BAG zu Arbeitszeit auf Abruf

Wird bei Arbeit auf Abruf keine wöchentliche Arbeitszeit vereinbart, greift die gesetzliche Regelung. Nur in Ausnahmen kann davon abgewichen werden. Um eine höhere Wochenarbeitszeit anzunehmen, reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber diese für einen Zeitraum regelmäßig abgerufen hat, stellte das BAG klar. 

Arbeit auf Abruf bietet Arbeitgebern die Möglichkeit, Beschäftigte kurzfristig nach dem jeweiligen Bedarf einzusetzen. Um die  Planungsunsicherheit für Beschäftigte im Rahmen zu halten, regelt § 12 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) gewisse Grundvoraussetzungen: So muss der Arbeitgeber eine bestimmte (Mindest-) Dauer der wöchentlichen oder täglichen Arbeitszeit festlegen. Fehlt eine Vereinbarung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit, gilt - zum Schutz der Arbeitnehmenden - eine Wochenarbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Die Folge: ein Arbeitnehmer oder eine Arbeitnehmerin kann auf Basis der fiktiven Arbeitszeit einen Entgeltanspruch gegen den Arbeitgeber geltend machen. Der Arbeitgeber muss 20 Stunden zahlen, auch wenn der Einsatz de facto geringer war. Mit dieser Regelung hatte sich das BAG im vorliegenden Fall zu beschäftigen.

Der Fall: Arbeitnehmerin auf Abruf verlangt Einsatz und Vergütung wie in vergangenen Jahren

Die Arbeitnehmerin ist seit dem Jahr 2009 bei einem Unternehmen der Druckindustrie beschäftigt. Sie erbringt ihre Arbeit auf Abruf und ist im Bereich Einlage, Verpackung und Post tätig. Ihr Arbeitsvertrag enthält keine Regelung zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit. Wie die übrigen auf Abruf beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen wurde sie je nach Bedarf in unterschiedlichem zeitlichem Umfang zur Arbeit herangezogen.

Ab dem Jahr 2020 wurde ihre Arbeitsleistung vom Arbeitgeber jedoch deutlich seltener abgerufen als in den Jahren zuvor. Da sie zuvor nach ihrer eigenen Berechnung von 2017 bis 2019 durchschnittlich 103,2 Stunden monatlich abgerufen wurde, in den Jahren 2020 und 2021 jedoch nur zwischen 90 und 100 Stunden, verlangte sie vom Arbeitgeber Vergütung wegen Annahmeverzug in Höhe der Differenz, in der ihre Arbeit nicht in diesem Umfang abgerufen wurde. Ihrer Ansicht nach hätte der Arbeitgeber sie in dem Umfang der in den Jahren zuvor durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit weiterhin beschäftigen und vergüten müssen. Eine ergänzende Vertragsauslegung ergebe, dass dies die nunmehr geschuldete und vom Arbeitgeber zu vergütende Arbeitszeit sei.

Arbeit auf Abruf: Ohne Vereinbarung gelten gesetzlich 20 Stunden

Vor Gericht hatte die Arbeitnehmerin zunächst vor dem Arbeitsgericht Bielefeld teilweise Erfolg. Das Gericht gab ihrer Klage auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung in geringem Umfang statt. Da nach der gesetzlichen Regelung des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG fiktiv 20 Stunden pro Woche als vereinbart gelten würden, aber in einzelnen Wochen der Abruf ihrer Arbeitsleistung geringer war, habe sie Anspruch auf eine entsprechend höhere Vergütung. Die Arbeitnehmerin verfolgte ihre Forderung nach einer noch höheren Vergütung aufgrund einer vereinbarten Arbeitszeit von rund 103 Stunden monatlich, also rund 25 Wochenstunden weiter.

BAG: Keine Ausnahme der gesetzlichen Fiktion von 20 Stunden ersichtlich

Mit dieser Forderung hatte sie vor dem Bundesarbeitsgericht, wie zuvor vor dem LAG Hamm, keinen Erfolg. Das BAG stellte fest, dass zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmerin vereinbart war, dass die Arbeitnehmerin ihre Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsanfall erbringt (Arbeit auf Abruf). Aufgrund der fehlenden Vereinbarung einer wöchentlichen Arbeitszeit in einem Abrufverhältnis greife die Regelung in § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG, um die Regelungslücke zu schließen. Kraft Gesetzes gelte damit eine Arbeitszeit von 20 Wochenstunden als vereinbart.

Keine Anhaltspunkte für ergänzende Vertragsauslegung

Eine davon abweichende Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit könne im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung nur ausnahmsweise angenommen werden. Zum Beispiel, wenn die Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG im betreffenden Arbeitsverhältnis keine sachgerechte Regelung sei und objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Arbeitsvertragsparteien bei Kenntnis der Regelungslücke eine andere Bestimmung getroffen und eine höhere oder niedrigere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbart hätten. Dafür habe die Arbeitnehmerin jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen.

Abrufverhalten bindet Arbeitgeber nicht

Das BAG wies darauf hin, dass die Parteien ausdrücklich oder konkludent eine andere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit vereinbaren können, auch wenn die anfängliche arbeitsvertragliche Lücke zur Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit bei Beginn des Arbeitsverhältnisses durch die gesetzliche Fiktion des § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschlossen wurde. Dafür reiche aber das Abrufverhalten des Arbeitgebers in einem bestimmten, lange nach Beginn des Arbeitsverhältnisses liegenden und scheinbar willkürlich gegriffenen Zeitraum nicht aus, stellte das Gericht fest.

Allein dem zeitweiligen Abrufverhalten des Arbeitgebers könne kein rechtsgeschäftlicher Bindungswille entnommen werden, sich für alle Zukunft an eine von § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG abweichende höhere Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit binden zu wollen. Genauso wenig rechtfertige allein die Bereitschaft des Arbeitnehmers, in einem bestimmten Zeitraum mehr als nach § 12 Abs. 1 Satz 3 TzBfG geschuldet zu arbeiten, die Annahme, dass dieser sich dauerhaft in einem höheren zeitlichen Umfang als gesetzlich vorgesehen, binden wolle.

Hinweis: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18. Oktober 2023, Az.: 5 AZR 22/23; Vorinstanz: LAG Hamm, Urteil vom 29. November 2022, Az.: 6 Sa 200/22


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