Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufungsbegründung. neue Angriffs- und Verteidigungsmittel
Leitsatz (amtlich)
Begründet der Berufungskläger seine Berufung ausschließlich mit neuen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln, hat er diese zu bezeichnen und grundsätzlich darzulegen, warum sie das angefochtene Urteil im Ergebnis infrage stellen sollen.
Orientierungssatz
1. Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel iSd. § 67 Abs. 2 Satz 1 ArbGG liegen nicht vor, wenn die Auflage des Arbeitsgerichts nicht hinreichend konkret gefasst war. Die Formulierung „die Kündigungsgründe im Einzelnen darzulegen und unter Beweis zu stellen” stellt keine hinreichend konkrete Auflage iSd. § 61a Abs. 3 ArbGG dar (Rn. 24).
2. Wird die Berufung ausschließlich mit neuen Angriffs- oder Verteidigungsmitteln begründet, braucht die Entscheidungserheblichkeit ausnahmsweise nicht gesondert dargetan zu werden, wenn sie sich unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil und den Ausführungen in der Berufungsbegründung ergibt (Rn. 25).
3. Die spezielleren arbeitsgerichtlichen Regelungen über das Berufungsverfahren verdrängen die entsprechenden Vorschriften der ZPO (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG). Die Norm bewirkt darüber hinaus eine „passgenaue” Anwendung der zivilprozessualen Regelungen des Berufungsverfahrens, wenn deren Voraussetzungen weder unmittelbar noch sinngemäß herangezogen werden können (Rn. 14).
Normenkette
ArbGG § 61a Abs. 3, § 64 Abs. 6 S. 1, § 67; ZPO § 520 Abs. 1, 3, § 529 Abs. 1, § 531 Abs. 2
Verfahrensgang
Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) (Urteil vom 11.10.2018; Aktenzeichen 17 Sa 565/18) |
ArbG Iserlohn (Urteil vom 09.05.2018; Aktenzeichen 1 Ca 194/18) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 11. Oktober 2018 - 17 Sa 565/18 - aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten.
Rz. 2
Der Kläger ist seit 1992 bei der Beklagten beschäftigt. Diese kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. Januar 2018 aus personenbedingten Gründen zum 31. August 2018. Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben und zuletzt beantragt,
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1. |
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. Januar 2018, zugegangen am 26. Januar 2018, aufgelöst worden ist, |
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2. |
die Beklagte zu verurteilen, ihm ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art, Dauer sowie Führung und Leistung erstreckt, |
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3. |
die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Mitarbeiter in der Oberflächenbearbeitung (Galvanik) zu sonst gleichbleibenden Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen. |
Rz. 3
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Rz. 4
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die ausschließlich auf neues Tatsachenvorbringen gestützte Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Mit der Revision verfolgt diese ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Rz. 5
Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Berufung gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Berufungsbegründung genügt den gesetzlichen Anforderungen (§ 520 Abs. 3 ZPO). Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Rz. 6
I. Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft angenommen, die Beklagte habe ihre Berufung nicht ordnungsgemäß begründet.
Rz. 7
1. Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG gelten für das Verfahren vor den Landesarbeitsgerichten, soweit das Arbeitsgerichtsgesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Berufung entsprechend. Nach § 520 Abs. 1 ZPO iVm. § 66 Abs. 1 ArbGG muss der Berufungskläger die Berufung innerhalb der Berufungsbegründungsfrist begründen. Von der Bezugnahme in § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG sind grundsätzlich auch die in § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO bestimmten Anforderungen an die Berufungsbegründung umfasst. Nach der vorgenannten Vorschrift muss diese - neben den Berufungsanträgen (Nr. 1) - die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt (Nr. 2), die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (Nr. 3) oder die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, aufgrund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind (Nr. 4), enthalten.
Rz. 8
2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Berufungsbegründung der Beklagten, die ihr Rechtsmittel ausschließlich auf neues Tatsachenvorbringen gestützt hat, genüge nicht den in § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO bestimmten Anforderungen, lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Auch die Revision erhebt insoweit keine Rüge.
Rz. 9
3. Das Berufungsgericht hat aber die nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG für die Begründung einer Berufung geltenden Anforderungen verkannt. Die Beklagte musste keinen Vortrag zu den Tatsachen halten, die eine Zulassung ihres in der Berufungsbegründung enthaltenen Vorbringens begründen könnten.
Rz. 10
a) Allerdings hat das Landesarbeitsgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen, dass § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO in der dort normierten Form im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren keine Anwendung findet.
Rz. 11
aa) Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen (§ 513 Abs. 1 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG). Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO muss das Berufungsgericht seiner Entscheidung grundsätzlich die vom erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen zugrunde legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (BAG 29. Juni 2017 - 2 AZR 47/16 - Rn. 60, BAGE 159, 250). Für die Berücksichtigung von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln gilt § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO. Danach hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung neue Tatsachen zugrunde zu legen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
Rz. 12
bb) Im zivilgerichtlichen Berufungsverfahren bestimmt sich die Berücksichtigung neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Diese sind nur zuzulassen, wenn sie einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszugs erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist (Nr. 1), infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden (Nr. 2) oder im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht (Nr. 3). Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt (§ 531 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
Rz. 13
cc) Für das Berufungsverfahren vor den Landesarbeitsgerichten gilt § 531 Abs. 2 ZPO hingegen nicht. Vielmehr enthält § 67 Abs. 1 bis Abs. 4 ArbGG eine eigenständige und in sich abgeschlossene Regelung über die Zulässigkeit von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln, die nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG die zivilprozessuale Präklusionsvorschrift verdrängt (vgl. BAG 19. Dezember 2018 - 10 AZR 233/18 - Rn. 74; 25. April 2007 - 6 AZR 436/05 - Rn. 20, BAGE 122, 190). Im Gegensatz zu den für den Zivilprozess geltenden Vorschriften sind im arbeitsgerichtlichen Verfahren neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im zweiten Rechtszug grundsätzlich zu berücksichtigen und nur unter den in § 67 Abs. 1 bis Abs. 4 ArbGG normierten Voraussetzungen ausgeschlossen.
Rz. 14
b) Aufgrund der Verdrängung von § 531 ZPO durch § 67 ArbGG findet § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 ZPO im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren in der dort normierten Form keine Anwendung. Die in dessen Halbs. 2 bestimmte Anforderung, wonach der Berufungskläger nicht nur die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel, sondern auch die Tatsachen, aufgrund derer diese zuzulassen sind, vorzutragen hat, gilt nicht für das Berufungsverfahren vor den Landesarbeitsgerichten. Das folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG. Nach dieser Norm verdrängen nicht nur die spezielleren arbeitsgerichtlichen Regelungen diejenigen der Zivilprozessordnung. Die Norm bewirkt gleichermaßen eine „passgenaue“ Anwendung der zivilprozessualen Regelungen des Berufungsverfahrens, wenn deren Voraussetzungen - wie vorliegend - wegen der unterschiedlichen Regelung der Präklusionsvorschriften weder unmittelbar noch sinngemäß herangezogen werden können. Wird die Berufung ganz oder teilweise auf neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel gestützt, muss der Berufungskläger entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts in der Berufungsbegründung keinen Vortrag zur Zulässigkeit des neuen Vorbringens halten.
Rz. 15
aa) Nach § 529 Abs. 1 Nr. 2, § 531 Abs. 2 ZPO ist die Berücksichtigung von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln im zivilgerichtlichen Berufungsverfahren nur zulässig, wenn (a) der Berufungskläger in der Berufungsbegründung die Tatsachen bezeichnet, aufgrund derer seine neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel zuzulassen seien, er (b) ggf. die die Zulassung des neuen Vorbringens tragenden Tatsachen glaubhaft macht und (c) das Gericht nach der in § 294 ZPO vorgesehenen Beweisführung davon überzeugt ist, dass die angeführten und glaubhaft gemachten Tatsachen vorliegen. Das Erfordernis, wonach dem Berufungskläger für die unter (a) und (b) bezeichneten Punkte die entsprechenden Darlegungen obliegen, ist nach der Regelungssystematik der Zivilprozessordnung über die Präklusion von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sachgerecht und konsequent. Anders als das Berufungsgericht verfügt der Berufungskläger über die Kenntnis der Tatsachen, aus denen er die Zulässigkeit der neuen Angriffs- oder Verteidigungsmittel herleiten will. Diese können von ihm daher in der Berufungsbegründung benannt und ggf. glaubhaft gemacht werden.
Rz. 16
bb) Im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren kann der Berufungskläger hingegen in der Berufungsbegründung keinen Vortrag zur Zulässigkeit der von ihm neu vorgebrachten Angriffs- oder Verteidigungsmittel halten.
Rz. 17
(1) Voraussetzung für die Zurückweisung von neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln nach § 67 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG ist die Verzögerung des Rechtsstreits. Eine solche liegt vor, wenn das Verfahren bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung (BGH 3. Juli 2012 - VI ZR 120/11 - Rn. 11), wobei die zeitliche Verschiebung der Beendigung nicht ganz unerheblich sein darf (BAG 19. Mai 1998 - 9 AZR 362/97 - zu II 2 e der Gründe). Die Gestaltung des Verfahrensablaufs und die Anberaumung eines Verhandlungstermins oder eines nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO gleichgestellten Beratungs- und Verkündungstermins obliegen allein dem Berufungsgericht. Selbst bei einem Bestreiten der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel durch die andere Partei bleibt es Aufgabe des Gerichts, von sich aus und ohne einen darauf bezogenen Antrag der jeweiligen Partei eine Verzögerung so weit wie möglich durch prozessleitende Maßnahmen zu vermeiden (vgl. BAG 23. November 1988 - 4 AZR 393/88 - BAGE 60, 174).
Rz. 18
(2) Die Beurteilung der Verzögerung iSv. § 67 Abs. 2 und Abs. 3 ArbGG ist danach - anders als im zivilprozessualen Berufungsverfahren - nicht vom Vorliegen von Tatsachen abhängig, die vom Berufungskläger vorgetragen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 2 ZPO) und ggf. nach § 531 Abs. 2 Satz 2 ZPO glaubhaft gemacht werden müssen (vgl. Ulrici jurisPR-ArbR 3/2015 Anm. 2). § 67 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sieht lediglich vor, dass auf Verlangen des Landesarbeitsgerichts der in der Sphäre der Partei liegende „Entschuldigungsgrund“ glaubhaft zu machen ist. Hingegen besteht eine solche Pflicht nicht für das Merkmal der „Verzögerung“ und die kausale Verknüpfung zwischen Verspätung und Verzögerung. Diese Beurteilung stellt das Gesetz vielmehr in die freie Überzeugung des Berufungsgerichts, das eine Prognoseentscheidung zu treffen und dabei einen weiten Spielraum hat, der zugunsten der verspätet vortragenden Partei auszunutzen ist (vgl. MüKoZPO/Prütting 5. Aufl. § 296 Rn. 175). Dem Berufungskläger können bei der Begründung seines Rechtsmittels - ebenso wie dem Berufungsbeklagten bei der Berufungsbeantwortung - auch keine vorsorglichen Ausführungen zu einem Entschuldigungsgrund iSv. § 67 Abs. 2 ArbGG abverlangt werden. Auf diesen kommt es erst dann an, wenn der Eintritt einer Verzögerung feststeht. Bis dahin könnten beide Parteien über die Terminlage des Berufungsgerichts nur spekulieren oder versuchen, sämtliche aus ihrer Sicht bestehenden Umstände auszuschließen, aufgrund derer bei einem (möglichen) Bestreiten ihres Vortrags durch die andere Partei trotz aller gebotenen prozessleitenden gerichtlichen Maßnahmen ausnahmsweise doch eine Verzögerung eintreten könnte. Solche Anforderungen wären daher eine aus Sachgründen nicht zu rechtfertigende Erschwerung des Zugangs zu dem vom Arbeitsgerichtsgesetz eröffneten Instanzenzug (für die Zivilprozessordnung vgl. BGH 9. Oktober 2014 - V ZB 225/12 - Rn. 5). Überdies wäre es aus Gleichheitsgesichtspunkten kaum zu rechtfertigen, wenn beim Berufungskläger allein der fehlende Vortrag zu einer für ihn nicht absehbaren Verzögerung des Rechtsstreits zur Unzulässigkeit seines Rechtsmittels führte, während der Berufungsbeklagte zunächst den Eintritt der Verzögerung abwarten dürfte und erst dann seinen Entschuldigungsgrund darlegen und ggf. glaubhaft machen müsste. § 67 Abs. 3 ArbGG verlangt der betreffenden Partei ebenfalls nicht die Darlegung und Glaubhaftmachung von Tatsachen ab, aus denen folgen soll, dass sie Vorbringen im ersten Rechtszug nicht aus grober Nachlässigkeit unterlassen hat. Das Vorliegen von „grober Nachlässigkeit“ ist vom Gericht positiv festzustellen (zu § 296 Abs. 2 ZPO vgl. BGH 2. September 2013 - VII ZR 242/12 - Rn. 13).
Rz. 19
c) Der Dispens von Darlegungen nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 2 ZPO bedeutet nicht, dass der Berufungskläger keine Mindestanforderungen an die Begründung seines Rechtsmittels zu erfüllen hätte, wenn er es ausschließlich auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel stützt. Zwar muss er sich dann nicht mit den Gründen des angefochtenen Urteils auseinandersetzen (vgl. BGH 27. März 2007 - VIII ZB 123/06 - Rn. 8). Jedoch hat er die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel zu bezeichnen (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 1 ZPO) und grundsätzlich darzulegen, warum diese das angefochtene Urteil im Ergebnis infrage stellen sollen (vgl. Musielak/Voit/Ball ZPO 16. Aufl. § 520 Rn. 37). Die Entscheidungserheblichkeit braucht allerdings ausnahmsweise nicht gesondert dargetan zu werden, wenn sie sich unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil und den Ausführungen in der Berufungsbegründung ergibt (vgl. BGH 10. März 2015 - VI ZB 28/14 - Rn. 13, BGHZ 204, 251).
Rz. 20
d) Der Senat kann ohne Anfrage nach § 45 Abs. 3 ArbGG beim Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts entscheiden, dass § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 2 ZPO im arbeitsgerichtlichen Verfahren aufgrund einer anderen Bestimmung im Arbeitsgerichtsgesetz iSv. § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG keine Anwendung findet. Bei den Ausführungen des Sechsten Senats in seinem Urteil vom 25. April 2007 (- 6 AZR 436/05 - Rn. 18, BAGE 122, 190) handelt es sich nicht um solche, die für die Entscheidung tragend waren.
Rz. 21
e) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte ihre Berufung ausreichend iSv. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 Halbs. 1 ZPO mit neuen Verteidigungsmitteln begründet.
Rz. 22
aa) Ein neues Verteidigungsmittel iSv. § 520 Abs. 3 Nr. 4 ZPO kann in einem erstmaligen substanziierten Vorbringen des Beklagten zu den Kündigungsgründen liegen. Ob ein in zweiter Instanz konkretisiertes Vorbringen neu ist, hängt davon ab, wie allgemein es in erster Instanz ausgefallen ist. Wenn es einen nur sehr allgemein gehaltenen Vortrag der ersten Instanz konkretisiert oder erstmals substanziiert, ist es neu. Dagegen liegt kein neues Vorbringen in diesem Sinn vor, wenn ein bereits schlüssiges oder erhebliches Vorbringen aus der ersten Instanz durch weitere Tatsachenbehauptungen zusätzlich konkretisiert, verdeutlicht oder erläutert wird (vgl. zu § 531 Abs. 2 ZPO BGH 27. November 2014 - I ZR 91/13 - Rn. 17).
Rz. 23
bb) Bei dem in der Berufungsbegründung gehaltenen Vorbringen handelte es sich um neue Verteidigungsmittel der Beklagten. Das Arbeitsgericht hat - allerdings ohne einen vorherigen Hinweis und entgegen § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO - deren Vorbringen zu krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers und zur Betriebsratsanhörung nicht berücksichtigt, weil dieses nur aus Anlagen ersichtlich, nicht aber schriftsätzlich aufbereitet worden sei. Dieses hat die Beklagte - wovon auch das Landesarbeitsgericht ausgeht - in der Berufungsbegründung nachgeholt.
Rz. 24
cc) Der Tatsachenvortrag in der Berufungsbegründung war grundsätzlich berücksichtigungsfähig. Das Arbeitsgericht hat ihn weder förmlich zurückgewiesen (§ 67 Abs. 1 ArbGG) noch ist er entgegen einer nach § 61a Abs. 3 ArbGG gesetzten Frist nicht vorgebracht worden (§ 67 Abs. 2 Satz 1 ArbGG). Das Arbeitsgericht hat der Beklagten in seinem Auflagenbeschluss ua. nur aufgegeben, „die Kündigungsgründe im Einzelnen darzulegen und unter Beweis zu stellen“. Dies genügt nicht den Anforderungen, die nach der vorgenannten Vorschrift für eine Auflage zur Darlegung der Kündigungsgründe gelten („hinreichend konkret“, vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 380/03 - zu B II 1 c ee der Gründe).
Rz. 25
dd) Die Beklagte musste die Entscheidungserheblichkeit ihrer Ausführungen nicht gesondert aufzeigen. Zwar hat sie das neue Vorbringen in der Berufungsbegründung nicht als solches kenntlich gemacht. Auch hat sie nicht explizit dargetan, warum die erstinstanzliche Entscheidung aufgrund eines neuen Vorbringens im Ergebnis keinen Bestand haben könne. Solche Darlegungen waren jedoch ausnahmsweise entbehrlich, weil sich die neuen Verteidigungsmittel und deren Entscheidungserheblichkeit unmittelbar aus dem angefochtenen Urteil und der Berufungsbegründung ergeben. Es war nach deren Lektüre offenkundig, dass die Beklagte die vom Arbeitsgericht vermisste schriftsätzliche Aufbereitung der Kündigungsgründe und der Betriebsratsanhörung nunmehr nachholen wollte. Gesondert ausführen musste sie dies nicht.
Rz. 26
4. Im Hinblick auf die weiteren Streitgegenstände (Zwischenzeugnis und Weiterbeschäftigungsanspruch) bedurfte es im Streitfall keiner eigenständigen und den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO genügenden Berufungsbegründung. Besondere Ausführungen waren nicht erforderlich, weil die Anträge auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses sowie vorläufige Weiterbeschäftigung von der Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag abhängen (vgl. BAG 25. Mai 2016 - 2 AZR 345/15 - Rn. 17, BAGE 155, 181).
Rz. 27
II. Der Senat kann nach den bisherigen Feststellungen weder über den Kündigungsschutzantrag noch die weiteren Streitgegenstände entscheiden. Dies führt zur Zurückverweisung an die Vorinstanz. Von Hinweisen sieht der Senat ab.
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Koch |
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Rachor |
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Schlünder |
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Th. Gans |
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Torsten Falke |
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Fundstellen
Haufe-Index 13379808 |
BAGE 2020, 14 |
NJW 2019, 10 |
FA 2019, 352 |
JR 2020, 582 |
NZA 2019, 1446 |
AP 2019 |
EzA-SD 2019, 16 |
EzA 2020 |
MDR 2019, 1528 |
AUR 2019, 486 |
ArbRB 2019, 306 |
ArbR 2019, 495 |
NJW-Spezial 2019, 692 |
AP-Newsletter 2019, 239 |