Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung der Eigenkündigung eines Arbeitnehmers wegen widerrechtlicher Drohung und arglistiger Täuschung
Orientierungssatz
Hinweise des Senats:
"Zu den Anforderungen an die Abwägung des "verständigen Arbeitgebers" bei der Drohung mit einer fristlosen Kündigung, um den Arbeitnehmer zu einer Eigenkündigung zu veranlassen (Asylantenpamphlet)."
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Revisionsbeklagten sind die Ehefrau und die Töchter des am 29. November 1931 geborenen und am 20. April 1994 verstorbenen Klägers. Sie setzen als dessen Erben den über die Wirksamkeit einer Eigenkündigung des Klägers zum 31. Dezember 1992 geführten Rechtsstreit fort.
Der Kläger und Erblasser war bei dem Beklagten seit 1. April 1978 in dessen Landesmuseum zu einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 3.400,-- DM als Tischler beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund vertraglicher Vereinbarung die Bestimmungen des BAT Anwendung. Der Kläger war bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zusatzversichert. Er litt an einer Herzerkrankung und hatte deshalb ursprünglich beabsichtigt, mit Vollendung des 63. Lebensjahres vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch zu nehmen.
Der Arbeitsplatz des Klägers befand sich in einem Kellergeschoß des Museums, das dem Publikumsverkehr nicht zugänglich war. Anfang Dezember 1992 kam die als Raumpflegerin beschäftigte Mitarbeiterin U mit einem Schriftstück in die Werkstatt, das sie in den Räumen des Museums gefunden hatte. Sie zeigte das Blatt dem Kläger und zwei weiteren Mitarbeitern, die gerade ihre Frühstückspause verbrachten. Frau U las das Schriftstück vor. Der auf ihm befindliche Text ist überschrieben mit "Der Asylbetrüger in Deutschland". Er hat folgenden Wortlaut:
"Geliebt von der CDU bis zur FDP und ganz beson-
ders von der SPD und den Grünen. Verhalten vom
deutschen Steuerzahler, der den Betrug auch noch
finanzieren muß.
Und so siehts aus:
Herr Asylbetrüger, na wie geht's??
Oh, ganz gut, bring Deutschen Aids
Komm direkt aus Übersee,
hab Rauschgift mit, so weiß wie Schnee,
verteil im Sommer wie im Winter
sehr viel davon an deutsche Kinder.
Muß nicht zur Arbeit, denn zum Glück
schafft deutsches Arschloch in Fabrik.
Hab Kabelfernsehen, lieg im Bett
werd langsam wieder dick und fett
zahl weder Miete, Strom noch Müllabfuhr,
das müssen dumme Deutsche nur]]
Auch Zahnarzt, Krankenhaus komplett
zahlt jeden Monat deutscher Depp.
Wird deutscher Depp mal Pflegefall
verkauft ihm Staat Haus, Hof und Stall
Man nimmt ihm einfach alles weg,
schafft vierzig Jahr' umsonst der Depp.
Wenn deutscher Dummkopf ist gestorben,
dann müssen Erben Geld besorgen,
denn Deutscher muß bezahlen für Pflege-
heim und Grab,
was als Asylbetrüger umsonst ich alles
hab.
Man sieht, daß Deutscher ein Idiot
muß auch noch zahlen wenn ist tot.
Ich liebe Deutschland - wo noch auf der
Welt
gibt's für Asylbetrug auch noch Geld
Ist Deutschland pleite, fahr ich heim,
und sag, leb wohl Du Nazi-Schwein."
Die Gesprächsteilnehmer wollten sich das Schriftstück nochmals in Ruhe ansehen. Der Kläger nahm es an sich und fotokopierte den Text auf dem Gerät der Dienststelle, zu dem er Zugang hatte. Die Anzahl der Abzüge ist unter den Parteien streitig. Zumindest fotokopierte der Kläger das Schriftstück fünfmal und befestigte die Abzüge an einer Pinnwand, die sich im Kellerflur gegenüber der Werkstatt befindet. Der Kläger nahm selbst ein Exemplar mit nach Hause und besprach den Inhalt mit seiner Frau.
Einige Tage später fand eine andere Mitarbeiterin die noch an der Pinnwand hängenden restlichen Fotokopien. Sie empörte sich über den Text. Sie informierte den Museumsleiter und unterrichtete die Presse. Seitens des Beklagten wurde anschließend die Kriminalpolizei eingeschaltet.
Der Museumsleiter entfernte und vernichtete am 11. Dezember die noch an der Pinnwand hängenden Exemplare. Der Kläger wurde von ihm am 15. Dezember 1992 ermahnt und aufgefordert, es in Zukunft zu unterlassen, derartige Schriftstücke aufzuhängen.
Die Lippische Landeszeitung berichtete am 17. Dezember über den Vorgang unter der Überschrift "Ausländerfeindliches Flugblatt im Landesmuseum, Landesverband leitet Untersuchung ein". Einen Tag später erschien ein weiterer Artikel in derselben Zeitung, in dem es einleitend heißt: "Wir fordern die Entfernung des ausländerfeindlichen Demagogen aus dem Beschäftigungsverhältnis und auch disziplinarische Maßnahmen gegen den Museumsdirektor. Dies schreibt DGB-Kreisvorsitzender Jürgen Frodermann in einer Stellungnahme zur 'Flugblatt-Affäre' im Landesmuseum".
Am Vormittag des 18. Dezember fand ein weiteres Gespräch zwischen dem Museumsleiter, dem Kämmerer des Landesverbandes und dem Kläger statt. Der Kläger erklärte bei der Gelegenheit, daß er mit dem Inhalt des Schriftstückes keineswegs einverstanden sei und den Vorfall sehr bedauere. Er habe den Text nur für die Kollegen fotokopiert, damit er auch von ihnen diskutiert werden könne.
Der Beklagte schaltete den Gesamtpersonalrat ein, um seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers einzuholen. Hierüber unterrichtete der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats den Kläger am Nachmittag des 18. Dezember und lud ihn zu einer Anhörung vor den Gesamtpersonalrat für den 21. Dezember.
Zu Beginn der Anhörung wurde ein Schreiben des Beklagten verlesen, in dem die fristlose Entlassung des Klägers angekündigt wurde. Anschließend wurde der Kläger von Mitgliedern des Gesamtpersonalrats nochmals zu allen Einzelheiten des Vorfalls befragt. Der Kläger räumte ein, daß er wohl eine Abmahnung mit einer entsprechenden Eintragung in die Personalakte hinnehmen müsse.
Im unmittelbaren Anschluß an die Anhörung kam es zu einem Gespräch zwischen dem Vorsteher des Beklagten und dem Kläger, dessen Einzelheiten zum Teil streitig sind. In einem von ihm am 5. Januar 1993 über den Gesprächsverlauf gefertigten Vermerk führt der Vorsteher aus, er habe den Kläger gefragt, ob er im Hinblick auf die anstehenden Probleme im Gesamtpersonalrat und die bevorstehende Entscheidung der Verbandsleitung nicht von sich aus kündigen wolle. Der Kläger ging hierauf ein. Anschließend wurde folgendes Protokoll erstellt:
"Es erscheint Herr H S und er-
klärt:
Im Hinblick auf die Ereignisse der letzten Tage
möchte ich mein Arbeitsverhältnis zum
31. Dezember 1992
beenden und erkläre meine Kündigung.
Ich möchte sofort in Urlaub gehen und bin bereit,
auf den mir dann noch zustehenden Resturlaub zu
verzichten.
gez. H
Der Verbandsvorsteher erklärt gegenüber Herrn
S :
Der Landesverband Lippe nimmt die Kündigung an.
Im Hinblick auf die langjährige Zusammenarbeit
verzichtet er auf die Rückzahlung des Weihnachts-
geldes.
gez. H. H
Verbandsvorsteher
Zwischen dem Landesverband Lippe und Herrn S -
besteht Übereinstimmung, daß weitere gegen-
seitige Ansprüche nicht bestehen.
gez. H gez. H "
Nach der Verhandlung mit dem Verbandsvorsteher schaltete der Kläger seine späteren Prozeßbevollmächtigten ein, die die Kündigungserklärung mit einem an den Beklagten gerichteten Schreiben vom 23. Dezember 1992 wegen Drohung und arglistiger Täuschung anfochten.
Ab 1. Januar 1993 war der Kläger arbeitslos. Seit 1. April 1993 bezog er Arbeitslosengeld in Höhe von 14tägig etwa 700,-- DM. Ein gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren wurde im Oktober 1993 unter Zurücknahme des Strafbefehls eingestellt.
Der Kläger hat vorgetragen, der Verbandsvorsteher habe ihm anläßlich des Gesprächs vom 21. Dezember 1992 erklärt, er müsse selbst kündigen, sonst werde er fristlos entlassen. Daraufhin habe er die Kündigung erklärt. Da jedoch als Reaktion auf sein Verhalten wegen des bisherigen beanstandungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses und fehlender Wiederholungsgefahr weder eine außerordentliche noch eine ordentliche Arbeitgeberkündigung angebracht, vielmehr dem Beklagten das Festhalten am Arbeitsverhältnis bis zu seinem Eintritt in den vorgezogenen Ruhestand zuzumuten gewesen sei, sei er zu dieser Eigenkündigung durch widerrechtliche Drohung bestimmt worden. Außerdem sei er getäuscht worden, weil der Beklagte ihn über die mit einer Eigenkündigung verbundenen Nachteile hinsichtlich der Zusatzversorgung nicht ausreichend bzw. unzutreffend informiert habe. Schließlich hätte ihm auch eine Bedenkzeit, um deren Gewährung er gebeten habe, und ein Rücktrittsrecht eingeräumt werden müssen.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien be-
stehende Arbeitsverhältnis durch seine Eigenkün-
digung vom 21. Dezember 1992 nicht aufgelöst wor-
den ist, sondern fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat behauptet, der Kläger habe das ausländerfeindliche Pamphlet dreizehnmal fotokopiert. In dem Gespräch mit dem Verbandsvorsteher habe der Kläger auf dessen Frage, ob er das Arbeitsverhältnis kündigen wolle, von sich aus erklärt, daß er gerne sofort unter die Angelegenheit einen Schlußstrich ziehen wolle. Der Vorsteher habe ihm wiederholt vorgeschlagen, sich diesen Schritt in aller Ruhe zu überlegen, er möge doch zunächst mit seiner Familie darüber sprechen oder sich anderwärts Rat holen und dann am nächsten Tag die Entscheidung mitteilen. Der Kläger sei jedoch dabei geblieben, die Angelegenheit sofort erledigen zu wollen.
Zur Klärung weiterer Fragen - etwaige Rückzahlung des Weihnachtsgeldes, Gewährung restlichen Urlaubs - sei dann der Kämmerer des Landesverbandes hinzugezogen worden. Auch bei dieser Gelegenheit sei dem Kläger erneut angeboten worden, die Sache zu überdenken. Er sei jedoch dabei geblieben, das Arbeitsverhältnis sofort zum 31. Dezember 1992 kündigen zu wollen. Von einer Täuschung oder Drohung könne angesichts dieser Sachlage nicht die Rede sein. Vielmehr habe er, der Beklagte, angesichts der Schwere der Pflichtverletzung des Klägers eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Erwägung ziehen dürfen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben.
Mit der auf Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten hin zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Erben des Klägers beantragen, erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Arbeitsgerichts.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das angegriffene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 ZPO).
1. Das Landesarbeitsgericht hat die Anfechtung der Eigenkündigung des Klägers für wirksam erachtet. Es sei unerheblich, ob ihm der Verbandsvorsteher ausdrücklich eine Kündigung angedroht habe, der Kläger habe jedenfalls aufgrund der Umstände davon ausgehen müssen, der Beklagte werde ihm kündigen, falls er das Arbeitsverhältnis nicht selbst kündige. Die Ausnutzung des auf dem Kläger lastenden enormen psychischen Drucks sei als Drohung im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB zu werten. Eine Arbeitgeberkündigung wäre aber unverhältnismäßig gewesen, weil eine Abmahnung ausgereicht hätte. Deshalb habe der Beklagte eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht in Erwägung ziehen dürfen, was die Drohung widerrechtlich mache.
2. Diese Schlußfolgerung ist nach den bisher getroffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht gerechtfertigt. Der Beklagte hat zwar den Kläger durch Androhung einer außerordentlichen Kündigung zur Abgabe einer Eigenkündigung veranlaßt. Ob diese Drohung widerrechtlich war, läßt sich aber nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt noch nicht abschließend beurteilen.
Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige, der durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist, die Erklärung mit der Nichtigkeitsfolge des § 142 Abs. 1 BGB anfechten.
Eine Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Darunter fällt auch die Androhung einer außerordentlichen Kündigung (vgl. BAGE 32, 194 = AP Nr. 21 zu § 123 BGB, mit weiteren Nachweisen). Das bloße Ausnützen einer seelischen Zwangslage stellt dagegen noch keine Drohung dar (vgl. BGH Urteil vom 7. Juni 1988 - IX ZR 245/86 - AP Nr. 33 zu § 123 BGB). Andererseits muß die Drohung nicht ausdrücklich ausgesprochen werden, sie kann vielmehr auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen (BAG Urteil vom 30. September 1993 - 2 AZR 268/93 - AP Nr. 37 zu § 123 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen und BGH, aaO).
Es kann dahinstehen, ob der Vorsteher des Beklagten bei dem Gespräch mit dem Kläger am 21. Dezember 1992 diesem ausdrücklich eine außerordentliche Kündigung angedroht hat. Wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung am 9. März 1995 unstreitig gestellt haben, war die von dem Beklagten beabsichtigte außerordentliche Kündigung und die dazu eingeleitete Beteiligung des Gesamtpersonalrats für beide Seiten erkennbar und eindeutig Ausgangspunkt und Grundlage des Gesprächs. Die Alternative der außerordentlichen Kündigung stand nicht bloß ohne Zutun des Beklagten im Raum, sondern wurde vom Vorsteher des Beklagten in den Raum gestellt, indem er das Ansinnen an den Kläger, selbst zu kündigen, mit dem Hinweis auf die anstehenden Probleme im Gesamtpersonalrat und die bevorstehende Entscheidung der Verbandsleitung verknüpfte und für den Fall einer Kündigung seitens des Klägers seine Bereitschaft zu einer fairen Regelung erklärte. Abzustellen ist insoweit auf den Empfängerhorizont. Danach konnte der Kläger den Äußerungen des Vorstehers des Beklagten entnehmen, der Beklagte wolle aufgrund der Vorgänge im Zusammenhang mit dem Asylantenpamphlet das Arbeitsverhältnis alsbald beenden, mit dieser Absicht sei bereits der Gesamtpersonalrat befaßt und wenn der Kläger nicht selbst kündige, werde es keine "faire Regelung" geben. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, der Beklagte habe lediglich eine ohne sein Zutun bestehende seelische Zwangslage des Klägers ausgenützt. Dem Vorsteher ging es vielmehr darum, mit dem Hinweis auf die anstehenden Probleme im Gesamtpersonalrat und die bevorstehende Entscheidung der Verbandsleitung die Willensbildung des Klägers anzustoßen und zu beeinflußen, wobei er etwa noch vorhandene Skrupel des Klägers mit der Inaussichtstellung einer "fairen Regelung" überwinden wollte. Darauf, ob er den Kläger damit schädigen oder ihm eher helfen wollte, kommt es nicht an (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 54. Aufl., § 123 Rz 23, m.w.N.). Auch daß er dem Kläger nach dem Vorbringen des Beklagten Bedenkzeit einräumen wollte, ändert an dem Tatbestand der Drohung nichts. Ebensowenig, wie schon ein vom Anfechtungsgegner erzeugter Zeitdruck eine Drohung darstellt (vgl. BAG Urteil vom 16. Februar 1983 - 7 AZR 134/81 - AP Nr. 22 zu § 123 BGB), verliert eine die Willensbildung beeinflußende Ankündigung eines Übels den Charakter einer Drohung allein aufgrund fehlenden Zeitdrucks; entscheidend ist allein, daß die Drohung im Zeitpunkt der Abgabe der Willenserklärung hierfür noch (mit-)ursächlich war.
Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung ist widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine solche Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Es ist nicht erforderlich, daß die angekündigte Kündigung, wenn sie ausgesprochen worden wäre, sich in einem Kündigungsschutzprozeß als rechtsbeständig erwiesen hätte (vgl. die Senatsurteile vom 30. September 1993 - 2 AZR 268/93 - aaO; vom 16. Januar 1992 - 2 AZR 412/91 - EzA § 123 BGB Nr. 36; vom 16. November 1979 - 2 AZR 1041/77 - BAGE 32, 194 = AP Nr. 21 zu § 123 BGB, m.w.N.). An dieser Rechtsauffassung hält der Senat trotz der zum Teil in der Literatur geübten Kritik (Kramer, Anm. zu AP Nr. 21 zu § 123 BGB, m.w.N.; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 123 Rz 54) fest. Die Gegenmeinung läßt unberücksichtigt, daß die Rechtsordnung eine nicht durch ausreichende Kündigungsgründe gedeckte Kündigungserklärung nicht schlechthin mißbilligt. Die Ausübung des (vermeintlichen) Gestaltungsrechts ersetzt die in anderen Fällen notwendige Gestaltungsklage (vgl. BAG Urteil vom 26. August 1993 - 2 AZR 159/93 - AP Nr. 113 zu § 626 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Es ist anerkannt, daß die Drohung mit einer Klage in der Regel nicht widerrechtlich ist, auch wenn der geltend gemachte Anspruch objektiv nicht besteht (vgl. BGHZ 79, 131, 143; BGH Urteil vom 18. Mai 1972 - VII ZR 191/71 - WM 1972, 946). Auch gelten gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 7 KSchG nicht durch ausreichende Kündigungsgründe gedeckte fristlose bzw. ordentliche Kündigungen dann als von Anfang an rechtswirksam, wenn der Arbeitnehmer ihre Rechtsunwirksamkeit nicht gemäß §§ 4 ff. KSchG rechtzeitig im Wege der Klage geltend gemacht hat. Umgekehrt kann trotz hinreichender Kündigungsgründe eine Kündigung rechtsunwirksam sein, wenn der Betriebsrat nicht zuvor gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ordnungsgemäß angehört wurde. Bei der Drohung mit einer Kündigung kann aber denknotwendig noch gar nicht feststehen, ob die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß erfolgen wird. Rechtswidrig ist demnach nicht die Kündigungserklärung als solche, vielmehr versagt die Rechtsordnung lediglich der intendierten Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter bestimmten Voraussetzungen die rechtliche Anerkennung. Die angedrohte Äußerung des Rechtsfolgewillens ist für sich genommen also grundsätzlich wertneutral. Es ist deshalb daran festzuhalten, daß sich die Widerrechtlichkeit der Kündigungsdrohung regelmäßig nur aus der Inadäquanz von Mittel und Zweck ergeben kann. Hat der Drohende an der Erreichung des verfolgten Zwecks (Eigenkündigung bzw. einvernehmliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses) kein berechtigtes Interesse oder ist die Drohung (mit einer Kündigung) nach Treu und Glauben nicht mehr als ein angemessenes Mittel zur Erreichung dieses Zweckes anzusehen, so ist die Drohung widerrechtlich (vgl. Senatsurteil vom 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - AP Nr. 16 zu § 123 BGB); dies ist eben dann der Fall, wenn ein verständiger Arbeitgeber die Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung gezogen hätte (BAG, aaO).
Ebenso wie bei der Anwendung der Rechtsbegriffe des wichtigen Grundes nach § 626 Abs. 1 BGB und der Sozialwidrigkeit einer Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist dem Tatsachengericht auch für die Würdigung des festgestellten Sachverhalts unter dem Gesichtspunkt der von einem verständigen Arbeitgeber anzustellenden Erwägungen ein Beurteilungsspielraum einzuräumen; das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob das Tatsachengericht ohne Verstoß gegen Denk- oder Erfahrungssätze alle wesentlichen Umstände des Falles berücksichtigt hat (vgl. Senatsurteil vom 16. November 1979 - 2 AZR 1041/77 - AP Nr. 21 zu § 123 BGB). Das Landesarbeitsgericht hat allerdings vorliegend angenommen, sein Beurteilungsspielraum stoße schon dann an seine Grenzen, wenn sich bei einer fiktiven Überprüfung der Wirksamkeit der Kündigung ergebe, daß diese gegen das ultima-ratio-Prinzip verstoße: Ein verständiger Arbeitgeber dürfe in einem solchen Fall eine Kündigung nicht in Erwägung ziehen. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Beurteilungsspielraum der Tatsachengerichte umfaßt auch die Frage, ob eine Kündigung unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles die mildeste angemessene Reaktion auf ein pflichtwidriges Verhalten des Arbeitnehmers darstellt oder ob unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch eine Abmahnung noch ausreichend wäre. Es kann von einem verständigen Arbeitgeber nicht generell verlangt werden, daß er bei seiner Abwägung die Beurteilung des Tatsachengerichts "trifft". Nur wenn unter verständiger Abwägung aller Umstände des Einzelfalles der Arbeitgeber davon ausgehen muß, die angedrohte Kündigung werde im Falle ihres Ausspruchs einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht stand halten, weil eine Abmahnung als Reaktion für ausreichend erachtet werde, darf er die Kündigungserklärung nicht in Aussicht stellen, um damit den Arbeitnehmer zu einer Eigenkündigung oder zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages zu veranlassen. Gleiches gilt für das Verhältnis einer außerordentlichen Kündigung zu dem milderen Mittel einer fristgerechten Kündigung.
Das Landesarbeitsgericht hat zudem nicht alle wesentlichen Umstände des Falles, sondern überwiegend nur die für den Kläger günstigen sozialen Gesichtspunkte berücksichtigt (vgl. die Anmerkung von Krause, LAGE § 123 BGB Nr. 19). Das Landesarbeitsgericht hätte insbesondere das Pamphlet auch inhaltlich bewerten müssen. Mit Recht rügt die Revision, die bloße Kennzeichnung als "völlig unangebrachtes Schriftstück" greife zu kurz und sei nichtssagend. Das Landesarbeitsgericht hätte ferner berücksichtigen müssen, daß der Kläger als Angehöriger des öffentlichen Dienstes weitergehenden Verhaltensbeschränkungen unterlag als andere Arbeitnehmer; gemäß § 8 Abs. 1 BAT hatte er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes zu bekennen. Das Landesarbeitsgericht hätte das Verhalten des Klägers hieran messen müssen, wobei insbesondere Motiv und Zweck seines Vorgehens näher zu würdigen gewesen wären (vgl. hierzu Krause, aaO, zu III 2 b dd). Die bislang ungeklärte Anzahl der angefertigten Kopien und die ebenfalls nur unzureichend geklärten konkreten örtlichen und personellen Gegebenheiten können insoweit von Bedeutung sein. Die zuletzt genannten Gesichtspunkte sind ferner wichtig für die Klärung der Frage, ob der Kläger annehmen durfte, das Pamphlet werde nur im engsten Kollegenkreis im Keller des Museums diskutiert werden, nicht aber mit negativen Auswirkungen für den Beklagten an die Öffentlichkeit gelangen. Die Frage des Verschuldens des Klägers hinsichtlich des für den Beklagten dann eingetretenen Ansehensverlustes durfte das Landesarbeitsgericht bei der gebotenen umfassenden Abwägung ebensowenig übergehen wie das Ausmaß der vom Kläger verursachten negativen Folgen für das Ansehen des Beklagten in der Öffentlichkeit. Im übrigen ist das Verhalten des Klägers nicht nur unter dem Aspekt einer Störung der Außenbeziehungen des Arbeitgebers zu würdigen, auch konkrete Störungen der innerbehördlichen Verbundenheit der Mitarbeiter haben kündigungsrechtliche Bedeutung. Eine solche Störung ist jedenfalls aus der Reaktion der Mitarbeiterin ersichtlich, die die an der Pinnwand hängenden Kopien fand und sich darüber derart empörte, daß sie nicht nur den Museumsleiter, sondern auch die Presse unterrichtete. Das Landesarbeitsgericht hätte ferner, wie die Revision zu Recht rügt, berücksichtigen müssen, daß der Beklagte, zumal als Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, auch innerbehördlich ausländerfeindlicher Propaganda energisch entgegenzutreten hatte.
Eine Abmahnung hat nicht stets schon dann Vorrang vor einer Kündigung, wenn eine Wiederholung des pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers aufgrund der Abmahnung nicht zu erwarten steht. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist bei besonders schwerwiegenden Pflichtverstößen eine Abmahnung entbehrlich, ebenso bei Störungen im Vertrauensbereich, wenn der Arbeitnehmer nicht aus vertretbaren Gründen annehmen kann, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als ein erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten angesehen (vgl. Urteile vom 30. Juni 1983 - 2 AZR 524/81 - AP Nr. 15 zu Art. 140 GG; vom 18. Oktober 1990 - 2 AZR 157/90 - RzK III 2 a Nr. 18; vom 26. August 1993 - 2 AZR 154/93 - AP Nr. 112 zu § 626 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, jeweils m.w.N.). Ob danach das Verhalten des Klägers die Beklagte ohne vorherige Abmahnung zur Kündigungsdrohung berechtigte, hängt insbesondere davon ab, wie sich dieses Verhalten im subjektiven Bereich darstellte. Dieser bedarf aber, wie dargelegt, weiterer Aufklärung durch das Landesarbeitsgericht. Für die Bewertung der subjektiven Seite kann dann auch der bislang vom Landesarbeitsgericht nur unter Prognosegesichtspunkten gewürdigte Umstand Bedeutung erlangen, daß der Kläger sofort, d.h. noch vor dem Wissen um die Kündigungsabsicht des Beklagten, sein Verhalten bedauert und sich von dem Inhalt des Pamphlets distanziert hat.
Das Erfordernis weiterer Sachverhaltsaufklärung und das dargestellte Abwägungsdefizit im angegriffenen Urteil erfordern die Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Das Urteil ist nicht etwa deshalb im Ergebnis zutreffend, weil der Beklagte das Verhalten des Klägers vor Einleitung des Kündigungsverfahrens bereits verziehen hätte. Zwar hatte der Museumsleiter den Kläger bereits am 15. Dezember 1992 ermahnt und aufgefordert, es in Zukunft zu unterlassen, derartige Schriftstücke aufzuhängen. Ein Verzicht auf ein etwaiges Kündigungsrecht des Beklagten läßt sich daraus aber nicht ableiten, weil dieser Ermahnung die für eine Abmahnung im Rechtssinne typische Warnfunktion fehlte. Der "Verbrauch" des Kündigungsrechts durch eine Abmahnung folgt gerade aus dem mit ihr verbundenen Hinweis, der Bestand des Arbeitsverhältnisses werde durch künftige gleichartige Vertragsverletzungen gefährdet (vgl. Krause, aaO, zu III 5, m.w.N.).
Falls das Landesarbeitsgericht bei der erneuten Sachprüfung zu dem Ergebnis kommen sollte, die Kündigungsdrohung des Beklagten sei nicht rechtswidrig gewesen und damit nicht geeignet, die Anfechtung des Klägers zu begründen, wird es weiter zu klären haben, ob die Behauptung des Klägers zutrifft, er sei über die Rechtsfolgen seiner Eigenkündigung arglistig getäuscht und dadurch zur Abgabe seiner Willenserklärung bestimmt worden. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu bislang - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen getroffen, weshalb der Senat nicht beurteilen kann, ob aus diesem rechtlichen Gesichtspunkt das Landesarbeitsgericht jedenfalls im Ergebnis zutreffend entschieden hat.
Etzel Bitter Fischermeier
Strümper Piper
Fundstellen
BB 1996, 434 |
NZA 1996, 875 |
RzK, I 9k Nr 25 (ST1) |