Entscheidungsstichwort (Thema)
Nahauslösung und Fahrtkosten bei Betriebsratstätigkeit
Orientierungssatz
Das dem § 37 Abs 2 BetrVG zugrundeliegende Lohnausfallprinzip gibt dem Betriebsratsmitglied nur einen Anspruch auf Fortzahlung seines Arbeitsentgelts; zum Arbeitsentgelt aber gehört das beim Arbeitgeber gewährte Kilometergeld nicht. Die bei dem Arbeitgeber bestehende Regelung stellt sich vielmehr als ein Verfahren dar, durch das im beiderseitigen Interesse bei Montagetätigkeit unnötige Fahrten zum Betriebssitz vermieden und Abrechnungsschwierigkeiten verringert werden sollen.
Normenkette
TVG § 1; BetrVG § 37 Abs. 2, § 40 Abs. 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 31.08.1987; Aktenzeichen 14 Sa 1381/86) |
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 04.07.1986; Aktenzeichen 16 Ca 360/86) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Kläger Nahauslösung und Kilometergeld auch für die Zeiten seiner Betriebsratstätigkeit fortzuzahlen sind.
Der Kläger ist bei der Beklagten als Aufzugsmonteur beschäftigt und Mitglied des Betriebsrats der Niederlassung Frankfurt. Für das Arbeitsverhältnis gilt der Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues vom 30. April 1980 mit Anmerkungen (BMTV). Dessen hier wesentlichen Vorschriften lauten:
§ 7 BMTV:
"Nahmontage
7.1.1 Begriff
Nahmontage ist eine Montage, bei der dem Montage-
stammarbeiter die tägliche Rückkehr zum Ausgangs-
punkt zumutbar ist...
7.1.2 Ausgangspunkt
Ausgangspunkt können sein
- der entsendende Betrieb
oder
- die Ortsmitte des Betriebsortes
oder
- die Wohnung des Montagestammarbeiters.
7.1.3 Die Entscheidung, von welchem Ausgangspunkt im
Betrieb einheitlich auszugehen ist, trifft der
Arbeitgeber mit Zustimmung des Betriebsrats.
7.2 Fahrgeld
7.2.1 Notwendiges Fahrgeld wird - auch bei Benutzung
eigener Verkehrsmittel - erstattet für Fahrten
zwischen dem gemäß § 7.1.3 festgelegten Ausgangs-
punkt und der Montagestelle, im Fall des § 6.7
zwischen Unterkunft und Montagestelle.
Dieser Anspruch besteht nicht, wenn der Arbeitgeber
oder ein Auftraggeber (Kunde) eine unentgeltliche
zumutbare Fahrgelegenheit stellt.
7.2.2 Montagestammarbeiter, die aufgrund einer schrift-
lichen Vereinbarung mit dem Arbeitgeber ein
privates Fahrzeug führen, erhalten als Fahrgeld
für angeordnete Fahrten je gefahrenen Kilometer
ein Kilometergeld, dessen Höhe im Tarifvertrag
für Auslösungssätze und Erschwerniszulagen fest-
gelegt wird.
7.2.3 Fahrgeld ist, auch soweit es zu versteuern ist,
kein Arbeitsentgelt und geht nicht in Durch-
schnittsberechnungen jeglicher Art ein.
7.3 Nahauslösung
7.3.1 Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die
den Mehraufwand bei auswärtigen Arbeiten abdecken
soll...
Dazu bestimmt Anmerkung 6:
Die Regelung über Nahauslösung trägt dem Umstand Rechnung,
daß die Beschäftigung auf einer außerbetrieblichen Ar-
beitsstelle eine längere Abwesenheit des Montagestammar-
beiters von zu Hause erfordert. Die längere Abwesenheit
bedingt Mehraufwendungen während des Erreichens der Mon-
tagestelle und auf der Montagestelle, die pauschal er-
stattet werden. Eine Vergütung für den Zeitaufwand erfolgt
nicht.
7.3.11 Soweit und solange Auslösungen zu versteuern
sind, werden sie nach Maßgabe der gesetzlichen
und tariflichen Bestimmungen wie Arbeitsentgelt
behandelt."
In Ziffer 4 einer Betriebsvereinbarung vom 15. Dezember 1980 heißt es:
"Ausgleichsregelung für Fahrgeld:
Monteure, die einen privaten Pkw oder öffentliche
Verkehrsmittel benutzen, erhalten das Fahrgeld in
Höhe des nachgewiesenen Aufwandes erstattet."
Ein Schreiben der Beklagten vom 5. Januar 1981 an alle Monteure hat u.a. folgenden Inhalt:
"Am 15.12.1980 wurde für Büro Frankfurt zwischen
Betriebsrat und Geschäftsleitung eine Betriebs-
vereinbarung abgeschlossen, die in Verbindung mit
dem BMTV für alle Monteure das Fahrgeld und die
Auslösung regelt. Die einzelnen Neuerungen möchten
wir hiermit nochmals erklären.
1. ...
2. ...
3. ...
4. Als Fahrtkostenausgleich werden für alle Monteure
die Fahrtkosten ab Wohnung übernommen. Dies be-
deutet vorwiegend über den Neubau-Bereich eine
wesentliche Veränderung."
Eine Betriebsvereinbarung vom 1. November 1983 lautet auszugsweise wie folgt:
"1. Der Ausgangspunkt für Auslösung und Fahrgeld, gem.
BMTV, § 6.1.3 und § 7.1.2, ist der Betrieb F
, 6000 Frankfurt 50.
2. Für die Service-Stationen:
Gießen
Hanau
Bad Nauheim
Darmstadt
Aschaffenburg
Bad Homburg
Nidda
ist als Ausgangspunkt für Fahrgeld und Auslösung
die Wohnung der dort beschäftigten Mitarbeiter
festgelegt. Nicht aufgeführte Stationen werden
nach Pkt. 1 geregelt.
...
4. Ausgleichsregelung für Fahrgeld:
Monteure, die einen privaten Pkw oder öffentliche
Verkehrsmittel benutzen, erhalten das Fahrgeld in
Höhe des nachgewiesenen Aufwandes erstattet."
In Ziffer 10 einer Betriebsvereinbarung vom 24. Oktober 1984 ist folgendes geregelt:
"Hat ein Mitarbeiter kein Dienstfahrzeug gewählt, so
kann er Dienstfahrten mit seinem Privat-Pkw durch-
führen. Hierfür erhält er für jeden bis 10.000 km
pro Jahr gefahrenen Kilometer DM 0,42 vergütet. Jeder
weitere gefahrene Kilometer wird mit DM 0,36 vergütet."
Seit Januar 1985 benutzt der Kläger seinen Privatwagen für Dienstfahrten. In der Zeit vom 1. Oktober bis 12. Dezember 1985 war er an insgesamt 38 Tagen nicht auf Montageeinsatz, sondern übte Betriebsratstätigkeit aus und fuhr zu diesem Zweck in den Betrieb. Für diese Fahrten von seiner Wohnung in Offenbach zum Betriebssitz in Frankfurt am Main benutzte er seinen Privat-Pkw über insgesamt 1.060 km.
Mit der Klage hat der Kläger von der Beklagten die Zahlung folgender der Höhe nach unstreitiger Beträge verlangt:
a) 234,84 DM brutto (steuerpflichtiger Teil der
Nahauslösung, 38 Tage zu je
6,18 DM brutto),
b) 445,20 DM netto (1.060 km zu je 0,42 DM netto),
c) 164,-- DM brutto (Entschädigung für die Mitnahme
von Arbeitsmaterial).
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der steuerpflichtige Teil der Nahauslösung stehe ihm auch dann zu, wenn er statt seiner Montagetätigkeit erforderliche Betriebsratstätigkeit ausführe. Ihm stehe auch Kilometergeld zu, wenn er mit seinem Privat-Pkw von seinem Wohnort in Offenbach anstatt zur Montagebaustelle in Erfüllung seines Betriebsratsamts zum Betriebssitz fahre. Denn wenn er und die anderen Monteure auf Montage führen, werde das Kilometergeld auch von ihrem Wohnsitz aus berechnet. Auch wenn Monteure aus dienstlichen Gründen zum Betriebssitz führen, erhielten sie Kilometergeld. Dies müsse daher auch dann gelten, wenn er Betriebsratstätigkeiten am Betriebssitz ausübe.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 234,84 DM
brutto sowie 445,20 DM netto nebst 4 % Zinsen
seit Klagezustellung zu zahlen, ferner die
Beklagte darüber hinaus zu verurteilen, an ihn
weitere 164,-- DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat im wesentlichen eingewandt, die Nahauslösung gemäß § 7.3.1 BMTV habe in vollem Umfange Aufwendungsersatzcharakter. Sie werde daher nicht gezahlt, wenn keine Montagefahrten unternommen würden. Kilometergeld könne nur für Dienstfahrten verlangt werden; die Fahrt vom Wohnort zum Betriebssitz falle hingegen in die Privatsphäre eines jeden Arbeitnehmers.
Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Zahlung der Nahauslösung in Höhe von 234,84 DM brutto und des Kilometergeldes in Höhe von 445,20 DM netto (jeweils einschließlich der Zinsforderung) stattgegeben, im übrigen (d.h. hinsichtlich der Mitnahmeentschädigung) die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen.
Gegen dieses Urteil hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
I. Die Revision ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des steuerpflichtigen Teils der Nahauslösung in Höhe von 234,84 DM brutto wendet.
Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 10. Februar 1988 (- 7 AZR 36/87 - EzA § 37 BetrVG 1972 Nr. 91, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt) entschieden und dort näher begründet hat, gehört der steuerpflichtige Teil der gemäß § 7 des auch im vorliegenden Rechtsstreit einschlägigen Bundesmontagetarifvertrages zu zahlenden Nahauslösung zum Arbeitsentgelt, das bei Betriebsratsmitgliedern gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG während ihrer Freistellung für eine erforderliche Betriebsratsarbeit nicht gemindert werden darf. An dieser rechtlichen Würdigung hält der Senat auch nach erneuter Überprüfung fest, zumal sich insoweit im vorliegenden Rechtsstreit keine neuen Gesichtspunkte ergeben haben. Hinsichtlich der Nahauslösung ist daher die Verurteilung der Beklagten zu Recht erfolgt.
II. Begründet ist die Revision hingegen, soweit das Landesarbeitsgericht die Beklagte zur Zahlung von Kilometergeld (445,20 DM netto) verurteilt hat.
1. Zur Begründung dieses Zahlungsanspruchs hat das Landesarbeitsgericht zunächst ausgeführt, gemäß Ziffer 4 der Betriebsvereinbarungen vom 15. Dezember 1980 bzw. 1. November 1983 hätten Monteure bei Dienstfahrten mit ihrem Privat-Pkw Anspruch auf Fahrtkosten ab ihrer Wohnung in der durch die Betriebsvereinbarung vom 24. Oktober 1984 festgesetzten Höhe. Dienstfahrten in diesem Sinne seien alle im dienstlichen Interesse unternommenen Fahrten.
Sofern das Landesarbeitsgericht bereits mit diesen Ausführungen begründen wollte, auch der Kläger habe einen Anspruch auf Kilometergeld, weil auch er seine Fahrten im dienstlichen Interesse durchgeführt habe, kann sich der Senat dem schon deshalb nicht anschließen, weil die angeführten Betriebsvereinbarungen im Entscheidungsfall als Anspruchsgrundlage ausscheiden. Sie beziehen sich allein auf Fahrten, die Arbeitnehmer der Beklagten in ihrer Eigenschaft als Monteure durchführen. Dem Landesarbeitsgericht mag zwar darin zu folgen sein, daß hierzu auch Fahrten gehören, die Monteure nicht zur Montagestelle, sondern zum Betriebssitz durchführen, um dort z.B. Ersatzteile zu besorgen, Montagezettel abzugeben oder Arbeitsaufträge abzuholen. Anders verhält es sich jedoch bei Fahrten aus Anlaß einer Betriebsratstätigkeit; hier wird der Arbeitnehmer gerade nicht in seiner Eigenschaft als Monteur tätig. Die Bestimmungen der angeführten Betriebsvereinbarungen können daher hier einen Anspruch nicht für sich allein, sondern allenfalls in Verbindung mit gesetzlichen Vorschriften begründen, die dem Betriebsratsmitglied für seine Betriebsratstätigkeit die gleiche Rechtsstellung einräumen, die es bei Verrichtung seiner eigentlichen Arbeitsaufgaben hätte.
2. Eine solche gesetzliche Vorschrift hat das Landesarbeitsgericht in seiner weiteren Begründung in § 37 Abs. 2 BetrVG gesehen. Es hat dazu im einzelnen ausgeführt, auch der Kläger habe Anspruch auf Erstattung der Kosten für seine (der Betriebsratstätigkeit dienenden) Fahrten von der Wohnung zum Betriebssitz. Gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG dürfe die Betriebsratstätigkeit nicht zu einer Schmälerung des Arbeitseinkommens führen. Das Betriebsratsmitglied habe einen Anspruch auf Fortzahlung des individuellen Arbeitsentgelts. Dies gelte auch für den Ersatz der Aufwendungen, die sowohl bei der Ausübung der Arbeit, als auch bei der Ausübung der Betriebsratstätigkeit gleichermaßen entstünden. Eine andere Auffassung würde gegen den Grundsatz verstoßen, daß das Betriebsratsmitglied wegen seiner Betriebsratstätigkeit nicht benachteiligt werden dürfe.
Auch diese Begründung trägt den Zahlungsanspruch des Klägers nicht. Das dem § 37 Abs. 2 BetrVG zugrundeliegende Lohnausfallprinzip (vgl. Senatsurteil vom 10. Februar 1988, aaO) gibt dem Betriebsratsmitglied nur einen Anspruch auf Fortzahlung seines Arbeitsentgelts; zum Arbeitsentgelt aber gehört das bei der Beklagten gewährte Kilometergeld nicht. Die bei der Beklagten bestehende Regelung stellt sich vielmehr als ein Verfahren dar, durch das im beiderseitigen Interesse bei Montagetätigkeit unnötige Fahrten zum Betriebssitz vermieden und Abrechnungsschwierigkeiten verringert werden sollten. An sich müßte der Arbeitnehmer die Kosten seiner Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte selbst tragen; der Arbeitgeber hätte dann für die Kosten der Fahrten zwischen Betriebsstätte und tatsächlichem Einsatzort aufzukommen. Fährt der Arbeitnehmer dagegen direkt von seiner Wohnung zum Einsatzort und übernimmt der Arbeitgeber hierfür die anfallenden Kosten, so kann dies je nach dem räumlichen Verhältnis zwischen Wohnung des Arbeitnehmers, Betriebsstätte und tatsächlichem Einsatzort für den Arbeitgeber günstiger oder ungünstiger sein; als positives Ergebnis bleibt in jedem Falle eine Verkürzung der Wegezeiten insgesamt.
Insgesamt stellt sich damit die bei der Beklagten aufgrund der angeführten Betriebsvereinbarungen geltende Fahrtkostenerstattungsregelung als vereinfachtes Abrechnungsverfahren dar, das nur bei tatsächlicher Montagetätigkeit gilt. Durch dieses vereinfachte Abrechnungsverfahren werden die Fahrtkostenerstattungen nicht zu zusätzlichem Arbeitsentgelt, wie auch daraus erhellt, daß sie etwa im Krankheitsfalle nicht weiterzugewähren sind.
3. Ob dem Kläger unter dem Gesichtspunkt des Aufwendungsersatzes ein Anspruch auf Kilometergeld für seine der Betriebsratstätigkeit dienenden Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte zusteht, ist in der vorliegenden Verfahrensart, dem Urteilsverfahren, nicht zu prüfen. Gemäß § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten; hierzu können auch Aufwendungen eines einzelnen Betriebsratsmitglieds gehören. Derartige Aufwendungsersatzansprüche sind jedoch im arbeitsgerichtlichen Beschlußverfahren zu verfolgen, da sie nicht wie der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Arbeitsverhältnis, sondern im Betriebsratsamt wurzeln (ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. bereits BAG Beschluß vom 24. Juni 1969 - 1 ABR 6/69 - AP Nr. 8 zu § 39 BetrVG).
Dr. Seidensticker Schliemann Dr. Steckhan
Dr. Gentz Dr. Klebe
Fundstellen
DB 1989, 1775 (T) |
NZA 1989, 856-857 (ST1-2) |