Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsübergang und Konkursausfallgeld
Orientierungssatz
§ 613a Abs 1 Satz 1 BGB ist auch dann anzuwenden, wenn die Arbeitnehmer eines notleidenden Betriebes die Arbeit bei dem Übernehmer zunächst fortsetzen, erst später den Antrag auf Konkursausfallgeld stellen und die Eröffnung des Konkursverfahrens nach dem Betriebsübergang beantragt und mangels Masse abgelehnt wird (vergleiche BAG Urteil vom 27.4.1988 5 AZR 358/87).
Normenkette
AFG § 141a; BGB § 613a; ZPO § 561 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 13.01.1988; Aktenzeichen 9 Sa 616/87) |
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 09.07.1987; Aktenzeichen 2 Ca 267/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte als Betriebsübernehmer für Ansprüche auf Arbeitsentgelt haftet, die auf die Klägerin mit der Stellung von Anträgen auf Konkursausfallgeld kraft Gesetzes (§ 141 m AFG) übergegangen sind.
Der Beklagte schloß mit der Army and Air Force Exchange Service Europe (künftig AAFES), die Verkaufsbetriebe und Dienstleistungsunternehmungen für einen bestimmten Personenkreis unterhält, am 30. Januar 1986 einen Konzessionsvertrag, wodurch er die Erlaubnis erhielt, eine Autoreparaturwerkstatt (Garage) zu betreiben. Diese Werkstatt ist nur Mitgliedern der US-Truppe, deren zivilem Gefolge sowie deren Angehörigen zugänglich. In dem Konzessionsvertrag, der auf zwei Jahre befristet ist, vereinbarten die Vertragsparteien die Anwendung US-amerikanischen Rechts. Der Beklagte betreibt die Werkstatt seit dem 25. Februar 1986. Er übernahm 40 Arbeitnehmer, für deren Arbeitsverhältnis deutsches Recht gilt.
Vorheriger Konzessionsinhaber war Herr H-G C, der ebenfalls einen Konzessionsvertrag mit der AAFES abgeschlossen hatte. C betrieb die Werkstatt unmittelbar bis zur Übernahme durch den Beklagten, blieb jedoch den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern für die Zeit vom 1. bis zum 24. Februar 1986 die Vergütung schuldig.
Am 28. Februar 1986 beantragte C, das Konkursverfahren über sein Vermögen zu eröffnen. Durch Beschluß vom 5. Mai 1986 wies das Amtsgericht diesen Antrag mangels Masse zurück.
Nach Werkstattübernahme durch den Beklagten stellten die vom Beklagten weiterbeschäftigten Arbeitnehmer bei der Klägerin Anträge auf Zahlung von Konkursausfallgeld. Daraufhin gewährte die Klägerin diese Leistung in Höhe von 70.129,87 DM. Wegen dieses Betrages nimmt die Klägerin den Beklagten in Anspruch.
Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte hafte ihr gemäß § 613 a BGB, da er den von C geführten Betrieb übernommen habe. Der vom Beklagten mit der AAFES abgeschlossene Konzessionsvertrag komme in seinen Wirkungen einem Pachtvertrag gleich. Dabei sei es ohne Bedeutung, daß für diesen Vertrag amerikanisches Recht gelten solle.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie
70.129,87 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat geltend gemacht, eine Haftung nach § 613 a BGB scheide für ihn aus, da zwischen ihm und dem früheren Werkstattinhaber keinerlei Rechtsbeziehungen bestanden hätten. Die Bedingungen für den Konzessionsvertrag seien ihm durch die AAFES diktiert worden. Sie seien zudem durch Richtlinien vorgegeben gewesen. Daher habe für ihn auch keine Möglichkeit bestanden, sich im Vertrag mit der AAFES haftungsrechtlich für Verbindlichkeiten seines Vorgängers abzusichern. Der Betriebsübernahme habe danach kein Rechtsgeschäft i. S. von § 613 a BGB zugrunde gelegen. Im übrigen gingen die Sonderregelungen der §§ 141 a ff. AFG der allgemeinen Regelung des § 613 a BGB vor, so daß auch aus diesem Grund eine Haftung seinerseits gegenüber der Klägerin entfalle.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der der Beklagte sein Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Beklagte haftet der Klägerin gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB für die kraft Gesetzes (§ 141 m AFG) übergegangenen Entgeltforderungen der ehemaligen Arbeitnehmer des Vertragsvorgängers C.
I. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Beklagte für den vorliegenden Rechtsstreit passiv legitimiert ist.
An der Passivlegitimation fehlt es, wenn der Anspruch - mag er auch sonst begründet sein - jedenfalls nicht gegen den Beklagten, sondern gegen eine dritte Person besteht, der Beklagte also nicht Schuldner des Klageanspruchs ist (vgl. Zöller, ZPO, 15. Aufl., vor § 253 Rz 25; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl., § 46 I 2). Daher müßte die Passivlegitimation des Beklagten verneint werden, wenn er in einem Angestelltenverhältnis zur AAFES stünde. Das ist jedoch nicht der Fall: der Beklagte ist nicht Arbeitnehmer der AAFES.
Allerdings hat der Beklagte vorgetragen, er betreibe die Garage im Namen und für Rechnung der AAFES. Das Berufungsgericht hat demgegenüber in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, der Beklagte habe den Garagenbetrieb am 25. Februar 1986 übernommen, er beschäftige dort Arbeitnehmer, deren Rechtsverhältnisse mit ihm sich nach deutschem Recht richteten, und er sei nach dem Willen aller Beteiligten der neue Arbeitgeber der in der Garage tätigen Arbeitnehmer geworden. Gegen diese Feststellungen hat der Beklagte Verfahrensrügen i. S. von § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO nicht erhoben, so daß der Senat hieran gemäß § 561 Abs. 2 ZPO gebunden ist. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts rechtfertigen auch die Schlußfolgerung des Landesarbeitsgerichts, daß der Beklagte Arbeitgeber der in der Werkstatt beschäftigten Arbeitnehmer ist. Dieses rechtliche Ergebnis entspricht im übrigen auch der übereinstimmend geäußerten Auffassung der Parteien. So hat der Beklagte selbst zu gerichtlichem Protokoll in der Berufungsverhandlung vom 3. Dezember 1987 erklärt, er schließe mit seinen Arbeitnehmern schriftliche Arbeitsverträge ab, bei denen er als Vertragspartner auftrete. Das gelte auch für Neueinstellungen.
II. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zu Recht angenommen, daß ein Betriebsübergang i. S. von § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegt.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der das Landesarbeitsgericht gefolgt ist, gehören zu einem Betrieb i. S. von § 613 a Abs. 1 BGB die materiellen und die immateriellen Betriebsmittel. Sie machen dann einen Betrieb aus, wenn der neue Inhaber mit ihnen und mit Hilfe der Arbeitnehmer bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgen kann (BAGE 35, 104, 106 = AP Nr. 24 zu § 613 a BGB, zu 1 der Gründe; BAG Urteil vom 27. April 1988 - 5 AZR 358/87 - NJW 1988, 3035, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn der neue Inhaber den Betrieb mit den übernommenen Betriebsmitteln so fortführen kann, wie es der bisherige Inhaber bei Fortsetzung des Betriebes getan hätte (BAGE 48, 365, 371 = AP Nr. 42 zu § 613 a BGB, zu II 1 der Gründe; BAG Urteil vom 3. Juli 1986 - 2 AZR 68/85 - AP Nr. 53 zu § 613 a BGB, zu B II 4 der Gründe).
2. Der Beklagte betreibt die Garage seit dem 25. Februar 1986. Keine der Parteien hat vorgetragen, daß mit dem Inhaberwechsel am 25. Februar 1986 Veränderungen hinsichtlich der materiellen oder immateriellen Betriebsmittel erfolgt wären. Der Beklagte konnte daher mit den übernommenen Mitteln den Betrieb in gleicher Weise wie sein Vorgänger weiterführen. Danach ist ein Betriebsübergang i. S. von § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB zu bejahen.
III. Der Betriebsübergang auf den Beklagten erfolgte weiter durch Rechtsgeschäft.
1. Der zwischen der AAFES und dem Beklagten geschlossene Konzessionsvertrag beschränkt sich nicht auf die Vergabe einer dem öffentlichen Recht zuzuordnenden besonderen Erlaubnis zum Betrieb der Garage, sondern räumt dem Beklagten in äußerst eingehender Abgrenzung der beiderseitigen Rechtspositionen die Befugnis ein, mit den ihm zur Verfügung gestellten technischen Einrichtungen und der Hilfe der Arbeitnehmer ein Dienstleistungsunternehmen, nämlich eine vollständig eingerichtete und funktionsfähige Werkstatt, zu ganz bestimmten Bedingungen zu betreiben und dabei Gewinn zu erwirtschaften. Es kann dahingestellt bleiben, wie die durch den Konzessionsvertrag begründeten Rechtsbeziehungen zwischen dem Beklagten und der AAFES genau zu qualifizieren sind. Jedenfalls ist der Vertragsinhalt in weiten Teilen einem Pachtvertrag sehr ähnlich. Dieser Einordnung steht nicht entgegen, daß dem Beklagten zusätzlich eine Konzession erteilt wurde. Diese Konzession steht als besonderer behördlicher Akt selbständig neben dem Vertrag, der dem Beklagten unter bestimmten Bedingungen das Nutzungsrecht an den übernommenen Einrichtungen einräumte.
2. Sofern die Revision meint, Konzessionsverträge der hier vorliegenden Art seien hinsichtlich eines Betriebsübergangs anders zu bewerten als Pachtverträge, weil sich der Beklagte vorliegend nicht habe ausreichend absichern können, kann dem nicht gefolgt werden.
Daß dem einen Teil bei Vertragsabschlüssen mit bestimmten Vertragspartnern, wie z. B. der öffentlichen Hand, wenig Spielraum für die Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen bleibt, weil insoweit bereits alles vorformuliert ist, ist nicht ungewöhnlich. Wer vor der Frage steht, einen Betrieb zu weitgehend vorgeformten Bedingungen zu übernehmen, geht damit hinsichtlich seiner Haftung nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB ein Risiko ein. Es muß ihm überlassen bleiben, dieses Risiko durch entsprechende Aktivitäten gering zu halten. Jedenfalls verändert sich der rechtsgeschäftliche Charakter einer Betriebsübernahme nicht dadurch, daß der Betriebsübernehmer wenig Einflußmöglichkeiten auf die Einzelgestaltung des Übernahmevertrages hat und sich einem bestimmten Haftungsrisiko aussetzt.
IV. Das Landesarbeitsgericht hat schließlich zutreffend angenommen, der Beklagte sei als Übernehmer des Garagenbetriebes in alle Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen eingetreten und hafte daher auch für alle noch ausstehenden Entgeltforderungen gegen den früheren Arbeitgeber, soweit diese kraft Gesetzes auf die Klägerin übergegangen sind.
1. Nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt bei rechtsgeschäftlichem Betriebsübergang der neue Inhaber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Diese Bestimmung (zu ihren Zielen vgl. nur BAGE 32, 326, 331 f. = AP Nr. 18 zu § 613 a BGB, zu II 2 der Gründe) ist auf den Streitfall anzuwenden. Der Umstand, daß über das Vermögen des Konzessionsvorgängers die Eröffnung des Konkursverfahrens beantragt, die Verfahrenseröffnung aber mangels Masse abgelehnt worden ist, steht der Anwendung der genannten Vorschrift jedenfalls nicht entgegen. Anders wäre zu verfahren, wenn es zur Konkurseröffnung gekommen wäre. Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits entstandene Ansprüche sind dann nach Konkursrecht zu behandeln. Dieses wird vom Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger beherrscht. Dieser Grundsatz verdrängt die Haftung des Betriebserwerbers nach § 613 a BGB und führt dazu, daß bereits entstandene Ansprüche am Konkursverfahren teilnehmen müssen. Andernfalls würde die übernommene Belegschaft auf Kosten der übrigen Konkursgläubiger bevorzugt (BAGE 32, 326, 333 f. = AP Nr. 18 zu § 613 a BGB, zu II 3 c der Gründe; BAGE 47, 206, 212 = AP Nr. 38 zu § 613 a BGB, zu 2 b der Gründe). Außerhalb eines Konkursverfahrens gilt der Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung jedoch nicht. Daher ist eine einschränkende Anwendung des § 613 a BGB auch dann nicht begründet, wenn es mangels Masse nicht zur Eröffnung des Konkursverfahrens kommt (BAG, aaO; BAGE 48, 376, 381 f. = AP Nr. 43 zu § 613 a BGB, zu B I der Gründe).
Dieser Auffassung hat sich auch das Bundessozialgericht angeschlossen (BSGE 59, 107, 109).
2. Die Haftung des Beklagten als des Betriebsübernehmers nach § 613 a BGB wird im Streitfall auch nicht durch die Regelungen über das Konkursausfallgeld (§§ 141 a ff. AFG) berührt. Das Konkursausfallgeld stellt eine vorrangige Sicherung der Arbeitnehmer dar (BSGE 55, 195, 200). Daher muß die Bundesanstalt auch im Falle der Betriebsübernahme durch einen Dritten zunächst Konkursausfallgeld an die durch die Insolvenz des übergebenden Arbeitgebers betroffenen Arbeitnehmer gewähren (BSGE 51, 296, 298). Die Bundesanstalt ist zunächst leistungspflichtig und sodann darauf angewiesen, die gemäß § 141 m AFG auf sie übergehenden Ansprüche geltend zu machen (BSGE 59, 107, 109).
Entgegen der Auffassung der Revision wird § 613 a BGB nicht durch die §§ 141 a ff. AFG verdrängt. Durch die Zahlung des Konkursausfallgeldes sollen weder die Arbeitnehmer noch - durch einen entsprechenden Verzicht auf die Geltendmachung der Ansprüche auf Arbeitsentgelt - die Konkursmasse bereichert werden. Daher bestimmt § 141 m AFG, daß die Ansprüche des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt für die letzten drei Monate vor Eröffnung des Konkursverfahrens mit der Beantragung des Konkursausfallgeldes auf die Bundesanstalt übergehen. In erster Linie wird hierdurch bezweckt, daß die übergegangenen Ansprüche auf Arbeitsentgelt von der Bundesanstalt im Konkursverfahren des Arbeitgebers geltend gemacht werden können.
Andererseits ist der Bestimmung des § 141 m AFG jedoch nicht zu entnehmen, daß sie nur im Konkurs des übergebenden alten Inhabers Anwendung finden soll, daß also die übergegangenen Ansprüche allein gegen den im Konkurs befindlichen Schuldner geltend gemacht werden dürfen. Einer solchen einschränkenden Klarstellung hätte es jedoch bedurft, wenn der Gesetzgeber dieses gewollt hätte. Nach § 613 a Abs. 2 Satz 1 BGB haften der alte und der neue Betriebsinhaber gesamtschuldnerisch für die vor dem Zeitpunkt der Betriebsübernahme entstandenen und vor Ablauf von einem Jahr danach fällig werdenden Ansprüche als Gesamtschuldner. Das Wesen einer gesamtschuldnerischen Haftung besteht darin, daß der Gläubiger nach seiner Entscheidung jeden der Gesamtschuldner ganz oder teilweise in Anspruch nehmen kann. Die Regelungen über das Konkursausfallgeld sollen den Arbeitnehmern das mit einem Konkursverfahren ihres Arbeitgebers verbundene Risiko abnehmen. Die Bestimmung des § 141 m AFG bezweckt, daß die Bundesanstalt in die Rechtsposition der Arbeitnehmer eintritt. Damit muß sie aber auch die Wahlmöglichkeit haben, welchen der gesamtschuldnerisch haftenden Betriebsinhaber sie in Anspruch nehmen will.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Halberstadt Dr. Stadler
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