Entscheidungsstichwort (Thema)
TV Mindestlohn 2013. Stuckarbeiten. Begriff der Bauleistungen iSv. § 101 Abs. 2 SGB III
Orientierungssatz
1. Die Herstellung von Stuckelementen erfolgt auch dann handwerklich iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 34 BRTV, wenn in der Werkstatt eines Stuckateurbetriebs, in der insgesamt fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind, eine numerisch gesteuerte Maschine zur Herstellung von Styroporkernen für Stuckelemente eingesetzt wird und diese anschließend aufwändig „händisch” und auf Kundenwunsch noch speziell oberflächenbehandelt werden.
2. Nach § 1 Satz 1 der 9. BauArbbV ist Voraussetzung für die Anwendung des TV Mindestlohn 2013, dass der Betrieb überwiegend Bauleistungen iSd. § 101 Abs. 2 SGB III erbringt. Den in § 101 Abs. 2 Satz 2 SGB III definierten Bauleistungen können damit im Zusammenhang stehende Hilfs- und Nebenarbeiten hinzugerechnet werden.
Normenkette
SGB III § 101 Abs. 2; Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV) § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 34; Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 3. Mai 2013 (TV Mindestlohn 2013) § 2 Abs. 3 Buchst. b; Neunte Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe (Neunte Bauarbeitsbedingungenverordnung – 9. BauArbbV) § 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 1. Dezember 2015 – 3 Sa 282/15 – aufgehoben, soweit es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 16. April 2015 – 3 Ca 4160/14 – hinsichtlich des auf Zahlung von 1.808,00 Euro brutto gerichteten Antrags (Antrag zu 2. im zweiten Rechtszug) auf Kosten des Klägers zurückgewiesen hat.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Differenzvergütung für den Zeitraum vom 1. Juli bis zum 15. Dezember 2014 in rechnerisch unumstrittener Höhe von 1.808,00 Euro.
Der Kläger war bis zum 15. Dezember 2014 als Stuckateur in Vollzeit bei dem Beklagten angestellt, der einen Stuckateurbetrieb unterhält. Nach § 3 Abs. 1 des „Anstellungsvertrags” vom 3. September 2012 (im Folgenden Arbeitsvertrag) betrug sein Stundenlohn 8,50 Euro.
Im Streitzeitraum gehörte der Kläger zu den drei Vollzeitmitarbeitern, die überwiegend auf Baustellen eingesetzt waren und dort Stuck-, Putz-, Gips- und Rabitzarbeiten erbrachten. Drei weitere Vollzeit- und zwei Teilzeitarbeitnehmer arbeiteten in der Werkstatt des Beklagten, wo sie unter dessen Mitarbeit Stuckelemente für den Verkauf und für den Einbau auf Baustellen herstellten. Dazu wurden mithilfe einer numerisch gesteuerten Maschine Styroporprofile geschnitten, deren Oberfläche anschließend von den in der Werkstatt beschäftigten Arbeitern mit diversen Beschichtungen versehen wurde.
Im Zeitraum von Juli bis Dezember 2014 vergütete der Beklagte die vom Kläger geleisteten Arbeitsstunden ebenso wie die Urlaubs-, Feier- und Krankheitstage mit dem arbeitsvertraglichen Stundenlohn.
Mit Schreiben vom 5. Dezember 2014 machte der Kläger vergeblich Differenzlohnansprüche für die Zeit ab dem 1. Juli bis zum 30. November 2014 „laut dem für Bau Ost geltenden allgemein verbindlichen Tarifvertrag § 2 Abs. 5” geltend. Mit seiner am 12. Dezember 2014 vor dem Arbeitsgericht erhobenen Klage hat der Kläger seine Forderung auf den Zeitraum bis zum 15. Dezember 2014 erstreckt.
Der Kläger hat gemeint, der Betrieb des Beklagten unterfalle dem allgemeinverbindlichen Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV). Er habe arbeitszeitlich überwiegend Stuckarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 34 BRTV verrichtet, da neben der Arbeitszeit auf den Baustellen auch die für die werkstattmäßige Herstellung der Stuckelemente – auch derjenigen mit Styroporkern – aufgewandte Arbeitszeit zu berücksichtigen sei. Daher stehe ihm nach den Rechtsnormen des Tarifvertrags zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 3. Mai 2013 (TV Mindestlohn 2013) ein Gesamtstundenlohn von 10,50 Euro zu.
Der Kläger hat – soweit für die Revision noch von Interesse – sinngemäß beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.808,00 Euro brutto zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und behauptet, er habe im Streitzeitraum zu weit weniger als 50 % der Gesamtarbeitszeit der beschäftigten Arbeitnehmer bauliche Leistungen erbracht. Der zeitlich überwiegende Anteil sei auf die werkstattmäßige Herstellung von Stuckelementen, den Verkauf und die Anlieferung von maschinell hergestellten Stuckprofilen entfallen. 10 % der Elemente seien auf Käuferwunsch „klassisch” aus Gips und Zement angefertigt, 20 % zugekauft und 70 % der Stuckelemente in der Werkstatt auf der Basis von Styroporkernen hergestellt worden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Zahlungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Betrieb des Beklagten unterfalle nicht dem Geltungsbereich des TV Mindestlohn 2013, weil es sich bei der werkstattmäßigen Herstellung von Stuckelementen mit Styroporkern wegen ihres industriellen Charakters nicht um Stuckarbeiten iSd. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 34 BRTV handele, folgt der Senat nicht (dazu I.). Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da sich der geltend gemachte Differenzlohnanspruch des Klägers mangels beiderseitiger Tarifbindung nur aus § 1 der Neunten Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen im Baugewerbe (Neunte Bauarbeitsbedingungenverordnung – 9. BauArbbV) iVm. § 2 Abs. 3 Buchst. b TV Mindestlohn 2013 ergeben und auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen durch den Senat nicht beurteilt werden kann, ob der Beklagte in seinem Betrieb überwiegend Bauleistungen iSd. § 1 der 9. BauArbbV iVm. § 101 Abs. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) erbracht hat (dazu II.), ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen.
I. Anspruchsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Zahlungsanspruch ist § 1 der 9. BauArbbV iVm. § 2 Abs. 3 Buchst. b TV Mindestlohn 2013.
1. Die Rechtsnormen des TV Mindestlohn 2013 gelten nach dessen § 1 Abs. 2 nur für Betriebe, die unter den betrieblichen Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV) in der jeweils geltenden Fassung fallen. Im Streitzeitraum war der BRTV vom 4. Juli 2002 idF vom 17. Dezember 2012 in Kraft. Nach § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 34 BRTV ist der betriebliche Geltungsbereichs des BRTV eröffnet, wenn in dem Betrieb überwiegend eine oder mehrere der in den Beispielen des § 1 Abs. 2 Abschn. V BRTV genannten Tätigkeiten ausgeübt werden. Der Betrieb wird dann stets von dem betrieblichen Geltungsbereich des BRTV erfasst, ohne dass die allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis III zusätzlich geprüft werden müssen (st. Rspr. zum insoweit gleichlautenden VTV, zB BAG 15. Januar 2014 – 10 AZR 669/13 – Rn. 13 mwN).
2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, wonach der betriebliche Geltungsbereich des BRTV nicht eröffnet sei, weil der Beklagte die Stuckelemente mit Styroporkern in seiner Werkstatt industriell hergestellt habe, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Herstellung dieser Stuckelemente erfolgte handwerklich.
a) Ein Industriebetrieb unterscheidet sich von einem Handwerksbetrieb typischerweise aufgrund seiner Betriebsgröße, der Anzahl seiner Beschäftigten sowie eines größeren Kapitalbedarfs infolge der Anlagenintensität. Die Industrie ist durch Produktionsanlagen und Produktionsstufen gekennzeichnet. Ein Handwerksbetrieb ist dagegen regelmäßig kleiner und weniger technisiert. Die Arbeiten werden dort überwiegend mit der Hand nach den Methoden des einschlägigen Handwerks und nicht auf Vorrat, sondern für einen bestimmten Kundenkreis ausgeführt. Zwar wird auch in Handwerksbetrieben modernste Technik eingesetzt. Kennzeichnend für Handwerksbetriebe ist jedoch, dass der Einsatz von Maschinen die handwerkliche Tätigkeit unterstützt und sie nicht ersetzt, und dass diese Tätigkeiten in der Regel von Arbeitnehmern mit einer einschlägigen Berufsausbildung ausgeführt werden. Des Weiteren ist in einem Handwerksbetrieb typischerweise die Arbeitsteilung nicht so weit fortgeschritten, dass jede einzelne Arbeitskraft nur bestimmte – in der Regel immer wiederkehrende – und eng begrenzte Teilarbeiten auszuführen hat, wie dies in einem Industriebetrieb der Fall ist. Werden jedoch als Folge der Technisierung wesentliche Kenntnisse und Fertigkeiten des betreffenden Handwerks durch den Einsatz von Maschinen entbehrlich und bleibt kein Raum mehr für das handwerkliche Können, liegt eine handwerksmäßige Betriebsform eher fern (BAG 21. Januar 2015 – 10 AZR 55/14 – Rn. 35 mwN).
b) Die Beurteilung der Frage, ob ein Betrieb dem Handwerk zuzuordnen ist, oder ob es sich um einen Industriebetrieb handelt, obliegt in erster Linie den Gerichten der Tatsacheninstanzen; sie haben insoweit einen Beurteilungsspielraum, der nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfung unterliegt. Das Revisionsgericht kann nur nachprüfen, ob das Landesarbeitsgericht den Begriff selbst verkannt hat, ob die Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob die Beurteilung wegen des Übersehens wesentlicher Umstände offensichtlich fehlerhaft ist (BAG 21. Januar 2015 – 10 AZR 55/14 – Rn. 33 mwN).
c) Diesem eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab hält das Berufungsurteil nicht stand. Das Landesarbeitsgericht hat die Bedeutung der Begriffe „industriell” und „handwerklich” verkannt. Auf der Grundlage der von ihm festgestellten und in Betracht gezogenen Umstände ist die Annahme, die in der Werkstatt des Beklagten mit der Herstellung von Stuckelementen mit Styroporkern beschäftigten Arbeitnehmer hätten keine handwerklichen, sondern industrielle Arbeiten verrichtet, nicht vertretbar. Auch die Herstellung der Stuckelemente mit Styroporkern erfolgte handwerklich iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 34 BRTV.
aa) Die Ausführung von Stuckarbeiten ist nach § 43 Nr. 11 der Verordnung über die Berufsausbildung in der Bauwirtschaft vom 2. Juni 1999 (BauWiAusbV 1999 BGBl. I S. 1102), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 20. Februar 2009 (BGBl. I S. 399), Gegenstand der handwerklichen Berufsausbildung zum Stuckateur/Stuckateurin. Der Ausbildungsrahmenplan (BGBl. I S. 1202) beschreibt als zu vermittelnde Fertigkeiten und Kenntnisse in Nr. 11 ua. das Ziehen von Stuckprofilen vor Ort (Buchst. a) und das Herstellen von Antragstuck (Buchst. c) sowie in Nr. 12 Buchst. b die Sicherung, das Abnehmen und das Aufarbeiten von Stuckteilen. Der mit der BauWiAusbV abgestimmte Rahmenlehrplan der Kultusminsterkonferenz vom 5. Februar 1999 sieht ua. die Lernfelder 6 (Beschichten und Bekleiden eines Bauteils), 9 (Ziehen und Ansetzen eines Stuckprofils) und 12 (Herstellen von Antragstuck) vor. Zum Lernfeld 9 ist als Ziel ua. die Bestimmung eines Gesimsprofils mit vier Kanten und dessen Zeichnung sowie die Ermittlung des Baustoffbedarfs formuliert, Gegenstand des Lernfelds 12 ist ua. das Entwerfen von Stuckprofilen.
bb) Danach wurden auch die Stuckelemente mit Styroporkern im Betrieb des Beklagten handwerklich und nicht industriell hergestellt. Der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Einsatz einer numerisch gesteuerten Maschine zur Herstellung von Styroporkernen für Stuckelemente begründet nicht die Annahme eines industriellen Herstellungsverfahrens. Dem steht die – vom Landesarbeitsgericht unterlassene – Gesamtwürdigung aller Umstände entgegen.
(1) Das Landesarbeitsgericht hat der Betriebsgröße keine Beachtung geschenkt, obwohl diese klar gegen eine industrielle Fertigung im Betrieb des Beklagten spricht. Nach den getroffenen Feststellungen beschäftigte der Beklagte in seiner Werkstatt nur fünf Arbeitnehmer, von denen zwei teilzeitbeschäftigt waren. Dies entspricht einem Handwerksbetrieb der niedrigsten Beschäftigtengrößenklasse (vgl. Stat. Bundesamt Fachserie 4 Reihe 7.2 [2014] S. 7).
(2) Des Weiteren hat das Landesarbeitsgericht außer Acht gelassen, dass der Einsatz von maschineller Fertigungstechnik in Handwerksbetrieben heutzutage Standard ist. Die Handwerkskammern bieten technische Beratung und fachliche Unterstützung in Fragen der Investitions- und Fertigungsplanung und der Maschinenbewertung an, um den technischen Standard in den Betrieben des Handwerks weiter zu verbessern (https://www.zdh.de). Ein Handwerksbetrieb, der sich zeitgemäßer Technik bedient, wird deshalb allein dadurch nicht zu einem Industriebetrieb.
(3) Bei der rechtlichen Einordung der Tätigkeiten im Betrieb des Beklagten hat das Berufungsgericht überdies nicht berücksichtigt, dass der Einsatz der numerisch gesteuerten Maschine zur Produktion des Profilkerns der Stuckelemente die handwerkliche Herstellung von Stuckelementen im Betrieb des Beklagten lediglich unterstützt und sie nicht ersetzt hat. So mussten die mithilfe der NC-Maschine hergestellten Profilkerne aufwändig „händisch” weiterbearbeitet werden, indem unter Zuhilfenahme eines Siebs Quarzsand auf die Oberfläche aufgetragen und anschließend eine Acrylatschicht sowie – auf Kundenwunsch – ein Zweikomponenten-Acrylat aufgebracht wurde. Auch aus dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Produktionsablauf ergeben sich keine Anzeichen für eine industrielle Fertigung, bei der auf die einzelnen Mitarbeiter jeweils nur bestimmte, stets wiederkehrende und eng begrenzte Teilarbeiten entfallen wären.
II. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen nicht entscheiden, ob die Klage begründet ist. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Nach § 1 Satz 1 der 9. BauArbbV ist Voraussetzung für die Anwendung des TV Mindestlohn 2013, dass der Betrieb überwiegend Bauleistungen iSd. § 101 Abs. 2 SGB III erbringt. Ob dies der Fall ist, hat das Landesarbeitsgericht – von seinem Standpunkt aus folgerichtig – nicht geprüft.
a) § 101 Abs. 2 Satz 2 SGB III definiert Bauleistungen als „alle Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.” Dabei können mit den eigentlichen Bauarbeiten im Zusammenhang stehende Hilfs- und Nebenarbeiten hinzugerechnet werden. Stets erforderlich ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, dass es sich um Arbeiten am erdverbundenen Bau handelt (BSG 15. Februar 2000 – B 11 AL 41/99 R – Rn. 15 mwN). Gemäß § 101 Abs. 2 Satz 3 SGB III ist ua. ein Betrieb, der überwiegend Baustoffe oder Bauteile für den Markt herstellt, kein Betrieb des Baugewerbes.
b) Der Betrieb des Beklagten wäre im Streitzeitraum ein solcher des Baugewerbes, wenn neben den unstreitig auf Baustellen verrichteten 120 wöchentlichen Arbeitsstunden weitere Arbeitsstunden auf die werkstattmäßige Produktion von Stuckbauteilen entfielen, die sodann auf eigenen Baustellen des Beklagten eingebaut wurden, und dies zu einem zeitlichen Überwiegen dieser Tätigkeiten führte. Nur in diesem Fall läge ein arbeitszeitliches Überwiegen der Bauleistungen iSv. § 101 Abs. 2 Satz 2 SGB III vor. Unberücksichtigt bleiben die Arbeitszeitanteile, die im Streitzeitraum auf die Herstellung von Stuckelementen angefallen sind, die vom Beklagten nicht selbst eingebaut, sondern für den Markt produziert wurden.
aa) Bei der werkstattmäßigen Herstellung von Stuckelementen zum späteren Einbau auf eigenen Baustellen handelt es sich um eine Zusammenhangsarbeit zu den unstreitig vom Betrieb des Beklagten auf eigenen Baustellen ausgeführten Stuckarbeiten iSv. § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 34 BRTV (vgl. zum Begriff der Zusammenhangsarbeit im VTV BAG 15. Januar 2014 – 10 AZR 669/13 – Rn. 19 f. mwN). Die Herstellung von Stuckelementen in der Werkstatt ist ihrem späteren Einbau in ein Gebäude dienlich. Sofern Stuckelemente nicht „vor Ort” hergestellt werden können, ist ihre Produktion in der Werkstatt sogar zur sachgerechten Ausführung der baulichen Tätigkeiten notwendig. Es wird auch nach der Verkehrssitte von einem Betrieb, der die Ausführung von Stuckbauarbeiten an Gebäuden anbietet, erwartet, dass er die Herstellung der Stuckbauteile miterledigt. Es erscheint auch durchaus zweckmäßig, wenn die Herstellung und der spätere Einbau von Stuckelementen von ein und demselben Betrieb durchgeführt werden.
bb) Der zeitliche Umfang dieser Zusammenhangsarbeiten im Streitzeitraum, die zusätzlich zu den unstreitig auf Baustellen verrichteten 120 wöchentlichen Arbeitsstunden als Bauleistungen zu berücksichtigen wären, kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht beurteilt werden. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu den Arbeitszeitanteilen für die Produktion von „klassischen” und von Stuckelementen mit Styroporkern lassen keine Schlüsse auf den zeitlichen Umfang der für eigene und für fremde Baustellen bzw. für den Verkauf von Stuckbauteilen aufgewandten Arbeitszeit in der Werkstatt zu.
2. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist daher aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dabei wird es dem Beklagten Gelegenheit zu geben haben, sich zum Umfang der von ihm im Streitzeitraum erbrachten „Bauleistungen” iSv. § 101 Abs. 2 Satz 2 SGB III unter Berücksichtigung der Zusammenhangsarbeiten in der Werkstatt unter Angabe der maßgeblichen Tatsachen zu erklären.
Unterschriften
Linck, W. Reinfelder, Brune, R. Baschnagel, D. Kiel
Fundstellen
FA 2018, 102 |
AP 2018 |
EzA-SD 2018, 15 |
NZA-RR 2018, 88 |
AUR 2018, 150 |