Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Freischichten. Entgeltfortzahlung “für jeden Krankheitstag”. Entgeltfortzahlung für jeden Kalendertag. unregelmäßige Verteilung der Arbeitszeit. Lohnausfallprinzip. Referenzprinzip. Geldfaktor. Zeitfaktor. Entgeltfortzahlung Krankheit
Leitsatz (amtlich)
Von dem in § 3 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 EFZG angelegten Grundsatz, daß für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung die Arbeit allein aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ausgefallen sein muß, kann durch Tarifvertrag abgewichen werden.
Orientierungssatz
- Erhält der Arbeitnehmer nach einer tariflichen Bestimmung als Entgeltfortzahlung für jeden Krankheitstag (= Kalendertag) 1/364 des Bruttoarbeitsentgelts der letzten zwölf Abrechnungsmonate, so wird der Anspruch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Arbeitnehmer ohne die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit wegen im vorhinein festgelegter Freischichten nicht gearbeitet hätte.
- Damit wird nicht nur der Geldfaktor, sondern auch der Zeitfaktor zur Bestimmung der Entgeltfortzahlung iSv. § 4 Abs. 4 EFZG abweichend geregelt. Das ist grundsätzlich zulässig (§ 12 EFZG).
Normenkette
EFZG § 4; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen vom 31. August 1998 § 13 Abs. 3; EFZG §§ 3, 12; Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen vom 31. August 1998 § 8 ff., § 13; BGB § 187 Abs. 1, § 284 Abs. 2, § 288 Abs. 1; EGBGB Art. 229 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 28. März 2001 – 1 Sa 1129/00 – teilweise aufgehoben.
- Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt vom 1. März 2000 – 5 Ca 419/99 – teilweise abgeändert.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 528,93 Euro brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 16. März 1999 zu zahlen.
- Im übrigen werden die Berufung und die Revision zurückgewiesen.
- Der Kläger hat von den bis zum 4. Dezember 2000 entstandenen Kosten des Rechtsstreits 3/8 zu tragen. Die übrigen Kosten hat die Beklagte zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger war bei der Beklagten als Wachmann mit einem Bruttostundenlohn von 16,00 DM beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in Hessen vom 31. August 1998, gültig ab 1. September 1998 (MTV) Anwendung. Dieser Tarifvertrag enthält ua. folgende Bestimmungen:
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Arbeitszeit
- Die regelmäßige tägliche Arbeitszeit beträgt 8 Stunden ausschließlich der Pausen. Sie darf in einem Berechnungszeitraum von 3 aufeinanderfolgenden Monaten im Durchschnitt 174 Stunden nicht überschreiten. Auf den einzelnen Monat gesehen, beträgt die maximale Arbeitszeit 200 Stunden.
- Im Revierwach-, Funkstreifen- und Kontrolldienst kann die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, ausschließlich der Pausen, auf bis zu 10 Stunden verlängert werden. Sie darf grundsätzlich 220 Stunden monatlich nicht überschreiten und darf um höchstens 20 Stunden auf maximal 240 Stunden monatlich verlängert werden.
Im Objektsicherungsdienst kann die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, einschließlich der Pausen, auf 12 Stunden verlängert werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft (40 %) fällt.
Sie darf grundsätzlich 264 Stunden monatlich nicht überschreiten und darf um höchstens 24 Stunden auf maximal 288 Stunden monatlich verlängert werden.
Im Objektsicherungsdienst im militärischen Bereich kann die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, einschließlich der Pausen, auf 24 Stunden verlängert werden, wenn in diese Arbeitszeit regelmäßig 50 % Arbeitszeit, 25 % Arbeitsbereitschaft und 25 % Ruhezeit fallen.
Sie darf grundsätzlich 264 Stunden monatlich nicht überschreiten und darf um höchstens 24 Stunden auf maximal 288 Stunden monatlich verlängert werden.
- Die Arbeitszeit beginnt und endet entweder im Betrieb oder an einem vom Betrieb angeordneten Einsatzort.
- Bei wechselnden Einsatzstellen in einer Schicht gelten die Wegezeiten als Arbeitszeit.
§ 9
Pausen, Ruhezeiten und Freizeit
Pausen sind Zeiten, in denen der Arbeitnehmer von jeglicher Arbeitsleistung befreit ist. Sie sollen pro Arbeitstag und Schicht eine Stunde nicht überschreiten und soweit als möglich beweglich sein und sich nach den betrieblichen Belangen im Sinne des Kunden und des Arbeitgebers richten.
Spätestens nach einer Arbeitszeit von sechs Stunden hintereinander ist eine Pause zwingend einzulegen.
- Arbeitsunterbrechungen von weniger als 15 Minuten gelten nicht als Pause.
Bei täglichen Arbeitszeiten von über 10 bis zu 12 Stunden werden Pausen voll bezahlt.
Diese Regelung gilt nur für gewerbliche Arbeitnehmer gemäß § 8 Abs. 2 – 4.
- Die Ruhezeit zwischen 2 Arbeitsschichten bzw. 2 Arbeitstagen muß mindestens 11 Stunden betragen.
- Wird ein Arbeitnehmer zu einer 24-Stunden-Schicht eingeteilt, ist ihm im Anschluß daran eine zusammenhängende Ruhezeit von mindestens 24 Stunden zu gewähren.
Der Arbeitnehmer hat Anspruch:
- nach sieben aufeinanderfolgenden Arbeitstagen auf eine zusammenhängende Freizeit einschließlich der Ruhezeit von mindestens 36 Stunden;
- einmal im Kalendermonat auf eine zusammenhängende Freizeit einschließlich der Ruhezeit von mindestens 72 Stunden, wenn er im 24-Stunden-Schichtrhythmus eingeteilt ist.
- Die zusammenhängende Freizeit nach Abs. 6 a) soll grundsätzlich einmal im Kalendermonat auf ein Wochenende fallen; in diesem Falle beträgt die zusammenhängende Freizeit mindestens 48 Stunden.
§ 10
Zeitzuschläge
1.) Für Mehr-, Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit wird ein Zuschlag gezahlt.
2.) Mehrarbeit im Sinne dieses MTV ist nur die angeordnete und geleistete Arbeit, die die Arbeitszeit
gemäß § 8 Abs. 1: |
im Durchschnitt von 3 aufeinanderfolgenden Monaten 174 Stunden überschreitet; |
gemäß § 8 Abs. 2: |
von 220 Stunden im Monat überschreitet; |
gemäß § 8 Abs. 3: |
von 264 Stunden im Monat überschreitet; |
gemäß § 8 Abs. 4: |
von 264 Stunden im Monat überschreitet. |
…
§ 11
Urlaubsanspruch
I. Allgemeine Bestimmungen
1.) Jeder Arbeitnehmer hat im Kalenderjahr Anspruch auf Urlaub unter Fortzahlung seiner Bezüge. Der Urlaub wird auf der Basis von vollen Kalendertagen (00.00 bis 24.00 Uhr) gewährt. Das Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
…
10.) Erkrankt ein Arbeitnehmer während des Urlaubs, werden die durch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesenen Tage nicht auf den Urlaub angerechnet. Der Arbeitnehmer hat sich jedoch nach Ablauf seines Urlaubs oder, falls die Erkrankung länger dauert, nach Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stellen. Der Antritt des Resturlaubs ist erneut festzulegen.
…
II. Höhe des Urlaubsanspruches
- Der Grundurlaub für Arbeitnehmer beträgt 33 Kalendertage.
Neben dem Grundurlaub erhält jeder Arbeitnehmer nach einer Betriebszugehörigkeit von:
Mehr als |
2 Jahren |
1 Kalendertag |
Zusatzurlaub, |
mehr als |
4 Jahren |
2 Kalendertage |
Zusatzurlaub, |
mehr als |
6 Jahren |
4 Kalendertage |
Zusatzurlaub, |
mehr als |
8 Jahren |
6 Kalendertage |
Zusatzurlaub, |
mehr als |
10 Jahren |
9 Kalendertage |
Zusatzurlaub. |
Der Zusatzurlaub im Rahmen der o.g. Betriebszugehörigkeitsdauer wird in dem Urlaubsjahr gewährt, in dem der Arbeitnehmer seine jeweilige Betriebszugehörigkeit vollendet hat. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
Der Höchsturlaub beträgt 42 Kalendertage.
Der Zusatzurlaub gemäß Abschnitt l. Abs. 13 wird davon nicht berührt.
- Bei der Berechnung des Urlaubsanspruches werden die innerhalb des Urlaubszeitraumes liegenden Samstage, Sonntage, Feiertage und Freischichttage mitgerechnet.
- Liegen vor und nach einem zusammenhängenden Urlaubszeitraum von mehr als 5 Tagen Freischichttage, wird nur 1 Freischichtzeitraum auf den Urlaubsanspruch angerechnet.
- Bei einzelnen Kurzurlauben von 1 – 5 Tagen, werden bei Erreichen von jeweils 5 Urlaubstagen zusätzlich 2 Urlaubstage auf den bestehenden Urlaubsanspruch angerechnet und vergütet, bis der Gesamturlaubsanspruch des laufenden Urlaubsjahres verbraucht ist.
III. Urlaubsentgelt
- Als Urlaubsentgelt erhält der Arbeitnehmer für jeden Urlaubstag 1/364 des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes der letzten 12 Abrechnungsmonate (Einmalzahlungen ausgenommen), welches der Arbeitnehmer vor Antritt des Urlaubs erhalten hat.
- Eine Verminderung des Urlaubsentgeltes unterbleibt für Zeiten, in denen der Arbeitnehmer keinen Anspruch mehr auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit hatte.
- Bei weniger als 12-monatiger Betriebszugehörigkeit errechnet sich das Urlaubsentgelt entsprechend anteilig nach der tatsächlichen Beschäftigungsdauer.
§ 12
Arbeitsversäumnis und Sonderurlaub
1.) Über jedes Arbeitsversäumnis ist der Arbeitgeber unverzüglich zu unterrichten.
2.) Ist der Arbeitnehmer für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen nicht in seiner Person liegenden Grund oder ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, wird das Gehalt bzw. der Lohn, soweit die Notwendigkeit des Arbeitsversäumnisses sowie die Unmöglichkeit einer Erledigung außerhalb der Arbeitszeit feststeht, fortbezahlt (Lohnausfallprinzip). Eine entsprechende Bescheinigung, die das Arbeitsversäumnis begründet, ist dem Arbeitgeber unverzüglich vorzulegen.
…
6.) Auf Antrag des Arbeitnehmers kann Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung des Lohnes gewährt werden.
§ 13
Krankenbezüge
1.) Ist ein Arbeitnehmer wegen Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, hat er dies unverzüglich, und zwar vor dem dienstplanmäßigen Arbeitsbeginn, dem Arbeitgeber mitzuteilen.
2.) Der Arbeitnehmer hat dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch vor Ablauf des 3. Tages der Erkrankung, eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, aus der die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit ersichtlich ist.
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, so ist der Arbeitnehmer verpflichtet, unverzüglich und zwar ebenfalls vor Arbeitsbeginn nach seiner ursprünglichen Arbeitsunfähigkeit, sowohl die Fortdauer anzuzeigen, als auch eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen.
3.) Als Entgeltfortzahlung erhält der Arbeitnehmer bis zur Dauer von sechs Wochen für jeden Krankheitstag (Krankheitstage sind Kalendertage) 1/364 des durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes der letzten 12 Abrechnungsmonate (Einmalzahlungen ausgenommen), welches der Arbeitnehmer vor Beginn der Krankheit erhalten hat. Basis für diese Berechnung ist das/der 100 % ige Gehalt/Lohn gemäß § 7 Abs. 4 (Einmalzahlungen ausgenommen).
Bei weniger als 12-monatiger Betriebszugehörigkeit errechnet sich die Entgeltfortzahlung entsprechend anteilig nach der tatsächlichen Beschäftigungsdauer vor dem Beginn der Krankheit.
4.) Ein von einem Sozialversicherungsträger angeordneter Kuraufenthalt steht einer durch Erkrankung verursachten Arbeitsunfähigkeit gleich, wenn eine entsprechende Bescheinigung vorgelegt wird.
5.) Ist die Arbeitsunfähigkeit durch Verschulden Dritter, z.B. durch Verkehrsunfall eingetreten, besteht gegenüber dem Arbeitgeber Mitteilungspflicht wegen Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen in Höhe des fortgezahlten Entgeltes.
…”
Der Kläger leistete vom 1. bis zum 6. und vom 8. bis zum 21. Februar 1999 im Objektsicherungsdienst bei der O… AG, Werk , täglich 12-Stunden-Schichten gemäß einem Schichtplan. Für die Zeit vom 22. bis zum 28. Februar 1999 waren für ihn Freischichten eingeplant. Vom 22. Februar bis zum 7. März 1999 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Beklagte vermerkte die Krankheitszeiten im Einsatzplan. Sie leistete Entgeltfortzahlung ab dem 1. März 1999, nicht jedoch für die Zeit vom 22. bis zum 28. Februar 1999.
Mit seiner Klage verlangt der Kläger Entgeltfortzahlung für den genannten Zeitraum, zuletzt in der unstreitigen Höhe von kalendertäglich 147,78 DM brutto. § 13 Abs. 3 MTV gewähre einen kalendertäglichen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, ohne daß es auf den konkreten Ausfall von Arbeit ankomme. Deshalb müßten auch die Zeiten einer planmäßigen Freistellung von der Arbeit vergütet werden.
Der Kläger hat – soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.034,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen vom 15. März 1999 bis zum 30. April 2000 und 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank ab 1. Mai 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie schulde keine Entgeltfortzahlung, da dem Kläger durch die Arbeitsunfähigkeit kein Entgelt entgangen sei. Der Kläger habe für Februar 1999 seinen vollen Lohn erhalten. Mehr Stunden hätten nicht abgerechnet werden können.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision hält der Kläger an seinem Klageantrag unverändert fest. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im wesentlichen begründet. Dem Kläger steht die geforderte Entgeltfortzahlung mit Ausnahme eines Teils der Zinsen zu.
Unterschriften
Müller-Glöge, Mikosch, Linck, Müller, Reinders
Fundstellen
Haufe-Index 884729 |
BAGE 2004, 60 |
BB 2003, 793 |
DB 2003, 1277 |
NWB 2003, 738 |
EBE/BAG 2003, 36 |
ARST 2003, 158 |
EWiR 2003, 271 |
NZA 2003, 978 |
ZAP 2003, 280 |
AP, 0 |
EzA-SD 2003, 3 |
EzA |
PERSONAL 2003, 58 |