Entscheidungsstichwort (Thema)

Tarifgeltung im Beitrittsgebiet

 

Orientierungssatz

1. Hinweise des Senats:

"Fortsetzung der ständigen Rechtsprechung; hier: Einzelvertragliche Zusage."

2. Auslegung des Manteltarifvertrages vom 24. Oktober 1961 für die Angestellten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und des § 1 Abs 1 des Tarifvertrages zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften.

 

Tenor

1. Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des

Landesarbeitsgerichts Berlin vom 9. September 1997 - 5 Sa 68/97 -

aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts

Berlin vom 6. März 1997 - 19 Ca 28445/96 - wird zurückgewiesen mit

der Maßgabe, daß die Feststellung unter Ziff. I des Tenors in

Bezug auf die ehemalige Klägerin zu 4) auf die Zeit bis zu deren

Tod am 11. Mai 1997 beschränkt werden.

3. Die Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der Revision

zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte Vergütung nach dem Manteltarifvertrag vom 24. Oktober 1961 für die Angestellten der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (MTAng-BfA) zahlen muß.

Die Klägerinnen zu 1 bis 3 und die am 11. Mai 1997 verstorbene ehemalige Klägerin zu 4, die Rechtsvorgängerin der jetzigen Kläger zu 4, (künftig: Arbeitnehmerinnen) waren bei der Sozialversicherung der ehemaligen DDR beschäftigt. Nachdem ihre Arbeitsverhältnisse zunächst gem. Kapitel VIII Sachgebiet F Abschn. II Nr. 1 § 4 der Anlage 1 zum Einigungsvertrag zum 1. Januar 1991 auf die Überleitungsanstalt Sozialversicherung übergegangen waren, wurden sie vom 2. Januar 1991 bis zum 30. April 1991 in einem Dienstgebäude der Beklagten im ehemaligen Westberlin beschäftigt, da an dem vorgesehenen Arbeitsort in Teltow (Brandenburg) noch keine Büroräume zur Verfügung standen. Ab dem 1. Mai 1991 waren die Arbeitnehmerinnen in Teltow tätig. In § 1 der Arbeitsverträge vom 18. Juli 1991 wurde die Weiterbeschäftigung bei der Beklagten ab dem 1. April 1991 auf unbestimmte Zeit vereinbart. § 2 dieser Verträge lautete:

"§ 2

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem vorgesehenen

Tarifvertrag zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche

Vorschriften (MTAng-BfA-O) - und den diesen ergänzenden, ändernden

oder ersetzenden Tarifverträgen sowie nach den für Angestellte der

BfA im Gebiet nach Artikel 3 des Einigungsvertrages jeweils

geltenden sonstigen Regelungen. Bis zum Abschluß des MTAng-BfA-O

bestimmt sich das Arbeitsverhältnis nach dem Tarifvertrag zur

Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifvertragliche Vorschriften -

des Bundes (BAT-O) in der jeweils geltenden Fassung."

Die Geschäftsführung der Beklagten beschloß, ab dem 1. Januar 1992 Berlin als einen einheitlichen Dienstort zu behandeln. Sie wandte von diesem Zeitpunkt an auch im ehemaligen Ostberlin den MTAng-BfA an. Dies geschah im Interesse einer größtmöglichen Flexibilität des Einsatzes und der Austauschbarkeit der Arbeitnehmer, weil die Beklagte in allen Abteilungen des Hauses mehr als 2.000 neue Arbeitnehmer für den Einsatz Berlin eingestellt hatte und sich die Abteilungen der Beklagten - auf verschiedene Dienstgebäude verteilt - sowohl im Tarifgebiet West als auch im Tarifgebiet Ost befanden.

Die Beklagte verlegte am 23. März 1992 die gesamte Abteilung, in der die Arbeitnehmerinnen tätig waren, in den Ostteil Berlins. Sie schloß mit ihnen Arbeitsverträge vom 1. April 1992 ab. § 2 der Verträge lautet:

"§ 2

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Manteltarifvertrag

für die Angestellten der Bundesversicherungsanstalt für

Angestellte (MTAng-BfA) und den diesen ergänzenden, ändernden oder

ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils geltenden Fassung.

Außerdem finden die für die BfA jeweils geltenden sonstigen

Tarifverträge Anwendung."

Auf eigenen Wunsch wurden die Klägerin zu 1 zum 1. September 1993 und die übrigen Arbeitnehmerinnen zum 1. Oktober 1993 in die Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten nach Potsdam versetzt. Die Arbeitsverträge wurden nicht geändert. Die Arbeitnehmerinnen erhielten in Potsdam weiterhin Vergütung nach dem MTAng-BfA.

Aufgrund des sogenannten Feuerwehr-Urteils des erkennenden Senats vom 26. Oktober 1995 (- 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207) teilte die Beklagte den Arbeitnehmerinnen mit einem Schreiben vom 19. Juni 1996 mit, sie sei aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus haushalts- und tarifrechtlichen Gründen gezwungen, rückwirkend ab dem 1. Oktober 1993 das Tarifrecht Ost anzuwenden und forderte sie auf, im Rahmen der tariflichen Ausschlußfrist die ab dem 1. Januar 1996 zuviel gezahlte Vergütung zurückzuzahlen.

Die Klägerinnen haben die Auffassung vertreten, die Vergütung nach dem MTAng-BfA sei in den Arbeitsverträgen vom 1. April 1992 individuell als übertarifliche Leistung vereinbart worden. Die Beklagte sei schon damals tariflich nicht zur Zahlung dieser höheren Vergütung verpflichtet gewesen.

Die Klägerinnen haben beantragt

1. festzustellen, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien

der MTV für Angestellte der Beklagten Anwendung findet, und

zwar für die Klägerin zu 1 ab dem 1. September 1993 und für

die Klägerinnen zu 2 bis 4 ab dem 1. Oktober 1993;

2. festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an die

Klägerinnen ab dem 1. Januar 1996 weiterhin eine Vergütung

nach dem Vergütungstarifvertrag für Angestellte der Beklagten

zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Anwendbarkeit des MTAng-BfA auf die Arbeitsverhältnisse sei nicht für den Fall der Versetzung an einen Arbeitsort außerhalb Berlins vereinbart worden. Dies sei für die Arbeitnehmerinnen auch erkennbar gewesen. Nach Rückkehr der Arbeitnehmerinnen in das Tarifgebiet Ost habe die Beklagte zunächst die Rechtslage verkannt und rechtsirrig Vergütungen nach westlichem Tarifrecht gezahlt. Nach Bekanntwerden des "Feuerwehr-Urteils" des erkennenden Senats habe sie diesen Rechtsirrtum korrigiert.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Klägerinnen zu 1 bis 3 ihr bisheriges Begehren weiter, die Rechtsnachfolger der verstorbenen ehemaligen Klägerin zu 4 beschränkt auf die Zeit bis zu deren Tod am 11. Mai 1997. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auf die Arbeitsverhältnisse sei nicht der MTAng-BfA, sondern der MTAng-BfA-O anzuwenden, da die Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet seien. Den Arbeitsverträgen vom 1. April 1992 sei nicht der Wille der Beklagten zu entnehmen, den MTAng-BfA für die Zukunft unabhängig vom Einsatzort der Arbeitnehmerinnen zu vereinbaren. Die Beklagte habe in den vorformulierten Arbeitsverträgen nur zum Ausdruck gebracht, Berlin als einen einheitlichen Dienstort zu behandeln und somit auch im Ostteil der Stadt den MTAng-BfA anzuwenden. Soweit die Beklagte nach Versetzung der Arbeitnehmerinnen nach Potsdam weiterhin übertarifliche Leistungen erbracht habe, beruhe dies darauf, daß sie rechtsirrig angenommen habe, verpflichtet zu sein. Von diesen irrtümlich gewährten Zahlungen könne sich die Beklagte jederzeit lossagen, da einzelvertragliche Ansprüche nicht bestünden.

II. Diesen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts ist nicht zu folgen. Die Klage ist begründet.

Auf die Arbeitsverhältnisse findet der MTAng-BfA Anwendung. Die Arbeitnehmerinnen haben auch nach ihrer Versetzung nach Potsdam weiterhin Anspruch auf Vergütung nach dem jeweils geltenden Vergütungstarifvertrag zum MTAng-BfA. Zwar ist dem Berufungsgericht zuzugeben, daß die Arbeitsverhältnisse unter den räumlichen Geltungsbereich des MTAng-BfA-O fallen, weil sie iSd. ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats im Beitrittsgebiet begründet sind. In den Arbeitsverträgen vom 1. April 1992 wurde jedoch zugesagt, daß die Arbeitsverhältnisse sich nach dem MTAng-BfA richten.

1. Nach § 1 Abs. 1 MTAng-BfA-O gilt dieser Tarifvertrag für Arbeitnehmer der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, die in einer der Rentenversicherung der Angestellten unterliegenden Beschäftigung tätig sind (Angestellte) und deren Arbeitsverhältnisse in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages (im folgenden: EV) genannten Gebiet begründet sind. Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

a) Die Arbeitnehmerinnen üben unstreitig eine der Rentenversicherung der Angestellten unterliegende Beschäftigung bei der Beklagten aus.

b) Die Arbeitsverhältnisse sind auch in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist ein Arbeitsverhältnis in dem in Art. 3 EV genannten Gebiet begründet, wenn dort der Grund der Entstehung des Arbeitsverhältnisses liegt und der Bezug zum Beitrittsgebiet gegenwärtig noch besteht. Wird ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt und wird er auf unbestimmte Zeit dort beschäftigt, sind diese Voraussetzungen gegeben (Senatsurteile 24. Februar 1994 - 6 AZR 588/93 - BAGE 76, 57 und 6. Oktober 1994 - 6 AZR 324/94 - BAGE 78, 108). Für den gegenwärtigen Bezug zum Beitrittsgebiet ist grundsätzlich die Lage des Arbeitsplatzes entscheidend (Senatsurteile 24. Februar 1994 - 6 AZR 588/93 - aaO; 6. Oktober 1994 - 6 AZR 324/94 - aaO; 25. Juni 1998 - 6 AZR 515/97 - AP TV Arb Bundespost § 1 Nr. 2 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 76). Wird ein Arbeitnehmer, der für eine Tätigkeit im Beitrittsgebiet eingestellt wurde, vorübergehend auf nicht absehbare Zeit im Geltungsbereich des BAT beschäftigt, findet für die Dauer dieser Tätigkeit der BAT Anwendung. Nach Rückkehr auf einen Arbeitsplatz im Beitrittsgebiet unterfällt das Arbeitsverhältnis wieder dem BAT-O (Senatsurteile 23. Februar 1995 - 6 AZR 676/94 - BAGE 79, 224; 21. September 1995 - 6 AZR 151/95 - AP BAT-O § 1 Nr. 6 = EzA TVG § 4 Geltungsbereich Nr. 11; 26. Oktober 1995 - 6 AZR 125/95 - BAGE 81, 207, 209; 20. März 1997 - 6 AZR 10/96 - BAGE 85, 322, 329 und 15. April 1999 - 6 AZR 562/97 - nv., zu 1 b aa der Gründe). Gleiches gilt für die Frage, ob der MTAng-BfA oder der MTAng-BfA-O anzuwenden ist.

Der Grund für die Entstehung der Arbeitsverhältnisse lag im Beitrittsgebiet. Die Arbeitsverhältnisse bestanden bereits in der ehemaligen DDR und wurden nach Herstellung der Einheit Deutschlands zuerst von der Überleitungsanstalt und dann von der Beklagten fortgeführt. Seit dem 1. Mai 1991 besteht der Bezug zum Beitrittsgebiet ununterbrochen fort, da die Arbeitnehmerinnen zunächst in Brandenburg, dann im Ostteil Berlins tätig waren und seit September bzw. Oktober 1993 wieder in Brandenburg tätig sind bzw. waren.

2. Nicht zu folgen ist dem Landesarbeitsgericht, soweit es die einzelvertraglich vereinbarte Geltung des MTAng-BfA abgelehnt hat.

a) § 2 der Arbeitsverträge vom 1. April 1992 bestimmt, daß dieser Tarifvertrag und die ihn ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung gelten, und daß außerdem die für die BfA jeweils geltenden sonstigen Tarifverträge Anwendung finden. Der Inhalt der Arbeitsverträge, den der erkennende Senat, da es sich um sog. "typische Verträge" handelt, ohne Bindung an die tatrichterliche Auslegung ermitteln darf, ergibt, daß darin nicht die im öffentlichen Dienst allgemein übliche Bezugnahme auf die Tariflage zu sehen ist, sondern eine übertarifliche Zusage, nach der der MTAng-BfA anzuwenden ist, obwohl die Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet sind. Eine Beschränkung der Geltung dieser Tarifverträge auf die Dauer des Einsatzes in Berlin ist weder dem § 2 noch dem übrigen Vertragstext zu entnehmen.

b) § 2 des Arbeitsvertrags nimmt ausdrücklich Bezug auf den MTAng-BfA und nicht auf den sonst tariflich auf die Arbeitsverhältnisse anzuwendenden MTAng-BfA-O. Zwar will der öffentliche Arbeitgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Zweifel nur gewähren, wozu er tariflich verpflichtet ist (BAG 21. Oktober 1992 - 4 AZR 156/97 - AP BAT § 23 a Nr. 27, zu I 3 b der Gründe; Senatsurteile 1. Juni 1995 - 6 AZR 922/94 - BAGE 80, 152, 155, zu II 1 der Gründe; 26. März 1998 - 6 AZR 550/96 - BAGE 88, 239, 241; 5. August 1999 - 6 AZR 128/98 - nv., zu 2 b der Gründe). Der vorliegende Fall weist jedoch die Besonderheit auf, daß die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts schon bei Abschluß der Arbeitsverträge den Arbeitnehmerinnen aus Gründen einer alle Berliner Dienststellen der Beklagten umfassenden flexiblen Personalbewirtschaftung Vergütung nach MTAng-BfA zusagte, obwohl die Arbeitnehmerinnen schon damals tariflich nur Anspruch auf Anwendung des MTAng-BfA-O hatten, was die Beklagte ausweislich der Arbeitsverträge vom 18. Juli 1991, in denen die im Beitrittsgebiet geltenden Tarifverträge bezeichnet sind, wußte. Die Beklagte bewirkte mit dieser Zusage eine alle ihre Berliner Dienststellen umfassende flexible Personalbewirtschaftung. Zu Recht hat das Berufungsgericht keine Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes darin gesehen, daß die Beklagte die Zusage auf die Berliner Arbeitsverhältnisse beschränkt hatte, andere Arbeitnehmer der Beklagten, deren Arbeitsverhältnisse im Beitrittsgebiet begründet sind, von ihr aber nicht profitierten. Eine Einschränkung des Inhalts, daß ein aus dieser Regelung berechtigter Arbeitnehmer, der sich von Berlin in ein anderes neues Bundesland versetzen läßt, seinen vertraglichen Anspruch verliert, ergibt sich jedoch weder aus dem Text der Arbeitsverträge noch aus sonstigen für die Auslegung maßgebenden Umständen.

c) Der MTAng-BfA-O ist nicht deshalb anzuwenden, weil er ein den MTAng-BfA ergänzender, ändernder oder ersetzender oder ein außerdem anzuwendender sonstiger Tarifvertrag iSd. § 2 des Arbeitsvertrags wäre, denn er kann nicht gleichzeitig auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung finden, für das der MTAng-BfA gilt; er besteht vielmehr selbständig neben diesem.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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Fundstellen

Haufe-Index 611002

BB 2000, 259

ZAP-Ost 2000, 35

AuA 2000, 83

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