Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen gehört zum Kündigungsgrund die aufgrund einer Prognose festgestellte Besorgnis weiterer häufiger Fehlzeiten und eine sich hieraus ergebende erhebliche Beeinträchtigung der Interessen des Betriebs.
2. Diese Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn aufgrund der abschließenden Interessenabwägung im konkreten Einzelfall sich eine unzumutbare betriebliche oder wirtschaftliche Belastung ergibt (Klarstellung der Senatsurteile vom 25. November 1982 2 AZR 140/81 = BAGE 40, 361 = AP Nr 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit und 23. Juni 1983 2 AZR 15/82 = BAGE 43, 129 = AP Nr 10 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).
Normenkette
ZPO §§ 284, 286; KSchG § 1 Abs. 2; ZPO § 565 Abs. 3 Nr. 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 18.04.1984; Aktenzeichen 14 Sa 2202/83) |
ArbG Paderborn (Entscheidung vom 06.10.1983; Aktenzeichen 1 Ca 821/83) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung.
Der zum Zeitpunkt der Kündigung 48 Jahre alte und verheiratete Kläger war seit April 1964 als gewerblicher Arbeitnehmer bei der Beklagten beschäftigt. Seit 1978 hatte er die Funktion eines Kontrolleurs im Bereich der Rohrfertigung. Dort waren an fünf Kontrolltischen je zwei Kontrolleure dreischichtig eingesetzt, um die Produkte auf Maßhaltigkeit und Fehler zu untersuchen.
Der Kläger hat seit Jahren eine angegriffene Gesundheit. Seit 1978 fehlte er im Durchschnitt an über 30 % der möglichen Arbeitstage. Als Ursache steht ein chronisches Bronchitisleiden im Vordergrund. Daneben litt er auch an Gastritis und Rückenbeschwerden. Wegen seiner Gesundheitsprobleme hat der Kläger im März 1983 einen Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter gestellt. Das zuständige Versorgungsamt hat jedoch bestandskräftig nur eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % anerkannt. Der Bescheid vom 29. September 1983 nennt als Behinderungen:
Hörbehinderung,
Funktionseinschränkung der Wirbelsäule,
chronische Atemwegsentzündung,
Funktionseinschränkung der Schultergelenke,
rückfällige Magenschleimhautentzündung.
Wegen der häufigen Fehlzeiten kündigte die Beklagte dem Kläger am 28. Juni 1983 zum 31. August 1983. Nachdem dieser Kündigungsschutzklage erhoben hatte, wurde er von der Beklagten zunächst weiterbeschäftigt.
Der Kläger hat vorgetragen, die Besorgnis, auch in Zukunft sei mit weiteren häufigen Fehlzeiten zu rechnen, sei unberechtigt. Es müsse nämlich berücksichtigt werden, daß die Hauptursache für die aufgetretenen Fehlzeiten immer wieder ausbrechende Bronchitiserkrankungen gewesen seien. Die am Arbeitsplatz herrschende Zugluft habe die Atemwegsentzündungen stark gefördert. Zugluft trete nun aber nicht mehr auf, weil die Beklagte die mit zerbrochenen Glasscheiben durchsetzte Hallenkonstruktion durch ein festes Mauerwerk ersetzt habe. Dementsprechend sei er seit Mitte dieses Jahres (1983) nicht wieder an Bronchitis erkrankt. Es sei auch daran zu denken, daß das genannte Leiden durch eine Kur weiter gebessert werden könne. Ein weiterer Grund für das Auftreten von Bronchitiserkrankungen liege darin, daß beim Kontrollieren der Röhren auch Schleifarbeiten zu verrichten seien. Hierbei trete Staub auf, der sich in den Atemwegen festsetze. Insofern habe also seine Anfälligkeit für Fehlzeiten durchaus auch betriebliche Ursachen. Anerkanntermaßen müßten aber solche betriebsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen bei einer Krankheitskündigung ausgeklammert werden.
Weiterhin, so meint der Kläger, seien durch die aufgetretenen Fehlzeiten erhebliche betriebliche Störungen nicht entstanden. Dabei falle entscheidend ins Gewicht, daß sein Arbeitsplatz nur eine äußerst geringe Anlernzeit erfordere, so daß er von jedem anderen Mitarbeiter besetzt werden könne. In erster Linie sei er in der Vergangenheit von seinen Kollegen an den anderen Kontrolltischen vertreten worden. Aber auch die an den anderen Arbeitsplätzen beschäftigten Kollegen hätten bei Urlaub oder Krankheit seinen Arbeitsplatz am Kontrolltisch übernommen. Bei der Beurteilung der betrieblichen Auswirkungen müsse auch berücksichtigt werden, daß keine Notwendigkeit bestehe, die mit Eisenbahnwaggons herangefahrenen Röhren sofort zu kontrollieren. Denn in der Halle bestünden genügend Stapelmöglichkeiten. Schließlich belasteten die Lohnfortzahlungskosten die Beklagte nicht unerträglich, Lohnfortzahlung sei nämlich nur für sechs Wochen im Jahr zu leisten, da es sich durchweg um Wiederholungserkrankungen handele.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom
28. Juni 1983 nicht aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat zur Begründung die einzelnen Krankheitsfehlzeiten des Klägers aufgeschlüsselt und vorgetragen, ihr seien Lohnfortzahlungskosten in unzumutbarer Höhe entstanden. In den letzten fünf Jahren habe sie an den Kläger 28.213,54 DM brutto an Krankenlohn gezahlt. Dies bedeute, daß jährlich 20 % des Bruttolohns in die Lohnfortzahlung flössen.
Die Behauptung des Klägers, für die aufgetretenen Bronchitiserkrankungen seien Zugluft und Staub ursächlich gewesen, werde bestritten. Dagegen, daß arbeitsplatzbedingte Zugluft das Auftreten der Erkrankungen begünstigt habe, spreche schon der Umstand, daß die Fehlzeiten immer relativ gleichmäßig über das ganze Jahr hinweg verteilt gewesen seien und der Kläger auch schon vor 1978 in der Halle 12 gearbeitet habe, ohne daß seine Erkrankungen einen so großen Umfang eingenommen hätten wie in der letzten Zeit. Mit Luftschleusen sei von jeher verhindert worden, daß beim Transport der Rohre Zugluft entstehen könne. Durch gelegentlich zerbrochene Scheiben habe ebenfalls Zugluft nicht entstehen können, weil die entstandenen Löcher dafür zu hoch und zu weit entfernt vom Kläger gewesen seien. Unrichtig sei auch, daß es beim Abschleifen der Rohre zu Staubemissionen komme. Die freigesetzten Stahlpartikel glühten aus und fielen wegen ihres Gewichtes zu Boden. Zunder, der während des Glühvorganges an den Rohren entstehe, werde bereits vor der Kontrolle in einer anderen Halle abgesaugt. Dementsprechend habe der Kläger sich auch nicht bei seinem Meister oder dem Betriebsrat entgegen seiner Behauptung irgendwann über seine Arbeitsbedingungen beschwert. Es sei auch nicht richtig, daß der Kläger seit Mitte des Jahres 1983 nicht mehr arbeitsunfähig krank gewesen sei. Vielmehr habe er vom 5. bis 8. Oktober, 10. bis 21. Oktober und 5. bis 31. Dezember 1983 krankheitsbedingt gefehlt.
Was die betriebsbedingten Störungen angehe, so betont die Beklagte, das Ausfallen von ein oder zwei Kontrolleuren bei der Röhrenfertigung führe zwangsläufig zu einer überproportionalen Minderleistung. Um den Ausfall zu kompensieren, müßten andere Mitarbeiter herangezogen werden, wobei wiederum in deren Arbeitsbereich Störungen aufträten. Diese Störungen seien deshalb besonders fühlbar, weil die Walzaufträge streng termingebunden seien. Es gebe keine Fertigung auf Lager. Durch häufige Fehlzeiten würde die gesamte Produktionsplanung durcheinandergebracht und werfe Probleme einer nicht rechtzeitigen Lieferung an die Kunden auf. In diesem Zusammenhang sei von Bedeutung, daß die Kontrolltätigkeit eine Mindestanlernzeit von sechs Monaten erfordere. Der Kläger sei erst nach 14 Jahren Betriebszugehörigkeit als erster Ausländer für solch eine qualifizierte Tätigkeit ausgewählt worden. Sein Fehlen in dieser Position werfe daher bei der Vertretungsmöglichkeit besondere Probleme auf. Als letzter Ausweg bleibe dann nur, die eingetretene Minderproduktionen durch Überstunden an Samstagen möglichst auszugleichen. So seien in den Jahren 1981 und 1982 derartige Nachholzeiten wiederholt notwendig geworden. Auch habe man zusätzliche Aushilfskräfte vor allem in den Ferien eingestellt. Derartige Maßnahmen führten aber wiederum zu finanziellen Mehrbelastungen, die sich auf die Kostensituation auswirkten. Bei der in der Stahlindustrie knappen Kostenkalkulation führten unerwartete Arbeitsunfähigkeitszeiten schnell dazu, daß ein Auftrag keinen Gewinn oder sogar Verluste bringe. Im übrigen hat die Beklagte auf das an den Betriebsrat gerichtete Anhörungsschreiben Bezug genommen, in dem dargestellt ist, daß krankheitsbedingte Ausfälle bei den Kontrolleurarbeitsplätzen nur mit erheblichen Schwierigkeiten verkraftet werden könnten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht beendet worden ist. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag weiter, die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen, während der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei sozialwidrig. Es hat dahingestellt sein lassen, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung Tatsachen vorgelegen haben, die die Besorgnis weiterer häufiger Kurzerkrankungen in der Zukunft rechtfertigten, weil es der Auffassung gewesen ist, es fehle an präzisen Darlegungen der Beklagten darüber, inwiefern die Fehlzeiten zu nicht mehr tolerierbaren betrieblichen Beeinträchtigungen geführt hätten und voraussichtlich führen würden. Das Berufungsgericht hat zwar gesehen, daß auch wirtschaftliche Belastungen durch Lohnfortzahlungskosten geeignet sein können, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen. Es hat jedoch die Ansicht vertreten, der Umfang der beim Kläger aufgetretenen Lohnfortzahlungskosten sei für sich allein noch kein Umstand, der als ungewöhnliche Belastung anerkannt werden könne. Die Kosten würden erst im Vergleich zu anderen wirtschaftlichen Meßgrößen relevant. Je nach der Struktur des Betriebs und insbesondere auch nach der generellen Belastung des Betriebs durch Lohnfortzahlungskosten könnten die unproduktiven Löhne bei einem einzelnen Mitarbeiter mal mehr, mal weniger zu Buche schlagen.
Auch wenn das Arbeitsverhältnis der Parteien schon seit Jahren durch hohe Fehlzeiten des Klägers belastet sei, könne nicht unberücksichtigt bleiben, daß der Kläger vor fast zwei Jahrzehnten in den besten Mannesjahren bei der Beklagten eingetreten sei. Er könne deshalb auch erwarten, daß die Beklagte bei einer schwierigen gesundheitlichen Situation in vorgerücktem Alter das Arbeitsverhältnis fortsetze. Dies bedeute nicht, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers unkündbar geworden sei, sondern nur, daß die Beklagte den strengen Anforderungen an ihre Darlegungslast nicht nachgekommen sei.
B. Den Ausführungen des Berufungsgerichts kann nicht in allen Teilen gefolgt werden.
I. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts: vgl. etwa BAG 1, 99 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG und BAG 45, 146, 151).
II. Auch diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil nicht stand.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats setzt eine sozial gerechtfertigte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen voraus, daß zum Zeitpunkt ihres Zugangs objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer häufiger Kurzerkrankungen in der Zukunft rechtfertigen und daß die bisherigen und in der Zukunft zu erwartenden Krankheitszeiten zu unzumutbaren betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen des Arbeitgebers führen (BAG 43, 129 = AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit mit zust. Anm. von Neyses und BAG 45, 146 ff.). Nach ebenfalls gefestigter Senatsrechtsprechung kann eine Kündigung wegen unzumutbarer wirtschaftlicher Belastung sozial gerechtfertigt sein, wenn das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis auf Dauer erheblich gestört ist, weil mit immer neuen beträchtlichen Fehlzeiten und entsprechenden Lohnfortzahlungen zu rechnen ist. Bei der Prüfung, ob in diesem Fall eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung vorliegt, ist auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses des gekündigten Arbeitnehmers abzustellen (BAG 45, 146, 153 und BAG Urteil vom 12. April 1984 - 2 AZR 77/83 - nicht veröffentlicht).
2. Vorliegend hat das Berufungsgericht in Unkenntnis der Senatsurteile vom 15. Februar und 12. April 1984 (aaO) die Auffassung vertreten, der Umfang der beim Kläger aufgetretenen Lohnfortzahlungskosten von über 28.000,-- DM in den letzten fünf Jahren (= 20 % des von ihm in diesem Zeitpunkt bezogenen Lohns) sei allein noch kein Umstand, der als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden könne. Die Beklagte habe mehr tun müssen, als die aufgewandten Kosten zu beziffern, weil nach der Struktur des Betriebs und insbesondere auch nach der generellen Belastung des Betriebs durch Lohnfortzahlungskosten die unproduktiven Löhne bei einem einzelnen Mitarbeiter mal mehr, mal weniger zu Buche schlagen könnten. Damit ist das Berufungsgericht von den oben genannten Senatsurteilen vom 15. Februar und 12. April 1984 abgewichen und hat den Rechtsbegriff der Sozialwidrigkeit verkannt. Würde nämlich auf die jeweilige Gesamtbelastung des Betriebs mit Lohnfortzahlungskosten abgestellt und nicht auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses des gekündigten Arbeitnehmers, so bliebe der Austauschcharakter des Arbeitsverhältnisses weitgehend unbeachtet. Dies ginge über Sinn und Zweck des Kündigungsschutzgesetzes hinaus, das in § 1 Abs. 2 KSchG immerhin Kündigungen aus personenbedingten Gründen, also u.a. auch bei dauernder Störung des Austauschverhältnisses, zuläßt.
3. Dagegen halten sich die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Beeinträchtigung des Betriebsablaufes entgegen der Auffassung der Revision im Rahmen seines Beurteilungsspielraums:
a) Richtig ist, daß der Senat in den Urteilen vom 15. Februar und 12. April 1984 (aaO) zum Ausdruck gebracht hat, dem Arbeitgeber, der durch eine ausreichende Personalreserve Umsetzungen oder durch andere organisatorische Maßnahmen Betriebsbeeinträchtigungen weitestgehend vermeide, dürfe hierfür nicht bestraft werden. Dies bedeutet aber nicht, worauf der Kläger zutreffend hinweist, daß bei ausreichender Personalreserve krankheitsbedingte Kündigungen auch dann sozial gerechtfertigt sind, wenn eine Betriebsbeeinträchtigung vermieden wird. Vielmehr hält der Senat daran fest, daß eine unzumutbare Betriebsbeeinträchtigung vorliegen muß. Nur werden von einem Arbeitgeber, der bereits durch eine ausreichende Personalreserve Betriebsbeeinträchtigungen weitgehend vermeidet, weniger Überbrückungsmaßnahmen verlangt (vgl. dazu Weller, Kündigung bei Krankheit in: Das Arbeitsrecht der Gegenwart, Bd. 20, 1982, S. 77, 87).
b) Die Prozeßrüge, das Landesarbeitsgericht habe bei der Würdigung des Vortrages zur Betriebsbeeinträchtigung §§ 284 und 286 ZPO verletzt, ist unzulässig, weil die Beklagte nicht ausführt, welchen konkreten, unter Beweis gestellten Vortrag das Landesarbeitsgericht übergangen haben soll.
4. Entgegen der Auffassung des Klägers ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts wegen des Rechtsfehlers bezüglich der wirtschaftlichen Belastung aufzuheben. Dem Kläger ist zwar darin zuzustimmen, daß die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung in drei Stufen zu erfolgen hat: Danach setzt eine sozial gerechtfertigte Kündigung zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen weiteren Gesundheitszustandes voraus. Dieser Sachverhalt ist aber nur geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn die entstandenen und prognostizierten Fehlzeiten zu einer e r h e b l i c h e n Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Damit wird klargestellt, daß zum Kündigungsgrund nicht die unzumutbare Belastung des Betriebs gehört (so richtig Neyses, Anm. zu BAG AP Nr. 10 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; insoweit etwas mißverständlich Senatsurteil vom 25. November 1982 - BAG 40, 361, 370 = AP Nr. 7 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu B I 3 der Gründe, wonach sich bei der Frage der Unzumutbarkeit Überschneidungen zwischen Kündigungsgrund und Interessenabwägung ergeben). Erst in der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, wird geprüft, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer unzumutbaren Belastung führt. Hierbei geht es aber entgegen der Auffassung von Neyses (aaO) nicht um eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung, andernfalls würde der Beurteilungsmaßstab der Sozialwidrigkeit verlassen (vgl. dazu näher Weller, aaO).
Das Landesarbeitsgericht ist zwar vorliegend bei der Interessenabwägung zu dem Ergebnis gekommen, es lägen keine unzumutbaren betrieblichen und wirtschaftlichen Belastungen vor. Das Berufungsgericht ist aber nur deshalb zu einer für den Kläger günstigen Interessenabwägung gekommen, weil es davon ausgegangen ist, die Beklagte habe nicht die besonderen Anforderungen erfüllt, die an ihre Darlegungslast gestellt werden (vgl. S. 15 des angefochtenen Urteils). Daraus ergibt sich, daß das Landesarbeitsgericht möglicherweise zu einem für die Beklagte günstigeren Ergebnis gekommen wäre, wenn es bei der Prüfung, ob eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung vorliegt, auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses des gekündigten Arbeitnehmers abgestellt hätte. Ob die finanziellen Belastungen dem Arbeitgeber noch zumutbar sind, hängt nach dem Senatsurteil vom 15. Februar 1984 (aaO) insbesondere von der Dauer des u n g e s t ö r t e n Bestandes des Arbeitsverhältnisses ab. Je länger ein Arbeitsverhältnis ungestört bestanden hat, desto mehr Rücksichtnahme ist danach vom Arbeitgeber zu erwarten. Vorliegend spricht deshalb zugunsten des Klägers, daß das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Kündigung schon 19 Jahre bestanden hat. Zugunsten der Beklagten spricht, daß der Kläger in den letzten sechs Jahren vor Ausspruch der Kündigung durchschnittlich 30 % der Arbeitszeit krankheitsbedingt ausgefallen ist aufgrund verschiedener Krankheiten, so daß immer wieder Lohnfortzahlungskosten ausgelöst wurden.
III. Der Senat hat in der Sache nicht selbst entscheiden können, weil die Sache zur Endentscheidung noch nicht reif ist (§ 565 Abs. 3 Ziff. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat von seinem Standpunkt aus zu Recht dahinstehen lassen, ob zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektive Tatsachen vorgelegen haben, die die Besorgnis weiterer häufiger Kurzerkrankungen mit entsprechenden Lohnfortzahlungskosten in der Zukunft rechtfertigten. Voraussetzung für eine sozial gerechtfertigte krankheitsbedingte Kündigung ist aber u.a. eine negative Prognose. Aus diesem Grunde hat das Berufungsgericht die entsprechenden Feststellungen nachzuholen. Falls das Berufungsgericht zu einer negativen Prognose kommt, hat es bei der Interessenabwägung auch zu berücksichtigen, daß die Ursache der Arbeitsunfähigkeit von ganz erheblicher Bedeutung ist (vgl. Weller, aaO, S. 89). Hierzu haben die Parteien substantiiert Gegensätzliches unter Beweisantritt vorgetragen, so daß gegebenenfalls durch Beweisaufnahme zu klären ist, ob die bronchitischen Erkrankungen des Klägers eine Folge von Zugluft, Schleifstaub und Nachtschichtarbeit sind oder, bzw., auch auf ständiges Rauchen zurückgeführt werden müssen.
Hillebrecht Triebfürst Dr. Weller
Wellhausen Dr. Bensinger
Fundstellen
Haufe-Index 438161 |
BB 1986, 595-596 (T) |
DB 1986, 863-864 (LT1-2) |
NJW 1986, 2392 |
NJW 1986, 2392-2393 (LT1-2) |
AuB 1986, 295-296 (T) |
ARST 1986, 135-136 (LT1-2) |
BehindR 1987, 19-21 (LT1-2) |
NZA 1986, 359-360 (LT1-2) |
RdA 1986, 135 |
RzK, I 5g Nr 13 (LT1-2) |
SAE 1988, 301-302 (LT1-2) |
AP § 1 KSchG 1969 Krankheit (LT1-2), Nr 17 |
ArbuR 1987, 419-420 (LT1-2) |
EzA § 1 KSchG Krankheit, Nr 17 (LT1-2) |