Darf ein Warnstreik gleichzeitig auch ein Klimastreik sein?
Das Streikrecht ist in Deutschland nicht gesetzlich geregelt. Grundlagen zur Zulässigkeit von Streiks beruhen auf Richterrecht, gestützt auf Art. 9 Abs. 3 GG, also auf das Grundrecht der Koalitionsfreiheit.
Was sind zulässige Streikziele?
Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit beinhaltet die Betätigungsfreiheit der Koalitionen, also der Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, bzw. einzelner Arbeitgeber. Sie erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere auf Arbeitskampfmaßnahmen, die auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind. Wichtigste Arbeitskampfmaßnahme von Gewerkschaften ist der Streik.
Streiks sind auf den Abschluss eines Tarifvertrages gerichtet. Die tarifliche Rechtssetzungsbefugnis beschränkt sich auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Regelungen zu Arbeitsbedingungen können auch Regelungen zu Wirtschaftsbedingungen enthalten; sie müssen aber miteinander verknüpft sein. Unzulässig sind also Tarifverträge über reine Wirtschaftsbedingungen, so dass zu deren Erzwingung auch nicht zulässigerweise zum Streik aufgerufen werden darf. Tarifverträge zu quantitativen Besetzungsregeln als Betriebsnormen können indessen zulässig sein (Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 24. Juni2015, Az. 26 SaGa 1059/15).
"Mobilitätswende" als allgemeinpolitisches Ziel
Keine legitimen Streikziele sind daher politische Ziele. Streiks gerichtet auf den Abschluss von Tarifverträgen zu allgemeinpolitischen Themen sind rechtswidrig. Die Erzwingung einer "Mobilitätswende" ist ein allgemeinpolitisches Ziel. Es ist nicht auf die Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ausgerichtet. Das zeigt sich bereits bei der Wahl des Mitstreiters von Verdi. Deren Ziele haben mit der Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nichts zu tun.
Ziel von "Fridays for Future" ist die Einhaltung eines "1,5 Grad-Ziels", also die Begrenzung eines globalen Temperaturanstiegs durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad Celsius. Dieses Ziel wollen sie unter anderem durch eine Verkehrswende umsetzen. Laut Verdi sollte der gemeinsame Aktionstag mit "Fridays for Future" genutzt werden, um auf die Bedeutung des öffentlichen Personennahverkehrs im Kampf gegen die Klimakrise aufmerksam zu machen. Dieser Aktionstag verknüpft das - für sich betrachtet - zulässige Streikziel des Warnstreiks (bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten des ÖPNV) mit dem grundsätzlich unzulässigen politischen Streikziel der Mobilitätswende.
Es kommt immer mal wieder vor, dass ein Streik offiziell auf ein zulässiges Streikziel gestützt wird, tatsächlich aber ein Ziel verfolgt wird, zu dessen Verwirklichung ein Streik unzulässig wäre. Häufig steht in solchen Fällen die Friedenspflicht dem Streik entgegen.
Separater Aktionstag zur Mobilitätswende?
Aber hat Verdi nun zu einem Streik zur Erzwingung einer "Mobilitätswende" aufgerufen? Die Gewerkschaft scheint sich des Problems bewusst zu sein und versucht hier zu trennen zwischen einem Aktionstag zur Mobilitätswende und dem Streik der Mitarbeiter des ÖPNV für bessere Arbeitsbedingungen. So hieß es auf der Internetseite von Verdi:
"Die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) stehen im Mittelpunkt eines bundesweiten Aktionstags am 3. März. Verdi und die Klimaaktivistinnen und -aktivisten von Fridays for Future (FFF) kritisieren die Arbeitsbedingungen in der Branche, die Orientierungslosigkeit der Arbeitgeber und der Politik. Sie fordern dauerhaft mehr Geld für Konsolidierung und Ausbau des Nahverkehrs. An dem Tag findet gleichzeitig der globale Klimastreik der Fridays for Future-Bewegung statt."
Das soll sicher zweierlei heißen:
Es werde zum einen nicht versucht, die Streikziele durch den Aktionstag durchzusetzen. Ob dies allerdings unzulässig wäre, erscheint fraglich. Das Bundesarbeitsgericht hat im Hinblick auf sogenannte Flashmob-Aktionen von Gewerkschaften entschieden, dass unter den Grundrechtsschutz des Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur ein historisch gewachsener, abschließender numerus clausus von Arbeitskampfmaßnahmen fällt. Die Koalitionen können vielmehr ihre Kampfmittel an die sich wandelnden Umstände anpassen, um dem Gegner gewachsen zu bleiben und ausgewogene Tarifabschlüsse zu erzielen (BAG, Urteil vom 22. September 2009, Az. 1 AZR 972/08). Unzulässig wären dagegen kollektive Krankmeldungen ("Go sick"), Betriebsblockaden und Betriebsbesetzungen. Ein Aktionstag ist daher unproblematisch.
Zum anderen will Verdi den Eindruck vermeiden, das Ziel der "Mobilitätswende" durch den Druck des Streiks erreichen zu wollen. Aber genau dieser Gedanke drängt sich auf. Zum einen ist ein Schulterschluss von Verdi und "Fridays for Future" ein wichtiges Indiz. "Fridays for Future" vertritt andere Ziele als eine Gewerkschaft. Offenbar möchte auch Verdi umweltpolitische Ziele ins Repertoire aufnehmen. Es macht faktisch aber keinen Unterschied in der rechtlichen Beurteilung, dass die Gewerkschaft für einen Streik nur zulässige Ziele anführt, aber gleichzeitig mit einem "Partner" auftritt, der die politischen Ziele vertritt. So entsteht eine Vermischung der zulässigen Streikziele mit unzulässigen politischen Zielen. Ob diese Vermischung sich noch innerhalb des rechtlich zulässigen Rahmens befindet oder eine Grenzüberschreitung vorliegen könnte, ist fraglich.
Wenn aber die Streikaktionen faktisch in dem Aktionstag aufgehen (und es auch um die "Arbeitsbedingungen" gehen soll), kann man berechtigte Zweifel an einer ausreichenden Abgrenzung haben.
Konsequenzen eines rechtswidrigen Streiks
Sollte sich der Streik aufgrund der Vermischung von zulässigen und unzulässigen Streikzielen als rechtswidrig herausstellen, hätte Verdi die Grenzen der grundgesetzlich geschützten Koalitionsfreiheit überschritten. Allgemein gilt, dass der Arbeitgeber berechtigt sein kann, die Gewerkschaft im Falle einer rechtswidrigen Arbeitskampfmaßnahme nach den Grundsätzen des allgemeinen Schuldrechts auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen (so EuGH, Urteil vom 4. Oktober 2012, Az. C-22/11). Zudem besteht grundsätzlich die Möglichkeit, einer Gewerkschaft die Durchführung eines rechtswidrigen Streiks oder einer sonstigen rechtswidrigen Arbeitskampfmaßnahme per einstweiliger Verfügung zu untersagen.
Aber auch für die Arbeitnehmenden wäre eine Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik nicht unproblematisch. So verletzen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in solchen Fällen grundsätzlich ihre Arbeitspflicht. Arbeitnehmende sind zudem verpflichtet, ihrem Arbeitgeber anzuzeigen, dass sie streiken; bleibt ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin einfach zu Hause, kann der Arbeitgeber nicht erkennen, ob er oder sie streikt oder unentschuldigt fehlt. Dem Arbeitnehmenden stünde bei Verletzung der Arbeitspflicht kein Lohnanspruch zu - wobei er auch für die Zeit der Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik keinen Vergütungsanspruch hat. Gegebenenfalls ist er sogar zum Schadensersatz verpflichtet. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses des teilnehmenden Arbeitnehmenden ist grundsätzlich ebenfalls denkbar.
Jedoch ist zu berücksichtigen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Regel berechtigt sind, an gewerkschaftlichen Streiks teilzunehmen. Für einen Schadensersatzanspruch muss der Arbeitnehmende die Pflichtverletzung zu vertreten haben. Wenn dieser davon ausgehen konnte, dass ein Streik rechtmäßig ist, kann ihm zwar grundsätzlich entgegengehalten werden, dass nur ein vermeidbarer Rechtsirrtum vorliegt.
In der Regel können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber auf die Rechtmäßigkeit eines von einer Gewerkschaft ausgerufenen Streiks vertrauen (BAG, Urteil vom 19. Juni 1973, Az. 1 AZR 521/72). Das gilt zumindest, solange die Rechtswidrigkeit nicht erkennbar ist. Aus diesem Grund rechtfertigt die Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik einer Gewerkschaft auch häufig weder eine fristlose noch eine fristgemäße Kündigung (vgl. BAG, Urteil vom 29. November 1983, Az. 1 AZR 469/82). Häufig ist jedoch ohnehin eine vorherige Abmahnung erforderlich.
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