Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungsvergütung einer beruflichen Rehabilitandin
Leitsatz (amtlich)
In einem vollständig von der Bundesanstalt für Arbeit finanzierten Ausbildungsverhältnis zwischen einer überbetrieblichen Bildungseinrichtung und einem beruflichen Rehabilitanden nach § 56 AFG (öffentlich finanziertes, dreiseitiges Ausbildungsverhältnis) kann die Nichtanwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG mit der Folge geboten sein, daß Vergütungsansprüche des auszubildenden Rehabilitanden nicht bestehen.
Normenkette
BBiG § 10 Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 1, 5, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1; BGB § 133; AFG § 33 Abs. 2, § 56 Abs. 1-2, § 59 Abs. 1; Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter vom 31. Juli 1975 §§ 23a, 24 Abs. 3-4, § 27 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 25. Februar 1999 – 8 Sa 882/98 – teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Zwickau vom 15. Juli 1998 – 8 Ca 5670/97 – weitergehend abgeändert:
Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen.
3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über Ansprüche auf Ausbildungsvergütung.
Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein. Satzungsgemäßes Ziel und alleiniger Betriebszweck sind die berufliche Förderung und Ausbildung behinderter und sozial benachteiligter Menschen. Der Beklagte beschäftigt Lehrer, Ausbilder und sozialpädagogische Mitarbeiter. Er ist Mitglied des Diakonischen Werks und Rehabilitationseinrichtung im Sinne des § 23a der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter vom 31. Juli 1975 (A-Reha). Die Personal-, Sach- und sonstigen Kosten für Ausbildungsmaßnahmen, die der Beklagte durchführt, werden vollständig aus Mitteln der Bundesanstalt für Arbeit (BA) finanziert.
Die Klägerin wurde am 15. Mai 1976 geboren. Vertreten durch ihre Eltern stellte sie beim Arbeitsamt Annaberg im November 1991 einen Antrag „auf die erforderlichen Leistungen für eine berufliche Rehabilitation”. In einem Vermerk des Arbeitsamts heißt es dazu, die Klägerin gehöre zu dem von der A-Reha erfaßten Personenkreis. Sie sei noch nicht berufsreif. Eine „Aufnahme zum Förderlehrgang mit anschließender BA (sei) vorteilhaft”.
Am 17. August 1994 schlossen die Parteien auf dem dazu vom Sächsischen Staatsministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten herausgegebenen Formular einen Berufsausbildungsvertrag. Vorgesehen war eine Ausbildung nach „Maßgabe der Ausbildungsordnung” für den Beruf „Hauswirtschaftstechnischer Helfer” in der Zeit vom 1. September 1994 bis zum 31. August 1997. Unter Buchstabe B lautet der vorformulierte Vertragstext: „Die/der Ausbildende zahlt der/dem Auszubildenden eine angemessene Brutto-Vergütung (s. § 4 Nr. 1) von z.Z. mtl. DM ….”. Unmittelbar anschließend ist in die für verschiedene Zeiten und verschiedene Beträge vorgesehenen Spalten handschriftlich eingefügt: „entsprechend der Richtlinie der Bundesanstalt für Arbeit”.
Buchstabe G des Vordrucks lautet: „Die umstehenden Vereinbarungen sind Gegenstand dieses Vertrages und werden anerkannt”. Diese über zwei eng gedruckte Spalten vorformulierten Vereinbarungen enthalten in § 4 Regelungen über „Vergütung und sonstige Leistungen”. Unter Ziffer 1 heißt es dort:
„Höhe und Fälligkeit: (siehe B)
Unbeschadet von Buchst. B gelten mindestens die tariflichen Ausbildungsvergütungen”.
Die Klägerin war seit dem 1. September 1994 eine von insgesamt 53 Teilnehmern, für die der Beklagte auf der Grundlage einer entsprechenden Vereinbarung mit der BA vom September 1994 „im Rahmen der beruflichen Rehabilitation” eine überbetriebliche Berufsausbildung durchführte. In einem an die Klägerin gerichteten Bescheid der BA vom 28. Oktober 1994 heißt es, ihr sei „mit Bescheid vom 07.09.94 die berufsfördernde Bildungsmaßnahme bewilligt” worden. Außerdem würden ihr nunmehr gemäß § 56 AFG „Leistungen zu den Kosten der Maßnahme vom 01.09.94 bis 31.08.97” für Lernmittel, Arbeitskleidung und Fahrtkosten in Höhe von monatlich insgesamt 150,00 DM bewilligt. Ausbildungsgeld könne sie dagegen nicht beanspruchen, weil ihr auf Grund des entsprechend hohen Einkommens ihrer Eltern anderweitig Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts zur Verfügung stünden. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Der Beklagte entrichtete während der Dauer der Ausbildung Sozialversicherungsbeiträge für die Klägerin, die ihm von der BA erstattet wurden. Dabei legte er für 1994 ein „beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt” in Höhe von 1.716,00 DM, für 1995 von 5.821,00 DM, für 1996 von 5.661,00 DM und für 1997 von 3.882,00 DM – insgesamt 17.080,00 DM – zugrunde. An die Klägerin selbst zahlte der Beklagte kein Entgelt.
Nach erfolgreicher Beendigung ihrer Ausbildung hat die Klägerin im November 1997 die vorliegende Klage erhoben. Mit ihr verlangt sie vom Beklagten die Zahlung von Ausbildungsvergütung in Höhe des den Sozialabgaben zugrunde gelegten Gesamtbetrags. Sie hat die Auffassung vertreten, ein solcher Anspruch folge aus § 4 Ziffer 1 des Arbeitsvertrags. Für die Rechtsbeziehung der Parteien sei die Beteiligung der BA und die Versagung von Ausbildungsgeld ohne Bedeutung.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 17.080,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 1. Oktober 1997 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, es sei übereinstimmender Wille der Parteien gewesen, daß die Klägerin keine Ausbildungsvergütung von seiner Seite erhalten solle. Der entsprechende Passus in § 4 Ziffer 1 des Vertrages sei nur deshalb nicht gestrichen worden, weil andernfalls die Registrierung des Ausbildungsverhältnisses gefährdet gewesen sei. Die Klägerin habe ausschließlich vom Arbeitsamt nach Maßgabe der geltenden Vorschriften vergütet werden sollen. In diesem Sinne seien sie und ihre Eltern auch bei der Eröffnungsveranstaltung für die Ausbildungsmaßnahme seitens der BA informiert worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht Ansprüche der Klägerin für 1994 wegen Verjährung verneint und die Klage insoweit abgewiesen. Die weitergehende Berufung des Beklagten hat es zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Ziel der vollständigen Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Klägerin steht die Klageforderung nicht zu. Sie hat gegen den Beklagten keine Vergütungsansprüche.
I. Tarifliche Ansprüche der Klägerin bestehen nicht. Zu einer Bindung an einen bestimmten Tarifvertrag haben die Parteien nichts vorgetragen.
II. Entgegen der Ansicht der Klägerin bestehen solche Ansprüche auch nicht deshalb, weil die Parteien in § 4 Ziff. 1 des Ausbildungsvertrages die Geltung „mindestens der tariflichen Ausbildungsvergütungen” vereinbart hatten. Der Senat hat mit Urteilen vom 24. Oktober 1984(– 5 AZR 615/83 – nv.) und 11. Oktober 1995(– 5 AZR 258/94 – AP BBiG § 10 Nr. 6) über eine gleichlautende Vertragsklausel entschieden. Sie ist dahin zu verstehen, daß als Ausbildungsvergütung die tariflichen Sätze zu zahlen sind, falls ein einschlägiger Tarifvertrag existiert und dessen Sätze höher liegen als die von den Parteien vereinbarten. Ein Tarifvertrag ist einschlägig, wenn beide Arbeitsvertragsparteien unter seinen räumlichen, zeitlichen und fachlichen Geltungsbereich fallen. An einem entsprechenden Tarifvertrag fehlt es. Der Beklagte betreibt als gemeinnützig anerkannter Verein lediglich Ausbildung. Sein Betrieb unterfällt fachlich keinem bestimmten Branchentarifvertrag. Ebensowenig ist ersichtlich, daß der Betrieb über die Mitgliedschaft des Beklagten im Diakonischen Werk im fachlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags läge.
Auch die Klägerin selbst hat sich zur Begründung der Klageforderung nicht auf einen bestimmten Tarifvertrag und dessen Ausbildungsvergütungssätze berufen. Sie meint, es komme nicht darauf an, aus welchem Tarifwerk sich die entsprechenden Beträge ergäben. Sie verlange nicht mehr als der Beklagte selbst als beitragspflichtiges Bruttoarbeitsentgelt gegenüber der Einzugsstelle angegeben habe.
III. Der Klägerin steht auch aus anderen Vereinbarungen der Parteien ein Anspruch auf die Klageforderung nicht zu.
1. Nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts ergibt sich ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Ausbildungsvergütung „dem Grunde nach” aus der Formulierung unter Buchstabe B des Ausbildungsvertrages: „Der Ausbildende zahlt der Auszubildenden eine angemessene Brutto-Vergütung”. Die Höhe dieses Anspruchs ergebe sich aus den vom Beklagten selbst erstellten Jahresmeldungen gegenüber der Krankenkasse. Aus dem handschriftlichen Zusatz unter Buchstabe B „…entsprechend der Richtlinie der Bundesanstalt für Arbeit” folge nichts anderes. Es sei schon nicht erkennbar, welche Richtlinie der BA gemeint sei. Der Umstand, daß die Ausbildungsmaßnahme öffentlich gefördert worden sei, bedeute nicht, daß die Höhe der vom Beklagten zu zahlenden Ausbildungsvergütung von der Höhe des der Klägerin gewährten Ausbildungsgeldes habe abhängen sollen. Außerdem habe die Klägerin Ausbildungsgeld gar nicht erhalten. Ein abweichender Parteiwille sei im übrigen wegen Verstoßes gegen die zwingende Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG unbeachtlich. Auch eine überbetriebliche Ausbildungsstätte sei zur Zahlung einer Ausbildungsvergütung verpflichtet.
2. Dem folgt der Senat nicht.
a) Die Auslegung der Abrede in Buchstabe B des Ausbildungsvertrages ist allerdings vornehmlich Sache der Tatsacheninstanzen. Die Vereinbarung hat einen auf dem gedruckten Vertragsexemplar vorformulierten und einen handschriftlich eingefügten Textabschnitt. Erst zusammengefaßt ergibt sich der von den Parteien gewollte Inhalt. Darum handelt es sich trotz der Verwendung eines gängigen Vertragsformulars um eine für den Einzelfall getroffene, nichttypische Vertragserklärung. Dies wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn der Beklagte mit Auszubildenden, die er im Zusammenwirken mit der BA im Rahmen beruflicher Rehabilitation ausbildet, regelmäßig den gleichen handschriftlichen Zusatz vereinbarte. Dazu hat das Landesarbeitsgericht keine Feststellungen getroffen.
Die Auslegung nichttypischer Vertragserklärungen durch die Tatsachengerichte ist in der Revisionsinstanz nur darauf hin überprüfbar, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, anerkannte Auslegungsgrundsätze, Denkgesetze, Erfahrungssätze oder Verfahrensvorschriften verstößt oder wesentliche Umstände unberücksichtigt läßt und ob sie rechtlich möglich ist(ständige Rechtsprechung, vgl. BAG 3. Juni 1998 – 5 AZR 656/97 – AP BGB § 611 Abhängigkeit Nr. 97).
b) Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält selbst diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab nicht stand. Sie verstößt gegen § 133 BGB und läßt wesentliche Umstände unberücksichtigt. Das Landesarbeitsgericht unterteilt den Text von Buchstabe B für die Auslegung in zwei von einander sprachlich unabhängige Abschnitte: den vorformulierten Satzteil: „Der Ausbildende zahlt der Auszubildenden eine angemessene Bruttovergütung” und den anschließenden handschriftlichen Passus: „entsprechend der Richtlinie der Bundesanstalt für Arbeit”. In ersterem erblickt das Landesarbeitsgericht eine Übereinkunft der Parteien über die Zahlung einer angemessenen Ausbildungsvergütung. Letzeren hält es für unmaßgeblich, weil schon nicht erkennbar sei, um welche Richtlinie der BA es sich handeln solle. Das „Merkblatt Nr. 12” zur beruflichen Rehabilitation stelle keine „Richtlinie” dar. Auf diese Weise ist das Landesarbeitsgericht dem gesetzlichen Auslegungsauftrag des § 133 BGB nicht gerecht geworden. Danach ist bei der Auslegung von Willenserklärungen der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften. Das Landesarbeitsgericht achtet den Vertragswortlaut einerseits zu wenig, andererseits zu starr.
aa) Es ist sprachlich nicht gerechtfertigt, den Text von Buchstabe B im dargelegten Sinne zweizuteilen. Der vorformulierte Textteil kann nicht für sich allein beurteilt werden. Er endet schon äußerlich nicht mit einem Satzzeichen, sondern ist nur der vorformulierte Anfang eines auf individuelle Ergänzung angelegten einheitlichen Satzes. Die Zahlung einer angemessenen Vergütung wird nicht unabhängig von der zu vereinbarenden Höhe zugesagt. Buchstabe B ist vielmehr so zu lesen: „Der Ausbildende zahlt an die Auszubildende eine angemessene Brutto-Vergütung entsprechend der Richtlinie der Bundesanstalt für Arbeit”. Die Parteien haben damit eine Ausbildungsvergütung als angemessen vereinbart, wie sie der „Richtlinie” der BA entspricht.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat den wirklichen Willen der Parteien auch deswegen zu wenig beachtet, weil es entscheidend auf den Ausdruck „Richtlinie” in seiner engen fachsprachlichen Bedeutung abgestellt hat. Die Parteien wollten sich an einschlägige Vorgaben der BA nicht nur dann binden, wenn diese „Richtlinien”-Charakter besaßen. Dafür gibt es keinen einsichtigen Grund. Ihr Wille ging vielmehr dahin, der Beklagte solle das an Ausbildungsvergütung zahlen, was die BA als Leistungsanspruch der Klägerin ermitteln würde. Ob sich dieser Anspruch aus einer „Richtlinie” oder aus sonstigen Regelungen ergäbe, war aus der Sicht der Parteien nach Maßgabe ihrer beiderseitigen Interessen ohne Bedeutung.
Die Klägerin mußte bei Vertragsabschluß erkennen, daß der Beklagte für ihre Ausbildungsvergütung keine eigenen Mittel aufwenden wollte, weil er über solche gar nicht verfügte. Die Klägerin wußte, daß der Beklagte nicht ein Gewerbebetrieb, sondern ein gemeinnütziger Verein ist, der vollständig aus öffentlichen Mitteln finanziert wird. Die Klausel in Buchstabe B konnte sie darum nicht anders verstehen, als daß der Beklagte sich zur Zahlung einer Ausbildungsvergütung nur in dem Maße verpflichten wollte, wie ihm die BA entsprechende Mittel zur Verfügung stellen würde. Anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, liegt die Absicht der Parteien, daß die Höhe einer vom Beklagten zu zahlenden Ausbildungsvergütung von der Höhe der entsprechenden Leistung der BA abhängen sollte, geradezu auf der Hand.
cc) Fraglich kann nur sein, ob eine solche Absicht der Parteien auch für den Fall anzunehmen ist, daß ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen gegenüber der BA – von Aufwendungsersatzleistungen abgesehen – gar nicht bestand. Dies ist zu bejahen. Ein solcher Wille entsprach den beiderseitigen Interessen. Der Beklagte wollte und konnte auch dann keine Ausbildungsvergütung aus eigenen Mitteln zahlen, wenn der Klägerin überhaupt keine Leistungen seitens der BA zustanden. Die Klägerin wiederum mußte an einer Ausbildung beim Beklagten auch für den Fall interessiert sein, daß sie eine Ausbildungsvergütung nicht erhielt. Der Wortlaut der Abrede steht diesem Verständnis nicht entgegen. Die vereinbarte Bindung der Ausbildungsvergütung an die „Richtlinie” der BA schließt die Möglichkeit ein, daß der Klägerin Leistungsansprüche gegen die BA nach den einschlägigen Vorschriften nicht zustehen. Auf die Richtigkeit der Behauptung des Beklagten, die Klägerin sei vor Beginn der Ausbildung in diesem Sinne durch die BA informiert worden, kommt es nicht an. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß beide Parteien bei Vertragsschluß als sicher angenommen hätten, die Klägerin werde auf jeden Fall irgendeinen Leistungsanspruch gegen die BA haben, in welcher Höhe auch immer.
c) Die Auslegung von Buchstabe B des Ausbildungsvertrages führt damit zu dem Ergebnis, daß die Klägerin Ansprüche auf Ausbildungsvergütung gegen den Beklagten nur in der Höhe möglicher Leistungen der BA haben sollte, eine Ausbildungsvergütung somit auch vollständig entfallen konnte. Die letztgenannte Alternative trat hier ein. Die Klägerin hatte nach Maßgabe von § 59 AFG in seiner während der Vertragslaufzeit geltenden Fassung keinen Anspruch auf Übergangsgeld. Ein solcher Anspruch bestand nur, wenn der Behinderte innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Ausbildungsmaßnahme mindestens 720 Kalendertage eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt oder Arbeitslosengeld oder im Anschluß daran Arbeitslosenhilfe bezogen hatte, § 59 Abs. 1 Satz 3 AFG. Daran fehlte es. Die Klägerin hatte auch keinen Anspruch auf Ausbildungsgeld iSd. § 56 Abs. 2 Nr. 6 AFG iVm. § 24 Abs. 3 Nr. 1 A-Reha. Zwar zählte sie zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Die gem. § 27 Abs. 2 A-Reha vorzunehmende Anrechnung des Einkommens ihrer Eltern führte aber in rechnerisch zutreffender Weise zu einem Anspruchsverlust. Das Elterneinkommen überstieg die maßgeblichen Freibeträge des § 27 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 a, Satz 2 a, b A-Reha von seinerzeit insgesamt 5.135,00 DM. Die Frage, ob Ansprüchen der Klägerin gegen den Beklagten andernfalls die Bestandskraft des Bescheids der BA vom 28. Oktober 1994 entgegenstünde, kann dahinstehen.
Die vertraglichen Abreden der Parteien begründen die Klageforderung nicht.
IV. Der Klageanspruch ergibt sich auch nicht aus § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Zwar hat nach dieser Vorschrift der Ausbildende dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung zu gewähren. Der Anspruch des Auszubildenden ist gemäß § 18 BBiG unabdingbar. Gleichwohl hat der Beklagte gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG nicht verstoßen. Die Vorschrift findet auf den Streitfall keine Anwendung.
1. Dies beruht nicht schon darauf, daß der Berufsausbildungsvertrag vom 17. August 1994 den Vorschriften des Berufsbildungsgesetzes nicht unterfiele. Auch eine überbetriebliche Berufsförderungs- und Rehabilitationseinrichtung wie der Beklagte kann Ausbildender iSd. Berufsbildungsgesetzes sein, § 1 Abs. 1, Abs. 5, § 2 Abs. 1, § 3 Abs. 1 BBiG. Die „Zuweisung” namentlich benannter Teilnehmer einer Rehabilitationsmaßnahme an eine solche Einrichtung durch die BA schließt nicht aus, daß zwischen dieser und den Rehabilitanden ein Ausbildungsverhältnis zustande kommt. Dies gilt zumindest dann, wenn Einrichtung und Rehabilitand förmlich einen Ausbildungsvertrag geschlossen haben. Für die Annahme, es bestehe nur ein öffentlich-rechtliches Vertragsverhältnis zwischen Einrichtung und BA zugunsten des Rehabilitanden gem. § 61 SGB X, § 328 BGB, ist dann kein Raum (vgl. BAG 6. September 1989 – 5 AZR 611/88 – AP AFG § 56 Nr. 1; Herkert Berufsbildungsgesetz Stand Mai 2000 § 3 Rn. 12 a mwN).
Im Streitfall haben die Parteien einen förmlichen Berufsausbildungsvertrag geschlossen. Sie haben die Rechte und Pflichten eines Ausbildenden und eines Auszubildenden iSd. § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 BBiG ungeachtet des Umstandes begründen wollen, daß es sich bei der Ausbildung der Klägerin um eine Maßnahme nach § 56 AFG handelte (für vergleichbare Fälle BAG 13. Mai 1992 – 7 ABR 72/91 – BAGE 70, 215). Die Parteien haben einen Ausbildungsvertrag auch nicht lediglich zum Schein geschlossen, um zwar die Eintragung des Berufsausbildungsverhältnisses nicht zu gefährden, ohne aber in Wirklichkeit die vereinbarten Rechte und Pflichten tatsächlich gelten lassen zu wollen. Die Beklagte sollte vielmehr zur ordnungsgemäßen Ausbildung durchaus verpflichtet, die Klägerin an die Pflichten einer Auszubildenden ohne Einschränkung gebunden sein. Auch § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG findet auf ein solches Ausbildungsverhältnis grundsätzlich Anwendung. Der gegenteiligen Ansicht von Herkert(aaO, § 10 Rn. 1 a) kann nicht gefolgt werden. Sie beruht auf der unzutreffenden Annahme daß, „sonstige Berufsbildungseinrichtungen” iSv. § 1 Abs. 5 BBiG keine Ausbildenden im Rechtssinne sein könnten.
2. Trotz der grundsätzlichen Anwendbarkeit von § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG ist aber zu berücksichtigen, daß dem Ausbildungsverhältnis der Parteien die entsprechende Rehabilitationsmaßnahme der BA nach § 56 AFG zugrunde lag. Aus Sicht der sozialversicherungsrechtlichen Beziehung zwischen der Klägerin und der BA hat diese sich des Beklagten bedient, um die der Klägerin gem. § 56 AFG gewährte berufsfördernde Leistung „Berufsausbildung” praktisch durchzuführen, § 33 Abs. 2 AFG. Die BA gewährte dem Beklagten dazu die in der Vereinbarung vom September 1994 zugesagten finanziellen Mittel. Auf diese Weise entstand eine dreiseitige Rechtsbeziehung mit den zu unterscheidenden Rechtsverhältnissen zwischen der Klägerin und dem Beklagten, der Klägerin und der BA und der BA und dem Beklagten. Ersteres ist dem Privatrecht, die beiden letzteren sind dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Bei der Prüfung der Angemessenheit der Ausbildungsvergütung ist diese Dreiseitigkeit zu beachten.
Eine solche oder eine ähnliche Konstellation lag bereits mehreren Entscheidungen des Senats zugrunde. Auch außerhalb von Rehabilitationsmaßnahmen hat der Senat dabei dem Umstand, daß die Ausbildung staatlich finanziert wurde, entscheidende Bedeutung für die Angemessenheit der Ausbildungsvergütung iSd. § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG beigemessen. Er hat angenommen, daß in diesen Fällen Vergütungen auch dann noch angemessen sein können, wenn sie erheblich unter tariflich einschlägigen Sätzen liegen (BAG 11. Oktober 1995 – 5 AZR 258/94 – AP BBiG § 10 Nr. 6 = SAE 1997, 113 mit Anm. B. Natzel/I. Natzel; BAG 11. Oktober 1989 – 5 AZR 526/88 – nv.; BAG 8. März 1989 – 5 AZR 106/88 – nv.; BAG 22. April 1987 – 5 AZR 72/86 – EzB BBiG § 10 Abs. 1 Nr. 49). Mit Urteil vom 6. September 1989 (– 5 AZR 611/88 – aaO) hat der Senat außerdem entschieden, daß der Gleichbehandlungsgrundsatz einen gemeinnützigen Verein zur Förderung Sehgeschädigter aufgrund der besonderen Rechtslage nicht dazu zwinge, Auszubildenden, die er im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme nach § 56 AFG ausbilde, ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu zahlen, so wie er dieses nichtgeförderten Auszubildenden gewähre.
3. Die vom Senat bislang entschiedenen Fälle zeichneten sich dadurch aus, daß die auszubildenden Rehabilitanden und geförderten Jugendlichen jedenfalls überhaupt ein Ausbildungsgeld oder eine Ausbildungsvergütung erhielten. Dies galt für die Klägerin nicht. Sie bezog von der BA lediglich Aufwendungsersatzleistungen nach § 56 Abs. 2 AFG. Eine darüber hinausgehende Vergütung erhielt sie vom Beklagten oder der BA nicht. Dennoch liegt darin kein Verstoß gegen § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG.
a) Die Ausbildungsvergütung hat regelmäßig drei Funktionen. Sie soll zum einen dem Auszubildenden zur Durchführung der Berufsausbildung eine finanzielle Hilfe sein, sie soll zum anderen die Heranbildung eines ausreichenden Nachwuchses an qualifizierten Fachkräften gewährleisten und sie soll schließlich eine Entlohnung darstellen (schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit, BT-Drucks. V/4260, S 9; BAG 8. Dezember 1982 – 5 AZR 474/80 – BAGE 41, 142; BAG 11. Oktober 1989 – 5 AZR 526/88 – nv.). Nach ständiger Rechtsprechung ist deshalb eine Vergütung angemessen, wenn sie hilft, die Lebenshaltungskosten zu bestreiten und sie zugleich eine Mindestentlohnung für die Leistung des Auszubildenden darstellt(BAG 11. Oktober 1995, aaO; BAG 8. Dezember 1982, aaO; BAG 10. April 1991 – 5 AZR 226/90 – BAGE 68, 10; ähnlich BVerwGE 62, 117). Welche Vergütung angemessen ist, kann nur unter Abwägung der Interessenlagen beider Vertragspartner und unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles festgestellt werden.
b) Im vorliegenden Fall tritt die Funktion der Heranbildung von Nachwuchskräften zurück. Die Ausbildung kam im Verhältnis der Parteien nur der Klägerin und nicht dem Beklagten zugute. Der Beklagte bildete mit der Klägerin nicht eine Nachwuchskraft für sich und für evtl. Mitglieder aus. Er wollte ihr vielmehr den allgemeinen Zugang zum Erwerbsleben ermöglichen. Auch der Gesichtspunkt, daß die Ausbildungsvergütung eine Mindestentlohnung für Leistungen des Auszubildenden darstellen müsse, tritt im Streitfall in den Hintergrund. Die Ausbildung brachte dem Beklagten keine finanziellen Vorteile. Erlöse, die der Beklagte aus einem Verkauf von Produkten oder von Dienstleistungen im Rahmen der Maßnahmedurchführung erzielen würde, sollten gem. Nr. 16 der Vereinbarung mit der BA von dieser kostenmindernd berücksichtigt werden können. Der Beklagte konnte Leistungen der Klägerin folglich nicht kommerziell nutzen.
c) Die verbleibende Funktion der Ausbildungsvergütung als finanzielle Hilfestellung für den Auszubildenden wird im dreiseitigen Rechtsverhältnis, in dem die Ausbildung als Rehabilitationsmaßnahme nach § 56 AFG stattfindet, durch die einschlägigen sozialrechtlichen Bestimmungen ersetzt. Diese Bestimmungen dienen gerade der Sicherung des Lebensunterhalts des Rehabilitanden und Auszubildenden während der Ausbildungsmaßnahme. Kann dieser ein Übergangsgeld nach § 56 Abs. 2 Nr. 1, §§ 59 ff. AFG, § 24 Abs. 2 A-Reha mangels Erfüllung der Leistungsvoraussetzungen nicht beanspruchen, kommt die Zahlung von Ausbildungsgeld nach § 56 Abs. 2 Nr. 6 AFG, § 24 Abs. 3, Abs. 4 A-Reha in Betracht. Als Sozialleistung, die mangels bisheriger Beitragsleistung nicht auf dem Versicherungsprinzip beruht, gilt für das Ausbildungsgeld der Grundsatz der Bedürftigkeit, wie er in den Anrechnungsbestimmungen des § 27 A-Reha zum Ausdruck kommt. Dies kann, wie im Streitfall, dazu führen, daß nach Maßgabe der Anrechnungsregelungen ein Anspruch auf Ausbildungsgeld gegenüber der BA nicht besteht.
aa) Für den Fall, daß ein solcher Anspruch doch besteht, ist das Ausbildungsgeld als angemessene Ausbildungsvergütung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG anzusehen, auch wenn es unter den tariflichen oder sonst branchenüblichen Ausbildungssätzen liegt (BAG 6. September 1989, aaO, mit zustimmender Anm. Natzel). Damit wird der Vorrang des Sozialrechts im Rahmen dreiseitiger Ausbildungsverhältnisse wie dem vorliegenden anerkannt. Auf diesem Vorrang beruht ferner die Zulässigkeit einer Vereinbarung untertariflicher Gehälter bei ABM-Kräften (BAG 18. Juni 1997 – 5 AZR 259/96 – BAGE 86, 136).
bb) Denselben Vorrang verlangt das Sozialrecht auch dann, wenn ein Anspruch des Rehabilitanden auf Ausbildungsgeld nicht besteht. Dies liegt in der Konsequenz der dreiseitigen Rechtsbeziehung. Deren alleinige wirtschaftliche Basis ist die Leistungsgewährung durch die BA nach Maßgabe des AFG bzw. des SGB III und der A-Reha. Würden dem Rehabilitanden gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG Vergütungsansprüche gegen die Rehabilitationseinrichtung außerhalb der Vorgaben des AFG oder des SGB III und der A-Reha erwachsen, würde dies zu System- und Wertungswidersprüchen führen. Die sozialrechtlichen Regelungen der Leistungsgewährung würden durch die privatrechtliche Beziehung zwischen Rehabilitand/Auszubildendem und Rehabilitationseinrichtung/Ausbildendem konterkariert und letztlich zu Lasten der BA um ihre Wirkung gebracht. Die BA wäre mittelbar gezwungen, Leistungen über die Bestimmungen in §§ 24, 27 A-Reha hinaus zu erbringen, da die Einrichtung selbst nicht in der Lage ist, Vergütungsansprüche nach § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG zu erfüllen.
Die Rechtslage im öffentlich finanzierten dreiseitigen Ausbildungsverhältnis verlangt deshalb in Fällen wie dem vorliegenden nach einer teleologischen Reduktion des § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG. Die Vorschrift ist im ausschließlich öffentlich finanzierten Ausbildungsverhältnis dann nicht anzuwenden, wenn die Ausbildungsvergütung vertraglich an Leistungen der BA gebunden ist und ein sozialrechtlicher Anspruch des Auszubildenden auf derartige Leistungen – Übergangs- oder Ausbildungsgeld – nicht besteht. Unter diesen engen Voraussetzungen ist es geboten, die ausbildende Rehabilitationseinrichtung von der gesetzlichen Verpflichtung zur Zahlung einer Ausbildungsvergütung gänzlich freizustellen (im Ergebnis zutreffend Weber BBiG Kommentar, Stand Mai 2000, § 10 Anm. 8). Ein gesetzlicher Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Ausbildungsvergütung besteht deshalb nicht. Die Klage ist unbegründet.
Unterschriften
Griebeling, Müller-Glöge, Kreft, Ackert, W. Hinrichs
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.11.2000 durch Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 599804 |
BAGE, 237 |
BB 2001, 1481 |
BB 2001, 51 |
DB 2000, 2433 |
NWB 2000, 4565 |
ARST 2001, 246 |
ARST 2001, 45 |
FA 2001, 25 |
NZA 2001, 1248 |
SAE 2001, 283 |
AP, 0 |
AuA 2001, 37 |
PERSONAL 2001, 582 |
ZMV 2001, 40 |
br 2001, 122 |
AuS 2000, 57 |
info-also 2001, 234 |