Entscheidungsstichwort (Thema)
Anrechnung v. Untertagezeiten in außerbergbaulichem Betrieb
Leitsatz (amtlich)
- Nur außerbergbauliche Beschäftigungsbetriebe sind den Inhabern eines Bergmannsversorgungsscheins gegenüber verpflichtet, bei der Gewährung von Leistungen der betrieblichen Altersversorgung die im Bergbau unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten als gleichwertige Zeiten der Betriebszugehörigkeit anzurechnen.
- Außerbergbauliche Beschäftigungsbetriebe sind solche Betriebe, die keine Bergwerksbetriebe im Sinne von § 2 Abs 3 BVSG NW sind.
- Als bergbauliche Beschäftigungsbetriebe kommen auch einzelne Betriebsabteilungen in Betracht, wenn in ihnen knappschaftliche Arbeiten verrichtet werden.
- Ein Unternehmen der Metallindustrie, das nahezu ausschließlich Maschinen zum Grubenausbau herstellt und diese durch ihre Arbeitnehmer der Montageabteilung unter Tage einbauen läßt, ist mit der Montageabteilung ein bergbaulicher Betrieb.
Normenkette
BVSG i.d.F. vom 14. April 1971 in der Änderung vom 13. Dezember 1974 und BVSG NW vom 20. Dezember 1983 § 9 Abs. 3; BVSG i.d.F. vom 14. April 1971 in der Änderung vom 13. Dezember 1974 und BVSG NW vom 20. Dezember 1983 § 2; BVSG i.d.F. vom 14. April 1971 in der Änderung vom 13. Dezember 1974 und BVSG NW vom 20. Dezember 1983 § 20
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 05.08.1986; Aktenzeichen 11 Sa 715/86) |
ArbG Wuppertal (Urteil vom 18.03.1986; Aktenzeichen 7 Ca 249/86) |
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 5. August 1986 – 11 Sa 715/86 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal vom 18. März 1986 – 7 Ca 249/86 – abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat:
Die Klage wird abgewiesen.
- Die Anschlußberufung des Klägers gegen das genannte Urteil des Arbeitsgerichts Wuppertal wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob die Beklagte ein außerbergbaulicher Betrieb ist, der nach dem Gesetz über den Bergmannsversorgungsschein im Land Nordrhein-Westfalen die von dem Kläger in Frankreich und Nordrhein-Westfalen zurückgelegten Untertagebeschäftigungszeiten bei der Berechnung der Betriebsrente berücksichtigen muß.
Der im Jahre 1928 geborene Kläger war vom 14. Oktober 1947 bis zum 7. Juli 1954 im Steinkohlenbergbau in Frankreich und vom 14. Juli 1954 bis zum 27. Juni 1969 im Ruhrkohlenbergbau unter Tage beschäftigt. Am 30. Juni 1969 trat er in die Dienste der Beklagten. Diese betreibt eine Maschinenfabrik. Sie stellt nahezu ausschließlich Maschinen für den Grubenausbau her und läßt sie durch ihre Montageabteilung vor Ort einbauen. Der Kläger war in dieser Montageabteilung beschäftigt. Er verrichtete unter Tage Büroarbeiten für den Ausbau sowie Montagearbeiten. Er war bei der Bundesknappschaft versichert.
Im Jahre 1971 erhielt der Kläger einen Bergmannsversorgungsschein. Seit dem 1. Februar 1982 bezieht er Erwerbsunfähigkeitsrente. Das Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 1982. Seit dem 1. Januar 1983 gewährt die Beklagte dem Kläger Invalidenrente aufgrund der Versorgungsordnung vom 19. Dezember 1974. Nach dieser beträgt die Altersrente 0,5 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes für jedes abgeleistete rentenfähige Dienstjahr, höchstens jedoch 15 % des rentenfähigen Arbeitsverdienstes. Als Invalidenrente wird der Teil der theoretischen Altersrente gewährt, der den abgeleisteten rentenfähigen Dienstjahren im Verhältnis zu den erreichbaren rentenfähigen Dienstjahren entspricht. Die Beklagte legte der Rentenberechnung nur die bei ihr abgeleisteten Dienstjahre zugrunde und ermittelte eine Betriebsrente in Höhe von 197,63 DM.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte müsse bei der Rentenberechnung sowohl die in Frankreich als auch die in der Bundesrepublik unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten berücksichtigen. Bei Berücksichtigung dieser Beschäftigungszeiten ergebe sich eine monatliche Rente in Höhe von 322,20 DM brutto. Für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis zum 28. Februar 1986 ergebe sich mithin eine Nachforderung von 4.733,66 DM brutto.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 4.733,66 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 12. März 1986 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie sei nicht zur Anrechnung der Vordienstzeiten verpflichtet, da sie nicht zu den außerbergbaulichen Beschäftigungsbetrieben zähle. Sie beschäftige 856 Arbeitnehmer in ihrer Maschinenfabrik. Davon seien 96 Arbeitnehmer in der Abteilung Außenmontage tätig; von diesen würden die Maschinen vor Ort eingebaut. Die Arbeitnehmer der Außenmontage seien während ihrer Tätigkeit nach wie vor bei der Bundesknappschaft versichert. In der Bundesknappschaft versicherte Arbeitnehmer könnten die Anrechnung von Vordienstzeiten nicht verlangen, weil die Knappschaftsleistungen auch die Funktion einer Betriebsrente enthielten. Der Beitragssatz sei wesentlich höher als der zur Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten. In keinem Fall könnten die Vordienstzeiten im französischen Bergbau berücksichtigt werden.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 4.455,12 DM verurteilt und die Klage abgewiesen, soweit der Kläger Anrechnung der Beschäftigungszeit in Frankreich verlangt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Klägers der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung der Klage anstrebt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Beklagte braucht bei der Berechnung der Betriebsrente die unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten des Klägers nicht zu berücksichtigen. Die Beklagte ist gegenüber den Beschäftigten ihrer Montageabteilung kein anrechnungspflichtiger außerbergbaulicher Arbeitgeber.
1. In welchem Umfang ein Arbeitgeber dem Inhaber eines Bergmannsversorgungsscheins die unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung von Zuwendungen anrechnen muß, ergibt sich aus dem Gesetz über den Bergmannsversorgungsschein im Land Nordrhein-Westfalen (BVSG NW).
a) Nach § 9 Abs. 3 BVSG NW in der Fassung vom 14. April 1971 (GV.NW. S. 124) mit der Änderung vom 13. Dezember 1974 (GV.NW. S. 1504) sind im neuen Beschäftigungsbetrieb bei der Bemessung des Urlaubs, des Tariflohnes und sonstiger Leistungen oder Zuwendungen die im Bergbau unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten den Inhabern eines Bergmannsversorgungsscheins als gleichwertige Berufsjahre oder als gleichwertige Zeiten der Betriebszugehörigkeit anzurechnen. Dieses Gesetz galt bis zum 31. Dezember 1983 und ist – nach seinem zeitlichen Geltungsbereich – für die Ermittlung der Ansprüche des Klägers für die Zeit vom 1. Januar 1983 bis 31. Dezember 1983 maßgebend.
Dieses Gesetz wurde ohne Überleitungsbestimmungen mit Wirkung vom 31. Dezember 1983 aufgehoben und durch das BVSG NW vom 20. Dezember 1983 (GVBl. S. 635) mit Wirkung vom 1. Januar 1984 ersetzt. Nach § 9 Abs. 3 dieses Gesetzes sind in jedem außerbergbaulichen Beschäftigungsbetrieb den Inhabern des Bergmannsversorgungsscheins bei der Gewährung sonstiger Leistungen die im Bergbau unter Tage verbrachten Beschäftigungszeiten als gleichwertige Berufsjahre oder als gleichwertige Zeiten der Betriebszugehörigkeit anzurechnen. Die von dem Kläger geltend gemachten Ansprüche für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis 28. Februar 1986 richten sich nach diesem Gesetz, denn in § 20 BVSG NW 1983 sind auch für bereits im Ruhestand lebende Bergmannsversorgungsscheininhaber keine Übergangsvorschriften vorgesehen.
b) Zwar hat sich der Wortlaut von § 9 Abs. 3 BVSG NW 1983 gegenüber der früheren Fassung des Gesetzes geändert. Dies hat aber nicht zu einer Änderung des Inhalts des Gesetzes geführt. Schon nach § 9 Abs. 3 BVSG NW 1971/1974 war nur ein außerbergbaulicher Arbeitgeber zur Anrechnung von Vordienstzeiten unter Tage verpflichtet (vgl. BAG Urteil vom 27. Juli 1972 – 5 AZR 78/72 – AP Nr. 9 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW). Insoweit hat der Gesetzgeber durch die Neufassung die Rechtslage lediglich klargestellt (vgl. Boldt, DB 1984, 1032, 1038). Der “neue Beschäftigungsbetrieb” der früheren Fassung mußte ein “außerbergbaulicher Beschäftigungsbetrieb” sein.
2. Die Beklagte ist gegenüber den Arbeitnehmern ihrer Montageabteilung kein außerbergbaulicher Beschäftigungsbetrieb. Dies hat das Landesarbeitsgericht verkannt.
§ 2 Abs. 3 BVSG NW 1983 enthält für den Begriff des Bergwerksbetriebes eine Legaldefinition. Hiernach sind Bergwerksbetriebe neben den Zechengesellschaften und den Bergbauspezialgesellschaften sonstige Unternehmen, soweit sie knappschaftliche Arbeiten nach der VO über knappschaftliche Arbeiten vom 11. Februar 1933 (BGBl I S. 66) verrichten. Außerbergbauliche Beschäftigungsbetriebe sind die Betriebe, die keine Bergwerksbetriebe sind.
a) Maßgebend für die Einordnung eines Betriebes als Bergwerksbetrieb oder außerbergbaulicher Beschäftigungsbetrieb ist nicht der Zweck des gesamten Unternehmens. Es kommt nur darauf an, inwieweit in einem Betrieb bergbauliche Arbeiten verrichtet werden. Soweit in einem Betrieb bergbauliche Arbeiten verrichtet werden, gehört dieser Arbeitgeber nicht zu den außerbergbaulichen Beschäftigungsbetrieben. Das Gesetz schreibt innerhalb eines Unternehmens unterschiedliche Einordnungen vor, wie sich aus dem Wort “soweit” in § 2 Abs. 3 BVSG NW ergibt. Deshalb muß für jede Betriebsabteilung geprüft werden, ob sie ein “außerbergbaulicher Beschäftigungsbetrieb” im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1 BVSG NW ist.
b) Nach § 1 VO über knappschaftliche Arbeiten sind knappschaftliche Arbeiten die im einzelnen aufgeführten Arbeiten, wenn sie räumlich und betrieblich mit einem Bergwerksbetrieb zusammenhängen. Dazu gehören alle unter Tage von einem anderen Unternehmen als der Zechengesellschaft ausgeführten Arbeiten.
Solche knappschaftlichen Arbeiten führte die Beklagte mit ihrer Montageabteilung aus, in der der Kläger beschäftigt war. Die Beklagte stellte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts Maschinen für den Grubenausbau her und ließ sie vor Ort einbauen. Sie erbrachte damit räumlich und zeitlich mit einem Zechenbetrieb zusammenhängende bergbauliche Nebenleistungen. Der Kläger hat als Angehöriger der Montageabteilung nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts unter Tage gearbeitet. Für die Bewertung als knappschaftliche Arbeit spricht zudem auch, daß der Kläger während der gesamten Beschäftigungszeit bei der Beklagten in der Bundesknappschaft versichert war (§§ 1, 2 RKG).
c) Diese Abgrenzung des außerbergbaulichen Beschäftigungsbetriebs zum Bergwerksbetrieb galt schon für das BVSG NW 1971/1974. Auch insoweit hat das BVSG 1983 nur die bereits nach dem BVSG 1971/1974 geltende Rechtslage klargestellt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehörten seit jeher zu den Bergwerksbetrieben nicht nur die Zechenbetriebe, sondern auch die bergbaulichen Nebenbetriebe, in denen bergbauliche Arbeiten verrichtet wurden (für Bergbauspezialgesellschaften: BAG Urteil vom 4. März 1961 – 5 AZR 558/58 – AP Nr. 2 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW). Auch insoweit wollte der Gesetzgeber mit der Neufassung des BVSG die Rechtslage lediglich klarstellen (Boldt, DB 1984, 1032, 1033 unter II), um größere Rechtssicherheit zu schaffen.
Danach war der Kläger während der gesamten Dauer der Beschäftigung bei der Beklagten nicht in einem außerbergbaulichen Betrieb beschäftigt.
3. Der Senat weicht mit dieser Beurteilung nicht von der Rechtsprechung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts ab.
Der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts hat unter einer “anderweitigen Beschäftigung” im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 1 BVSG NW 1971/1974 eine solche Beschäftigung verstanden, die nicht von den Tarifverträgen des Bergbaus erfaßt wird (BAG Urteil vom 5. Dezember 1984 – 5 AZR 577/77 – AP Nr. 25 zu § 9 BergmannsVersorgScheinG NRW). Dieses Abstellen auf den Geltungsbereich eines Tarifvertrages mag für § 9 Abs. 1 BVSG NW sinnvoll sein.
Das Urteil des Fünften Senats bezog sich auf Ansprüche eines ehemaligen Bergmanns gegen seinen früheren Arbeitgeber auf Kohledeputate. Insoweit kann die Rechtslage anders sein, wenn der Arbeitnehmer in die Dienste eines Arbeitgebers tritt, der tariflich nicht zur Gewährung von Hausbrandkohle verpflichtet ist. Entscheidend ist aber, daß der Fünfte Senat keine Veranlassung hatte, die Rechtslage in bezug auf ein Zubringerunternehmen des Bergbaus zu untersuchen, soweit in diesem bergmännische Arbeiten verrichtet werden. Die Entscheidung des Fünften Senats bezog sich auf ein Chemieunternehmen, das seine bergmännische Betätigung vollständig eingestellt hat.
Unterschriften
Dr. Heither, Schaub, Griebeling, Fieberg, Arntzen
Fundstellen
Haufe-Index 876126 |
RdA 1988, 382 |