Entscheidungsstichwort (Thema)
Mittelbare Frauendiskriminierung in der Altersversorgung
Leitsatz (redaktionell)
1. Art 119 EWG-Vertrag verbietet Entgeltregelungen, bei denen das Entgelt unmittelbar vom Geschlecht der Arbeitnehmer abhängt (unmittelbare Diskriminierung). Art 119 EWG-Vertrag verbietet aber auch Entgeltregelungen, durch die eine Arbeitnehmergruppe mittelbar benachteiligt wird.
2. Das Lohngleichheitsgebot des Art 119 EWG-Vertrag gilt auch für betriebliche Versorgungsleistungen.
3. Der objektive Tatbestand einer mittelbaren Diskriminierung ist erfüllt, wenn eine Versorgungsordnung zwar unterschiedslos auf Männer und Frauen anzuwenden ist, ausschließende Bestimmungen aber für die Personen eines Geschlechts wesentlich nachteiligere Wirkungen entfalten als bei Personen des anderen Geschlechts und diese nachteiligen Wirkungen auf dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle beruhen.
4. Eine unterschiedliche Behandlung der Personen eines Geschlechts ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie einem unabweisbaren Bedürfnis des Unternehmens dient, für die Erreichung der unternehmerischen Ziele geeignet und unter Berücksichtigung der Bedeutung des Grundsatzes der Lohngleichheit nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist. Der Arbeitgeber hat Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, die diese unterschiedliche Behandlung rechtfertigen sollen.
5. Die Versorgungsordnung eines Kaufhauses, die Teilzeitbeschäftigte von Leistungen ausschließt, benachteiligt Frauen.
6. Verstößt eine Versorgungsordnung gegen das Lohngleichheitsgebot, weil sie Teilzeitbeschäftigte von der Versorgung ausschließt, ist nicht die gesamte Versorgungsordnung nichtig, sondern nur die ausschließenden, diskriminierenden Bestimmungen (Bestätigung BAG vom 14.10.1986 3 AZR 66/83 = BAGE 53, 161 = AP Nr 11 zu Art 119 EWG-Vertrag.
Orientierungssatz
Teilzeitarbeit ist typische Frauenarbeit. Nur bei Teilzeitarbeit kann die verheiratete Frau im Regelfall den Anforderungen von Beruf und Familie gerecht werden.
Normenkette
GG Art. 20; BGB §§ 139, 157, 242; EWGVtr Art. 119; GG Art. 3 Abs. 2; BetrAVG § 1; KSchG § 1 Fassung 1951-08-10, § 1 i.d.F des Gesetzes vom 25. September 1996 (BGBl. I S. 1476)
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 12.02.1987; Aktenzeichen 1 Sa 73/84) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 27.09.1984; Aktenzeichen A 16 Ca 118/80) |
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten, ihrer früheren Arbeitgeberin, eine Betriebsrente.
Die im November 1919 geborene Klägerin war vom 2. August 1942 bis zum 22. Juni 1962 mit zum Teil mehrjährigen Unterbrechungen bei der Beklagten als Verkäuferin in deren Kaufhaus in Hamburg beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis war wegen einer längeren Erkrankung der Klägerin gelöst worden.
Am 19. November 1964 trat die Klägerin erneut in die Dienste der Beklagten. Sie war aufgrund 24 befristeter Arbeitsverträge bis zum 30. Januar 1971 als Teilzeitbeschäftigte bei der Beklagten tätig. Die Klägerin wählte die Teilzeitbeschäftigung aus gesundheitlichen Gründen. Zwischen den einzelnen Arbeitsverhältnissen liegen Unterbrechungen von vier bis 39 Tagen. Vom 3. März 1971 bis zum 30. November 1979 war die Klägerin unbefristet als Teilzeitbeschäftigte bei der Beklagten beschäftigt. Alsdann trat sie mit Erreichen des 60. Lebensjahres in den Ruhestand.
Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach einer Versorgungsordnung vom 30. September 1966 und 17. Januar 1969. In § 2 dieser Versorgungsordnung heißt es:
"1. Altersrente erhalten Mitarbeiter, die mindestens
20 Jahre ununterbrochen als Vollbeschäftigte tä-
tig sind und im unmittelbaren Anschluß an die Tä-
tigkeit bei der Firma nach Vollendung des 65. Le-
bensjahres in den Ruhestand treten.
2. Altersrente erhalten auch Mitarbeiter, die - volle
Arbeitsfähigkeit vorausgesetzt - nach Vollendung
des 65. Lebensjahres noch die an der Wartezeit feh-
lenden Jahre tätig gewesen sind.
3. Weibliche Mitarbeiter erhalten eine Altersrente
nach dieser Versorgungsordnung bereits nach Voll-
endung des 60. Lebensjahres, wenn nach einer Be-
triebszugehörigkeit gem. Abs. 1
a) ...
b) diese aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden
und die vorgezogene Altersrente beziehen."
Die Betriebsrente der Klägerin würde - entsprechend ihrem Einkommen - 225,-- DM monatlich betragen.
Die Beklagte beschäftigte von 1972 bis 1980 rd. 73 % weibliche und rd. 27 % männliche Beschäftigte. Davon waren die männlichen Beschäftigten zu rd. 90 % in Vollzeit und die weiblichen zu rd. 60 % in Vollzeit tätig. Im Gesamtkonzern werden 2.161 Betriebsrenten gezahlt; von den Bezugsberechtigten sind 1.756 Frauen. Das ist ein Anteil von 81,3 %.
Die Klägerin hat behauptet, nach ihrer Genesung im Jahre 1964 sei ihr eine Dauerstellung wegen ihrer früheren Erkrankung verweigert worden. Für die Befristungen habe es keinen sachlichen Grund gegeben. Sie habe mithin die 20jährige Wartezeit erfüllt. Während der letzten Unterbrechung vom 31. Januar bis zum 2. März 1971 habe sie ihren Jahresurlaub genommen. Ihre Festanstellung sei bereits zuvor verabredet worden. Die Teilzeitbeschäftigung stehe der Erfüllung der Wartezeit nicht entgegen. Teilzeitbeschäftigte dürften nicht schlechthin aus der betrieblichen Altersversorgung ausgenommen werden.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an sie für
die Zeit vom 1. Dezember 1979 bis zum
30. August 1984 12.825,-- DM nebst 4 %
Zinsen auf 1.350,-- DM seit dem 29. Mai
1980 und auf den Restbetrag seit dem
27. September 1984 zu zahlen;
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläge-
rin fortlaufend am 1. eines jeden Monats
225,-- DM beginnend mit dem 1. September
1984 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, die Klägerin habe aus gesundheitlichen Gründen nur in befristeten Arbeitsverhältnissen arbeiten wollen. Die Wartezeit habe daher frühestens im Jahre 1971 begonnen. Der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten von der betrieblichen Altersversorgung sei gerechtfertigt. Sie habe damals Anreize für eine Vollzeitbeschäftigung schaffen wollen. Die Beschäftigung von Teilzeitarbeitskräften verursache erhöhte Nebenkosten für Arbeitsgerät und Arbeitskleidung, Zuschüsse zum Fahrgeld und zum Kantinenessen sowie bei Personalrabatten. Ferner seien die Personalverwaltungskosten höher; die Zahl der Betriebsräte steige entsprechend der Kopfzahl der Beschäftigten und die Ausgleichsabgabe für Schwerbehinderte erhöhe sich. Auf dem Arbeitsmarkt habe sie keine Teilzeitkräfte für die umsatzstarken Zeiten an späten Nachmittagen, frühen Abenden und an Samstagen finden können.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage für die Zeit ab 1. Juni 1985 in Höhe von 163,13 DM monatlich stattgegeben und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin kann von der Beklagten eine Betriebsrente verlangen. Sie erfüllt ab 1. Juni 1985 alle Voraussetzungen, von denen der Anspruch nach der Versorgungsordnung abhängig ist.
I. Die Klägerin hat die Wartezeit von 20 Jahren Ende Mai 1985 erfüllt.
1. Die Klägerin war vom 26. Mai 1965 bis zum 30. November 1979 im Sinne der Versorgungsordnung ununterbrochen bei der Beklagten beschäftigt.
a) Die Klägerin wurde nach mehr als zweijähriger Unterbrechung ihres Arbeitsverhältnisses am 19. November 1964 wieder von der Beklagten eingestellt. Die Beschäftigung erfolgte vom 19. November 1964 bis zum 30. Januar 1971 aufgrund 24 befristeter Arbeitsverträge. Das Landesarbeitsgericht hat aber zu Recht angenommen, daß zumindest die Befristungen ab dem 26. Mai 1965 unwirksam sind mit der Rechtsfolge, daß ein Dauerarbeitsverhältnis entstanden ist.
b) Nach § 620 BGB können sowohl befristete als auch unbefristete Arbeitsverhältnisse begründet werden. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses ist dann rechtsunwirksam, wenn der Zweck einer zwingenden Rechtsnorm des Kündigungsschutzes vereitelt wird und keine sachlichen Gründe für eine Befristung bestehen, die es unter Abwägung der wechselseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen rechtfertigten, dem Arbeitnehmer den Kündigungsschutz zu nehmen (BAGE GS 10, 65, 70 ff. = AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu C I, 2, 3 der Gründe). Von diesem, vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts bereits im Jahre 1960 erarbeiteten und die einzelnen Senate bindenden Rechtssatz (§ 45 Abs. 2 ArbGG) ist die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ständig ausgegangen.
c) Durch den Abschluß befristeter Arbeitsverträge konnte die Klägerin dem Kündigungsschutz entzogen werden. Nach § 1 Abs. 1 KSchG in der Fassung vom 10. August 1951 (BGBl I, 499) ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, der länger als sechs Monate ohne Unterbrechung in demselben Betrieb oder Unternehmen beschäftigt ist und das 20. Lebensjahr vollendet hat, rechtsunwirksam. Am 26. Mai 1965 konnte die zu dem damaligen Zeitpunkt 45 Jahre alte Klägerin auf eine sechsmonatige Beschäftigung zurückblicken. Daß diese Beschäftigung infolge der Befristung des ersten Arbeitsverhältnisses auf den 13. Februar 1965 rechtlich unterbrochen war, ist unerheblich. Unterbrechungen der Beschäftigung oder des rechtlichen Bestandes des Arbeitsverhältnisses sind dann unschädlich, wenn die Unterbrechung nur kurzfristig ist, die Arbeitsverhältnisse in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen und der Arbeitnehmer auf demselben Arbeitsplatz weiterbeschäftigt wird (BAGE 16, 345, 349 = AP Nr. 79 zu § 1 KSchG, zu II 1 c der Gründe; BAG Urteil vom 21. Dezember 1967 - 2 AZR 62/67 - AP Nr. 2 zu § 1 KSchG Wartezeit; BAGE 28, 176, 180 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu I 2 der Gründe; 28, 252, 254 f. = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG Wartezeit, zu 3 der Gründe; Urteil vom 18. Januar 1979 - 2 AZR 254/77 - AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit, zu I 2 der Gründe). Die erste Unterbrechung hat nur fünf Kalendertage betragen, nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ist nur ein Arbeitstag ausgefallen, weil die Klägerin wegen der vereinbarten dreitägigen Arbeitszeit in der Woche an den übrigen Kalendertagen ohnehin nicht zu arbeiten brauchte. Die Klägerin ist jeweils als Verkäuferin beschäftigt worden.
d) Für die Befristung hat es keine sachlich rechtfertigenden Gründe gegeben.
Eine befristete aushilfsweise Beschäftigung ist zulässig, wenn ein vorübergehend ausgefallener Arbeitnehmer ersetzt oder ein vorübergehender Arbeitsanfall behoben werden soll (BAG Urteil vom 30. September 1981 - 7 AZR 602/79 - AP Nr. 63 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu 2, 3 der Gründe; BAGE 42, 203, 207 = AP Nr. 76 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu II 2 der Gründe; 44, 107 = AP Nr. 77 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu III 1 der Gründe). Derartige Gründe haben nach der Feststellung des Landesarbeitsgerichts nicht vorgelegen. Die Klägerin ist über einen Zeitraum von sieben Jahren mehrfach befristet beschäftigt worden. Daß in diesem Zeitraum jeweils ein Vertretungsbedarf oder ein untypischer Aushilfsbedarf bestanden hätte, hat die Beklagte nicht behauptet.
Ebensowenig kann sich die Beklagte darauf berufen, daß die Arbeitsverhältnisse auf Wunsch der Klägerin befristet worden seien. Der Wunsch eines Arbeitnehmers kann nur dann von Bedeutung sein, wenn der Arbeitnehmer in seiner Entscheidungsfreiheit nicht beeinträchtigt ist (BAGE 25, 125, 127 = AP Nr. 38 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu I 2, 3 der Gründe; Urteil vom 26. April 1985 - 7 AZR 316/84 - AP Nr. 91 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu III 3 der Gründe). Die Beklagte hat keinen Beweis für ihre Behauptung angetreten, daß die Klägerin eine Vertragsgestaltung gewollt habe, die ihr nur nachteilig sein konnte. Die Klägerin hat dagegen behauptet, nur wegen ihrer Erkrankung in den Jahren von 1962 bis 1964 seien ihr ab 1964 nur befristete Arbeitsverhältnisse angeboten worden; der Beklagten sei das Risiko einer erneuten Erkrankung zu groß gewesen.
Die Befristungen sind damit unwirksam. Das Arbeitsverhältnis hat seit 1964 als Dauerarbeitsverhältnis bestanden. Daß die Arbeitsleistung der Klägerin in dieser Zeit vorübergehend nicht abgerufen worden ist, ist unerheblich (vgl. BAGE 34, 123, 126 = AP Nr. 6 zu § 1 BetrAVG Wartezeit, zu I 2 der Gründe; Urteil vom 9. März 1982 - 3 AZR 389/79 - AP Nr. 13 zu § 1 BetrAVG Wartezeit, zu I 1 der Gründe; Urteil vom 29. September 1987 - 3 AZR 99/86 - NZA 1988, 311).
2. Die Klägerin konnte den an 20 Jahren fehlenden Rest der Wartezeit noch nach Eintritt in den Ruhestand ab 30. September 1979 zurücklegen. Ist einem Arbeitnehmer eine Versorgungszusage erteilt, so kann er auch noch nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis die Wartezeit erfüllen (§ 1 Abs. 1 Satz 5 BetrAVG).
Die Klägerin war berechtigt, vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Anspruch zu nehmen (§ 25 Abs. 3 AVG). Nach § 6 Satz 1 BetrAVG sind einem Arbeitnehmer, der das Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung vor Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch nimmt, auf sein Verlangen nach Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu gewähren. In den Fällen des § 1 Abs. 1 Satz 5 BetrAVG entsteht der Anspruch auf Betriebsrente, wenn die Wartezeit abgelaufen ist (vgl. BAG Urteil vom 7. Juli 1977 - 3 AZR 422/76 - AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Wartezeit, zu 1 der Gründe; BAGE 29, 227 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Wartezeit, zu I 3 der Gründe). Nach der Versorgungsordnung der Beklagten braucht die 20jährige Wartezeit nicht vor Eintritt eines Versorgungsfalles zurückgelegt werden.
II. Teilzeitbeschäftigte Frauen durfte die Beklagte nicht von der betrieblichen Altersversorgung ausschließen. Der Ausschluß verstößt gegen Art. 119 EWG-Vertrag.
1. Versorgungsregelungen, die Arbeitnehmer nur wegen ihres Geschlechtes von der Versorgung ausnehmen, sind unwirksam.
a) Nach Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag müssen die Mitgliedstaaten den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anwenden und gewährleisten. Das ist nach Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unmittelbar geltendes Recht in den Mitgliedstaaten. Die betroffenen Arbeitnehmer haben einen Anspruch darauf, daß ihre Arbeitgeber das Lohngleichheitsgebot befolgen (Urteile des Europäischen Gerichtshofs vom 8. April 1976 - RS 43/75 - Defrenne II - EuGHE 1976, 1. Teil, S. 455 = NJW 1976 S. 2068 ff., vom 31. März 1981 - RS 96/80 - AP Nr. 2 zu Art. 119 EWG-Vertrag (Jenkins) und vom 13. Mai 1986 - RS 170/84 - AP Nr. 10, aa0 (B); dazu Steindorff RdA 1988, 129, 131). Nach deutschem Recht sind kollektivrechtliche oder einzelvertragliche Regelungen, die gegen das Lohngleichheitsgebot verstoßen, nichtig (§ 134 BGB).
b) Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag gilt auch für betriebliche Versorgungsleistungen. Diese werden zwar nicht im Austausch gegen zeitlich beschränkte Arbeitsleistungen erworben, sondern werden im Verlaufe eines Arbeitslebens erdient und sind erst nach Eintritt eines Versorgungsfalles fällig. Sie gehören aber zur Vergütung im Sinne von Art. 119 Abs. 1 EWG-Vertrag. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 - RS 170/84 - AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; BAGE 46, 71 = AP Nr. 3 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1; 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 1 der Gründe).
2. Das Lohngleichheitsgebot des Art. 119 EWG-Vertrag gilt nicht nur für Vergütungsregelungen, die unmittelbar nach dem Geschlecht differenzieren. Auch eine mittelbare Diskriminierung ist verboten.
a) Der Senat hat den Europäischen Gerichtshof um die Vorabentscheidung gebeten, wann eine mittelbare Diskriminierung von Frauen angenommen werden kann (BAGE 46, 71 = AP Nr. 3 zu Art. 119 EWG-Vertrag). Der Europäische Gerichtshof hat die Voraussetzungen einer mittelbaren Diskriminierung näher konkretisiert. Eine mittelbare Diskriminierung ist dann gegeben, wenn eine Regelung oder Maßnahme zwar unterschiedslos auf Männer oder Frauen anzuwenden ist, diese aber für die Personen eines Geschlechtes wesentlich nachteiligere Wirkungen entfaltet als bei Personen des anderen Geschlechtes und diese nachteiligen Wirkungen auf dem Geschlecht oder der Geschlechtsrolle beruhen (EuGH Urteil vom 13. Mai 1986 - RS 170/84 - AP Nr. 10 zu Art. 119 EWG-Vertrag; dazu dann BAGE 53, 161 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; vgl. auch Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 186 ff.).
b) Diese Voraussetzungen hat das Landesarbeitsgericht festgestellt.
Von dem Ausschluß aus der betrieblichen Altersversorgung sind wesentlich mehr Frauen als Männer nachteilig betroffen. Die Differenzierung zwischen Voll- und Teilzeitbeschäftigten benachteiligt die Frauen. Das Landesarbeitsgericht hat anhand der Personalstatistik des Konzerns, zu dem die Beklagte gehört, und die nach ihrem Vortrag ihrer eigenen entspricht, festgestellt, daß von dem Ausschluß rd. zehnmal mehr Frauen als Männer erfaßt werden.
Für den Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten sind keine anderen Gründe als solche des Geschlechts oder der Geschlechtsrolle der Frau maßgebend. Teilzeitarbeit ist typische Frauenarbeit. Nur bei Teilzeitarbeit kann die verheiratete Frau im Regelfall den Anforderungen von Beruf und Familie gerecht werden. Daß die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagten nur mit Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen wollte, ändert nichts daran, daß die Beklagte die ganze Arbeitnehmergruppe, die in Teilzeit arbeitete, von zusätzlichen Versorgungsleistungen ausgeschlossen hat.
3. Für die mittelbare Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten der Beklagten bestanden keine objektiv rechtfertigenden Gründe.
a) Objektiv rechtfertigende Gründe sind nicht schon sachliche Gründe, die zum Ausschluß des Willkürverbotes bei dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder nach § 2 Abs. 1 BeschFG ausreichen (so aber Palandt/Putzo, BGB, 47. Aufl. 1988, § 611 a Anm. 2 b, bb; Eich, NJW 1980, 2329, 2331). Das aus Art. 3 Abs. 2 GG und Art. 119 EWG-Vertrag folgende Gleichberechtigungsgebot stellt strengere Anforderungen an die Zulässigkeit einer Differenzierung. Dies folgt aus der Wertigkeit der Gleichberechtigung für das Zusammenleben. Ein die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter rechtfertigender Grund ist nur dann gegeben, wenn die unterschiedliche Behandlung einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens dient, für die Erreichung der unternehmerischen Ziele geeignet und nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit erforderlich ist (BAGE 38, 292, 242 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu III 2 a der Gründe; 53, 161, 170 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag, zu II 3 b der Gründe; dazu Hanau/Preis, ZfA 1988, 177, 190 ff.; Schaub, NZA 1984, 73, 75; Wank, RdA 1985, 1, 20).
b) Die Beklagte hat zur Rechtfertigung ihrer Regelung nur wirtschaftliche Gründe vorgebracht. Ein die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter rechtfertigender wirtschaftlicher Grund ist nicht gegeben.
Die Beklagte hat zwar behauptet, wegen ihrer Verkaufsstrategie habe sie möglichst nur Vollzeitbeschäftigte einstellen wollen. Auch seien die technischen und organisatorischen Voraussetzungen einer sinnvollen Beschäftigung von Teilzeitbeschäftigten im Handel damals noch nicht gegeben gewesen. Zudem habe der Arbeitsmarkt keine Teilzeitbeschäftigten hergegeben, die bereit gewesen wären, zu ungünstigen Zeiten zu arbeiten. Diese Begründungen stimmen aber mit dem eigenen Vortrag der Beklagten nicht überein. Soweit die Beklagte Personalstatistiken geführt hat, ist der Anteil der Voll- und Teilzeitbeschäftigten nahezu gleichgeblieben. Im Jahre 1972 betrug der Anteil von Voll- und Teilzeitbeschäftigten 92,6 % männlich/60,5 % weiblich zu 7,4 % männlich und 39,5 % weiblich. Im Jahre 1980 betrugen die Verhältniszahlen 88,7 % männlich/58,5 % weiblich zu 11,3 % männlich und 41,5 % weiblich. Der Anteil der weiblichen Teilzeitbeschäftigten ist damit nahezu konstant geblieben. Eine auf Vollzeitbeschäftigung gerichtete Personalpolitik kann es deshalb nicht gegeben haben.
Auch die Behauptung der Beklagten, ihre Verkaufsorganisation sei zu Beginn der 60er Jahre darauf angelegt gewesen, eine Verkäuferin von der Pflege und dem Einräumen der Ware bis zum Verkaufsgespräch und der Abrechnung alle Arbeiten machen zu lassen, sie habe deshalb kein Interesse an Teilzeitbeschäftigten gehabt, wird durch die tatsächliche Handhabung widerlegt. Die Tätigkeit der Teilzeitbeschäftigten unterscheidet sich nur durch die kürzere Arbeitszeit, nicht durch den Inhalt der Arbeit. Dies gilt erst recht dann, wenn die Teilzeitbeschäftigten nicht nur an einigen Stunden am Tage arbeiten, sondern - wie die Klägerin - nur an einigen Tagen der Woche, dann aber ganztags.
Unbeachtlich ist schließlich die Behauptung, die Beschäftigung von Teilzeitbeschäftigten verursache höhere Kosten als die von Arbeitnehmern, die während der ganzen betrieblichen Arbeitszeit zur Verfügung stehen. Insoweit beschränkt sich die Beklagte darauf, die Kostenfaktoren der Teilzeitbeschäftigung aufzulisten, ohne aber die Kostenfaktoren einer Vollbeschäftigung gegenüber zu stellen. Bei einem Kosten-Nutzenvergleich müssen alle Kostenfaktoren miteinander verglichen werden. Die Hinweise auf einzelne Kostenträger reichen nicht aus. Bei Ladenöffnungszeiten von rd. 52,5 Stunden und Arbeitszeiten von 40 Stunden wöchentlich führt die Beschäftigung Teilzeitbeschäftigter zum Ausgleich von Überbelegungen.
III. Die Nichtigkeit der Bestimmungen der Versorgungsordnung, durch die Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung ausgeschlossen werden, hat zur Folge, daß die Klägerin die für die Altersversorgung notwendigen Beschäftigungszeiten nachweisen kann und damit Anspruch auf Ruhegeld hat.
1. Die Ruhegeldrichtlinien verstoßen gegen Art. 119 EWG-Vertrag, soweit sie Teilzeitbeschäftigte von der Altersversorgung ausschließen. Insoweit sind sie nach § 134 BGB nichtig; dagegen bleiben sie im übrigen aufrechterhalten. Nach ständiger Rechtsprechung und Lehre ist § 139 BGB, wonach die Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäftes in aller Regel zu seiner völligen Nichtigkeit führt, dann nicht anwendbar, wenn es sich um Arbeitnehmerschutzvorschriften handelt (vgl. BAGE 31, 67, 75 = AP Nr. 1 zu § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, zu III 3 der Gründe; BAG Urteil vom 4. Oktober 1978 - 5 AZR 886/77 - AP Nr. 11 zu § 611 BGB Anwesenheitsprämie, zu 4 der Gründe; BAGE 53, 161, 174 = AP Nr. 11 zu Art. 119 EWG-Vertrag; Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 202). Ist der Ausschluß der Teilzeitbeschäftigten aber rechtsunwirksam, so entsteht eine Regelungslücke. Diese kann verfassungskonform nur in der Weise geschlossen werden, daß die Arbeitnehmer in das Versorgungssystem einbezogen werden, die zu Unrecht ausgeschlossen waren. Ist die Ausnahme von einer Grundregel unwirksam, so gilt die Grundregel.
2. Die Beklagte kann sich nicht auf einen verfassungsrechtlich geschützten Vertrauenstatbestand berufen, der es rechtfertigen könnte, Teilzeitbeschäftigte von der betrieblichen Altersversorgung auszunehmen.
a) Das Grundrecht der Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2 GG) gilt seit dem 23. Mai 1949. Aus dem Gleichberechtigungsgrundsatz und dem Benachteiligungsverbot hat das Bundesarbeitsgericht bereits am 15. Januar 1955, also lange vor den hier umstrittenen Betriebsvereinbarungen den Grundsatz der Lohngleichheit von Mann und Frau bei gleicher Arbeit abgeleitet (BAGE 1, 258 = AP Nr. 4 zu Art. 3 GG, mit zustimmender Anmerkung von Beitzke). Bei dieser Rechtsprechung ist es auch in der Folgezeit verblieben (BAG Urteil vom 2. März 1955 - 1 AZR 246/54 - AP Nr. 6 zu Art. 3 GG; BAGE 1, 348 = AP Nr. 7 zu Art. 3 GG; 4, 240 = AP Nr. 16, aa0; 4, 125 = AP Nr. 17, aa0; 4, 133 = AP Nr. 18, aa0). Der Grundsatz der Lohngleichheit ist im Jahre 1957 in den Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit einer die Bürger bindenden Wirkung aufgenommen worden (Art. 119 EWG- Vertrag). Auch in dieser Zeit hat die Rechtsprechung bereits angenommen, daß die betriebliche Altersversorgung Versorgungs- und Entgeltcharakter habe. So ist zunächst vom Soziallohn gesprochen worden (RAG ARS 40, 151; Hueck, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. I, S. 280, zu § 40 III 5 c) und später der Versorgungs- und Entgeltcharakter betont worden (vgl. vor allem BAG Urteil vom 3. April 1970 - 3 AZR 230/69 - AP Nr. 141 zu § 242 BGB Ruhegehalt; Urteil vom 12. Februar 1971 - 3 AZR 83/70 - AP Nr. 3 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unterstützungskassen, zu 2 b der Gründe; BAGE 24, 177, 183 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu A II 2 a der Gründe).
b) Die Beklagte kann auch nicht geltend machen, die grundrechtswidrige Benachteiligung von Frauen sei seinerzeit, als die Betriebsvereinbarungen abgeschlossen wurden, noch nicht erkannt worden. Auch der Gesetzgeber sei erst aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. März 1975 (BGBl I, 748 = BVerfGE 39, 169) zur Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung gezwungen worden. Dabei übersieht die Beklagte, daß Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung bei dem eigenen Erwerb eines Versicherungsanspruches nicht benachteiligt waren. Benachteiligt wurden sie nur im Rahmen der Hinterbliebenenversorgung. In den Versorgungsordnungen der Beklagten geht es dagegen ausschließlich um die Benachteiligung der Frauen bei Erwerb eines eigenen Anspruchs auf Altersversorgung.
c) Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf ein Urteil des Senats vom 1. Juni 1978 (- 3 AZR 79/77 -, das nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war, jedoch in BB 1979, 1403 = BetrAV 1979, 200, 222 veröffentlicht wurde). In dieser Entscheidung haben die Parteien ausschließlich um die Unverfallbarkeit gestritten. Feststellungen über die Zusammensetzung der Belegschaft und die Auswirkungen der Ruhegeldberechnung auf die Angehörigen der verschiedenen Geschlechter waren nicht getroffen. Es bestand daher kein Anlaß, die unmittelbare oder mittelbare diskriminierende Wirkung der Regelung zu untersuchen. Ein schutzwürdiger Vertrauenstatbestand der Beklagten wäre aber selbst dann nicht erwachsen, wenn der Senat inzwischen seine Rechtsprechung hätte ändern müssen (BVerfGE 59, 128, 165 f.).
d) Auch mit der Richtlinie des Rates der EG vom 24. Juli 1986 - 86/378 EWG - zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl der EG 1986, L 225, S. 40 ff.) läßt sich nicht begründen, daß die Beklagte erst nach einer Übergangszeit ihr Versorgungswerk an den Grundsatz der Lohngleichheit anpassen muß. Nach Art. 189 Abs. 3 EWG-Vertrag ist die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, verbindlich. Sie überläßt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Nach innerstaatlichem Recht wird dem Grundsatz der Lohngleichheit im Rahmen betrieblicher Versorgungssysteme bereits durch die eingeschränkte Anwendung des § 139 BGB und der Gewährung ausgleichender Ansprüche Rechnung getragen.
Dr. Heither Schaub Griebeling
Dr. Kiefer Paul-Reichart
Fundstellen
BAGE 61, 226-237 (LT1-6) |
BAGE, 226 |
BB 1989, 2115-2116 (LT1-6) |
DB 1989, 2336-2338 (LT1-6) |
NJW 1990, 68 |
NJW 1990, 68-69 (LT1-6) |
AiB 1990, 203-204 (LT1-6) |
ASP 1990, 21 (K) |
BetrAV 1989, 256-257 (LT1-6) |
Gewerkschafter 1990, Nr 3, 42-43 (ST1) |
NZA 1990, 25-27 (LT1-6) |
RdA 1989, 376 |
SAE 1992, 249-253 (LT1-6) |
AP § 1 BetrAVG Gleichberechtigung (LT1-6), Nr 5 |
AR-Blattei, ES 800 Nr 85 (LT1-6) |
AR-Blattei, Gleichbehandlung im Arbeitsverhältnis Entsch 85 (LT1-6) |
EzA § 1 BetrAVG Gleichberechtigung, Nr 4 (LT1-5) |