Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. rechtliches Gehör
Leitsatz (amtlich)
Ist ein mangels Zulassung der Revisionsbeschwerde (§ 77 ArbGG) unanfechtbarer Beschluß über die Verwerfung der Berufung wegen Fristversäumung (§ 519 b ZPO) unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) erlassen worden, so kann der Berufungskläger mit dem Wiedereinsetzungsantrag auch geltend machen, daß keine Fristversäumung vorgelegen habe.
Normenkette
ZPO §§ 233, 318, 519b; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 24.08.1988; Aktenzeichen 6 Sa 52/88) |
AG Oberhausen (Urteil vom 07.10.1987; Aktenzeichen 3 Ca 176/87) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 24. August 1988 – 6 Sa 52/88 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Beklagte war bis zum 31. März 1987 als Leiter des Hochschulrechenzentrums der Universität Essen beschäftigt. Der Kläger nimmt als Arbeitgeber den Beklagten auf Schadenersatz in Höhe von 40.747,98 DM in Anspruch.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen hat der Kläger am 27. November 1987 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist lief am 28. Dezember 1987 (Montag) ab. Die Begründungsschrift ist laut Eingangsstempel des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf am 29. Dezember 1987 eingegangen. Durch Beschluß vom 6. Januar 1988 hat das Landesarbeitsgericht die Berufung – ohne Anhörung des Klägers – als unzulässig nach § 519 b ZPO verworfen.
Am 13. Januar 1988 hat der Kläger hiergegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und behauptet, sein Prozeßbevollmächtigter habe die Berufungsbegründungsschrift am 28. Dezember 1987 gegen 18.30 Uhr in den Nachtbriefkasten des Landesarbeitsgerichts eingeworfen.
Das Landesarbeitsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag durch Urteil zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Wiedereinsetzungsantrag weiter. Der Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das Berufungsgericht. Das Landesarbeitsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zu Unrecht ohne Sachprüfung zurückgewiesen. Diese hat es nachzuholen und zu entscheiden, ob den Kläger an dem verspäteten Eingang der Berufungsbegründungsschrift ein Verschulden trifft (§ 233 ZPO).
I. Das Landesarbeitsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen, weil das klagende Land nicht geltend gemacht habe, daß die Berufungsbegründungsfrist ohne Verschulden versäumt, sondern eingehalten sei. Dieses Vorbringen enthalte keinen Wiedereinsetzungsgrund, sondern ziele ausschließlich darauf ab, die dem unanfechtbaren Verwerfungsbeschluß vom 6. Januar 1988 zugrunde liegende Annahme der Fristversäumnis zu widerlegen. Der Verwerfungsbeschluß sei aber nach § 318 ZPO bindend. Die Bindungswirkung sei nicht davon abhängig, ob die Berufungsbegründungsfrist tatsächlich versäumt worden sei.
II. Dieser Auffassung folgt der erkennende Senat nicht. Das Landesarbeitsgericht hat den Kläger vor Erlaß seines Beschlusses nach § 519 b ZPO nicht gehört. Darin liegt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Dies gebietet es, den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zuzulassen.
1. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, daß ein Verwerfungsbeschluß nach § 519 b ZPO mangels Zulassung der Revisionsbeschwerde (§ 77 ArbGG) unanfechtbar ist und das Landesarbeitsgericht in entsprechender Anwendung des § 318 ZPO bindet (vgl. BAGE 23, 276 = AP Nr. 7 zu § 519 b ZPO). Der Berufungskläger kann jedoch nach § 233 ZPO mit der Begründung, er sei unverschuldet verhindert gewesen, die Berufungs- bzw. die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen (BAG, a.a.O.). Auch hiervon geht das Landesarbeitsgericht zutreffend aus.
2. Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zu folgen, daß der Kläger in seinem Wiedereinsetzungsantrag nicht geltend macht, daß er die Berufungsbegründungsfrist ohne Verschulden versäumt habe. Er behauptet gerade das Gegenteil, nämlich den fristgerechten Eingang der Berufungsbegründungsschrift am 28. Dezember 1987. Damit macht der Kläger gerade keine (unverschuldete) Fristversäumung geltend (vgl. BGH Urteil vom 29. November 1972 – VIII ZR 229/71 – VersR 1973, 186). Dies führt jedoch entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht zur Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsantrages.
3. Zutreffend weist die Revision nämlich darauf hin, daß das Landesarbeitsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht beachtet habe. Das Landesarbeitsgericht hat vor Erlaß des Beschlusses nach § 519 b ZPO den Kläger nicht gehört. Damit war dem Kläger die Möglichkeit genommen, vor der Verwerfung seiner Berufung geltend zu machen, daß die Berufungsbegründungsschrift entgegen dem Eingangsstempel rechtzeitig eingegangen sei.
Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt ausgesprochen, daß es für einen wirksamen Grundrechtsschutz geboten ist, bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ein Rechtsmittel zuzulassen, wenn die Auslegung der Verfahrensvorschriften dies ermöglicht (vgl. BVerfG Beschluß vom 28. März 1985 – 1 BvR 1245/84 u.a. – EuGRZ 1985, 237 unter I 3 der Gründe m.w.N.). Dem muß vorliegend durch Zulassung des Wiedereinsetzungsantrags nachgekommen werden. Ist ein mangels Zulassung der Revisionsbeschwerde (§ 77 ArbGG) unanfechtbarer Beschluß über die Verwerfung der Berufung wegen Fristversäumung nach § 519 b ZPO unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erlassen worden, so kann der Berufungskläger mit dem Wiedereinsetzungsantrag auch geltend machen, daß keine Fristversäumung vorgelegen habe.
III. Das Landesarbeitsgericht wird daher den Wiedereinsetzungsantrag in der Sache prüfen müssen und gegebenenfalls nach Beweisaufnahme zu entscheiden haben, ob den Kläger ein Verschulden an dem laut Eingangsstempel verspäteten Eingang der Berufungsbegründungsschrift trifft. Dies dürfte zu verneinen sein, wenn sich die Richtigkeit der Einlassung des Klägers herausstellen sollte.
Unterschriften
Dr. Leinemann, Dr. Peifer, Dr. Wittek, Dr. Meyer, K. Fox
Fundstellen
Haufe-Index 1015730 |
NJW 1990, 2151 |
RdA 1990, 124 |