Entscheidungsstichwort (Thema)
Pflegezulage – Kranke in geriatrischen Abteilungen und Stationen
Leitsatz (amtlich)
Eine Grund- und Behandlungspflege bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen von Altersheimen, die einen Anspruch auf eine Pflegezulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 c zum Abschnitt A oder B der Anlage 1 b zum BAT begründet, liegt nur dann vor, wenn die überwiegende Anzahl der Bewohner dieser Abteilungen oder Stationen – ggf. neben einer wegen Alters oder Gebrechlichkeit notwendigen Altenpflege – wegen einer Krankheit der Krankenpflege bedarf.
Normenkette
BAT Anlage 1b Abschn. A, Abschn. B; Protokollerklärung Nr. 1 c
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 12. Juni 1998 – 12 Sa 227/98 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Pflegezulage.
Die Klägerin ist seit 1. April 1995 beim Beklagten als Krankenschwester beschäftigt. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vom 13. Februar 1995 haben die Parteien ua. vereinbart:
„Die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus diesem Arbeitsvertrag richten sich nach den Vorschriften des Bundes-Angestelltentarifvertrages und den dazu ergangenen Tarifverträgen und Sonderregelungen in der für die VkA jeweils geltenden Fassung. Die §§ 37 (2), 40, 42 bis 45, 53 (3), 62 bis 64 BAT finden keine Anwendung.”
Die Klägerin wird in dem vom Beklagten betriebenen Seniorenwohnheim „Haus V.” beschäftigt. Dort leben in vier Stationen 140 Bewohner, von denen etwa 50 der Pflegestufe III nach § 15 SGB XI zugeordnet sind. Die Klägerin betreut im Wechsel mit einer Kollegin als Nachtschwester in einer Woche die Station 3 und in der nächsten Woche die Stationen 1, 2 und 4.
In der 44 Bewohner umfassenden Station 3 sind 31 Bewohner untergebracht, welcher der Pflegestufe III, vier, die der Pflegestufe II und drei Bewohner, die der Pflegestufe I zugeordnet sind. Das Verhältnis auf den übrigen Stationen stellt sich wie folgt dar:
- Station 1: 33 Bewohner – 1 Bewohner der Pflegestufe III, 26 Bewohner ohne Pflegestufenzuordnung.
- Station 2: 33 Bewohner – 3 Bewohner der Pflegestufe III, 26 Bewohner ohne Pflegestufenzuordnung.
- Station 4: 30 Bewohner – 15 Bewohner der Pflegestufe III, 4 Bewohner der Pflegestufe II und 2 der Pflegestufe I.
Mit Schreiben vom 25. September 1996 machte die Klägerin eine Zulage gem. der Protokollerklärung Nr. 1 zur Anlage 1 b zum BAT in Höhe von monatlich 90,00 DM geltend. Der Beklagte lehnte mit Schreiben vom 2. Dezember 1996 die Zahlung dieser Zulage ab.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie übe zeitlich überwiegend Grund- und Behandlungspflege bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen aus. Sie schildert den üblichen Ablauf einer durch eine einstündige Bereitschaftspause unterbrochenen 10-stündigen Nachtschicht wie folgt:
Zwischen 20.45 Uhr und 21.00 Uhr finde die Übergabe mit einer entsprechenden Unterrichtung durch den Spätdienst über neue ärztliche Verordnungen, akute Erkrankungen, Verschlechterung des Allgemeinzustandes von Bewohnern statt. Zwischen 21.00 Uhr und 0.00 Uhr würden Kontrollgänge bei Patienten, bei denen Sondenkost angehängt werden müsse sowie bei denen, die inkontinent seien, gemacht. Im übrigen klingelten ständig die Bewohner, die Medikamente bräuchten, eingenäßt hätten, hingefallen seien, etwas zu trinken haben möchten, Luftnot hätten, sich verirrt hätten, verwirrt seien oder aufstehen wollten, Angstzustände hätten, ein Beruhigungsmittel bräuchten, sich erbrochen hätten oder anders gelagert werden wollten. Von 0.00 Uhr bis ca. 2.00 Uhr finde eine sog. erste „Pampersrunde” statt, bei welcher allen inkontinenten Bewohnern die Windelhose und/oder die Vorlage gewechselt, das Bett neu bezogen werde sowie einige Bewohner auf den Nachtstuhl gesetzt oder zur Toilette begleitet würden. Bettlägerige Bewohner würden hierbei anders gelagert. Teilweise würden wunde Stellen eingecremt oder bei bereits offenen Stellen Kompressen und Salben erneuert. Von 2.00 Uhr bis 4.00 Uhr sei es etwas ruhiger. In dieser Zeit werde versucht, die Bereitschaftspause zu nehmen. Von 4.00 Uhr bis 6.30 Uhr finde dann die zweite „Pampersrunde” statt. Auch hier würden alle Inkontinenten versorgt sowie die Bettlägerigen anders gelagert. Da jetzt viele Bewohner ausgeschlafen hätten, werde ständig geklingelt. Außerdem müßten verwirrte Bewohner auf ihre Zimmer zurückgebracht werden. Bei Heimbewohnern mit Sondenkost müsse ein neues System angehängt und die Menge neu eingestellt werden. Anschließend würden alle Tätigkeiten in einem Dokumentationssystem notiert. Von 6.30 Uhr bis 6.45 Uhr finde die Übergabe an den Frühdienst statt.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, daß ihr mit Wirkung ab dem 1. März 1996 eine monatliche Pflegezulage in Höhe von 90,00 DM brutto zustehe;
- den Beklagten zu verurteilen, an sie 900,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 6. Januar 1997 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Er meint, die streitige Pflegezulage komme nur für Beschäftigte in geriatrischen Stationen und Abteilungen in Krankenhäusern in Frage. Außerdem pflege die Klägerin nicht überwiegend Kranke. Allein aus dem Umstand, daß die Mehrzahl der ca. 140 Heimbewohner in die Pflegestufen II und III eingestuft sei, ergebe sich nicht, daß die Klägerin überwiegend Kranke pflege. Die Tätigkeit der Klägerin in der Nachtschicht stelle sich überwiegend als Kontrolltätigkeit und nicht als Ausübung einer Grund- und Behandlungspflege dar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin die Zurückweisung der Revision beantragt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Auf Grund des vom Landesarbeitsgerichts festgestellten Sachverhaltes kann der Klage auf Zahlung der Pflegezulage gem. der Protokollerklärung Nr. 1 c zur Anlage 1 b zum BAT nicht stattgegeben werden.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet. Die streitige Zulage könne grundsätzlich auch Pflegepersonal zustehen, das in besonderen Siechen- und Pflegestationen von Altersheimen arbeite. Anspruchsvoraussetzung sei allerdings, daß auf diesen Stationen überwiegend pflegebedürftige Personen untergebracht seien. Die Klägerin führe an den von ihr betreuten Menschen Grund- und Behandlungspflege durch. Auch handele es sich bei den Bewohnern des vom Beklagten betriebenen Altersheims überwiegend um Kranke. Als Krankheit sei jeder regelwidriger Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der von einer gewissen Erheblichkeit sei.
Kranke seien nicht nur solche Personen, die in die Pflegestufe III eingereiht seien. Auch Bewohner, denen lediglich die Pflegestufe II oder I zugebilligt worden sei, könnten Kranke sein. Nehme man außerdem die von der Klägerin aufgeführten Erkrankungen der Heimbewohner hinzu, so zeige sich, daß es sich bei den von der Klägerin betreuten Stationen um eine geriatrische Abteilung handele.
II. Der Senat kann dem Landesarbeitsgericht nicht folgen.
1. Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf die begehrte Pflegezulage auf die Protokollerklärung Nr. 1 c zur Anlage 1 b zum BAT.
Sowohl die Vorinstanzen als auch die Parteien haben übersehen, daß die Anlage 1 b zum BAT zwei Protokollerklärungen Nr. 1 c enthält.
Die Anlage 1 b ist nämlich in den Abschnitt A – Pflegepersonal, das unter die SR 2a BAT fällt – und den Abschnitt B – Pflegepersonal, das nicht unter die SR 2a BAT fällt – unterteilt. Beide Abschnitte enthalten eine gleichlautende Protokollerklärung Nr. 1 c folgenden Wortlauts:
„(1) Pflegepersonen der Vergütungsgruppen Kr. I bis Kr. VII, die die Grund- und Behandlungspflege zeitlich überwiegend bei
…
c) Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen,
…
ausüben, erhalten für die Dauer dieser Tätigkeit eine monatliche Zulage von 90,00 DM.”
Die SR 2a und SR 2b zum BAT lauten – soweit hier von Interesse:
„Sonderregelungen
für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen
(SR 2a BAT)
Nr. 1
Zu §§ 1 und 2 – Geltungsbereich;–
Diese Sonderregelungen gelten für die in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen, beschäftigten Angestellten. Dazu gehören auch die Angestellten, die in Anstalten beschäftigt sind, in denen eine ärztliche Eingangs-, Zwischen- und Schlußuntersuchung stattfindet (Kuranstalten und Kurheime), ferner die Angestellten in Krankenanstalten und Krankenabteilungen des Justizvollzugsdienstes, die nicht im Aufsichtsdienst tätig sind, die Angestellten in medizinischen Instituten von Kranken-, Heil- oder Pflegeanstalten (z.B. pathologischen Instituten oder Röntgeninstituten) sowie die Angestellten in Alters- und Pflegeheimen mit überwiegend krankenpflegebedürftigen Insassen.
…
Sonderregelungen
für Angestellte in Anstalten und Heimen, die nicht unter die Sonderregelungen 2a fallen
(SR 2b BAT)
Nr. 1
Zu §§ 1 und 2 – Geltungsbereich;–
Diese Sonderregelungen gelten für Angestellte in Anstalten und Heimen, die nicht unter die Sonderregelungen 2a fallen, wenn sie
- der Förderung der Gesundheit,
- der Erziehung, Fürsorge oder Betreuung von Kindern und Jugendlichen,
- der Fürsorge oder Betreuung von obdachlosen, alten, gebrechlichen, erwerbsbeschränkten oder sonstigen hilfsbedürftigen Personen
dienen.
Dazu gehören auch die Angestellten in Anstalten, in denen die betreuten Personen nicht regelmäßig ärztlich behandelt oder beaufsichtigt werden (Erholungsheime).”
Die Klägerin unterfällt dann dem Geltungsbereich der SR 2a zum BAT, wenn es sich bei dem Altersheim, in dem sie tätig ist, um ein „Alters- und Pflegeheim mit überwiegend krankenpflegebedürftigen Insassen” handelt. Bewohnen das Altersheim jedoch nicht überwiegend krankenpflegebedürftige Insassen, so unterfällt die Klägerin dem Geltungsbereich der SR 2b zum BAT, weil sie in einem Heim beschäftigt ist, das der Fürsorge und Betreuung „alter, gebrechlicher, erwerbsbeschränkter oder sonstiger hilfsbedürftiger Personen dient”, Nr. 1 Satz 1 der SR 2b zum BAT.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann es aber dahinstehen, ob die Klägerin dem Abschnitt A oder dem Abschnitt B der Anlage 1 b zum BAT unterfällt, weil wegen des gleichlautenden Wortlautes beider Protokollerklärungen auch deren Tatbestandsvoraussetzungen identisch sind.
2. a) Voraussetzung für einen Anspruch auf eine Pflegezulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 c ist zunächst, daß die Klägerin Grund- und Behandlungsplege ausübt. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß unter „Grundpflege” die Befriedigung der allgemeinen Bedürfnisse der zu pflegenden Personen im Hinblick auf Nahrungsaufnahme und Hygiene zu verstehen ist (vgl. Claus/Brockpähler/Teichert Lexikon der Eingruppierung Stand August 1999 Stichwort: Grundpflege). Ebenso zutreffend hat das Landesarbeitsgericht die Behandlungspflege als darüber hinausgehende Versorgung nach medizinischen Bedürfnissen (vgl. Claus/Brockpähler/Teichert aaO Stichwort: Behandlungspflege), also zur Besserung oder Linderung von Krankheiten definiert.
Die Betreuungstätigkeiten, welche die Klägerin nach ihren unbestrittenen Angaben während ihres Nachtdienstes an den Patienten verrichtet, ist Grund- und Behandlungspflege im oben dargestellten Sinne. Soweit sich der Beklagte darauf beruft, diese Grund- und Behandlungspflege werde von der Klägerin nicht arbeitszeitlich überwiegend ausgeübt, weil sich ihre überwiegende Tätigkeit als reine Kontrolltätigkeit darstelle, kann dem nicht gefolgt werden.
Die von der Klägerin während ihrer Nachtschicht durchgeführten Kontroll- und Überwachungstätigkeiten sind untrennbar mit der eigentlichen Pflegetätigkeit verbunden, da sie für diese unverzichtbare Voraussetzungen sind. Ohne eine Kontrolle und Überwachung der Heimbewohner ist es der Klägerin nicht möglich, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob und wann eine über die vorgegebenen Pflegemaßnahmen hinausgehende zusätzliche Pflegemaßnahme erforderlich ist. So kann eine solche, wie zum Beispiel die Verabreichung von Getränken oder Medikamenten bzw. das Wechseln von Windeln oder Wäschestücken, erst dann vorgenommen werden, wenn die Klägerin auf Grund der Überwachung der Heimbewohner festgestellt hat, daß solche Maßnahmen nötig sind. Hinzu kommt, daß es nicht von der Zahl der während einer Nachtschicht gewechselten Windeln oder der Häufigkeit, verwirrte Heimbewohner ins Bett zu bringen, abhängen kann, in welchem zeitlichen Umfange die Klägerin während dieser Schicht Grund- und Behandlungspflege ausgeübt hat.
Eine reine Kontrolltätigkeit, welche sich nicht als Grund- und Behandlungspflege darstellt, läge nur dann vor, wenn die Klägerin lediglich überwachen würde, ob irgendwelche Behandlungs- oder Pflegemaßnahmen an Heimbewohnern erforderlich sind, um dann eine zuständige Pflegekraft aufzufordern, die entsprechenden Maßnahmen durchzuführen.
Stellt sich somit die von der Klägerin während ihrer Nachtschicht geleistete Arbeit insgesamt als Grund- und Behandlungspflege dar, so hängt ein Anspruch der Klägerin auf eine Pflegezulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 c der Anlage 1 b zum BAT davon ab, ob sie diese Pflege zeitlich überwiegend bei Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen ausübt.
b) Entgegen der Ansicht des Beklagten ist die Protokollerklärung Nr. 1 c der Anlage 1 b zum BAT nicht nur für geriatrische Abteilungen und Stationen in Krankenhäusern anzuwenden. Dies folgt bereits daraus, daß die Protokollerklärung Nr. 1 c auch im Abschnitt B der Anlage 1 b zum BAT enthalten ist, der gerade für das nicht den SR 2a zum BAT unterfallende Pflegepersonal gilt, also für die nicht in Krankenanstalten beschäftigten Pflegekräfte.
c) Zu Unrecht geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß es sich bei den Bewohnern des vom Beklagten betriebenen Altersheimes überwiegend um Kranke iSd. Protokollerklärung Nr. 1 c handelt. So ist insbesondere die Annahme des Landesarbeitsgerichts, alle Personen, die gem. § 15 SGB XI in die Pflegestufe III eingestuft sind, seien „Kranke” nicht zulässig.
aa) Was unter dem Tarifbegriff „Kranke” zu verstehen ist, muß durch Auslegung ermittelt werden.
Die Auslegung des normativen Teiles eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn und Zweck der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien, zB die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG 24. Februar 1999 – 10 AZR 5/98 – AP BAT §§ 22, 23 Zuwendungs-TV Nr. 21 mwN).
bb) Zieht man entsprechend diesen Grundsätzen zunächst den Tarifwortlaut heran, so ergibt sich, daß „krank” derjenige ist, der an einer Krankheit leidet. Unter Krankheit wird allgemein jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand, der einer Heilbehandlung bedarf, verstanden (BAG 1. Juni 1983 – 5 AZR 536/80 – BAGE 43, 54; Lexikon Medizin-Ethik-Recht 1989 S 651, 656 Stichwort: Krankheitsbegriffe) oder der regelwidrige Verlauf leiblicher, seelischer oder geistiger Lebensvorgänge, der Krankenpflege notwendig macht (Roche Lexikon Medizin S 920 Stichwort: Krankheit).
Damit sind diejenigen Personen als Kranke iSd. Protokollerklärung Nr. 1 c zu betrachten, die auf Grund ihres regelwidrigen Körper-, (Seelen-) oder Geisteszustandeseiner Krankenpflege bzw. Heilbehandlung bedürfen. Kranke sind deshalb „krankenpflegebedürftig”. Damit unterscheiden sie sich von sonstigen Altersheimbewohnern, die ebenfalls pflegebedürftig, aber nicht krankenpflegebedürftig sind. Daß auch die Tarifvertragsparteien eine solche Unterscheidung zwischen allgemeiner Pflegebedürftigkeit und Krankenpflegebedürftigkeit treffen wollten, zeigt sich an der Nr. 1 der SR 2a zum BAT, in welcher der Geltungsbereich der SR 2a auf „Alters- und Pflegeheime mit überwiegend krankenpflegebedürftigen Insassen” erstreckt wird, während die Nr. 1 der SR 2b zum BAT den Geltungsbereich dieser Sonderregelungen allgemein auf Anstalten und Heime erstreckt, die der Fürsorge und Betreuung von alten, gebrechlichen, erwerbsbeschränkten oder sonstigen hilffsbedürtigen Personen dienen.
Heimbewohner in Alters- und Pflegeheimen bedürfen in der Regel auf Grund ihres Alters und des damit verbundenen Nachlassens ihrer geistigen und körperlichen Kräfte sowie auf Grund zunehmender Gebrechlichkeit der Pflege und Betreuung in mehr oder minder großem Umfang. Diese Pflege soll im folgenden als Altenpflege verstanden werden.
Heimbewohner, gleichgültig, ob sie in diesem Sinne schon der Altenpflege bedürfen, können auch erkranken. Sie bedürfen dann einer entsprechenden Behandlung und einer zusätzlichen Pflege, die durch den Krankheitszustand bedingt und durch diesen bestimmt wird. Sie sind damit „krankenpflegebedürftig”. Krankenpflege ist damit eine Pflege, deren Ziel es ist, eine Krankheit zu beheben oder ihre Verschlimmerung nach Möglichkeit zu vermeiden bzw. zu verlangsamen oder die Auswirkungen einer Krankheit auf das körperliche und seelische Wohlbefinden des Kranken zu lindern. Die auf Heimbewohner bezogene Krankenpflege kann damit neben eine schon notwendig gewordene Altenpflege treten, zu dieser also hinzukommen. Krankenpflegebedürftige Heimbewohner können daneben auch altenpflegebedürftig sein (BAG 8. März 1995 – 10 AZR 697/94 – AP BAT § 33 a Nr. 6).
Im Interesse einer einheitlichen Auslegung von im BAT verwendeten Begriffen, muß der Begriff „Kranke” iSd. Protokollerklärung Nr. 1 c und der Begriff „krankenpflegebedürftige Insassen” iSd. Nr. 1 der SR 2a zum BAT bezüglich der Pflegetätigkeit in Altersheimen inhaltsgleich verstanden werden.
Damit ist nicht zwangsläufig jeder von der Klägerin betreute Heimbewohner, der einer bestimmten Pflegestufe nach § 15 SGB XI zugeordnet ist, „krank” iSd. Protokollerklärung Nr. 1 c. Bei einer gewissen Anzahl dieser sog. Pflegefälle wird eine über die allgemeine pflegerische Betreuung hinausgehende medizinische Behandlung mit dem Ziel einer Besserung oder Linderung des bestehenden Zustandes nicht (mehr) stattfinden. Daß auch die Vorschriften über die Pflegeversicherung davon ausgehen, daß nicht jeder Fall der Pflegebedürftigkeit einer Krankheit gleichzusetzen ist, zeigt auch § 14 Abs. 1 SGB XI, der die Pflegebedürftigkeit iSd. SGB XI wie folgt definiert:
„Pflegebedürftig … sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung … der Hilfe bedürfen”.
Damit kann die Pflegebedürftigkeit auch auf einer nicht krankenpflegebedürftigen Behinderung beruhen (vgl. auch BAG 1. September 1993 – 10 AZR 259/92 – AP BAT § 33 a Nr. 1). Zwar ist auch unter Behinderung jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand zu verstehen, was insoweit mit dem Begriff der Krankheit übereinstimmt, jedoch setzt die Krankheit darüber hinaus eine zusätzliche Behandlungsbedürftigkeit voraus (Hauck/Wilde Sozialgesetzbuch SGB XI Stand Februar 1999 K § 14 Rn. 26 mwN).
Daraus folgt, daß grundsätzlich in Alters- und Pflegeheimen, in denen „Kranke” iSd. Protokollerklärung Nr. 1 c untergebracht sind, auch eine ständige medizinische Betreuung durch einen Arzt sichergestellt sein muß.
cc) Für diese Auslegung des Begriffes „Kranke” spricht auch, daß die Protokollerklärung Nr. 1 c von Kranken in „geriatrischen Abteilungen oder Stationen” spricht.
Die Geriatrie definiert sich als der Zweig der Medizin, der sich mit den Krankheiten des alternden oder des alten Menschen befaßt (Duden Das Wörterbuch medizinischer Fachausdrücke 3. Aufl. S 291) und sich somit mit den klinischen, präventiven, therapeutischen und sozialen Aspekten der Krankheiten der Betagten befaßt. Insbesondere werden in der Geriatrie akute Erkrankungen bei mulitmorbiden Betagten unter Berücksichtigung chronisch-degenerativer Krankheiten behandelt. Dabei strebt diese Behandlung eine Rehabilitation des Patienten an, so daß dieser die durch die Krankheit verlorenen Funktionen und Tätigkeiten wieder erlangt bzw., wenn dies nicht möglich ist, neue Ersatzfunktionen erwirbt bzw. mit reduzierten Möglichkeiten sinnvoll leben kann (vgl. Lexikon Medizin-Ethik-Recht S 392 ff. Stichwort: Aufgaben der Geriatrie).
Deshalb setzt der Begriff „geriatrische Abteilungen oder Stationen” nach medizinischem Sprachgebrauch voraus, daß dort Personen untergebracht sind, an denen eine medizinische Heilbehandlung durchgeführt wird.
Dies hat zur Folge, daß nicht jede Betreuung pflegebedürftiger Menschen durch die Klägerin eine Pflege von „Kranken in geriatrischen Abteilungen oder Stationen” iSd. Protokollerklärung Nr. 1 c darstellt. Eine solche liegt nur dann vor, wenn an den Pflegebedürftigen außer der sog. Altenpflege zusätzlich eine Krankenpflege vorgenommen wird.
dd) Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Zulage nach dieser Protokollerklärung. Bei dieser Zulage handelt es sich nämlich nicht um eine allgemeine Pflegezulage, sondern um eine echte Erschwerniszulage. Dies zeigt bereits eine Gesamtschau der einzelnen Zulagenregelungen der Protokollerklärung Nr. 1. So werden danach Zulagen gewährt für die Pflege von an schweren Infektionskrankheiten erkrankten Patienten in besonderen Infektionsabteilungen oder -stationen, Protokollerklärung Nr. 1 a, für die Pflege von Kranken in geschlossenen oder halbgeschlossenen psychiatrischen Abteilungen oder Stationen, Protokollerklärung Nr. 1 b, oder von Gelähmten oder an multipler Sklerose erkrankten Patienten, Protokollerklärung Nr. 1 d.
An diesen Zulagenregelungen zeigt sich, daß diese Zulagen für die Pflegetätigkeit unter erschwerten Bedingungen und mithin als Arbeitsentgelt für eine Tätigkeit unter besonderen Anforderungen, also als sog. Erschwerniszulagen gewährt werden sollen (BAG 13. Dezember 1973 – 5 AZR 213/73 – AP BGB § 611 Rotes Kreuz Nr. 9; 12. November 1997 – 10 AZR 772/96 – AP BAT § 33 Nr. 15; 10. Februar 1999 – 10 AZR 711/97 – AP BAT § 34 Nr. 5; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Pühler BAT Stand Oktober 1999 Bd. II Anl. 1 b Rn. 86).
Die Zulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 c wird demnach für die Erschwernisse gewährt, welche sich dadurch ergeben, daß die Pflegetätigkeit nicht lediglich als Altenpflege, sondern darüber hinaus auch als Krankenpflege geleistet werden muß.
ee) Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht der Beschluß des Gruppenausschusses für Kranken- und Pflegeanstalten der VkA vom 21. September 1971, der wie folgt lautet:
„Zulage nach der Protokollerklärung Nr. 1 c zu Absch. A und B:
Der Gruppenausschuß kam einstimmig zu dem Ergebnis, daß in Altenheimen zwar grundsätzlich die Voraussetzungen für die Gewährung einer Zulage nach der jeweiligen Protokollerklärung Nr. 1 zu den Abschnitten A und B der Anlage 1 b zum BAT nicht erfüllt sind, daß aber an Pflegekräfte, die in diesen Heimen in besonderen Siechen- bzw. Pflegestationen tätig sind, die Zulage zu gewähren ist. Allerdings ist Voraussetzung dafür, daß in diesen Stationen überwiegend sieche bzw. pflegebedürftige Personen vorhanden sind.”
Dieser Beschluß spricht vom Wortlaut her nicht gegen das oben gefundene Ergebnis, da auch der Gruppenausschuß für einen Anspruch auf eine Pflegezulage in Altersheimen verlangt, daß „pflegebedürftige Personen” in den Pflegestationen betreut werden. Damit geht auch der Gruppenausschuß davon aus, daß es in Altersheimen „Siechen- bzw. Pflegestationen” geben kann, in denen nicht überwiegend sieche bzw. pflegebedürftige Personen leben. Im übrigen wäre für die Auslegung der Protokollerklärung Nr. 1 c, die sich in erster Linie am Wortlaut der Tarifnorm orientieren muß, ein Beschluß des Gruppenausschusses auch nicht verbindlich.
Zwar bezieht sich das Bundesarbeitsgericht in seinen Urteilen vom 13. Dezember 1973 (– 5 AZR 213/73 – AP Nr. 9 zu § 611 BGB Rotes Kreuz) und vom 2. September 1987 (– 4 AZR 307/87 – und – 4 AZR 178/87 – nv.), auf den Beschluß des Gruppenausschusses, jedoch lagen diesen Entscheidungen keine Fälle zugrunde, in denen die Anlage 1 b zum BAT unmittelbar als Rechtsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche auf Pflegezulagen in Frage kam. Vielmehr wurde in diesen Entscheidungen der Beschluß des Gruppenausschusses lediglich als für den Bereich des BAT zu beachtendes Auslegungskriterium für die Protokollerklärung Nr. 1 c der Anlage 1 b zum BAT zitiert.
3. Demnach wird das Landesarbeitsgericht aufzuklären haben, inwieweit die Klägerin ihre Pflegetätigkeit an Kranken im oben dargestellten Sinne verrichtet und ob diese Pflegetätigkeit die allgemein als Altenpflege bezeichnete Tätigkeit an nicht krankenpflegebedürftigen Heimbewohnern arbeitszeitlich überwiegt. Ob in den Stationen, in denen die Klägerin beschäftigt ist, die überwiegende Zahl der Heimbewohner in der Regel krankenpflegebedürftig ist, muß die Klägerin dartun und ggf. beweisen. Dieser Darlegung stehen Schwierigkeiten, die zu einer Umkehr der Beweislast führen könnten, nicht entgegen. Ob Heimbewohner krank sind und deswegen ihnen gegenüber auch eine Krankenpflege erbracht wird, ist ein in der Außenwelt liegender und jederzeit wahrnehmbarer Zustand. Kranke Personen stehen regelmäßig in ärztlicher Behandlung. Auch sind Maßnahmen der Krankenpflege durchwegs ärztlich verordnet (vgl. hierzu: BAG 8. März 1995 – 10 AZR 697/94 – AP BAT § 33 a Nr. 6).
III. Das Landesarbeitsgericht hat auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden.
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Böck, Thiel, Tirre
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 15.12.1999 durch Susdorf, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
BB 2000, 884 |
FA 2000, 202 |
ZTR 2000, 270 |
AP, 0 |
PersR 2000, 217 |
PflR 2000, 380 |