Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Fortbildungskosten
Orientierungssatz
Eine Vereinbarung über die Erstattung von Fortbildungskosten, die ein Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers aufwendet, muß eindeutig sein. Der Arbeitnehmer muß die Folgen erkennen können, die sich für ihn aus dem Abschluß einer solchen Vereinbarung ergeben.
Normenkette
BGB §§ 242, 131, 133, 157; GG Art. 12
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 17. November 2000 – 2 Sa 281/00 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Erstattung von Fortbildungskosten.
Die Klägerin und Widerbeklagte war vom 15. April 1996 bis zum 31. August 1999 bei der Beklagten als Lehrkraft für die Fächer Krankengymnastische Behandlungstechnik sowie Physiotherapie in der Orthopädie, Chirurgie und Inneren Medizin beschäftigt. Ihr Bruttomonatsverdienst betrug zuletzt 4.000,00 DM. Im letzten Arbeitsvertrag der Parteien vom 8. Januar 1997 heißt es unter § 12:
„Frau S. verpflichtet sich, an Fortbildungen teilzunehmen, die der Erfüllung ihrer Aufgaben dienlich sind.
Kosten der Fortbildung werden von der G. übernommen, sofern diese für die Unterrichtsgestaltung sinnvoll und erforderlich sind.
Verlässt Frau S. vor Ablauf einer Jahresfrist nach Beendigung eines Fortbildungslehrgangs das Unternehmen, dann verpflichtet sich Frau S., die Lehrgangsgebühren in voller Höhe für die betroffenen Lehrgänge der G. zu erstatten.
Verlässt Frau S. vor Ablauf einer Frist von zwei Jahren nach Beendigung eines Fortbildungslehrgangs das Unternehmen, dann verpflichtet sich Frau S., die Lehrgangsgebühren anteilig für die betroffenen Lehrgänge der G. zu erstatten.”
Die Klägerin nahm an folgenden Fortbildungsveranstaltungen teil:
1. |
Manuelle Therapie EX 2/1 vom 30. September bis zum 4. Oktober 1997, |
2. |
Manuelle Therapie EX 2/2 vom 2. bis zum 5. Februar 1998, |
3. |
Manuelle Therapie EX 2/3 vom 2. bis zum 7. Juni 1998, |
4. |
Manuelle Therapie WS 2/1 vom 2. bis zum 6. Oktober 1998, |
5. |
Schlingentisch vom 5. bis zum 6. sowie am 20. September 1998, |
6. |
Manuelle Therapie WS 2/2 vom 31. Januar bis zum 3. Februar 1999, |
7. |
Manuelle Therapie WS 2/3 vom 7. bis zum 10. Juni 1999. |
Während der Teilnahme an diesen Lehrgängen zahlte die Beklagte der Klägerin das Entgelt fort. Die Klägerin leistete für die Teilnahme an diesen Fortbildungen keine Zahlungen.
Mit der vorliegenden Klage hat die Klägerin von der Beklagten die Zahlung der Nettovergütung für den Monat August 1999 geltend gemacht. Daraufhin hat die Beklagte die Rückzahlung von Fortbildungskosten in Höhe von insgesamt 3.537,45 DM verlangt. Mit diesem Anspruch hat sie in Höhe der Klageforderung die Aufrechnung erklärt und den Differenzbetrag in Höhe von 1.054,33 DM zum Gegenstand ihrer Widerklage gemacht. Mit Schriftsatz vom 21. Oktober 1999 hat die Beklagte die Widerklageforderung auf 3.537,45 DM erhöht. Das Arbeitsgericht hat durch Versäumnisurteil der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Gegen dieses hat die Beklagte rechtzeitig Einspruch eingelegt und ihre Widerklageforderung um 100,00 DM ermäßigt.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Rückzahlungsvereinbarung sei wirksam. Die Lehrgänge hätten neues Wissen und Können vermittelt. Mit diesen Fortbildungen habe sich die Klägerin neue Tätigkeitsfelder erschließen können und damit eine besonders hohe Qualifikation mit überdurchschnittlichen Vorteilen für das Arbeitsleben erlangt. Nach Rücknahme des Einspruchs hinsichtlich der Klageabweisung hat die Beklagte im Wege der Widerklage zuletzt noch beantragt,
unter Abänderung des Versäumnisurteils des Arbeitsgerichts Naumburg vom 15. Dezember 1999 die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 1.757,54 Euro (3.437,45 DM) nebst 4 % Zinsen auf 539,07 Euro (1.054,33 DM) seit dem 29. September 1999 sowie 4 % Zinsen auf weitere 1.218,47 Euro (2.383,12 DM) seit dem 28. Oktober 1999 zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.
Sie hat gemeint, die Teilnahme an den Fortbildungsveranstaltungen sei Bestandteil ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten gewesen. Die Lehrgänge habe sie auf Wunsch der Beklagten besucht und die Erkenntnisse daraus in ihre Tätigkeit eingebracht. Den ausgefallenen Unterricht habe sie nachgeholt.
Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil aufrechterhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Widerklageanspruch weiter. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.
I. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Widerklage als unbegründet abgewiesen. Der Beklagten steht gegenüber der Klägerin der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von Fortbildungskosten nicht zu. Die in § 12 des Arbeitsvertrags der Parteien vom 8. Januar 1997 geregelte Erstattungsvereinbarung ist wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) unwirksam.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind einzelvertragliche Vereinbarungen, nach denen ein Arbeitnehmer sich zur Zurückzahlung von Ausbildungskosten verpflichtet, soweit er vor Ablauf einer bestimmten Frist das Arbeitsverhältnis beendet, grundsätzlich zulässig (21. November 2001 – 5 AZR 158/00 – AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 31 = EzA BGB § 611 Inhaltskontrolle Nr. 9, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, mwN). Allerdings darf die damit einhergehende Bindung des Arbeitnehmers nicht zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung seines Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes (Art. 12 Abs. 1 GG) führen (BAG 21. November 2001 – 5 AZR 158/00 – aaO, zu I 2 a der Gründe). Im Hinblick darauf hat das Bundesarbeitsgericht Rückzahlungsklauseln für wirksam gehalten, wenn sie bei Abwägung aller Einzelumstände dem Arbeitnehmer nach Treu und Glauben zumutbar sind und vom Standpunkt eines verständigen Betrachters aus einem begründeten und zu billigendem Interesse des Arbeitgebers entsprechen (BAG 16. März 1994 – 5 AZR 339/92 – BAGE 76, 155 mwN). Die danach vorzunehmende Interessenabwägung hat sich vor allem daran zu orientieren, ob und inwieweit dem Arbeitnehmer eine wirtschaftliche, den Marktwert seiner Arbeitskraft erhöhende Ausbildung zufließt. Das muß der Arbeitnehmer vor dem Besuch der Fortbildungsveranstaltung erkennen können. Nur dann ist er in der Lage abzuwägen, ob die mit der Teilnahme verbundenen beruflichen Vorteile die finanziellen Belastungen im Falle einer vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses rechtfertigen oder eine entsprechende zeitlich begrenzte Bindung seinen Interessen entspricht. Dazu muß die Vereinbarung zum Grund und zum Umfang der Rückzahlungsverpflichtung eindeutig sein. Der Arbeitnehmer muß die Folgen, die sich für ihn aus dem Abschluß einer solchen Vereinbarung ergeben, erkennen können (BAG 19. März 1980 – 5 AZR 362/78 – AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 5 = EzA BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 2).
2. Diesen Bestimmtheitsanforderungen hält die Vereinbarung der Parteien in § 12 des Arbeitsvertrags nicht stand. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt. Ob die Vereinbarung auch aus anderen Gründen unwirksam wäre, bedarf keiner Entscheidung.
a) Die Auslegung von atypischen Verträgen und Willenserklärungen ist Sache der Tatsachengerichte und in der Revision nur in Grenzen nachprüfbar. Die Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt allein, ob bei der Auslegung dieser Verträge und Willenserklärungen die Rechtsvorschriften über die Auslegung, §§ 133, 157 BGB, richtig angewandt worden sind, ob der Tatsachenstoff vollständig verwertet oder dabei gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen wurde (st. Rspr. BAG 26. Mai 1992 – 9 AZR 27/91 – AP HGB § 74 Nr. 63 = EzA HGB § 74 Nr. 54) oder eine gebotene Auslegung unterlassen worden ist (BAG 18. Februar 1992 – 9 AZR 611/90 – AP TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 15 = EzA TVG § 4 Ausschlußfristen Nr. 98). Die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung der Vertragsbestimmung in § 12 des Arbeitsvertrags hält dieser eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht stand.
b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, auf Grund der vage formulierten Vereinbarung in Satz 3 des § 12 des Arbeitsvertrags bei gleichzeitiger Begründung einer gesonderten arbeitsvertraglichen Fortbildungspflicht habe die Klägerin im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht erkennen können, welche Fortbildungsveranstaltung überhaupt eine Rückzahlungspflicht auslöse. Nicht absehbar sei für die Klägerin auch der Umfang der erstattungsfähigen Kosten gewesen. Der Rückzahlungsvereinbarung fehle jegliche inhaltliche und finanzielle Konkretisierung.
c) Diese am Wortlaut der Vertragsbestimmung orientierte Auslegung der Willenserklärungen der Parteien läßt keine Auslegungsfehler erkennen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision gehen fehl. Soweit die Beklagte dem Landesarbeitsgericht vorhält, es habe bei seiner Auslegung nicht berücksichtigt, daß die Parteien vor der Teilnahme der Klägerin an einem Lehrgang über damit verbundene berufliche Vorteile gesprochen hätten, handelt es sich um nicht berücksichtigungsfähige Umstände nach Vertragsschluß, die zudem die Unbestimmheit der Rückzahlungsvereinbarung nicht aufheben. Ohne Erfolg wendet sich die Revision auch gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die getroffene Vereinbarung lasse den Umfang der Rückzahlungspflicht bei vorzeitiger Beendigung des Vertragsverhältnisses durch die Klägerin nicht erkennen. Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich um einen Umstand, den das Landesarbeitsgericht bei seiner Auslegung aus Rechtsgründen zu berücksichtigen hatte und nicht übergehen konnte. Unerheblich ist ein im Einzelfall entstandener beruflicher Vorteil infolge der Teilnahme an einer der benannten Maßnahmen. Dieser Einwand der Revision betrifft einen Umstand, dessen Fehlen eigenständiger Grund für die Unwirksamkeit einer Rückzahlungsvereinbarung über Fortbildungskosten sein kann. Entsprechendes gilt für den vereinbarten Beendigungstatbestand, der nach Ansicht des Berufungsgerichts nicht nach Gründen differenziert, die einem Arbeitnehmer zurechenbar sind.
3. Ohne Erfolg beanstandet die Revision die Ablehnung einer geltungserhaltenden Reduktion der unwirksamen Rückzahlungsvereinbarung durch das Landesarbeitsgericht. Die von der Revision geforderte Vertragsanpassung betrifft eine ergänzende Vertragsauslegung. Diese unterliegt ebenso wie atypische Willenserklärungen nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Den damit verbundenen Anforderungen hält die Würdigung der Willenserklärungen der Parteien durch das Berufungsgericht stand. Das Landesarbeitsgericht hat eine geltungserhaltende Reduktion nicht dem Grunde nach verneint, wie die Revision annimmt. Es hat das Vorliegen der Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsauslegung nicht als erfüllt angesehen, weil anhand des Vereinbarten nicht erkennbar sei, welchen konkreten Inhalt die Parteien der Rückzahlungsvereinbarung im Falle der Kenntnis ihrer Unwirksamkeit beigelegt hätten. Erfolglos macht die Beklagte eine unzureichende Verwertung tatsächlichen Vorbringens durch das Landesarbeitsgericht geltend. Die Beklagte hat im einzelnen versäumt darzulegen, inwieweit die angegriffene Entscheidung hierauf beruht.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Schmidt, Dr. Armbrüster, Brühler, D. Knauß, Matiaske
Fundstellen
Haufe-Index 929281 |
NZA 2003, 991 |
EzA-SD 2003, 6 |
EzA |
PflR 2004, 129 |
NJOZ 2003, 2249 |