Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Überhangprovision. Anspruch des Handlungsgehilfen auf Überhangprovision. pauschale Verminderung der Überhangprovision. Inhaltskontrolle einer vom Arbeitgeber für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Provisionsregelung
Leitsatz (amtlich)
1. Es bleibt unentschieden, ob daran festzuhalten ist, dass der Anspruch eines Handlungsgehilfen nach den §§ 65, 87 Abs. 1 Satz 1 HGB auf bereits erarbeitete, aber erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällige Provision (Überhangprovision) von den Arbeitsvertragsparteien abbedungen werden kann, wenn hierfür ein sachlicher Grund vorliegt (vgl. BAG 20. August 1996 – 9 AZR 471/95 – BAGE 84, 17, 22).
2. Vermindert eine vom Arbeitgeber vorformulierte Klausel die Überhangprovision ohne Ausgleich pauschal auf die Hälfte der vereinbarten Provision, benachteiligt dies den Arbeitnehmer unangemessen. Die Klausel ist unwirksam.
Orientierungssatz
1. § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB knüpft den Anspruch auf Provision an den Abschluss von Geschäften während des Vertragsverhältnisses und begründet daher auch einen Provisionsanspruch für solche Geschäfte, die vor der Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen, aber erst danach vollständig abgewickelt werden (Überhangprovision).
2. Es spricht viel dafür, dass der Anspruch eines Arbeitnehmers auf Überhangprovision nach § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB von den Arbeitsvertragsparteien nicht abbedungen werden kann.
3. Eine vom Arbeitgeber vorformulierte Vertragsklausel, nach der dem Arbeitnehmer als Überhangprovision nur die Hälfte der vereinbarten Provision zusteht, ist jedenfalls zu weit gefasst, benachteiligt den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen und ist deshalb gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam.
Normenkette
BGB §§ 242, 307, 611 Abs. 1; HGB § 59 S. 1, §§ 65, 84 Abs. 1, §§ 87, 89b; GG Art. 12
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 16. Januar 2007 – 5 Sa 107/06 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 14. Februar 2006 – 4 Ca 258/05 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat auch die Kosten der Revision und der Berufung zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über restliche Überhangprovision.
Die Beklagte stellt Fertighäuser her und vertreibt sie. Der Kläger war bei ihr ab dem 15. Juli 2003 aufgrund eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom selben Tag als Gebietsleiter tätig. Die Bedingungen des Vertrags waren von der Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert. Im Arbeitsvertrag heißt es:
“§ 1 Tätigkeit
Der Arbeitnehmer wird als Gebietsleiter für Niedersachsen eingestellt, er wird die Kaufinteressenten für Häuser der Marke S… hinsichtlich aller bis zum Vertragsabschluss erforderlichen Aspekte beraten und betreuen und soweit erforderlich auch während der Abwicklung des Vertrages den Kontakt aufrecht erhalten.
…
§ 4 Festgehalt
In den ersten 3 Monaten seiner Tätigkeit erhält der Arbeitnehmer einen festen Betrag von 1.700,- EUR brutto, der nicht mit Provisionen verrechnet wird.
Der Arbeitnehmer erhält ab dem 01/11/2003 ein monatliches Festgehalt von 1.700,- EUR brutto, sofern nicht die im folgenden Abschnitt geregelten Provisionen diesen Betrag übersteigen.
§ 5 Provision
Der Arbeitnehmer erhält für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Käufer eine Provision auf die das Nettogehalt angerechnet wird.
Die Provision wird errechnet aus 5 % des Nettoverkaufspreises für alle Haustypen. Bei der Berechnung der Provision wird der endgültige Nettoverkaufspreis des Hauses berücksichtigt, nicht aber die Planungsrate.
Von dem so ermittelten Betrag werden die dem Arbeitnehmer erstatteten Auslagen für Spesen, Fahrtkosten, Benzingeld und andere im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit angefallenen Kosten abgezogen. Der Restbetrag ergibt die Summe aus der dem Arbeitnehmer zustehenden Provision und dem darauf anfallenden Arbeitgeberanteil. Sollte der Mitarbeiter aus dem Unternehmen ausscheiden, bevor die erste Kaufpreisrate eines Käufers fällig geworden ist, steht dem Mitarbeiter nur die Hälfte der hier geregelten Provision zu. Sollte der Mitarbeiter Vorgänge von anderen Vertriebsmitarbeitern zum Abschluss bringen, für die nach diesen Modalitäten nur 50 % der Provision angefallen ist, so steht ihm bei ordnungsgemäßer Abwicklung die andere Hälfte der Provision zu.
Die Provision wird hinsichtlich der einzelnen Verträge fällig, zu 25 % sobald die Erwerber die Rate für die Planungskosten beglichen haben, hinsichtlich der weiteren 75 % bei Bezahlung der ersten Vertragsrate durch die Erwerber. Werden die Planungskosten nicht gesondert in Rechnung gestellt ist die Provision insgesamt bei Bezahlung der ersten Vertragsrate durch die Erwerber fällig.”
Der Kläger vermittelte der Beklagten im Juli 2004 und im September 2004 jeweils den Verkauf eines Fertighauses. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete aufgrund einer ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 20. Januar 2005 zum 28. Februar 2005. Die ersten Kaufpreisraten für die zwei Fertighäuser, deren Verkauf der Kläger der Beklagten vermittelt hatte, wurden erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Beginn der Montage der Fertighäuser fällig. Die Beklagte zahlte dem Kläger für die Vermittlung der zwei Kaufverträge eine Provision iHv. 2,5 % der Nettoverkaufspreise.
Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte schulde ihm die volle Provision iHv. 5 % der Nettoverkaufspreise. Die Regelung im Arbeitsvertrag, wonach die Beklagte bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der ersten Kaufpreisrate nur die Hälfte der Provision zu zahlen habe, benachteilige ihn unangemessen und sei deshalb rechtsunwirksam.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.114,33 Euro abzüglich des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. September 2005 aus dem entsprechenden Nettobetrag zu zahlen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der ersten Kaufpreisrate vermindere sich die Provision nicht um die Hälfte, vielmehr stehe dem Vertriebsmitarbeiter nach der arbeitsvertraglichen Regelung in diesem Fall von vornherein nur die Hälfte der Provision zu. Die Provisionsregelung betreffe die Hauptleistungspflichten der Parteien und sei deshalb einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB entzogen. Im Übrigen benachteilige die Regelung den Kläger nicht unangemessen. Bei den vom Kläger vermittelten Kaufverträgen sei eine umfangreiche Nachbetreuung der Kunden erforderlich gewesen. Es treffe nicht zu, dass der Arbeitsaufwand bei der nachvertraglichen Betreuung der Kunden in der Regel geringer sei als der für die Vermittlung des Kaufvertrags. Die Gefahr einer Stornierung des Kaufvertrags sei erheblich größer, wenn der Käufer sich allein gelassen fühle.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, § 87 Abs. 1 HGB zähle zum dispositiven Recht, so dass die Parteien im Arbeitsvertrag abweichende Regelungen hätten treffen können. Allerdings könne § 87 Abs. 1 HGB nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes wirksam abbedungen werden. Ein solcher habe aufgrund der Besonderheiten des Geschäftszweiges vorgelegen. Es komme immer wieder vor, dass Käufer eines Fertighauses noch nicht über ein bebaubares Grundstück verfügten oder den Kaufpreis noch nicht finanziert hätten. Angesichts der Gefahr, dass eine erhebliche Anzahl der abgeschlossenen Verträge deshalb nicht durchgeführt werde, habe die Beklagte ein gesteigertes Interesse daran, dass ihre Kunden auch nach Abschluss des Kaufvertrags bis zum Beginn der Baumaßnahme noch angemessen betreut würden. Zusätzlich müsse beachtet werden, dass bei allen Kunden nach Vertragsschluss noch ein Kontakt mit dem Architekten der Beklagten hergestellt werden müsse, der die notwendige Detailplanung vornehme und die behördlichen Erlaubnisse einhole. Vor diesem Hintergrund sei es verständlich, dass der Vertriebsmitarbeiter die volle Provision nur für den Abschluss des Kaufvertrags und die Betreuung der Kunden erhalte. Dem könne nicht entgegengehalten werden, dass bei den zwei vom Kläger vermittelten Kaufverträgen tatsächlich kein nachvertraglicher Betreuungsaufwand angefallen sei, weil Baugrundstück und Finanzierung und die Herstellung des Kontakts zum Architekten problemlos gewesen seien. Die rechtliche Bewertung der getroffenen Vertragsgestaltung müsse unabhängig vom Einzelfall und bezogen auf branchentypische Geschäftsvorfälle vorgenommen werden. Die Auszahlung der halben Provision auf zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Vertriebsmitarbeiters noch nicht erfüllte Verträge bewirke zudem zu Gunsten des Vertriebsmitarbeiters eine Verlagerung des Risikos des Ausfalls des Kunden. Während des Arbeitsverhältnisses trage dieses Ausfallrisiko allein der Vertriebsmitarbeiter. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehe das Ausfallrisiko für die noch nicht erfüllten Verträge auf den Arbeitgeber über. Dieser könne die bereits ausgezahlte hälftige Provision nicht zurückfordern. Der Anspruch des Klägers auf restliche Überhangprovision lasse sich aufgrund des dispositiven Charakters des § 87 HGB auch nicht allein aus dem Umstand herleiten, dass die Beklagte die ersparte Provision offensichtlich nicht einem anderen Vertriebsmitarbeiter gezahlt habe.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgericht sind nicht frei von Rechtsfehlern und halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1. Dem Kläger steht die beanspruchte restliche Überhangprovision, über deren Höhe kein Streit besteht, zu. Er hat der Beklagten während des Arbeitsverhältnisses im Juli 2004 und im September 2004 jeweils einen Kaufvertrag über ein Fertighaus vermittelt und hat deshalb nach den §§ 59 Satz 1, 65, 87 Abs. 1 Satz 1 HGB iVm. § 5 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsvertrags Anspruch auf Provision iHv. 5 % der Nettoverkaufspreise. Nach § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags erhält der Arbeitnehmer die Provision allerdings für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Käufer. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass der Anspruch auf die Provision neben der Vermittlung des Kaufvertrags eine Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss voraussetzt. Ist eine solche Betreuung nicht erforderlich, wie dies nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bei den zwei vom Kläger der Beklagten vermittelten Kaufverträgen der Fall war, hätte der Vertriebsmitarbeiter keinen Anspruch auf Provision. Von einem solchen Verständnis der arbeitsvertraglichen Provisionsregelung geht auch die Beklagte nicht aus. Sie begründet ihre Rechtsauffassung, wonach dem Kläger nur die Hälfte der Provision zusteht, ausschließlich mit der Fälligkeit der Kaufpreisraten erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
2. § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB knüpft den Anspruch auf Provision an den Abschluss von Geschäften während des Vertragsverhältnisses. Ohne Bedeutung ist nach dieser Vorschrift, ob das vermittelte Geschäft noch während oder erst nach der Beendigung des Vertragsverhältnisses ausgeführt wird. Die Bestimmung begründet daher einen Provisionsanspruch auch für solche Geschäfte, die vor Beendigung des Vertragsverhältnisses abgeschlossen, aber erst danach ausgeführt worden sind (sogenannte Überhangprovision, vgl. BGH 10. Dezember 1997 – VIII ZR 107/97 – DB 1998, 720). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 87 HGB nicht zwingendes Recht mit der Folge, dass der Anspruch eines Handelsvertreters iSv. § 84 Abs. 1 HGB auf Überhangprovisionen grundsätzlich individualvertraglich ausgeschlossen werden kann (11. Juli 1960 – VII ZR 225/59 – BGHZ 33, 92). Ob der gesetzliche Anspruch eines selbständigen Handelsvertreters auf Überhangprovision generell auch durch vom Unternehmer gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen abbedungen werden kann, hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich offengelassen (10. Dezember 1997 – VIII ZR 107/97 – aaO). In der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war demgegenüber anerkannt, dass der Anspruch eines Handlungsgehilfen iSv. § 59 Satz 1 HGB aus § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB auf Überhangprovision von den Arbeitsvertragsparteien nur dann abbedungen werden kann, wenn hierfür ein sachlicher Grund besteht (17. Mai 1962 – 5 AZR 427/61 – AP HGB § 65 Nr. 2; 4. Juli 1972 – 3 AZR 477/71 – AP HGB § 65 Nr. 6 = EzA BGB § 315 Nr. 10; 20. Juli 1973 – 3 AZR 359/72 – AP HGB § 65 Nr. 7 = EzA HGB § 65 Nr. 1; 26. November 1985 – 3 AZR 214/84 –), und dass der Überhanganspruch des Handlungsgehilfen nach § 87 Abs. 3 HGB nicht abdingbar ist, weil diesem anders als dem selbständigen Handelsvertreter ein Ausgleichsanspruch nach § 89b HGB nicht zusteht (20. August 1996 – 9 AZR 471/95 – BAGE 84, 17 mwN). Ob an der Rechtsprechung, dass der Anspruch des Handlungsgehilfen auf Überhangprovision nach § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB bei Vorliegen eines sachlichen Grundes ausgeschlossen werden kann, festzuhalten ist, oder dieser Anspruch ebenso wie der Überhanganspruch eines Handlungsgehilfen nach § 87 Abs. 3 HGB zwingendes Recht und damit nicht abdingbar ist, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Wenn der Anspruch des Handlungsgehilfen auf Provision für von ihm vermittelte Geschäfte, die erst nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen werden, nicht abbedungen werden kann, spricht allerdings viel dafür, dass auch der Anspruch eines Handlungsgehilfen auf Überhangprovision nach § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht abdingbar ist. Selbst wenn zu Gunsten der Beklagten an der Rechtsprechung zur Abdingbarkeit dieser Vorschrift bei Vorliegen eines sachlichen Grundes festgehalten würde, wäre die Klage begründet.
3. Die darlegungspflichtige Beklagte hat einen sachlichen Grund, der aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor der Fälligkeit der ersten Kaufpreisrate die Verminderung der Überhangprovision auf die Hälfte rechtfertigen könnte, nicht dargetan. Sie hat weder einen finanziellen Ausgleich noch Zahlungen an den Kläger aus der Vorarbeit eines Vorgängers behauptet (vgl. BAG 20. August 1996 – 9 AZR 471/95 – BAGE 84, 17). Nach den von der Beklagten nicht mit Gegenrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat sie die bei den ihr vom Kläger vermittelten Geschäften ersparte Provision mangels einer erforderlichen Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss auch nicht einem anderen Vertriebsmitarbeiter gezahlt (zur sachlichen Rechtfertigung des Ausschlusses von Überhangprovision vgl. auch Keil Der Arbeitsvertrag des Angestellten im Außendienst I.3.2.2.2. in Beseler/Bopp/Grundmann/Keil/Krasshöfer/Molkenbur/Puzicha/Wetzling Angestellte im Außendienst 2. Aufl. 2007). Im Übrigen wären von einem anderen Vertriebsmitarbeiter im vorliegenden Fall tatsächlich ausgeführte Nacharbeiten ohne Bedeutung. Maßgebend ist, dass die in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags von der Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingung (§ 305 Abs. 1 BGB), wonach dem Vertriebsmitarbeiter bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der ersten Kaufpreisrate nur die Hälfte der Provision zusteht, zu weit gefasst ist, den Vertriebsmitarbeiter entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam ist.
a) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags getroffene Vereinbarung nicht als Entgeltabrede einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB entzogen, weil sie eine Hauptleistungspflicht betrifft. Es triff zwar zu, dass die Hauptleistungspflichten regelmäßig nicht durch Gesetze geregelt werden, Abreden über die Hauptleistungspflichten deshalb von den Vertragsparteien in der Regel selbst getroffen werden müssen, die Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien über Art und Umfang der Arbeitsleistung und das dafür zu zahlende Entgelt die Hauptleistungspflichten betreffen und deshalb grundsätzlich keiner Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen. In § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags haben die Parteien jedoch keine Abrede über die Hauptleistungspflichten getroffen. Die Klausel modifiziert vielmehr die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung der vereinbarten Provision bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses, indem sie den Anspruch des Klägers auf Provision der Höhe nach einschränkt und damit von § 87 Abs. 1 Satz 1 HGB abweicht (zur gerichtlichen Inhaltskontrolle anhand der §§ 305 ff. BGB bei Einschränkung, Veränderung und Ausgestaltung der Hauptleistungspflichten vgl. BAG 25. April 2007 – 5 AZR 627/06 – AP BGB § 308 Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 20 mwN).
b) Eine unangemessene Benachteiligung ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Von maßgeblicher Bedeutung ist insoweit, ob die gesetzliche Regelung nicht nur auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht, sondern eine Ausprägung des Gerechtigkeitsgebots darstellt. Die Frage, ob eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders vorliegt, ist auf der Grundlage einer Abwägung der berechtigten Interessen der Beteiligten zu beantworten. Hierbei ist das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der Klausel mit dem Interesse des Vertragspartners an der Ersetzung der Klausel durch das Gesetz abzuwägen. Bei dieser wechselseitigen Berücksichtigung und Bewertung rechtlich anzuerkennender Interessen der Vertragspartner, bei der auch grundrechtlich geschützte Rechtspositionen zu beachten sind, ist ein genereller, typisierender Maßstab anzulegen (BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – NZA 2008, 40 mwN).
c) Die Kürzungsabrede in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags hält dieser Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand. Die Klausel reduziert die dem Vertriebsmitarbeiter nach dem Arbeitsvertrag zustehende Provision auf die Hälfte, wenn er aus dem Unternehmen ausscheidet, bevor die erste Kaufpreisrate fällig geworden ist, ist mit wesentlichen Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB und der §§ 65, 87 Abs. 1 Satz 1 HGB nicht vereinbar und benachteiligt den Vertriebsmitarbeiter deshalb entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
aa) Ist vereinbart, dass der Handlungsgehilfe für Geschäfte, die von ihm abgeschlossen oder vermittelt werden, Provision erhält (§ 65 HGB), ist diese erfolgsorientierte Vergütung die Gegenleistung des Arbeitgebers iSv. § 611 Abs. 1 BGB für den Abschluss oder die Vermittlung des Geschäfts. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber dem Handlungsgehilfen neben der Provision eine Grundvergütung zahlt. In diesem Fall ist die Provision Teil des laufenden Arbeitsentgelts. Nach § 611 Abs. 1 BGB ist der Arbeitgeber als Dienstgeber zur Gewährung der vereinbarten Vergütung verpflichtet. Der Arbeitnehmer kann in dem als Dauerschuldverhältnis ausgestalteten Arbeitsverhältnis grundsätzlich auf die Beständigkeit der Zahlung des laufenden Arbeitsentgelts vertrauen. Er erbringt im Hinblick hierauf seine Arbeitsleistung und stellt auch sein Leben darauf ein (BAG 25. April 2007 – 5 AZR 627/06 – AP BGB § 308 Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 20). Eine Verminderung des vom Arbeitgeber zugesagten Arbeitsentgelts aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses lässt § 611 Abs. 1 BGB grundsätzlich nicht zu.
bb) Es trifft zwar zu, dass ein Arbeitgeber, der Fertighäuser herstellt und vertreibt, ein erhebliches Interesse daran hat, dass der Käufer eines Fertighauses auch nach Abschluss des Kaufvertrags noch “betreut” wird, um der Gefahr der Stornierung des Kaufvertrags zu begegnen. Dieses rechtlich anzuerkennende Interesse rechtfertigt allerdings noch nicht eine pauschale Verminderung der Überhangprovision um die Hälfte. Wenn in § 5 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vereinbart ist, dass der Arbeitnehmer die Provision für den Abschluss von Kaufverträgen und die Betreuung der Käufer erhält, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass die Hälfte der Provision für den Abschluss des Kaufvertrags und die andere Hälfte für die Betreuung des Käufers gezahlt werden sollte. Einer solchen Annahme steht schon entgegen, dass eine Betreuung des Käufers durch den Vertriebsmitarbeiter nach Abschluss des Kaufvertrags nicht stets erforderlich war. Es kommt hinzu, dass der Kläger nach § 1 Abs. 1 des Arbeitsvertrags vor allem die Kaufinteressenten für die Häuser der Beklagten hinsichtlich aller bis zum Vertragsschluss erforderlichen Aspekte zu beraten und zu betreuen hatte und während der Abwicklung des Vertrags den Kontakt nur aufrechterhalten musste, soweit dies erforderlich war. Schließlich war nach Abschluss des Kaufvertrags für die Detailplanung und die Einholung der behördlichen Erlaubnisse nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch nicht der Vertriebsmitarbeiter, sondern der Architekt der Beklagten zuständig. Ihr Interesse an einer Betreuung der Käufer nach Abschluss des Kaufvertrags konnte die Beklagte auch durch eine andere Ausgestaltung der Provisionsregelung in hinreichender Weise verwirklichen. Sie hat behauptet, ein selbständiger Handelsvertreter habe bei den ihr vom Kläger vermittelten Kaufverträgen die Nachbetreuung der Käufer übernommen. Dieser habe Anspruch auf Provision. Daraus und aus der in § 5 Abs. 2 Satz 6 des Arbeitsvertrags getroffenen Regelung wird deutlich, dass auch nach dem Verständnis der Beklagten eine Aufteilung der Provision praktikabel ist, mag eine solche Regelung für sie auch schwieriger zu handhaben sein als die pauschale Kürzungsregelung in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags.
cc) Die Kürzungsabrede in § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags stellt nicht darauf ab, ob und in welchem Umfang eine Betreuung des Käufers durch den Vertriebsmitarbeiter nach Abschluss des Kaufvertrags tatsächlich erforderlich war. Sie knüpft die Verminderung der Provision ausschließlich daran, dass die erste Kaufpreisrate erst nach dem Ausscheiden des Vertriebsmitarbeiters fällig geworden ist. Damit erfasst sie auch die Fälle, in denen, wie bei den vom Kläger vermittelten Geschäften, eine Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss nicht erforderlich ist. Die Hälfte seiner erfolgsabhängigen Vergütung als Gegenleistung für den Abschluss eines Geschäfts wird dem Vertriebsmitarbeiter damit nach der Kürzungsregelung ohne jeden Ausgleichsanspruch versagt, obwohl die Beklagte mangels einer erforderlichen Betreuung der Käufer nach Vertragsschluss keine Provision an einen anderen Vertriebsmitarbeiter oder selbständigen Handelsvertreter zu zahlen hat. Das ist bei wechselseitiger Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Beklagten und der Vertriebsmitarbeiter nicht interessengerecht. Auch wenn die Erwägung des Landesarbeitsgerichts zuträfe, wonach es in der Branche der Beklagten immer wieder vorkommt, dass ein Fertighaus gekauft wird, ohne dass der Käufer über ein bebaubares Grundstück verfügt oder die Finanzierung des Kaufpreises gesichert ist, kann daraus nicht abgeleitet werden, dass dies beim Verkauf von Fertighäusern typisch ist.
dd) Die Kürzungsklausel differenziert auch nicht danach, innerhalb welcher Frist nach dem Ausscheiden des Vertriebsmitarbeiters die erste Kaufpreisrate fällig wird. Ihre Anwendung bewirkte auch dann eine Verminderung der Provision um die Hälfte, wenn der Vertriebsmitarbeiter einen Käufer nach dem Abschluss des Kaufvertrags lange betreut hat, die erste Kaufpreisrate jedoch erst kurze Zeit nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird. Für ein vom Handlungsgehilfen vermitteltes, eingeleitetes oder vorbereitetes Geschäft, das erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen wird, ist für den Provisionsanspruch des Handlungsgehilfen nach § 87 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB maßgebend, ob das Geschäft innerhalb einer angemessenen Frist nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen wurde. Daraus wird deutlich, dass es für den Anspruch auf Provision nach dem Willen des Gesetzgebers ohne Bedeutung sein soll, wenn die Voraussetzungen des Provisionsanspruchs innerhalb einer angemessenen Frist nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erfüllt sind. Dieses Gerechtigkeitsgebot ist auch bei der Abwägung zu berücksichtigen, ob der Arbeitnehmer durch die Verminderung der Überhangprovision aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unangemessen benachteiligt wird.
ee) Bei wechselseitiger Berücksichtigung und Bewertung der rechtlich anzuerkennenden Interessen der Beklagten und der Vertriebsmitarbeiter ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtung weiterhin zu beachten, dass durch die Kürzungsregelung einem Vertriebsmitarbeiter die Hälfte der erfolgsabhängigen Vergütung und damit ein ganz erheblicher Teil seines Arbeitsverdienstes vorenthalten wird, wenn er selbst das Arbeitsverhältnis kündigt und dieses endet, bevor eine Vielzahl von Kaufpreisraten fällig wird. Eine Regelung, die den Anspruch auf die volle Provision an ein bestehendes Arbeitsverhältnis bindet, darf aber einen Arbeitnehmer nicht aufgrund einer faktischen Kündigungserschwerung in unzulässiger Weise in seiner durch Art. 12 GG garantierten Berufsfreiheit behindern (vgl. BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – NZA 2008, 40). Im Falle einer betriebsbedingten Kündigung durch die Beklagte würde ein Vertriebsmitarbeiter aufgrund der Kürzungsregelung nicht nur seinen Arbeitsplatz, sondern zudem die Hälfte der erfolgsabhängigen Vergütung verlieren, obwohl die Kündigung nicht in seinen Verantwortungsbereich fällt.
ff) Soweit unter der Geltung des bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Rechts im Rahmen des § 242 BGB bei zu weit gefassten Klauseln jeweils geprüft wurde, ob der Arbeitnehmer im konkreten Fall schutzwürdig ist, bleibt hierfür bei der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB kein Raum (vgl. BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – NZA 2008, 40 mwN). Im Gegensatz zu der unter der Geltung der Bereichsausnahme zum AGBG ergangenen Rechtsprechung, wonach Vertragsklauseln anhand des konkreten Einzelfalls zu überprüfen waren, ist bei der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB ein genereller, typisierender Maßstab anzulegen. Diese typisierende Betrachtung schließt eine Berücksichtigung individueller Besonderheiten wie die Anzahl der von einem Vertriebsmitarbeiter vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgeschlossenen oder vermittelten Geschäfte aus. Die gesetzlichen Vorschriften der §§ 305 ff. BGB missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen, nicht erst den unangemessenen Gebrauch einer Klausel im konkreten Einzelfalle. Der Rechtsfolge der Unwirksamkeit sind auch solche Klauseln unterworfen, die in ihrem Übermaßteil in zu beanstandender Weise ein Risiko regeln, das sich im Entscheidungsfalle nicht realisiert hat (vgl. BAG 24. Oktober 2007 – 10 AZR 825/06 – aaO mwN).
gg) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wird die unangemessene Benachteiligung durch die zu weit gefasste Kürzungsabrede nicht durch eine Risikoverlagerung bezüglich des Ausfalls eines Kunden zu Gunsten des Vertriebsmitarbeiters ausgeglichen. Es trifft nicht zu, dass das Ausfallrisiko für die noch nicht erfüllten Verträge mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf die Beklagte übergeht. § 5 Abs. 2 Satz 5 des Arbeitsvertrags verlagert kein Risiko und garantiert dem ausgeschiedenen Vertriebsmitarbeiter nicht die Hälfte der Provision. Die Klausel spricht von der “Hälfte der hier geregelten Provision” und knüpft den Anspruch auf die Hälfte der Provision damit an die im Arbeitsvertrag genannten Voraussetzungen für den Provisionsanspruch.
Unterschriften
Dr. Freitag, Marquardt, Brühler, Rudolph, Petri
Fundstellen
Haufe-Index 1963424 |
BAGE 2009, 39 |
BB 2008, 1291 |
BB 2008, 777 |
DB 2008, 761 |
EBE/BAG 2008, 58 |
FA 2008, 187 |
JR 2009, 220 |
NZA 2008, 1124 |
AP, 0 |
EzA-SD 2008, 9 |
EzA |
MDR 2008, 630 |
AUR 2008, 194 |
ArbRB 2008, 162 |
NJW-Spezial 2008, 340 |
RdW 2008, 581 |
HzA aktuell 2008, 11 |
IHR 2008, 203 |
SJ 2008, 40 |
SPA 2008, 7 |