Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung eines Arbeitsvertrags hinsichtlich des Umfangs der Arbeitszeit. Annahmeverzug. Entbehrlichkeit des Angebots bei flexibler Arbeitszeitgestaltung
Leitsatz (redaktionell)
Bei Fehlen einer Teilzeitvereinbarung wird im Zweifel ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet. Gilt ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag, gilt die dort geregelte Arbeitszeit für Vollzeitbeschäftigte.
Normenkette
BGB §§ 615, 294 ff.; TVG § 4 Abs. 1, 5, § 3 Abs. 1, § 5 Abs. 4; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen vom 6. März 1997 §§ 6, 19; Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der FIS-GmbH vom 23. Januar 2004 §§ 7, 22
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 21.03.2007; Aktenzeichen 17 Sa 1705/06) |
ArbG Hannover (Urteil vom 15.09.2006; Aktenzeichen 1 Ca 504/05) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 21. März 2007 – 17 Sa 1705/06 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Umfang der Arbeitszeit und über Vergütungsansprüche.
Die Beklagte führt im Auftrag des Bundes Luftsicherheitskontrollen durch. Die Klägerin, Mitglied der Gewerkschaft ver.di, ist bei der Beklagten in H… im Rahmen der Passagier- und Gepäckkontrolle seit dem 13. Mai 2001 tätig. Der Arbeitsvertrag vom 14. Mai 2001 enthält folgende Bestimmungen:
Ҥ 3 Arbeitsort und Arbeitszeit
…
II. Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach der betrieblichen Schichteinteilung.
III. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, Sonntags-, Feiertags-, Nacht- und Mehrarbeit zu leisten, soweit dies gesetzlich zulässig ist.
IV. Die Firma erstellt einen Arbeitsplan, in dem die Arbeitseinteilung für die nachfolgenden zwei Wochen festgelegt wird.
…
…
§ 4 Vergütung
I. Der Arbeitnehmer erhält für seine vertragliche Tätigkeit einen Stundenlohn von DM 14,-- brutto.
II. An Sonntagen und in der Zeit von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr erhöht sich dieser Stundenlohn um 25 % und an gesetzlichen Feiertagen um 100 %.
III. Die Firma zahlt dem Arbeitnehmer bei Abgabe eines Nachweises monatlich eine Fahrtkostenpauschale in Höhe bis DM 100,--.
IV. Die Abrechnung erfolgt in der Weise, daß die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers monatlich nachträglich auf einer Grundlage von 150 Arbeitsstunden berechnet wird.
Tatsächliche Mehr- oder Minderleistungen, sowie ggf. angefallene Zuschläge, Abzüge, Krankenvergütung, usw. werden jeweils erst in der Abrechnung des Folgemonats als gesonderte Abrechnungsposten neben dem auf der Grundlage der Abrechnungsgröße von 150 Monatsstunden errechneten Lohn berücksichtigt.
Die Zahl von 150 Stunden pro Monat ist eine technische Abrechnungsgröße. Sie definiert weder den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, noch die betriebliche Arbeitszeit.
…
…”
Der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen vom 6. März 1997 (im Folgenden: MTV 1997) war für die Zeit vom 1. Juni 1997 bis zum 31. Oktober 2003 allgemeinverbindlich. Er regelte ua.:
Ҥ 6 Arbeitszeit
1. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt grundsätzlich 40 Stunden. Dies gilt nicht für Teilzeitkräfte.
…
§ 19 Erlöschen von Ansprüchen
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis können rückwirkend nur in einem Zeitraum und für einen Zeitraum von insgesamt drei Monaten nach Fälligkeit detailliert schriftlich geltend gemacht werden.”
Zum 1. Januar 2004 trat der zwischen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Beklagten geschlossene Manteltarifvertrag vom 23. Januar 2004 (im Folgenden: MTV-FIS) in Kraft. § 7 dieses MTV bestimmt:
“(1) Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich. Die durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit nach § 3 ArbZG ist im Jahresdurchschnitt zu erreichen.
Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen werden betrieblich geregelt.
…”
Die Beklagte setzt die Klägerin nach kurzfristig gem. den Vorgaben der Bundespolizei erstellten Dienstplänen mit wechselnder Lage und Dauer der Arbeitszeit ein.
Der Stationsleiter der Beklagten teilte einem Arbeitskollegen der Klägerin mit Schreiben vom 14. April 2004 mit,
“…, dass in der Regel im Arbeitsvertrag keine detaillierte Vereinbarung über die Arbeitszeit notwendig ist, wenn die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit in einem Tarifvertrag festgelegt worden ist.
Laut § 7 Absatz 1 des seit dem 01. Januar 2004 in Kraft getretenen Manteltarifvertrages der FIS GmbH beträgt die regelmäßige Arbeitszeit 40 Stunden wöchentlich. Weiterhin wurde vereinbart, dass die durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt und nicht etwa wöchentlich oder monatlich zu erreichen ist.
Daher sehen wir von einer Festsetzung der Stunden in Ihrem Arbeitsvertrag ab.
…”
Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, für sie gelte die tarifliche 40-Stunden-Woche. Außerdem verlangt sie Differenzvergütung für 2005, weil sie im Jahresdurchschnitt nicht zu mindestens 40 Stunden wöchentlich herangezogen wurde.
Die Klägerin hat beantragt
1. festzustellen, dass ihre durchschnittliche regelmäßige Arbeitszeit im Jahresdurchschnitt 40 Stunden pro Woche beträgt,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 785,14 Euro brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die Parteien hätten ein Teilzeitarbeitsverhältnis begründet. Zudem habe die Klägerin ihre Arbeitsleistung nicht angeboten. Im Übrigen seien etwaige Ansprüche verfallen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
I. Die Arbeitszeit der Klägerin beträgt im Jahresdurchschnitt 40 Stunden wöchentlich. Die Klägerin hat deshalb Anspruch auf Nachzahlung der Vergütungsdifferenzen für 2005 gem. § 615 BGB, denn die Beklagte befand sich zum Ende des Kalenderjahres 2005 im Annahmeverzug, soweit sie die Klägerin nicht mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt hatte.
1. Die Klägerin steht in einem Vollzeitarbeitsverhältnis.
a) Wie das Landesarbeitsgericht zu Recht erkannt hat, haben die Parteien mit dem Arbeitsvertrag vom 14. Mai 2001 ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet, das hinsichtlich des von der Klägerin geschuldeten Arbeitszeitumfangs durch die im Beschäftigungsbetrieb maßgebliche tarifliche Arbeitszeit bestimmt wird.
b) Der Arbeitsvertrag enthält keine ausdrückliche Vereinbarung über ein Teilzeitarbeitsverhältnis. Die Parteien haben weder einen Arbeitszeitanteil als Bruch oder Prozentzahl noch eine bestimmte vom Tarifvertrag abweichende Stundenzahl vereinbart. Eine derartige Bestimmung ist insbesondere nicht in § 3 des Arbeitsvertrags enthalten.
aa) Die Formulierung in Abs. 2: “Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach der betrieblichen Schichteinteilung.”, stellt lediglich klar, dass die Lage der Arbeitszeit von Seiten der Beklagten durch die Schichtleitung bestimmt wird. Damit ist die Festlegung der Lage und nicht der Dauer der Arbeitszeit gemeint. Der Schichtleitung ist nicht die Befugnis eingeräumt, die Dauer der geschuldeten Arbeitszeit und damit der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers zu bestimmen.
bb) Ebenso wenig enthält § 4 des Arbeitsvertrags eine Vereinbarung über den Umfang der von der Klägerin geschuldeten Arbeitszeit. Bereits die Überschrift “Vergütung” gibt zu erkennen, dass die Klausel die Leistungspflicht der Beklagten und nicht die der Klägerin betrifft. Dementsprechend sind in den Absätzen 1 bis 3 der Stundenlohn, die Höhe verschiedener Zeitzuschläge und die Zahlung einer Fahrtkostenpauschale geregelt. Abs. 4 regelt die Vorgehensweise bei der Lohnabrechnung. Die Klausel wird eingeleitet mit der Formulierung: “Die Abrechnung erfolgt in der Weise,…”. 150 Arbeitsstunden werden als “Grundlage” der Abrechnung bezeichnet und im dritten Absatz ausdrücklich als “technische Abrechnungsgröße”. Zudem stellt § 4 Abs. 4 klar, dass die Angabe “150 Stunden” keine Regelung der vertraglichen Arbeitszeit beinhaltet.
c) Bei Fehlen einer Teilzeitvereinbarung wird (im Zweifel) ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet. Anzeichen für eine spätere konkludente Vertragsänderung der Parteien sind nicht festzustellen, denn der stets schwankende Umfang der tatsächlichen Beschäftigung, der häufig bis an eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden heranreichte bzw. diese überschritt, spricht für die Geltung der tariflichen Arbeitszeit.
2. Der Umfang der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten im Unternehmen der Beklagten ergibt sich aus dem jeweils anwendbaren Manteltarifvertrag.
a) Bei Vertragschluss der Parteien galt der bis zum 31. Oktober 2003 allgemeinverbindliche Flächentarifvertrag MTV 1997 unmittelbar und zwingend, für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 4 TVG, für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gem. § 4 Abs. 1, § 3 Abs. 1 TVG. Somit hatten die Arbeitsvertragsparteien bei Vertragsschluss keine Veranlassung, den Umfang der von einem Vollzeitarbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit genau zu bezeichnen. Es verstand sich von selbst, dass es die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit sein sollte. Damit wurde zugleich die Flexibilisierung gewährleistet, weil dynamisch die jeweilige tarifliche Arbeitszeit der arbeitsvertraglichen entsprach. Dem stand nicht die von den Parteien mit der besonderen Einsatzplanung verbundene ungleichmäßige Verteilung der Arbeit über den Verlauf eines Kalenderjahres entgegen, denn § 6 Nr. 1 MTV 1997 ordnete eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von “grundsätzlich” 40 Stunden an, ließ somit abweichende Verteilungen über längerfristige Perioden als die Kalenderwoche zu. Der Einsatz der Klägerin in wechselnden Schichten entsprach der in § 6 Nr. 1 MTV 1997 eröffneten Möglichkeit abweichender Individualvereinbarungen.
b) Aufgrund der Verweisung des Arbeitsvertrags auf die jeweils anwendbare tarifliche Arbeitszeit und der Tarifbindung der Klägerin findet seit dem 1. Januar 2004 § 7 Abs. 1 MTV-FIS Anwendung. Dieser sieht eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 40 Stunden vor, wobei die durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit nach § 3 ArbZG “im Jahresdurchschnitt zu erreichen” ist. Diese tarifliche Regelung entspricht der arbeitsvertraglichen Abrede der Parteien.
3. Die Beklagte kam zum Ende des Kalenderjahres 2005 in Annahmeverzug, ohne dass es eines Angebots einer weiteren Arbeitsleistung seitens der Klägerin bedurfte.
Solange im Verlaufe des Kalenderjahres noch eine Arbeitszeit von durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich erreicht werden konnte, befand sich die Beklagte noch nicht mit der Annahme von Diensten der Klägerin in Verzug. Sobald nach dem öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitrecht der Durchschnitt nicht mehr zu erreichen war, wurde Tag für Tag ein Teil der im Kalenderjahr geschuldeten Arbeitsleistung unmöglich. Damit trat jeweils ein Tag zuvor Annahmeverzug der Beklagten nach § 296 Satz 1 BGB ein, denn für den Abruf der Klägerin zur Arbeit verblieb nur der eine Arbeitstag, so dass für die Mitwirkungshandlung der Beklagten, nämlich die Schichteinteilung der Klägerin im arbeitszeitrechtlich maximal zulässigen Umfang, eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war. Dabei genügte es, dass die Bestimmung anhand des Kalenders zugleich die Anwendung des Arbeitszeitrechts erforderte. Einer allgemeinen Erklärung der Klägerin, sie wolle länger arbeiten, bedurfte es daneben nicht, denn die Verantwortung für die Arbeitseinteilung lag allein bei der Beklagten. Den Stand der im laufenden Kalenderjahr erbrachten Arbeitsstunden teilte die Beklagte der Klägerin nicht mit. In keiner der Klägerin erteilten Abrechnung wies die Beklagte einen positiven oder negativen Arbeitszeitsaldo aus. Eine Betriebsvereinbarung über ein Arbeitszeitkonto (vgl. § 8 MTV-FIS) bestand nicht. Für die Klägerin war es deshalb gar nicht erkennbar, wann sie noch die Möglichkeit hatte, im verbleibenden Ausgleichszeitraum ihre Sollarbeitszeit zu leisten.
4. Die Höhe der Klageforderung hat das Landesarbeitsgericht zutreffend berechnet. Die Beklagte hat insoweit keine Einwendungen erhoben.
5. Der Anspruch der Klägerin auf Annahmeverzugslohn ist nicht verfallen, denn die Klägerin hat die tarifliche Ausschlussfrist durch rechtzeitige schriftliche Geltendmachung der Ansprüche gewahrt (§ 22 MTV-FIS). Die streitigen Vergütungsansprüche sind zusammen mit dem Anspruch auf den Dezemberlohn mit Ablauf des Kalenderjahres entstanden und zum 15. Januar 2006 fällig geworden (vgl. § 14 Abs. 2 MTV-FIS).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Laux, Zoller, Heyn
Fundstellen
Haufe-Index 2096890 |
ArbRB 2009, 67 |