Entscheidungsstichwort (Thema)
Karenzentschädigung und Wohnsitz
Leitsatz (redaktionell)
Für die Berechnung der Karenzentschädigung gilt die erhöhte Anrechnungsgrenze des § 74c Abs 1 S 2 HGB (125% der Gesamtbezüge) nur dann, wenn das Wettbewerbsverbot für den Wohnsitzwechsel des Arbeitnehmers ursächlich ist. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer an seinem bisherigen Wohnsitz oder in dessen Einzugsbereich ohne das Wettbewerbsverbot eine seiner früheren Tätigkeit vergleichbare Beschäftigung aufnehmen könnte (Bestätigung des Urteils vom 23. Februar 1982 3 AZR 676/79 - AP Nr 9 zu § 74c HGB).
Normenkette
HGB § 74c
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 29.11.1983; Aktenzeichen 1 Sa 26/83) |
ArbG Ulm (Entscheidung vom 03.05.1983; Aktenzeichen 2 Ca 811/82) |
Tatbestand
Der Kläger war etwa 20 Jahre lang bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Verkaufsdirektor. Er schied am 31. März 1982 aufgrund eigener Kündigung aus. In dem schriftlichen Arbeitsvertrag der Parteien vom 15. Juli 1981 war ein Wettbewerbsverbot für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vereinbart. Die Karenzentschädigung sollte 50 % der zuletzt bezogenen vertragsmäßigen Leistungen betragen. Auf die einschlägigen Vorschriften des Handelsgesetzbuches war Bezug genommen. Der Kläger versuchte, aus dem Wettbewerbsverbot entlassen zu werden. Die Beklagte lehnte das ab.
Der Kläger war seinerzeit Eigentümer eines Hauses in Riedlingen, dem Geschäftssitz der Beklagten. Seine Tochter besuchte hier ein Gymnasium, sein Sohn erhielt in Biberach eine Berufsausbildung. Nach seinem Ausscheiden bei der Beklagten zog der Kläger von Riedlingen nach 8760 Miltenberg. Er übernahm ab 1. April 1982 eine Tätigkeit bei der Firma W in I/-Österreich.
Der Kläger ist der Ansicht, durch das Wettbewerbsverbot sei er zum Wohnsitzwechsel gezwungen worden. Er hat vorgetragen, er habe zahlreiche Angebote von Konkurrenzunternehmen erhalten. Die Firma B in T habe ihm eine Generalvertretung angeboten, deren Sitz sein bisheriger Wohnort Riedlingen gewesen wäre. Die Firma W mit Sitz in G/S habe ihm einen sehr verlockenden Beratervertrag angeboten und ihm die Bestimmung seines Arbeitsorts weitgehend selbst überlassen. Hätte die Beklagte ihn seinerzeit aus dem Wettbewerbsverbot entlassen, so hätte er das Angebot der Firma W angenommen und seinen Wohnsitz in Riedlingen beibehalten. Zum Beweis hierfür hat der Kläger die Zeugin L benannt.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, bei der Berechnung der Karenzentschädigung sei wegen des notwendigen Wohnsitzwechsels von anrechnungsfreien Einkünften in Höhe von 125 % seines zuletzt bei der Beklagten bezogenen Einkommens auszugehen. Mit der Klage verlangt er der Höhe nach unstreitige rückständige Beträge für die Zeit vom 1. April bis zum 30. September 1982.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm
13.410,-- DM brutto nebst 4 % Zinsen
aus 21.750,-- DM vom 1. Dezember 1982
bis 1. Februar 1983 und aus 13.410,-- DM
seit 2. Februar 1983 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, der Kläger sei durch das Wettbewerbsverbot nicht zum Wohnsitzwechsel gezwungen worden. Im Wohnbereich des Klägers habe es ohnehin keine konkurrierenden Unternehmen gegeben. Die Firma B und die Firma W seien zu weit entfernt, um sie täglich von Riedlingen aus zu erreichen. Das Wettbewerbsverbot könne daher für den Umzug des Klägers nicht ursächlich gewesen sein. An der Übernahme einer Generalvertretung der Firma B und einem Beratervertrag mit der Firma W sei der Kläger in Wahrheit nicht interessiert gewesen. Diese Tätigkeiten hätten für ihn einen solchen sozialen Abstieg bedeutet, daß sie für ihn ernsthaft gar nicht in Frage gekommen seien.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Es kann noch nicht abschließend beurteilt werden, in welcher Höhe sich der Kläger Bezüge aus anderweitiger Erwerbstätigkeit auf die Karenzentschädigung anrechnen lassen muß.
I. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 23. Februar 1982 - 3 AZR 676/79 - (AP Nr. 9 zu § 74 c HGB) die Auffassung vertreten, die erhöhte Anrechnungsgrenze nach § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB (125 % der Gesamtbezüge) komme nur in Betracht, wenn eine Wettbewerbstätigkeit im früheren Wohnbereich des Arbeitnehmers möglich gewesen wäre. Das sei hier nicht der Fall. Die nächsten Wettbewerber der Beklagten mit Sitz in T und G lägen nicht mehr im Wohnbereich des Klägers. Die Annahme einer Arbeit bei einer dieser Firmen hätte den Kläger zum Umzug auch dann genötigt, wenn das Wettbewerbsverbot nicht bestanden hätte. Diese Auffassung ist zwar nicht zu beanstanden. Die Begründung des Berufungsgerichts reicht jedoch nicht aus, die Klage abzuweisen.
1. In dem genannten Urteil hat der Senat entschieden, daß für die Berechnung der Karenzentschädigung die erhöhte Anrechnungsgrenze nur gilt, wenn das Wettbewerbsverbot für den Wohnsitzwechsel des Arbeitnehmers ursächlich ist. Das Gesetz begnügt sich nicht einmal damit, daß das Wettbewerbsverbot irgendwie für den Wohnsitzwechsel motivierend war. Es verlangt, daß der Arbeitnehmer zum Wohnsitzwechsel "gezwungen" wird. Davon kann keine Rede sein, wenn im bisherigen "Wohnbereich" oder "Einzugsgebiet" ohnehin keine Arbeitsstelle vorhanden ist, die für den Arbeitnehmer in Betracht gekommen wäre, die er aber wegen des Wettbewerbsverbots nicht annehmen durfte (aaO, zu 2 der Gründe). Unter solchen Verhältnissen kann ein Wettbewerbsverbot für einen Umzug nicht ursächlich sein.
2. a)Im Streitfall hat die Beklagte behauptet, die nächsten Konkurrenzunternehmen hätten sich in T und G/S befunden. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß dies zutrifft und beide Orte zwischen 67 und 72 km (T) bzw. 76 km (G) vom früheren Wohnsitz des Klägers entfernt und die Verkehrsverbindungen nicht günstig sind. Unter diesen Umständen könne, so das Berufungsgericht, nicht mehr vom Wohnbereich gesprochen werden. Mithin sei nicht das Wettbewerbsverbot für den Umzug des Klägers ursächlich geworden. Diese Auffassung ist nicht zu beanstanden. Es kann für den Normalfall nicht davon ausgegangen werden, daß ein Arbeitnehmer täglich so weite Fahrstrecken mit einem privaten oder öffentlichen Verkehrsmittel zurücklegt. Dabei mögen Ausnahmefälle die Regel bestätigen. Das Wettbewerbsverbot konnte nur dann den Umzug verursacht haben, wenn in sehr viel geringerer Entfernung oder besser erreichbar ein Unternehmen tätig gewesen wäre, in das der Kläger wegen des Wettbewerbsverbots nicht eintreten konnte. Nur in diesem Zusammenhang hat der Senat von "Wohn-" oder "Einzugsbereich" gesprochen. Es trifft nicht zu, daß der Senat das gesetzliche Merkmal des Wohnsitzes in § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB weiterentwickelt und durch den Begriff "Wohnbereich" oder "Einzugsbereich" ersetzt hätte.
b) Das Berufungsgericht ist anscheinend davon ausgegangen, daß der Kläger in seinem Wohnbereich auch keine Arbeitsstelle in einem nicht konkurrierenden Unternehmen finden konnte, die seiner Ausbildung und seiner bisherigen sozialen Stellung entsprochen hätte. Der Kläger scheint von vornherein nur metallverarbeitende Betriebe der Haushaltsbranche für eine neue berufliche Tätigkeit ins Auge gefaßt zu haben. Das erscheint verständlich, da er seinerzeit bereits 57 Jahre alt war und in seinem Beruf eine herausragende Stellung erreicht hatte. Unter diesen Umständen wird man annehmen können, daß dem Kläger angesichts seines Alters und seiner bisherigen Stellung nicht zuzumuten war, die Branche zu wechseln. Denn ein Zwang zur Wohnsitzverlegung ist bereits dann anzuerkennen, wenn der durch das Wettbewerbsverbot eingeschränkte Arbeitnehmer nur außerhalb seines bisherigen Wohnorts eine Tätigkeit ausüben kann, die nach Art, Vergütung und beruflichen Chancen seiner bisherigen Tätigkeit nahekommt, und wenn dies eine Wohnsitzverlegung erfordert (BAG 25, 444, 449 f. = AP Nr. 2 zu § 74 c HGB, zu II 3 c der Gründe).
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts ist jedoch aus anderen Gründen rechtsfehlerhaft.
a) Der Kläger hat vorgetragen, das Wettbewerbsverbot habe ihn deshalb zum Umzug gezwungen, weil eine Stellung in einem der genannten Unternehmen in T und G gar nicht mit einer Tätigkeit an dem jeweiligen Unternehmenssitz verbunden gewesen wäre. Die Firma B habe ihm die Generalvertretung mit Sitz in Riedlingen angeboten und die Firma W habe ihm gestattet, seine Tätigkeit frei zu gestalten, insbesondere seine Arbeit in Riedlingen zu verrichten. Hierauf ist das Berufungsgericht nicht eingegangen, es hat den vom Kläger für seine Darstellung angetretenen Beweis nicht erhoben. Der Vortrag des Klägers ist aber schlüssig: Wenn er eine Tätigkeit für eines der beiden konkurrierenden Unternehmen von seinem bisherigen Wohnsitz aus verrichten konnte, dann ist nicht mit dem Hinweis auf die Entfernung zu den beiden Unternehmen auszuschließen, daß das Wettbewerbsverbot der entscheidende Grund dafür war, die Angebote nicht anzunehmen und den Wohnsitz zu verlegen. Die Revision rügt insoweit zu Recht einen Verstoß gegen § 74 c Abs. 1 Satz 2 HGB.
Demgegenüber hat die Beklagte behauptet, die Annahme einer der betreffenden Stellen sei für den Kläger nicht von Interesse gewesen, weil beide Tätigkeiten einen sozialen Abstieg bedeutet hätten; keines der vom Kläger behaupteten Angebote sei mit seiner früheren Tätigkeit vergleichbar. Dieser Vortrag ist erheblich. Trifft es zu, daß diese Angebote den Kläger vernünftigerweise nicht zur Annahme hätten veranlassen können, so kann wiederum das Wettbewerbsverbot nicht ursächlich für den Umzug sein. Auch hierauf ist das Berufungsgericht nicht eingegangen.
b) Schließlich hat das Berufungsgericht nicht geprüft, welche Bewandtnis es mit dem Wohnsitzwechsel des Klägers nach Miltenberg hatte. Das Wettbewerbsverbot bezog sich auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger nahm nach seinem Ausscheiden aus den Diensten der Beklagten eine Stellung in I an. Es ist nicht erkennbar, wie diese Umstände den Umzug nach Miltenberg veranlaßt haben können und warum der Kläger dann nicht auch in Riedlingen wohnen bleiben konnte.
II. Der Senat kann die offenen Fragen nicht beantworten. Das Berufungsgericht wird die dazu erforderlichen Feststellungen nachholen und über das Klagebegehren neu entscheiden müssen.
Schaub Schneider Griebeling
Kynast Dr. Hoppe
Fundstellen
DB 1986, 334-335 (LT1) |
NZA 1986, 329-330 (LT1) |
RdA 1986, 66 |
WM IV 1986, 395-396 (LT1) |
AP § 74c HGB (LT1), Nr 12 |
EzA § 74c HGB, Nr 24 (LT1) |