Streik: Regeln für einen rechtmäßigen Arbeitskampf

Der aktuelle Bahnstreik legt einmal mehr halb Deutschland lahm. Die von der Deutschen Bahn beantragte einstweilige Verfügung gegen den Streik wies das Landesarbeitsgericht zurück, weil nicht festgestellt werden könne, dass die GDL mit dem Streik rechtswidrige Streikziele verfolge oder gegen die Friedenspflicht verstoße. Das wirft ganz allgemein die Frage auf: Wann ist ein Streik rechtlich zulässig?

Seit Anfang November 2023 verhandelt die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mit der Deutschen Bahn über Tariferhöhungen. Kern des aktuellen Tarifkonflikts ist aber nicht die die Forderung der Gewerkschaft nach mehr Geld, sondern das Ziel, die Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden zu reduzieren. Die Bahn hält diese Forderung für unerfüllbar. Sie ist lediglich bereit, mit der Gewerkschaft über die Ausweitung bereits bestehender Arbeitszeit-Wahlmodelle zu reden.

Im Rahmen dieses Tarifkonflikts kam es bereits mehrmals zu deutschlandweiten Bahnstreiks, wogegen die Deutsche Bahn jüngst eine einstweilige Verfügung beantragte. Das Hessische Landesarbeitsgericht (LAG) entschied jedoch am 9. Januar 2024, dass der aktuelle Streik der GDL stattfinden kann.

Das wirft die Frage auf, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit ein Streik zulässig ist.

Streik: Unter bestimmten Voraussetzungen ein probates Mittel im Arbeitskampf

Um allgemein die Rechtmäßigkeit eines Streiks festzustellen, gibt es nur wenige verfassungsrechtliche Vorgaben und rechtliche Grundsätze. Die Verantwortung für das Arbeitskampfrecht tragen die Arbeitsgerichte, die in der Regel im Wege des einstweiligen Rechtschutzes darüber entscheiden. Grundsätzlich ist die vorübergehende Niederlegung der Arbeit als Mittel des Arbeitskampfs zur Durchsetzung eines kollektiven Interesses zulässig. Dabei müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Der Streik darf nicht gegen die Rechtsordnung verstoßen,
  • er muss von einer Gewerkschaft geführt werden und
  • er darf nicht die Friedenspflicht oder eine Schlichtungsvereinbarung brechen. 

Streik muss auf rechtmäßigen Tarifvertrag abzielen

Erste Grenze des Streikrechts ist seine Bindung an ein tariflich regelbares Ziel. Es müssen mit dem Streik also Regelungen angestrebt werden, die in einem Tarifvertrag so auch vereinbart werden dürfen. Dies sind neben den Regelungen, die Inhalt, Abschluss und Beendigung von Arbeitsverhältnissen betreffen, auch betriebsverfassungsrechtliche Fragen (§ 1 Abs. 1 TVG). 

Ein tariflich nicht regelbares Ziel liegt dagegen grundsätzlich bei politisch motivierten Streiks vor. Daher wäre ein Streikaufruf durch Verdi zur Erzwingung einer Mobilitätswende als allgemeinpolitisches Ziel nicht zulässig gewesen.

Streik muss gewerkschaftlich organisiert sein

Da nur Gewerkschaften in der Lage sind, Tarifverträge abzuschließen (§ 2 Abs. 1 TVG), ist diese Voraussetzung der gewerkschaftlichen Organisation logische Konsequenz der erstgenannten Bedingung. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) begründete dies einst mit der "scharfen Waffe des Streikrechts, die nur in die Hände der Gewerkschaften gelegt werden kann, weil nur dort mit einer verantwortlichen Rechtsausübung gerechnet werden kann" (BAG, Urteil v. 20.12.1963, 1 AZR 428/62). 

Ein Streik gilt dann als gewerkschaftlich organisiert, wenn der Streik gewerkschaftlich beschlossen und dieser Streikbeschluss verbunden mit dem Streikaufruf dem Arbeitgeber, der bestreikt werden soll, zusammen mit dem Streikziel mitgeteilt wurde (BAG, Urteil v. 23.10.1996, 1 AZR 269/96).

Streik muss eine bestehende Friedenspflicht wahren

Wird ein Tarifvertrag abgeschlossen, so vereinbaren die Parteien darin grundsätzlich eine sogenannte Friedenspflicht. Diese besagt, dass die Tarifvertragsparteien während der Laufzeit des Tarifvertrags nicht im Wege des Arbeitskampfes versuchen werden, die getroffenen Regelungen zu verändern. So darf während der Laufzeit eines Tarifvertrags nicht zum Streik aufgerufen werden, um übertarifliche Löhne für die Arbeitnehmenden zu erreichen. 

Streik: Er muss verhältnismäßig sein

Arbeitskämpfe dürfen nur dann geführt werden, wenn sie zur Erreichung des angestrebten Kampfziels geeignet, erforderlich und angemessen sind. Ein Streik darf immer nur das letzte Mittel, also "ultima ratio" zur Durchsetzung der eigenen Interessen sein. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für den Aufruf zum Streik, sondern auch für dessen gesamte Durchführung. Bei der Überprüfung der Streikmaßnahmen, wie im vorliegenden Fall ist zentraler Maßstab des Gerichts die Verhältnismäßigkeit.

Die im Streik eingesetzten Maßnahmen und Mittel dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Streikziels erforderlich ist. Dabei muss insbesondere das Gebot der Fairness und das Verbot des Übermaßes berücksichtigt werden.

Es ist jedoch nicht Aufgabe der Gerichte zu prüfen, ob es das angestrebte Ziel überhaupt rechtfertigt einen Streik in der geplanten Intensität durchzuführen. Erst wenn ein sogenanntes evidentes Missverhältnis gegeben ist, kann das Übermaßverbot verletzt sein und der Arbeitskampf ist als unverhältnismäßig einzustufen. 

Einschränkungen des Streikrechts im Bereich der Daseinsvorsorge?

In unserer verflochtenen und wechselseitig abhängigen Gesellschaft beschränken sich Streiks in nahezu allen Branchen in ihren Auswirkungen allerdings nicht allein auf die Tarifpartner. Mitunter beeinträchtigen sie Dritte beziehungsweise die Allgemeinheit in erheblichem Maße. Streiken die Lokführer, kommen die Pendlerinnen und Pendler nicht zur Arbeit, Schülerinnen und Schüler nicht in die Schule und Güter nicht an ihr Ziel. Ähnliche Auswirkungen haben Streiks von Piloten oder Fluglotsen. Da ist von einem eigentlich begrenzten Tarifkonflikt einer kleinen Gewerkschaft das ganze Land betroffen und Rechte Dritter beziehungsweise der Allgemeinheit werden in erheblichem Maße eingeschränkt. Auch in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen stellt sich die Frage, ob hier wegen der Versorgung der Patientinnen und Patienten nicht höhere Ansprüche an die Bewertung der Verhältnismäßigkeit einer Streikmaßnahme zu stellen sind.

Letztlich gibt es aber keine besonderen Einschränkungen, sondern die Verhältnismäßigkeit einer Streikmaßnahme muss in jedem Einzelfall betrachtet werden. Im Bereich der Daseinsvorsorge ist mit Notdiensten und Notfallplänen sicherzustellen, dass beispielsweise die Energieversorgung oder die Patientenbetreuung trotz der Streikmaßnahme sichergestellt ist. Bei den Lokführern oder Piloten wird die Verhältnismäßigkeit eines Streiks nicht zuletzt davon bestimmt, ob der Streik rechtzeitig angekündigt ist, sodass die betroffene Öffentlichkeit sich darauf einstellen kann, und von der Dauer einer Streikmaßnahme. Streikbezogene Sonderregeln im Bereich der Daseinsvorsorge würden die Tarifautonomie beeinträchtigen und stünden im Widerspruch zu Art. 9 III Grundgesetz. Daher wird es dabei bleiben, dass die Rechtsprechung einzelfallbezogen über die Verhältnismäßigkeit eines Streiks entscheiden kann und der Gesetzgeber nicht tätig werden wird, um hier mit einer abstrakt-generellen gesetzlichen Regelung Vorgaben zu machen.


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Schlagworte zum Thema:  Streik, Warnstreik, Arbeitskampf, Tarifverhandlung