Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellungsklage und Tarifzuständigkeit
Leitsatz (redaktionell)
Eine Feststellungsklage über den Geltungsbereich eines Tarifvertrages ist gegenüber einem einzelnen Arbeitgeber unzulässig. Die Tarifzuständigkeit ist vielmehr im Beschlußverfahren nach § 97 ArbGG mit der Wirkung der erweiterten Rechtskraft nach § 9 TVG zu klären.
Orientierungssatz
1. Zulässigkeit der Feststellungsklage über Geltungsbereich; Rechtskraftwirkung; Beschlußverfahren über Tarifzuständigkeit; erweiterte Rechtskraft des Beschlußverfahrens nach § 97 ArbGG analog § 9 TVG.
2. Ein Rechtsverhältnis ist jedes durch die Herrschaft der Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einem Sachgut. Der fachliche Geltungsbereich eines Tarifvertrages stellt jedoch nicht ein rechtliches Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einem Sachgut dar, sondern lediglich, ob eine Person (Arbeitgeber als Betriebsinhaber) - losgelöst von anderen Personen - hinsichtlich ihres Betriebszwecks vom Geltungsbereich eines Tarifvertrages erfaßt wird.
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 07.12.1988; Aktenzeichen 5 Sa 728/88) |
ArbG Lingen (Entscheidung vom 07.04.1988; Aktenzeichen 1 Ca 817/87) |
Tatbestand
Die Klägerin ist eine in dem Betrieb der Beklagten vertretene Gewerkschaft. Die Beklagte betreibt in N ein Unternehmen zur Produktion und zum Vertrieb von Holz- und Plastikfenstern und -türen. Sie beschäftigt etwa 150 gewerbliche Arbeitnehmer und 30 Angestellte.
Im September 1972 führte die Handwerkskammer O im Betrieb der Beklagten eine Betriebsbesichtigung durch. Aufgrund dieser Betriebsbesichtigung wurde die Beklagte mit Wirkung vom 1. Oktober 1972 als ein Betrieb mit rein industrieller Fertigung angesehen. Mit Wirkung vom 22. April 1977 wurde die Beklagte mit dem Tischlerhandwerk in die Handwerksrolle der Handwerkskammer O eingetragen. Diese ging bei der Beitragsberechnung von einem zehnprozentigen handwerklichen Anteil aus; demgemäß wurde der Anteil bei der Industrie- und Handelskammer auf 90 % des Gewerbesteuermeßbetrages herabgesetzt.
Ende 1986 trat die Beklagte aus dem Innungsverband des holz- und kunststoffverarbeitenden Handwerks aus. Sie schloß sich mit Wirkung vom 1.Dezember 1986 dem Landesverband Niedersachsen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie an.
Die Klägerin meint, im Betrieb der Beklagten stehe die handwerkliche Produktion im Vordergrund. Daher falle die Beklagte nicht unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie, sondern unter den fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk. An einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung habe sie ein rechtliches Interesse; denn sie beabsichtige, mit der Beklagten einen Firmentarifvertrag auf der Grundlage der bisher geltenden Handwerkstarifverträge abzuschließen, da die Beklagte nach dem Austritt aus der Handwerksinnung und dem Ablauf des Lohn- und Gehaltstarifvertrages über das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk seit Ende 1987 nicht mehr tarifgebunden sei. Sollte die Beklagte allerdings dem fachlichen Geltungsbereich der Tarifverträge für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie unterfallen, wären Arbeitskampfmaßnahmen zur Durchsetzung eines Firmentarifvertrages wegen bestehender Tarifbindung der Beklagten rechtswidrig. Die Klägerin wäre dann Schadenersatzansprüchen ausgesetzt.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte nicht unter den
fachlichen Geltungsbereich
a) des Manteltarifvertrages für die holz- und kunst-
stoffverarbeitende Industrie im Nordwestdeutschen
Raum der Bundesrepublik Deutschland (MTN) vom
01.01.1985,
b) des Tarifvertrages über die stufenweise Einführung
des 13. Monatseinkommens (Sonderzahlung) in den
Ländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-
Holstein, im Land Nordrhein-Westfalen und für die
Landesteile Westfalen und Lippe für die holz- und
kunststoffverarbeitende Industrie vom 03.06.1980,
c) des Tarifvertrages über vermögenswirksame Leistungen
für die Holzindustrie und Kunststoffverarbeitung
vom 01.01.1979,
d) des Lohntarifvertrages für die holz- und kunststoff-
verarbeitende Industrie vom 11.01.1985 und
e) des Gehaltstarifvertrages für die holz- und kunst-
stoffverarbeitende Industrie vom 01.01.1985,
sondern unter den fachlichen Geltungsbereich
a) des Manteltarifvertrages für das holz- und kunst-
stoffverarbeitende Handwerk im Nordwestdeutschen
Raum der Bundesrepublik Deutschland (MTN) vom
01.01.1986,
b) des Tarifvertrages für gewerbliche, kaufmännische
und technische Auszubildende des Tischlerhandwerks
vom 01.01.1984,
c) des Tarifvertrages über die stufenweise Einführung
des 13. Monatseinkommens (Sonderzahlung) für das
Tischlerhandwerk vom 17.08.1978,
d) des Tarifvertrages über vermögenswirksame Leistungen
für das holz- und kunststoffverarbeitende Handwerk
vom 01.01.1979,
e) des Lohntarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer
des Tischlerhandwerks Niedersachsen vom 19.04.1986
und
f) des Gehaltstarifvertrages für das holz- und kunst-
stoffverarbeitende Handwerk in den Ländern Nieder-
sachsen und Bremen vom 19.04.1986
fällt.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hält die Klage für unzulässig und hat vorgetragen, die Gerichte für Arbeitssachen seien für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht zuständig, da es hier nicht um das Bestehen oder Nichtbestehen eines Tarifvertrages gehe. Das Bestehen der von der Klägerin in ihrem Klageantrag angeführten Tarifverträge stehe außer Streit. Ferner fehle für die Klage ein Feststellungsinteresse. Die Klägerin begehre lediglich die Erstattung eines Rechtsgutachtens. Dazu seien die Arbeitsgerichte nicht berufen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage mit Recht als unzulässig abgewiesen. Die von der Klägerin begehrten Feststellungen dürfen die Gerichte nicht treffen. Denn die Klägerin begehrt nicht die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses.
Die Gerichte für Arbeitssachen sind für die Entscheidung des Rechtsstreits sachlich zuständig. Es handelt sich vorliegend um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit zwischen einer Tarifvertragspartei (Klägerin) und einem Dritten (Arbeitgeber) über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG). Entgegen den Bedenken der Beklagten ist unter "Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen" nicht nur die Frage zu verstehen, ob ein bestimmter Tarifvertrag oder eine bestimmte Tarifnorm überhaupt besteht, sondern hierunter fallen auch Streitigkeiten über den Geltungsbereich von Tarifverträgen. Da nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG Streitigkeiten über das Bestehen oder Nichtbestehen von Tarifverträgen nur dann der Arbeitsgerichtsbarkeit zur Entscheidung zugewiesen werden, wenn zumindest eine Tarifvertragspartei in dem Rechtsstreit als Partei beteiligt ist, soll damit ersichtlich dem Interesse der Tarifvertragsparteien bei Tarifstreitigkeiten Rechnung getragen werden. Für die Tarifvertragsparteien ist aber nicht nur die Frage von Interesse, ob ein bestimmter Tarifvertrag tatsächlich existiert oder nicht existiert, was nur selten Anlaß für einen Streit bieten dürfte, sondern vor allem, ob ein bestimmter Tarifvertrag auf bestimmte Arbeitsverhältnisse Anwendung findet. Daher ist im Hinblick auf das vom Gesetzgeber anerkannte Interesse der Tarifvertragsparteien an der Entscheidung von Tarifstreitigkeiten durch die Arbeitsgerichtsbarkeit § 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG dahin auszulegen, daß er auch Streitigkeiten über den Geltungsbereich eines Tarifvertrages erfaßt (ebenso: Grunsky, Arbeitsgerichtsgesetz, 5. Aufl. 1987, § 2 Rz 59). Darüber hinaus ist es auch ein Gebot des Sachzusammenhangs, solche Rechtsstreitigkeiten durch die Arbeitsgerichtsbarkeit entscheiden zu lassen und nicht etwa durch die ordentliche oder eine andere Fachgerichtsbarkeit (vgl. BAG Urteil vom 8. Februar 1963 - 1 AZR 511/61 - AP Nr. 42 zu § 256 ZPO).
Die Feststellungsklage ist jedoch unzulässig, weil sie nicht auf die Feststellung eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist. Nach § 256 Abs. 1 ZPO, der auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet (§ 46 Abs. 2, § 64 Abs. 6 und § 72 Abs. 5 ArbGG), kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses, auf Anerkennung einer Urkunde oder auf Feststellung ihrer Unechtheit Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis oder die Echtheit oder Unechtheit der Urkunde durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Daraus folgt, daß auf Feststellungen anderer Art nicht geklagt werden kann. Im vorliegenden Fall kommt nur eine Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses in Betracht. Daran mangelt es hier. Mit der Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, daß die Beklagte unter den fachlichen Geltungsbereich bestimmter Tarifverträge fällt oder nicht fällt. Dies stellt kein Rechtsverhältnis dar.
Ein Rechtsverhältnis ist jedes durch die Herrschaft der Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einem Sachgut (Stein/Jonas/Schumann, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl. 1987, § 256 Rz 21). Der fachliche Geltungsbereich eines Tarifvertrages stellt jedoch nicht ein rechtliches Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einem Sachgut dar, sondern lediglich, ob eine Person (Arbeitgeber als Betriebsinhaber) - losgelöst von anderen Personen - hinsichtlich ihres Betriebszwecks vom Geltungsbereich eines Tarifvertrages erfaßt wird. Damit ist noch nicht einmal eine einzelne Rechtsbeziehung zu anderen Personen angesprochen, die als Ausfluß eines weitergehenden Rechtsverhältnisses Gegenstand einer Feststellungsklage sein kann (Stein/Jonas/Schumann, aaO, § 256 Rz 24). Vielmehr geht es der Klägerin in ihren Klageanträgen um die Feststellung einzelner rechtserheblicher Elemente oder Vorfragen eines Rechtsverhältnisses, die von Bedeutung sein können, wenn etwa ein Arbeitnehmer Ansprüche aus einem bestimmten Tarifvertrag herleitet und es dann darauf ankommt, ob die Beklagte unter den fachlichen Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fällt. Auf die Feststellung solcher rechtserheblicher Elemente oder Vorfragen kann jedoch eine Feststellungsklage nicht gestützt werden (Stein/Jonas/Schumann, aaO, § 256 Rz 27). Im weiteren richten sich die Klageanträge damit auf die Feststellung einer bloßen Rechtsfrage oder auf Erstattung eines Rechtsgutachtens, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat. Für Erstattung von Rechtsgutachten sind die Gerichte jedoch nicht berufen (Stein/Jonas/Schumann, aaO, § 256 Rz 32).
Da die Klage schon nicht einmal auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses gerichtet ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Klägerin ein rechtliches Interesse an der von ihr begehrten Feststellung zuzubilligen ist. Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von dem Sachverhalt in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. Februar 1963 - 1 AZR 511/61 - (AP Nr. 42 zu § 256 ZPO). In dem damaligen Fall hatte die klagende Gewerkschaft die Feststellung beantragt, daß für den Betrieb des Arbeitgebers bestimmte Tarifverträge Anwendung finden. Damit war Gegenstand der Klage das Rechtsverhältnis zwischen dem beklagten Arbeitgeber und seinen Arbeitnehmern.
Abgesehen davon ist auch zweifelhaft, ob ein rechtliches Interesse bejaht werden könnte, wenn die Klägerin die Feststellung beantragt hätte, daß die von ihr im Klageantrag bezeichneten Tarifverträge im Betrieb des Arbeitgebers Anwendung bzw. keine Anwendung finden. Es ist von der Klägerin nicht vorgetragen worden, ob die von ihr angeführten Tarifverträge überhaupt noch in Kraft sind. Insbesondere dürften die Lohn- und Gehaltstarifverträge aus den Jahren 1985 und 1986 inzwischen abgelöst sein. Soweit die Tarifverträge nicht mehr in Kraft sind, stehen sie dem Interesse der Klägerin, einen Firmentarifvertrag abzuschließen, nicht entgegen.
Darüber hinaus würde eine Entscheidung über die Anwendbarkeit bestimmter Tarifverträge im Betrieb der Beklagten nur Bindungswirkung zwischen den Parteien entfalten, aber keine Bindungswirkung in Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern der Beklagten und dieser. Demgegenüber könnte die Klägerin in einem Beschlußverfahren die Feststellung beantragen, daß der Landesverband Niedersachsen der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie für die beklagte Firma nicht tarifzuständig ist. Für diesen Feststellungsantrag kann ein Rechtsschutzinteresse deshalb bejaht werden, weil die Klägerin einen Firmentarifvertrag mit der Beklagten abschließen will, den sie nicht mit einem Arbeitskampf erzwingen könnte, wenn die Beklagte an geltende Tarifverträge der holz- und kunststoffverarbeitenden Industrie gebunden wäre und deshalb der Klägerin die dieser obliegende Friedenspflicht entgegenhalten könnte. Der im Beschlußverfahren nach § 2 a Abs. 1 Nr. 4 i.V. mit § 97 ArbGG zu treffenden Entscheidung über die Tarifzuständigkeit der Beklagten käme die Bindungswirkung des § 9 TVG zu. Sie wäre daher auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern der Beklagten und dieser maßgebend (vgl. Wiedemann/Stumpf, Tarifvertragsgesetz, 5. Aufl. 1977, § 9 Rz 7).
Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Etzel
Dr. Koffka Prieschl
Fundstellen
BAGE 62, 44-48 (LT1) |
BAGE, 44 |
DB 1989, 1832 (LT1) |
JR 1989, 396 |
NZA 1989, 687-688 (LT1) |
RdA 1989, 312 |
AP § 2 TVG Tarifzuständigkeit (LT1), Nr 6 |
EzA § 256 ZPO, Nr 32 (LT1) |