BAG-Urteil zu Equal Pay: Gleichberechtigung oder Gleichmacherei?
Für die einen ist das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 16. Februar 2023, Az. 8 AZR 450/21, vgl. dazu "Wegweisendes Urteil zum Equal-Pay-Grundsatz") keine Überraschung und konsequent. Für andere ein Sieg der Gleichberechtigung der Frau. Für wieder andere ist es eher ein Ausdruck der Gleichmacherei, die Bewerberinnen und Bewerber benachteiligt, die geschickt verhandeln und dem Unternehmen Spielräume für Einzelfallbewertungen bei der Gehaltsermittlung nehmen.
Welche Auswirkungen das Urteil in der Praxis haben wird, wird sich zeigen. Zunächst ist aber zu untersuchen, was das höchste deutsche Arbeitsgericht überhaupt entschieden hat.
BAG-Urteil zu Equal Pay: Worum geht es?
Zum Jahresbeginn 2017 stellte die beklagte Arbeitgeberin einen Außendienstmitarbeiter ein. In den Bewerbungsverhandlungen bot sie ihm ein monatliches Grundgehalt in Höhe von 3.500 Euro an. Der Mitarbeiter konnte jedoch ein höheres Grundgehalt ausverhandeln, das sich auf 4.500 Euro monatlich belief. Später erfolgte eine Anwendung des Haustarifvertrags. Ab Juli 2018 zahlte die Arbeitgeberin dem Kläger ein Grundgehalt von 4.000 Euro. Sie begründete dies damit, dass der Arbeitnehmer einer ausgeschiedenen, besser vergüteten Vertriebsmitarbeiterin nachgefolgt sei. Ab August 2018 zahlte die Arbeitgeberin dem Arbeitnehmer ein tarifvertragliches Grundentgelt von 4.120 Euro.
Die Arbeitgeberin stellte die Klägerin nur zwei Monate nach dem männlichen Kollegen ebenfalls als Außendienstmitarbeiterin ein. Sie erhielt zunächst ein Grundentgelt von 3.500 Euro. Auch bei ihr richtete sich die Vergütung später nach einem Haustarifvertrag. Auf dieser Grundlage zahlte die Arbeitgeberin der Klägerin ab August 2018 ein Grundentgelt in Höhe von 3.620 Euro.
Die Klägerin verlangte die Differenz zwischen ihrem (geringeren) und dem höheren Gehalt des Kollegen. Sie sah eine Benachteiligung durch die Arbeitgeberin beim Entgelt aufgrund des Geschlechts. Deshalb forderte sie zudem die Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Höhe von mindestens 6.000 Euro. Das Bundesarbeitsgericht sprach ihr die begehrten Differenzzahlungen sowie eine Entschädigung von 2.000 Euro zu.
Das BAG sah das als einen Verstoß gegen das Verbot der Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts an, §§ 3 Abs. 1; 7 EntgTranspG. Die Klägerin werde aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, da ihr die Arbeitgeberin ein niedrigeres Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen, obgleich die Klägerin und der männliche Kollege gleiche Arbeit verrichtet hätten. Das begründe zudem die Vermutung nach § 22 AGG, dass die Benachteiligung aufgrund des Geschlechts erfolgt sei.
Was folgt aus dem Urteil zur Entgeltgleichheit?
Für eine abschließende Beurteilung der Entscheidung muss natürlich gewartet werden, bis die Urteilsgründe vorliegen. Ein paar Auswirkungen können aber schon jetzt antizipiert werden.
Das Urteil kann nur Auswirkung auf Konstellationen haben, in denen beide (biologischen) Geschlechter vertreten sind. Bekommt eine Frau weniger Gehalt als ihr männlicher Kollege bei gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit, soll das bessere Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen nicht zu einem höheren Gehalt im Vergleich zur weiblichen Kollegin führen. Verhandelt der männliche Kollege gut, kommt dies auch den weiblichen Mitarbeitern zugute. Ob dies gesellschaftspolitisch ein richtiges Zeichen ist, das zur Leistungsmotivation des besser verhandelnden Mitarbeiters führt, vermag ich als Jurist nicht zu beurteilen. Letztlich ist dies aber eine Frage, die sich generell bei Entgeltsystemen stellt.
Benachteiligung nur bei Frauen möglich?
Offenbar folgt das BAG einer verbreiteten Sichtweise, Frauen seien bei Gehaltsverhandlungen zurückhaltender als Männer. Anders ließe sich die vom Gericht angenommene Indizwirkung gemäß § 22 AGG nicht erklären. Damit würden Frauen hinsichtlich der Gehaltshöhe benachteiligt. Folglich hätte ein Mann, der weniger verdient als eine geschickt verhandelnde Frau, keine Chance auf eine Differenzzahlung.
Interessant dürfte auch die Konstellation sein, dass neben zwei Männern eine Frau beschäftigt wird, die zwar weniger als Mann 1, aber mehr als Mann 2 verdient. Sie kann sich unter Bezug auf das BAG über die Differenzzahlung zum Gehalt von Mann 1 freuen. Mann 2 bleibt abgeschlagen bei seinem bisherigen Gehalt. Denkbar wäre dann nur die Bemühung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes. Würde das aber ausreichen, hätte es weder des EntgTranspG noch dieses Urteils bedurft.
Diskriminierungsvermutung schwer zu entkräften
Das Ende freier Verhandlungen des Gehalts ist damit zwar nicht besiegelt. Individuelle Gehaltsanpassungen sind aber rechtlich hoch risikobehaftet. Das hat seine Grundlage aber nicht erst in dieser Entscheidung. Vielmehr ergibt sich dieser Ansatz bereits aus dem EntgTranspG, welches das BAG für sein Urteil heranzieht. Unterschiede im Gehalt auf der Grundlage der Erfahrung und Qualifikation sind im Grundsatz weiterhin denkbar.
Wenn aber die Arbeit gleich oder gleichwertig ist, wäre dies kein Argument bzw. keine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung. Dass eine Verletzung des Grundsatzes der Entgeltgleichheit ein Indiz für eine Diskriminierung gemäß § 22 AGG sein kann, hatte das BAG bereits im Jahr 2021 festgestellt (BAG, Urteil vom 21. Januar 2021, Az. 8 AZR 488/19, vgl. dazu "Entgelttransparenz: Arbeitgeber muss vermutete Diskriminierung widerlegen"). Es ist sehr fraglich, inwieweit ein Arbeitgeber den Vollbeweis wird führen können, dass kein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach dem AGG besteht, sondern ausschließlich nicht diskriminierende Aspekte eine Rolle für die Ungleichbehandlung gespielt haben.
Auskunftsanspruch an hohe Anforderungen geknüpft
Es bleibt aber - so in den Entscheidungsgründen nichts Anderes per obiter dictum ausgeführt wird - bei der grundsätzlichen Hürde, dass "Frau" erstmal herausbekommen muss, was ihr männlicher Kollege verdient. Da sind die Anforderungen gemäß §§ 10 EntgTranspG weiterhin hoch - sonst gäbe es sicherlich längst mehr Verfahren.
So setzt der Auskunftsanspruch eine bestimmte Größe des Betriebs voraus, die sich an der Zahl der regelmäßig Beschäftigten orientiert; im Betrieb müssen regelmäßig mehr als 200 Beschäftigte arbeiten. Zum anderen ist das Vergleichsentgelt insbesondere nicht anzugeben, wenn die Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten ausgeübt wird. Den meisten Arbeitnehmerinnen wird das Urteil daher nichts bringen.
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