Aussperrung der gewerblichen Arbeitnehmer in allen Betrieben des Tarifgebietes mit mehr als 1.000 gewerblichen Arbeitnehmern, soweit in den jeweiligen Mitgliedsunternehmen mehr als 2.000 Arbeitnehmer beschäftigt waren. Betroffen von dieser Aussperrung waren 16 Betriebe, in denen nach dem Vortrag des Klägers rd. 26.000 Arbeiter, nach dem Vortrag der Beklagten rd. 21.000 Arbeiter ausgesperrt wurden. Durch einen weiteren Beschluß des Arbeitgeberverbandes wurde mit Wirkung vom 19. Juni 1984 die Aussperrung auf die gewerblichen Arbeitnehmer in 14 weiteren Betrieben erstreckt. Betroffen waren hier nach Darstellung der Beklagten rd. 10.000 Arbeiter. Schon zuvor hatte die IG Metall am 21. Mai 1984 rd. 45.000 Arbeitnehmer in elf Betrieben zum Streik aufgerufen.
Aufgrund des zweiten Aussperrungsbeschlusses sperrte auch die Beklagte ihre Arbeiter mit Wirkung vom 19. Juni 1984 bis zum 2. Juli 1984 aus. Der Kläger war von der Aussperrung in der Zeit vom 25. bis zum 30. Juni 1984 betroffen.
Der Kläger ist der Ansicht, die von der Beklagten erklärte Aussperrung sei unzulässig gewesen. Auch bei zulässiger Aussperrung sei zumindest die Aussperrung schwerbehinderter Arbeitnehmer nicht zulässig. Die Beklagte müsse ihm daher für die Woche vom 25. bis zum 30. Juni 1984 den Lohn zahlen. Er hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn
579,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit
dem 1. August 1984 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die Aussperrung überhaupt und auch die Aussperrung von Schwerbehinderten für zulässig.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger kann für die Zeit seiner Aussperrung die Zahlung seines Lohnes nicht verlangen.
I. Die Aussperrung in der Metallindustrie Hessen vom Jahre 1984 war rechtmäßig.
1. Die Aussperrung ist ein zulässiges Arbeitskampfmittel der Arbeitgeber. Das hat der Senat in seiner zur Veröffentlichung bestimmten Entscheidung vom 26. April 1988 - 1 AZR 399/86 - erneut ausgesprochen und im einzelnen begründet. Er hat dabei auch diejenigen Argumente berücksichtigt, die der Kläger im vorliegenden Verfahren gegen die Zulässigkeit der Aussperrung geltend gemacht hat, und, soweit erforderlich, beschieden. Die Entscheidung ist den Parteien bekannt.
2. Der Senat hat in der genannten Entscheidung vom 26. April 1988 nicht zu der Frage Stellung genommen, ob auch die Aussperrung in der hessischen Metallindustrie im Jahre 1984 zulässig war. Er hat vielmehr den auf die Feststellung der Unzulässigkeit dieser Aussperrung gerichteten Antrag der Gewerkschaft als unzulässig abgewiesen. Gleichwohl bestehen gegen die Zulässigkeit auch dieser Aussperrung keine Bedenken. Auch wenn man zugunsten des Klägers von der Entscheidung des Senats vom 10. Juni 1980 (BAGE 33, 185 = AP Nr. 65 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) ausgeht, wonach der Umfang der Aussperrung begrenzt ist, hat die Arbeitgeberseite im Arbeitskampf 1984 diese Grenzen beachtet. Nach den tatsächlichen Feststellungen für die Entscheidung vom 26. April 1988 waren bei ungefähr 230.000 Beschäftigten im Tarifgebiet etwa 30.000 Arbeiter zum Streik aufgerufen, woraufhin der Arbeitgeberverband die Aussperrung von insgesamt rd. 27.000 Arbeitnehmern beschlossen hat. Im vorliegenden Fall trägt der Kläger zwar vor, daß im Tarifgebiet ungefähr 250.000 Arbeitnehmer beschäftigt seien, von denen 45.000 zum Streik aufgerufen waren. Zur Zahl der ausgesperrten Arbeitnehmer hat er lediglich hinsichtlich des ersten Aussperrungsbeschlusses behauptet, daß davon rd. 26.000 Arbeiter betroffen waren. Geht man davon aus, so waren insgesamt allenfalls etwa 36.000 Arbeitnehmer von der beschlossenen Aussperrung betroffen. Auch damit liegt die Aussperrung weit unter der zulässigen Grenze von 25 % der im Tarifgebiet beschäftigten 233.000 oder 250.000 Arbeitnehmer.
3. Wenn der Kläger meint, ein eng geführter Teilstreik als Voraussetzung einer Abwehraussperrung liege nicht vor, weil Unternehmen unterschiedlicher Produktion bestreikt worden seien, so rechtfertigt das keine andere Beurteilung. Ein eng geführter Teilstreik im Sinne der Entscheidung des Senats vom 10. Juni 1980 liegt nicht nur dann vor, wenn Unternehmen mit gleicher Produktion bestreikt werden. Eine Beschränkung der Aussperrungsbefugnis auf Unternehmen, die infolge gleicher Produktion zu schon bestreikten Unternehmen im Wettbewerb stehen, kann der Entscheidung des Senats nicht entnommen werden.
II. Auch schwerbehinderte Arbeitnehmer können ausgesperrt werden.
Das Schwerbehindertengesetz enthält keine ausdrückliche Vorschrift, die die Aussperrung schwerbehinderter Arbeitnehmer verbietet oder regelt. Das Schwerbehindertengesetz erleichtert für Schwerbehinderte die Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes und schützt sie vor einem ungerechtfertigten Verlust des Arbeitsplatzes, indem es die Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Schwerbehinderten erschwert. Es verpflichtet in § 11 Abs. 2 (a.F.) den Arbeitgeber, die Schwerbehinderten so zu beschäftigen, daß diese ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Aus dieser Bestimmung folgt jedoch kein unbedingter Beschäftigungsanspruch gegen den Arbeitgeber, der von allen betrieblichen Besonderheiten losgelöst ist. So kann auch einem Schwerbehinderten gegenüber wirksam Kurzarbeit eingeführt werden (BAG Urteil vom 1. Februar 1957 - 1 AZR 195/55 - AP Nr. 1 zu § 32 SchwBeschG; Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl., § 7 Rz 37).
Daß auch der Schwerbehinderte nicht gegen Folgen eines rechtmäßigen Arbeitskampfes geschützt ist, ergibt sich zudem aus § 18 Abs. 7 SchwbG (a.F.). Nach dieser Vorschrift sind Schwerbehinderte, denen lediglich aus Anlaß eines Streiks oder einer Aussperrung fristlos gekündigt worden ist, nach Beendigung des Streiks oder der Aussperrung wieder einzustellen. Wenn auch diese Vorschrift weitgehend an Bedeutung verloren hat, weil jedenfalls die Beteiligung an einem rechtmäßigen Streik regelmäßig kein Grund zur fristlosen Kündigung ist und andererseits Schwerbehinderten gegenüber nach der Entscheidung des Großen Senats vom 21. April 1971 (BAGE 23, 292 = AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf) nur eine suspendierende Aussperrung in Betracht kommt, mithin das Arbeitsverhältnis eines Schwerbehinderten durch eine Aussperrung nicht gelöst wird, so macht diese Vorschrift doch deutlich, daß das Schwerbehindertengesetz davon ausgeht, daß das Arbeitsverhältnis eines Schwerbehinderten von einem Arbeitskampf betroffen und deswegen sogar gelöst werden kann. Wenn dem Schwerbehinderten gleichwohl unter den Voraussetzungen dieser Vorschrift ein Wiedereinstellungsanspruch eingeräumt wird, so beinhaltet diese Regelung, daß zwar der Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht über die Dauer des Arbeitskampfes hinaus gefährdet sein soll, daß aber während des Arbeitskampfes durchaus auch der Schwerbehinderte die rechtmäßigen Folgen eines Arbeitskampfes tragen soll. Dann kann aber auch ein schwerbehinderter Arbeitnehmer ebenso wie andere Arbeitnehmer ausgesperrt werden mit der Folge, daß er für die Dauer der Aussperrung keinen Anspruch auf Beschäftigung hat und seinen Lohnanspruch verliert (so auch die weit überwiegende Meinung in der Literatur, Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl., § 18 Rz 36; Gröninger, SchwbG, Stand Juni 1984, § 18 Rz 8; Neumann, AR-Blattei, Schwerbehindertengesetz II K; Löwisch, AR-Blattei, Arbeitskampf III, B II 1 c bb (II) 3; a.A. Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht, S. 367).
Nach allem war die Aussperrung des Klägers rechtmäßig. Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Lohnzahlung für die Zeit seiner Aussperrung. Das machte die Abänderung der angefochtenen Urteile und die Abweisung der Klage erforderlich. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 ZPO der Kläger zu tragen.
Dr. Kissel Matthes Dr. Weller
Kehrmann Heisler
Fundstellen
EEK, I/946 (ST1-2) |
NZA 1989, 892-892 (ST1) |