Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankeitskündigung; negative Prognose; Ordentliche krankheitsbedinge Kündigung; Wiederholungskündigung; langanhaltende Krankheit; Negativprognose; vorprozessuale Weigerung des Arbeitnehmers, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien; erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen; Ungewißheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit – Prognosezeitpunkt; Fehlen einer Mitarbeitervertretung; Treuwidrigkeit; Kündigung
Leitsatz (amtlich)
- Weigert sich der erkrankte Arbeitnehmer vorprozessual, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien, so ist es ihm dennoch nicht verwehrt, im Kündigungsschutzprozeß die negative Gesundheitsprognose unter Bezugnahme auf ärztliches Zeugnis zu bestreiten.
- Bei einer Kündigung aus Anlaß einer Langzeiterkrankung ist bei krankheitsbedingter dauerhafter Leistungsunfähigkeit in aller Regel von einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen (2. Stufe) auszugehen. Der dauerhaften Leistungsunfähigkeit steht die Ungewißheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann. Für die Prognose kommt es auf den Zeitpunkt der Kündigung an. Vor der Kündigung liegende Krankheitszeiten können in den Prognosezeitraum (24 Monate) nicht eingerechnet werden (Bestätigung und Ergänzung des Senatsurteils vom 29. April 1999 – 2 AZR 431/98 – BAGE 91, 271).
Orientierungssatz
- Genügt der kirchliche Arbeitgeber seiner nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz bestehenden Verpflichtung, die Initiative zur Bildung einer Mitarbeitervertretung (MV) zu ergreifen, kommt es aber trotzdem nicht zur Wahl einer MV, weil sich kein Mitarbeiter zur Wahl bereit findet, so braucht der Arbeitgeber kein Beteiligungsverfahren durchzuführen. Er handelt auch nicht rechtsmißbräuchlich, wenn er sich auf das Fehlen einer MV beruft.
- Hängt die Wirksamkeit eines einseitigen Rechtsgeschäfts von der vorherigen Zustimmung (= Einwilligung) eines Dritten ab (§ 182 BGB), so muß die Einwilligung erst bei Vornahme des Rechtsgeschäfts vorliegen.
- Für die Rechtfertigung einer Kündigung aus Anlaß einer langanhaltenden Erkrankung kommt es auch auf der ersten Stufe (Negativprognose) auf die objektive Lage bei Ausspruch der Kündigung an. Auch wenn sich der erkrankte Arbeitnehmer vorprozessual geweigert hat, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu befreien, so handelt er dennoch nicht treuwidrig, wenn er im Kündigungsschutzprozeß die negative Gesundheitsprognose unter Bezugnahme auf ärztliches Zeugnis bestreitet.
- Ob ein Arbeitnehmer, der rechtswidrig und schuldhaft eine Fehleinschätzung des Prozeßrisikos beim Arbeitgeber herbeiführt, diesem zum Ersatz des entstandenen Schadens (vergeblich aufgewandte Rechtsverfolgungskosten) verpflichtet ist, bleibt unentschieden.
- Von einer Beeinträchtigung betrieblicher Interessen (2. Stufe) ist in aller Regel auch ohne weitere Darlegungen auszugehen, wenn bei Ausspruch der Kündigung für die nächsten 24 Monate nicht mit einer günstigeren Prognose zu rechnen ist. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose ist der Ausspruch der Kündigung. Davor liegende Krankheitszeiten bleiben in diesem Zusammenhang außer Betracht.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2; BGB §§ 180, 182-184, 242; Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Ev. Kirche in Deutschland (MVG i.d.F. vom 5. November 1998) §§ 7, 16, 38, 41, 42b; ZPO § 286 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 16. Januar 2001 7 Sa 1833/00 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die wegen lang anhaltender Krankheit der Klägerin ausgesprochen wurde.
Die 1964 geborene, ledige Klägerin trat im Februar 1986 als Kinderpflegerin in die Dienste der beklagten Kirchengemeinde, die etwa 50 Arbeitnehmer beschäftigt. Die Klägerin war in dem von der Beklagten betriebenen Kindergarten tätig. Die monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt 3.876,92 DM. Im Arbeitsvertrag der Parteien ist die Geltung des Bundes-Angestelltentarifvertrages in der für die Angestellten im Bereich der Evangelischen Kirche von Westfalen jeweils geltenden Fassung (BAT-KF) sowie des Kirchengesetzes über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Kirchlichen Dienst (ARRG) vom 25. Oktober 1979 (KABl. S 230) vereinbart.
Im Jahre 1992 war die Klägerin an 52 Arbeitstagen und im Jahre 1993 bis Ende November an 58 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 30. November 1993 war die Klägerin – abgesehen von einem fehlgeschlagenen Versuch der Wiedereingliederung im Jahr 1994 – fortlaufend arbeitsunfähig (ua. wegen Amalgam – Intoxikation). In der Zeit vom 9. August 1995 bis zum 31. Dezember 1996 erhielt sie Erwerbsunfähigkeitsrente, wegen deren weiterer Bewilligung sie eine Klage vor dem Sozialgericht erhoben hat.
Auf Anfrage der Beklagten teilte die Klägerin im Juni 1998 mit, die Ausleitung der Gifte und Schwermetalle finde in regelmäßigen Abständen statt, vollziehe sich aber sehr langsam. Das Sozialgericht habe ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Im Verlauf weiterer Korrespondenz der Parteien informierte die Klägerin die Beklagte im Januar 1999, es sei noch nicht absehbar, wann sie ihre Tätigkeit wieder aufnehmen könne, ihr Gesundheitszustand habe sich noch nicht wesentlich gebessert und präzisere Angaben könne sie nicht machen. Die von der Beklagten geäußerte Bitte um Entbindung ihres Arztes von der Schweigepflicht lehnte die Klägerin unter dem 13. Mai 1999 ab, da sich auch nach Rücksprache mit ihren Ärzten kein genauer Zeitpunkt der Rückkehr zur Arbeit absehen lasse. Die Beklagte kündigte daraufhin mit Schreiben vom 25. Juni 1999 zum 31. Dezember 1999. Das Arbeitsgericht Bielefeld stellte rechtskräftig die Unwirksamkeit dieser Kündigung wegen fehlender Beteiligung der Mitarbeitervertretung fest (ArbG Bielefeld – 4 Ca 1934/99 –).
Am 21. Juni 2000 faßte das Presbyterium der Beklagten den Beschluß, das Arbeitsverhältnis der Klägerin “vorbehaltlich der kirchenaufsichtlichen Genehmigung” zum 31. Dezember 2000 zu kündigen. Ausweislich eines von der Beklagten vorgelegten Schreibens des Landeskirchenamtes vom 23. Juni 2000 erteilte dieses die kirchenaufsichtliche Genehmigung.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2000, das der Klägerin am Tage darauf zuging, erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2000.
Ein Beteiligungsverfahren nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz (MVG) ging der Kündigung nicht voraus. Wie im Revisionsverfahren nicht mehr streitig ist, hatte die frühere Mitarbeitervertretung (MAV) am 27. September 1999 ihren Rücktritt beschlossen. Am 28. Oktober 1999 fand eine Mitarbeiterversammlung statt, auf der ein Wahlvorstand für die Neuwahl einer MAV gewählt wurde. Zur Neuwahl kam es dann jedoch nicht, weil sich keine Kandidaten zur Verfügung stellten.
Die Klägerin hält die Kündigung vom 28. Juni 2000 für unwirksam. Die Kündigung scheitere schon deshalb, weil das Presbyterium den Kündigungsbeschluß zu einem Zeitpunkt gefaßt habe, als die kirchenaufsichtliche Genehmigung noch nicht vorgelegen habe. Ferner habe die Beklagte ein Beteiligungsverfahren nach dem MVG durchführen müssen. Unter Berufung auf das sachverständige Zeugnis der sie behandelnden Ärzte R und M hat die Klägerin vorgetragen, nach eigener Befindlichkeit gehe sie davon aus, der Beklagten spätestens am Ende des ersten Quartals 2001 vollschichtig zur Verfügung zu stehen.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die arbeitgeberseitige Kündigung vom 28. Juni 2000 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat um Abweisung der Klage gebeten. Es reiche aus, daß die kirchenaufsichtliche Genehmigung bei Ausspruch der Kündigung vorgelegen habe. Die MAV habe seit ihrem Rücktritt nicht mehr existiert. Der am 28. Oktober 1999 gebildete Wahlvorstand nehme die Aufgaben der MAV nach dem MVG längstens für einen Zeitraum von sechs Monaten wahr. Nach Ablauf dieses Zeitraums bestehe keine Möglichkeit zur Durchführung eines Beteiligungsverfahrens. Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs sei mit einer Wiederherstellung der Gesundheit der Klägerin auf absehbare Zeit – zumindest für die folgenden 24 Monate – nicht zu rechnen gewesen. Objektive Anhaltspunkte für eine Besserung habe die Klägerin nicht benannt. Die Beklagte habe während der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin immer wieder mit befristet tätigen Vertretungskräften arbeiten müssen. Weitere Überbrückungsmaßnahmen seien ihr nicht zumutbar. Die Interessenabwägung müsse, da die Klägerin noch relativ jung sei und das Arbeitsverhältnis bis zum Beginn der Erkrankungen nicht allzu lange bestanden habe, zugunsten der Beklagten ausgehen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin nach Beweisaufnahme zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
- Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Kündigung sei weder formell zu beanstanden noch als Wiederholungskündigung unwirksam. Sie sei durch Gründe in der Person der Klägerin bedingt und deshalb nicht sozialwidrig iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Die für die Wirksamkeit einer Kündigung aus Anlaß einer Langzeiterkrankung gegebenen drei Voraussetzungen seien erfüllt. Die negative Zukunftsprognose sei durch die seit 1993 bestehende Arbeitsunfähigkeit indiziert. Zwar habe der behandelnde Arzt der Klägerin in seiner schriftlichen Aussage als sachverständiger Zeuge erklärt, bei Ausspruch der Kündigung sei nicht absehbar gewesen, daß die Klägerin länger als bis März 2001 arbeitsunfähig bleiben würde. Auf diese positive Zukunftsprognose könne sich die Klägerin jedoch nicht berufen, weil sie vorprozessual treuwidrig die Aufklärung der objektiv vorherrschenden gesundheitlichen Situation verhindert habe. Eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen folge daraus, daß bei Ausspruch der Kündigung die Genesung der Klägerin völlig ungewiß gewesen sei. Das habe durchaus auch für die vom Bundesarbeitsgericht geforderte Dauer von 24 Monaten gegolten, wie sich aus einer Gesamtwürdigung der schriftlichen Aussage des sachverständigen Zeugen Dr. M ergebe. Abgesehen davon sei der vom Bundesarbeitsgericht gesetzte Rahmen von 24 Monaten im vorliegenden Fall unangemessen, weil die Beklagte ungewöhnlich lange mit der Kündigung gewartet und damit die Zukunftsprognose vorweggenommen habe. Die Interessenabwägung gehe zu Lasten der Klägerin aus. Sie sei jung genug, um einen neuen beruflichen Anfang zu starten, und ihre Bindung an die Beklagte falle angesichts eines nur anfangs ungestörten Beschäftigungsverlaufs nicht so sehr ins Gewicht.
Dem folgt der Senat nur in Teilen der Begründung.
Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht festgestellt, daß die Kündigung nicht als sogenannte “Wiederholungskündigung” unwirksam ist. Die Beklagte war nicht gehindert, die Kündigung auf die Gründe zu stützen, aus denen sie die vorausgegangene Kündigung erklärt hatte.
- Ist in einem Kündigungsrechtsstreit entschieden, daß das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nur dann nicht auf die Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat, wenn diese in dem ersten Kündigungsschutzprozeß materiell geprüft worden sind mit dem Ergebnis, daß sie die Kündigung nicht rechtfertigen können (Senat 26. August 1993 – 2 AZR 159/93 – BAGE 74, 143; 5. Februar 1998 – 2 AZR 227/97 – BAGE 88, 10).
- Im Prozeß um die Kündigung der Beklagten vom 25. Juni 1999 hat eine solche materielle Prüfung nicht stattgefunden. Das Arbeitsgericht hat die Unwirksamkeit der Kündigung vielmehr deshalb festgestellt, weil es an der Durchführung des Beteiligungsverfahrens nach dem MVG fehlte. Außerdem kommt es für die Begründetheit der Krankheitskündigung auf die Gesundheitsprognose im Zeitpunkt der Kündigung an. Mit diesem ändert sich zugleich der Kündigungssachverhalt.
Die Kündigung ist nicht wegen fehlender Beteiligung der MAV unwirksam.
Das Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland (Mitarbeitervertretungsgesetz – MVG) vom 6. November 1992 (ABl. EKD 1992 S 445), zuletzt geändert durch Kirchengesetz vom 5. November 1998 (ABl. EKD 1998 S 478), trifft, soweit von Interesse, folgende Regelungen:
“ § 7 MVG
Neubildung von Mitarbeitervertretungen
Sofern keine Mitarbeitervertretung besteht, hat die Dienststellenleitung … unverzüglich eine Mitarbeiterversammlung zur Bildung eines Wahlvorstandes einzuberufen. Kommt die Bildung einer Mitarbeitervertretung nicht zustande, so ist auf Antrag von mindestens drei Wahlberechtigten und spätestens nach Ablauf einer Frist von jeweils längstens einem Jahr erneut eine Mitarbeiterversammlung einzuberufen, um einen Wahlvorstand zu bilden.
§ 16
Neuwahl der Mitarbeitervertretung vor Ablauf der Amtszeit
Gem. § 42 b, § 41 Abs. 3, § 38 MVG darf eine ordentliche Kündigung erst ausgesprochen werden, wenn die MAV zugestimmt hat oder die Zustimmung durch die Schlichtungsstelle ersetzt worden ist.
- Nach den für den Senat bindenden und auch von der Klägerin nicht mehr bestrittenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war die zuständige Mitarbeitervertretung am 30. September 1999 zurückgetreten. Am 28. Oktober 1999 wurde in einer Mitarbeiterversammlung ein Wahlvorstand gewählt. Zur Wahl einer Mitarbeitervertretung kam es dann jedoch nicht. Das Landesarbeitsgericht hat also zu Recht angenommen, daß bei Ausspruch der Kündigung im Juni 2000 eine MAV nicht bestand. Wie das Landesarbeitsgericht ebenfalls zutreffend angenommen hat, konnte die Beklagte den am 28. Oktober 1999 gewählten Wahlvorstand nicht beteiligen, weil dessen Mandat gem. § 16 Abs. 2 Satz 2 MVG am 28. April 2000 abgelaufen war (vgl. Fey-Rehren Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der Evangelischen Kirche in Deutschland Praxiskommentar Stand Januar 2000 § 16 MVG Rn. 7).
Ohne Erfolg rügt die Revision, die Beklagte habe es treuwidrig (§ 242 BGB) unterlassen, die Mitarbeiter darüber zu unterrichten, daß ohne Neuwahl einer Mitarbeitervertretung die Kündigungsmöglichkeiten der Beklagten erweitert würden.
- Anders als das Betriebsverfassungsgesetz sieht § 7 MVG allerdings eine Initiativpflicht des Arbeitgebers zur Wahl einer Mitarbeitervertretung vor. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte jedoch nachgekommen, indem sie am 28. Oktober 1999 eine Mitarbeiterversammlung einberief. Nunmehr war es Sache des Wahlvorstandes und der Mitarbeiter, eine Mitarbeitervertretung zu wählen. Darüber hinausgehende Unterrichtungspflichten sieht das MVG nicht vor. Erst nach Ablauf eines Jahres mußte die Beklagte erneut eine Mitarbeiterversammlung einberufen. Ob sie dieser Verpflichtung nachgekommen ist, kann dahinstehen, weil die Kündigung vor Ablauf dieser Jahresfrist ausgesprochen wurde.
- Die Beklagte handelt nicht treuwidrig, wenn sie sich auf die fehlende Pflicht zur Durchführung eines Beteiligungsverfahrens beruft. Treuwidrigkeit könnte allenfalls dann angenommen werden – unter dem Gesichtspunkt der Vereitelung von Rechten der Gegenpartei (vgl. auch § 162 Abs. 1 BGB, § 815 BGB) –, wenn die Beklagte die Bildung einer Mitarbeitervertretung behindert oder nicht pflichtgemäß gefördert hätte. Die Beklagte hat aber ihre Pflichten nach dem MVG erfüllt. Daß sich kein Mitarbeiter zur Kandidatur bereit fand, ist ihr nicht anzulasten.
Zu Unrecht meint die Revision, die Kündigung sei unter einer Bedingung ausgesprochen worden und deshalb unwirksam. Das Kündigungsschreiben lautet:
“Wir kündigen hiermit das Arbeitsverhältnis mit Ihnen aus personenbedingten Gründen (Arbeitsunfähigkeit von nicht absehbarer Dauer) fristgemäß zum 31.12.2000.”
Damit ist die Wirksamkeit der Kündigung nicht vom Eintritt oder Nichteintritt eines Ereignisses abhängig gemacht worden. Die Kündigung ist unbedingt erklärt.
Ebenfalls zu Unrecht macht die Revision eine Verletzung von § 180 BGB geltend. Diese Vorschrift regelt das Schicksal einseitiger Rechtsgeschäfte des vollmachtlosen Vertreters. Die Kündigung ist jedoch nicht von einem vollmachtlosen Vertreter ausgesprochen worden, sondern von der Beklagten selbst. Arbeitgeberin und damit Vertragspartnerin der Klägerin ist allein die als Körperschaft des öffentlichen Rechts verfaßte beklagte Kirchengemeinde.
Allerdings bedarf nach § 3 Nr. 3, § 5 Abs. 2 Nr. 7 der Verordnung über die kirchenaufsichtliche Genehmigung dienst- und arbeitsrechtlicher Maßnahmen (Genehmigungsverordnung – GenVO) vom 29. November 1995 (KABl. 1996 S 5 ff.) die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses der vorherigen Genehmigung durch das Landeskirchenamt. Darin liegt indes keine Beschränkung der Vertretungsmacht. Die genannten Vorschriften beinhalten vielmehr das Zustimmungserfordernis eines Dritten, das in §§ 182 bis184 BGB geregelt ist. Als zustimmungsbedürftiges Rechtsgeschäft ist in § 3 Nr. 3 GenVO die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bezeichnet. Wie sich aus § 182 Abs. 3 BGB ergibt, muß, wenn die Wirksamkeit eines einseitigen Rechtsgeschäfts von einer vorherigen Zustimmung (= Einwilligung) abhängt, die Einwilligung erst bei Vornahme des Rechtsgeschäfts vorliegen. Erst in diesem Zeitpunkt kann nämlich der Erklärungsempfänger die Vorlage der schriftlichen Einwilligung verlangen (§ 182 Abs. 3 BGB iVm. § 111 Satz 2, 3 BGB). Dem ist hier Genüge getan. Das Landesarbeitsgericht hat bindend und ohne daß die Revision hiergegen Verfahrensrügen erhoben hätte, festgestellt, bei Ausspruch der Kündigung habe die kirchenaufsichtliche Genehmigung vorgelegen. Daß die Genehmigung im Zeitpunkt, als das Presbyterium den Kündigungsentschluß faßte, noch nicht vorlag, ist unerheblich. Das nach § 3 Nr. 3 GenVO genehmigungsbedürftige Rechtsgeschäft ist nicht der Beschluß des Presbyteriums, sondern die Kündigung selbst.
Zutreffend rügt dagegen die Revision eine fehlerhafte Anwendung des § 1 Abs. 2 KSchG durch das Berufungsgericht.
- Davon hat das Landesarbeitsgericht indes abgesehen, weil es die Berufung der Klägerin auf die von ihr behauptete günstige Prognose und die ihr günstige Aussage des sachverständigen Zeugen Dr. M als treuwidrig angesehen und angenommen hat, deshalb sei eine negative Prognose zu unterstellen.
- Dem stimmt der Senat nicht zu.
- Es kann dahinstehen, ob die Klägerin, wie das Landesarbeitsgericht entgegen der herrschenden Meinung (vgl. von Hoyningen-Huene/Linck KSchG 13. Aufl. § 1 Rn. 223 ff. mwN) meint, schon nach allgemeinen Grundsätzen verpflichtet war, vorprozessual ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, wie es die Beklagte von der Klägerin verlangt hat. Ebenfalls offenbleiben kann, ob eine solche Verpflichtung gem. § 7 Abs. 2 BAT KF bestand. Selbst wenn die Klägerin sich vorprozessual zu Unrecht geweigert hätte, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, wäre es ihr nicht verwehrt, die von der Beklagten behauptete negative Gesundheitsprognose zu bestreiten. Eine Rechtsvorschrift hat das Landesarbeitsgericht zur Stützung seiner gegenteiligen Auffassung nicht genannt, sondern das Verhalten der Klägerin lediglich als treuwidrig bezeichnet.
- Der Vorschrift des § 242 BGB ist allerdings ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu entnehmen, das auch Auswirkungen auf den Zivilprozeß haben kann (vgl. etwa BGH 21. Juni 2000 – IV ZR 157/99 – MDR 2000, 1247; 14. Juni 1967 – IV ZR 21/66 – NJW 1968, 794; 27. September 1984 – IX ZR 53/83 – BGHZ 92, 194). So kann es einer Partei im Prozeß verwehrt sein, sich auf eine für die Gegenseite ungünstige Beweislage zu berufen, wenn sie diese ungünstige Beweislage vorprozessual selbst herbeigeführt hatte. In diesem Sinne hat der Bundesgerichtshof etwa einem Versicherer, der das Original eines Versicherungsantrags vorprozessual vernichtet hatte, die Berufung darauf versagt, der Versicherungsantrag sei nicht mit einer (echten) Unterschrift versehen (BGH aaO). Indes hat sich durch das vorprozessuale Verhalten der Klägerin die Beweislage der Beklagten im Kündigungsschutzprozeß nicht geändert: Für die Rechtfertigung der Kündigung kommt es auf die objektive Lage bei Ausspruch der Kündigung an. Ob im Streitfall bei Zugang der Kündigung eine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt war oder nicht, hat nichts damit zu tun, ob die Klägerin vorprozessual ihre Ärzte von der Schweigepflicht entband. Die Entbindung von der Schweigepflicht hat weder Auswirkungen auf den Gesundheitszustand noch auf dessen Beweisbarkeit. Auch eine etwa vom behandelnden Arzt vorprozessual abgegebene Prognose bindet keine der Parteien im etwa sich anschließenden Prozeß. Nicht der Gesundheitszustand der Klägerin und damit die Rechtfertigung der Prognose wurde durch das Verhalten der Klägerin beeinflußt, sondern allein die Möglichkeit der Beklagten, vor Prozeßbeginn Kenntnis über den Gesundheitszustand der Klägerin zu erlangen und damit ihre Prozeßaussichten einzuschätzen.
- Gem. § 242 BGB kann die Geltendmachung von Rechten auch dann unzulässig sein, wenn sich die handelnde Partei zuvor selbst vertragsuntreu verhalten hat. So ist dem Verkäufer im Prozeß die Berufung auf einen vertraglichen Selbstbelieferungsvorbehalt nicht gestattet, wenn er das Deckungsgeschäft nicht mit der nötigen Sorgfalt abgeschlossen hat (BGH 14. November 1984 – VIII ZR 283/83 – BGHZ 92, 396). Indes führt nicht jeder Vertragsverstoß zum Verlust eigener Rechte. Das ist nur dann der Fall, wenn die vertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen nicht ausreichen, um die anspruchstellende Partei zur Vertragstreue anzuhalten. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen, so kann der Arbeitgeber ihn auf Erfüllung in Anspruch nehmen und bei Weigerung eine Abmahnung oder ggf. auch eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen aussprechen (BAG 6. November 1997 – 2 AZR 801/96 – AP BGB § 626 Nr. 142 = EzA BGB § 626 nF Nr. 171; Hess. LAG 18. Februar 1999 – 12 Sa 716/97 – LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 70; vgl. auch KR-Etzel 6. Aufl. § 1 KSchG Rn. 368). Ob darüber hinaus ein Arbeitnehmer, der rechtswidrig und schuldhaft eine Fehleinschätzung des Prozeßrisikos beim Arbeitgeber verursacht, diesem zum Ersatz des entstandenen Schadens (vergeblich aufgewandte Rechtsverfolgungskosten) verpflichtet ist, steht hier nicht zur Entscheidung. Die Beklagte ist jedenfalls nicht rechtlos gestellt. Einer weiteren Sanktionierung durch Verlust prozessualer Rechte der Klägerin bedarf es nicht.
Mit der Annahme, eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen liege auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen vor, verletzt das Landesarbeitsgericht § 286 Abs. 1 ZPO, wie die Revision zutreffend rügt. Das Landesarbeitsgericht hat bei Prüfung der Frage, ob betriebliche Interessen beeinträchtigt seien – 2. Stufe –, die schriftliche Aussage des sachverständigen Zeugen Dr. M zu Unrecht dahingehend gewürdigt, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin sei bei Ausspruch der Kündigung im Juni 2000 völlig ungewiß und mit einer anderen Prognose für die nächsten 24 Monate sei nicht zu rechnen gewesen.
- Eine vom Berufungsgericht gem. § 286 Abs. 1 ZPO vorgenommene Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme ist durch das Revisionsgericht nur beschränkt nachprüfbar. Dieses kann lediglich überprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen und die Grenzen des § 286 Abs. 1 ZPO gewahrt und eingehalten hat. Revisionsrechtlich von Bedeutung ist deshalb nur, ob das Berufungsgericht tatsächlich den gesamten Inhalt der Verhandlungen berücksichtigt und alle erhobenen Beweise gewürdigt hat, ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze ist und ob sie rechtlich möglich ist (BAG 1. Oktober 1997 – 5 AZR 685/96 – BAGE 86, 347 mwN). Dabei verlangt die Berücksichtigung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nicht eine Würdigung jeder Einzelausführung eines Zeugen oder Sachverständigen. Es reicht aus, daß insgesamt widerspruchsfrei und umfassend zum Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung genommen wird (BAG 25. Februar 1998 – 2 AZR 327/97 – nv., zu II 1 der Gründe mwN; 21. März 2001 – 5 AZR 352/99 – AP MuSchG 1968 § 3 Nr. 16 = EzA MuSchG § 3 Nr. 7).
Auch diesem eingeschränkten Überprüfungsmaßstab hält die Würdigung durch das Landesarbeitsgericht nicht stand. Der sachverständige Zeuge hat in seiner schriftlichen Aussage vom 15. Januar 2001 wörtlich ausgeführt:
“Es war zum damaligen Zeitpunkt nicht absehbar, daß die AU noch so lange andauern würde.”
Dies ist das Gegenteil dessen, was das Landesarbeitsgericht als durch die Aussage des Zeugen erwiesen angesehen hat. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts ist auch widersprüchlich, weil das Berufungsurteil an anderer Stelle die Prognose des sachverständigen Zeugen ausdrücklich als “günstig” bezeichnet. Auch soweit das Landesarbeitsgericht seine Gesamtwürdigung mit angeblichen Widersprüchen in den Stellungnahmen des Zeugen begründet, kann ihm nicht gefolgt werden. In seiner ersten Stellungnahme vom 11. Januar 2001 hat der Zeuge eine Prognose nach dem Stand Januar 2001 abgegeben. Die Erwartung einer Genesung der Klägerin in den nächsten acht Wochen hat er mit einer allmählichen Besserung, einem Nachlassen pathologischer Heilreaktionen und dem Einsatz zusätzlicher Therapien begründet. Darin liegt kein Widerspruch zu der schriftlichen Aussage vom 15. Januar 2001. Ebensowenig durfte das Landesarbeitsgericht seine Beweiswürdigung damit begründen, die vorausgegangene Weigerung der Klägerin, die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, wirke nach. Die Weigerung der Klägerin hatte ersichtlich weder Einfluß auf ihren Gesundheitszustand noch auf die Aussage des Zeugen.
Soweit das Landesarbeitsgericht in seiner Hilfserwägung angenommen hat, die betrieblichen Interessen seien hier deshalb beeinträchtigt, weil es angesichts der langjährigen Vorerkrankung der Klägerin ausreichen müsse, daß die negative Prognose für die Dauer einer halbjährigen Kündigungsfrist beschrieben sei, ist wiederum § 1 Abs. 2 KSchG verletzt.
- Von einer Beeinträchtigung betrieblicher Interessen ist in aller Regel auch ohne weitere Darlegungen dann auszugehen, wenn bei Ausspruch der Kündigung für die nächsten 24 Monate nicht mit einer günstigeren Prognose zu rechnen ist. Der Arbeitgeber kann nämlich für diesen Zeitraum eine Ersatzkraft einstellen (vgl. Senat 29. April 1999 aaO – s. jetzt § 14 Abs. 2 TzBfG).
- Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, daß sich die Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auch aus anderen Gründen ergeben kann. Vielmehr ist lediglich – im positiven Sinne – eine Regel angegeben, mit deren Hilfe die Beeinträchtigung betrieblicher Interessen leicht festgestellt werden kann. Soweit aber das Landesarbeitsgericht auf die langjährige Vorerkrankung der Klägerin und die von der Beklagten geübte Zurückhaltung abhebt, haben diese Umstände keinen Zusammenhang mit der zukünftigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen. Allein darum geht es aber auf dieser Stufe. Die personenbedingte Kündigung ist keine Sanktion für vergangene Vertragsstörungen. Sie ist zukunftsbezogen und gibt dem Arbeitgeber die Möglichkeit, zu erwartenden betrieblichen Beeinträchtigungen zuvorzukommen. Für die betrieblichen Beeinträchtigungen kommt es auf den künftigen Handlungsspielraum des Arbeitgebers im Zeitpunkt der Kündigung an, nicht aber darauf, ob er, wie das Landesarbeitsgericht anführt, in der Vergangenheit Zurückhaltung geübt hat. Der vom Landesarbeitsgericht herangezogene Zeitraum der längsten Kündigungsfrist hat demgegenüber keinen erkennbaren Bezug zu der Frage, ob dem Arbeitgeber eine Überbrückung der zu erwartenden Krankheitszeiten zugemutet werden kann. Die Kündigungsfrist muß der Arbeitgeber ohnedies von Gesetzes wegen einhalten.
- Die Verletzung von § 1 Abs. 2 KSchG und § 286 Abs. 1 ZPO führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, das sich nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 563 ZPO). Voraussetzung der sozialen Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung ist in jedem Fall eine negative Gesundheitsprognose (1. Stufe). An dieser fehlt es bisher ebenso wie an Tatsachen, aus denen sich eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen ergäbe (2. Stufe).
Der Rechtsstreit ist auf der Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen Feststellungen nicht zur Endentscheidung reif (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).
Unterschriften
Rost, Bröhl, Schmitz-Scholemann, Engel, Bühler
Fundstellen
Haufe-Index 781873 |
BAGE 2003, 39 |
BB 2002, 2675 |
DB 2002, 1943 |
NJW 2002, 3271 |
NWB 2002, 2999 |
BuW 2002, 966 |
BuW 2003, 307 |
EBE/BAG 2002, 138 |
ARST 2002, 275 |
FA 2002, 322 |
FA 2002, 330 |
JR 2003, 132 |
NZA 2002, 1081 |
SAE 2004, 7 |
ZAP 2002, 1153 |
ZTR 2002, 547 |
AP, 0 |
AuA 2003, 54 |
DSB 2003, 13 |
EzA-SD 2002, 12 |
EzA |
MDR 2002, 1255 |
PERSONAL 2002, 50 |
PERSONAL 2002, 55 |
AUR 2002, 356 |
ArbRB 2002, 294 |
RdW 2003, 55 |
BAGReport 2003, 5 |
LL 2003, 23 |
SPA 2002, 6 |