Entscheidungsstichwort (Thema)
Gleichbehandlung in der betrieblichen Altersversorgung
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, Arbeitnehmer allein deshalb aus einem betrieblichen Versorgungswerk auszunehmen, weil sie in einem zweiten Arbeitsverhältnis stehen. Für eine solche Benachteiligung gibt es keinen sachlich rechtfertigenden Grund.
Normenkette
BetrAVG § 1 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 17.02.1994; Aktenzeichen 5 Sa 1856/93) |
ArbG Düsseldorf (Urteil vom 24.09.1993; Aktenzeichen 3 Ca 5269/93) |
Tenor
- Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. Februar 1994 – 5 Sa 1856/93 – wird zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob der Kläger bei Eintritt des Versorgungsfalls gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf betriebliche Altersversorgung haben wird.
Der 56 Jahre alte Kläger ist seit dem 2. September 1976 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der U… -GmbH, und der Beklagten beschäftigt. In einem Arbeitsvertrag vom 20. Oktober 1980 heißt es, der Kläger werde bei Eingruppierung in die Lohngruppe 2 des Lohntarifvertrages für das private Güterverkehrsgewerbe im Land Nordrhein-Westfalen als “Lagerarbeiter (Zweitb.)” beschäftigt. Derzeit erhält der Kläger einen Tarifstundenlohn von 14,48 DM. Er arbeitet seit Beginn des Arbeitsverhältnisses regelmäßig je Arbeitstag an sechs Stunden, und zwar zwischen 16.00 und 22.00 Uhr. Tagsüber geht er in einem anderen Arbeitsverhältnis einer Vollbeschäftigung als gewerblicher Arbeitnehmer nach.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hatte unter dem 27. Dezember 1976 die “U… Versorgungsordnung” geschaffen, die mehrfach, zuletzt am 23. September 1980, geändert worden ist. Mit Schreiben vom 16. Dezember 1977 übersandte die U…-GmbH ihren Betriebsstellenleitern Unterlagen für die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung “für die Mitarbeiter, die im Jahre 1977 bei UTB/UTV eingetreten sind, und zwar Zusageschreiben (Original und Kopie) und UTB-Versorgungsordnung mit 1. Nachtrag”. Weiter erhielten die Betriebsstellenleiter die Arbeitsanweisung 201.221 – Betriebliche Altersversorgung –, in der es u.a. heißt:
- “
U… gewährt seinen Mitarbeitern eine betriebliche Altersversorgung.
- Art und Umfang der Altersversorgung sind in der U… Versorgungsordnung geregelt, die Bestandteil dieser AA ist (Anl. 1).
- Die Teilnahmeberechtigung an der Altersversorgung wird durch Einzelzusagen erteilt.
Geltungsbereich und Personenkreis
Form der Zusage
Die verbindliche Zusage für eine betriebliche Altersversorgung erfolgt durch ein persönliches Anschreiben (Anl. 2) und die Aushändigung der U… Versorgungsordnung.
…
Die Zusageschreiben werden ausschließlich in der HV ausgefertigt, und zwar jeweils im Dezember für alle Mitarbeiter, die im Laufe eines Jahres ihre Tätigkeit bei U… in der Bundesrepublik und West-Berlin aufgenommen haben.
…
Beginn der anrechenbaren Dienstzeit
- Die anrechenbare Dienstzeit für eine betriebliche Altersversorgung beginnt mit dem Tag der Aufnahme der Tätigkeit bei U….”
Der Kläger erhielt keine Versorgungszusage. Er hat den Standpunkt vertreten, auch er müsse im Versorgungsfall eine Betriebsrente erhalten. Sein Ausschluß aus dem Versorgungswerk sei mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer nicht zu vereinbaren. Er hat zuletzt beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ihm eine betriebliche Altersversorgung nach der Maßgabe der U… Versorgungsordnung vom 27. Dezember 1976, zuletzt geändert durch den Nachtrag vom 23. September 1980, zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es sei sachlich gerechtfertigt, Arbeitnehmer, die nur im Zweitberuf tätig seien, von Versorgungszusagen auszunehmen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision strebt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils erster Instanz an.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Feststellungsbegehren des Klägers zu Recht entsprochen.
A. Der Feststellungsantrag ist nach § 256 ZPO zulässig. Der Kläger hat das erforderliche besondere Feststellungsinteresse. Er kann sein Rechtsschutzziel nicht mit einem Leistungsantrag verfolgen, der eine seinem Feststellungsbegehren entsprechende Reichweite hat. Der Kläger will so gestellt werden wie er stünde, wenn die Beklagte ihm spätestens Ende 1977 eine Versorgungszusage erteilt hätte. Ein Antrag, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Versorgungszusage nach Maßgabe der Versorgungsordnung vom 27. Dezember 1976 und mit Wirkung vom 2. September 1976 zu erteilen, umfaßte dieses Ziel – die Feststellung eines bereits bestehenden Anspruchs – nicht.
B. Die Klage ist auch begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, daß der Kläger nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung nach Maßgabe der U… Versorgungsordnung vom 27. Dezember 1976 hat. Die Beklagte muß den Kläger so stellen, als hätte sie ihm die Versorgungszusage spätestens Ende 1977 mit Wirkung ab dem 2. September 1976 erteilt.
I. Der Anspruch des Klägers ergibt sich allerdings nicht aus der durch die Arbeitsanweisung 201.221 konkretisierten betrieblichen Übung bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten. Daß der Kläger keine Versorgungszusage erhalten hat, entspricht der bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten aufgestellten Regelung.
Die Arbeitsanweisung kann nicht so verstanden werden, daß auch solche Arbeitnehmer eine Versorgungszusage erhalten sollen, die zwar in einem zweiten Arbeitsverhältnis stehen, aber wie der Kläger täglich vier Stunden oder mehr arbeiten. Die Arbeitsanweisung nimmt Teilzeitkräfte mit einer Arbeitszeit von weniger als vier Stunden und gleichwertig daneben die in einem zweiten Arbeitsverhältnis tätigen Arbeitnehmer aus der betrieblichen Altersversorgung aus. Aus diesem Nebeneinander beider Ausschlußtatbestände in der Arbeitsanweisung folgt, daß die Mitarbeiter in einem zweiten Arbeitsverhältnis keine Versorgungszusage erhalten sollen, in welchem zeitlichen Umfang auch immer sie in diesem Arbeitsverhältnis Arbeit leisten.
II. Auch § 2 Abs. 1 BeschFG ist nicht zugunsten des Klägers anwendbar. Der Kläger wurde nicht wegen seiner Teilzeit von der Versorgungszusage ausgeschlossen. Ausschlußgrund war allein der Umstand, daß er in einem zweiten Arbeitsverhältnis tätig ist.
III. Der Anspruch des Klägers ergibt sich aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Beklagte muß den Kläger hiernach so behandeln, als hätte ihre Rechtsvorgängerin dem Kläger spätestens im Jahre 1977 eine Versorgung zugesagt. Sie muß dem Kläger deshalb im Versorgungsfall die nach der Versorgungsordnung vorgesehenen Leistungen gewähren.
1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz kann zur Begründung von Ruhegeldansprüchen führen (§ 1 Abs. 1 Satz 4 BetrAVG). Verstößt eine betriebliche Regelung gegen diesen Grundsatz, muß der benachteiligte Arbeitnehmer den Begünstigten gleichgestellt werden, wenn dies die einzige Möglichkeit ist, den Verstoß zu beseitigen. Der Arbeitgeber muß, hat er gegen die arbeitsrechtliche Gleichbehandlungspflicht verstoßen, dem benachteiligten Arbeitnehmer das Ruhegeld zahlen, das er einem vergleichbaren begünstigten Arbeitnehmer zahlt (Senatsurteile vom 12. November 1991 – 3 AZR 489/90 – AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung; vom 20. Juli 1993 – 3 AZR 52/93 – AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
2. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage ebenso wie die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung. Die Bildung von Arbeitnehmergruppen muß sachlichen Kriterien entsprechen.
Eine Differenzierung ist dann sachfremd, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt. Bei freiwilligen Leistungen, insbesondere solchen der betrieblichen Altersversorgung, ist eine Ungleichbehandlung verschiedener Arbeitnehmergruppen nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung nach dem Zweck der Leistung berechtigt ist. Der sachliche Grund hat sich am Zweck der Leistungszusage zu orientieren.
Der Zweck einer betrieblichen Altersversorgung besteht darin, zur Versorgung der Arbeitnehmer im Alter beizutragen. In der Regel soll auch die Betriebstreue gefördert und belohnt werden. Im Zusammenhang damit ergeben sich mögliche Rechtfertigungen für eine Ungleichbehandlung. Sachlicher Grund für eine Differenzierung kann ein typischerweise unterschiedlicher Versorgungsbedarf sein. Es kann auch sachlich gerechtfertigt sein, die Betriebstreue bestimmter Arbeitnehmergruppen besonders zu honorieren, um sie durch die in Aussicht stehenden Versorgungsleistungen enger an das Unternehmen zu binden (vgl. hierzu insgesamt zuletzt Senatsurteil vom 20. Juli 1993 – 3 AZR 52/93 – AP Nr. 11 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, m.w.N.).
3. Das Landesarbeitsgericht ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat im Ergebnis und in der Begründung überzeugend hergeleitet, daß es keinen billigenswerten Grund gibt, einen Arbeitnehmer allein deshalb, weil er noch ein anderes Arbeitsverhältnis hat, aus der betrieblichen Altersversorgung auszunehmen.
Mit der betrieblichen Altersversorgung erbringt der Arbeitgeber freiwillig ein zusätzliches Arbeitsentgelt, das sich durch seinen Versorgungszweck und die diesem Zweck angepaßte herausgeschobene Fälligkeit vom laufenden Entgelt unterscheidet. Es geht dem Arbeitgeber darum, seinem Arbeitnehmer als Gegenleistung für Arbeitsleistung und Betriebstreue eine über die sozialversicherungsrechtliche Grundsicherung hinausgehende Versorgung sicherzustellen. Der für diese Zusatzversorgung maßgebliche Versorgungsbedarf bemißt sich anhand des Lebensstandards des Begünstigten vor dem Eintritt in den Ruhestand. Jede betrieblich versprochene Versorgungsleistung verringert die Lücke, die sich mit dem Eintritt des Versorgungsfalles zwischen dem durch die letzten Aktivenbezüge begründeten Lebensstandard und der sozialversicherungsrechtlichen Grundversorgung auftut.
Vor diesem Hintergrund ist es sachlich nicht zu rechtfertigen, das zusätzliche Arbeitsentgelt Altersversorgung allein davon abhängig zu machen, ob ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistungen und seine Betriebstreue in einem Erstarbeitsverhältnis oder in einem zweiten Arbeitsverhältnis erbringt. Selbst wenn ein Zweitberuf nur um eines Zusatzverdienstes willen ausgeübt wird, wird hierdurch der Lebensstandard des Arbeitnehmers mit beeinflußt. Im Ruhestand entsteht dann auch ein entsprechend erhöhter Versorgungsbedarf (vgl. Senatsurteil vom 28. Juli 1992 – 3 AZR 173/92 – AP Nr. 18 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu B I 3c ≪3≫ der Gründe). Eine Ungleichbehandlung der beiden Arbeitnehmergruppen kann deshalb nicht mit einem typischerweise unterschiedlichen Versorgungsbedarf gerechtfertigt werden. Bei beiden Gruppen entsteht mit dem Übergang in den Ruhestand grundsätzlich eine relativ gleiche Versorgungslücke zwischen letzten Aktivenbezügen und gesetzlicher Rente. Zur Durchsetzung einer am Versorgungsbedarf orientierten Differenzierung stehen angemessene Regelungsmöglichkeiten zur Verfügung. Ein Arbeitgeber kann beispielsweise seinen Arbeitnehmern eine summenmäßig begrenzte Gesamtalterssicherung versprechen. Er kann dies durch Anrechnungsklauseln oder die Festlegung von Kappungsgrenzen sicherstellen. So kann er es möglicherweise auch erreichen, daß ein in einem Zweitarbeitsverhältnis tätiger Arbeitnehmer zumindest dann von ihm keine betriebliche Altersversorgung erhält, wenn er aus seinem ersten Arbeitsverhältnis eine betriebliche Altersversorgung bezieht. Eine Gruppenbildung allein danach, ob ein Arbeitnehmer in einem ersten oder in einem zweiten Arbeitsverhältnis steht, ist demgegenüber zu undifferenziert und sachlich nicht gerechtfertigt.
4. Der Fünfte Senat hat es zwar in mehreren Einzelfällen als gerechtfertigt angesehen, beim laufenden Arbeitsentgelt danach zu unterscheiden, ob die Arbeitsleistung in Haupt- oder in Nebentätigkeit verrichtet wurde (BAGE 66, 17 = AP Nr. 8 zu § 2 BeschFG 1985; BAGE 70, 48 = AP Nr. 19 zu § 1 BeschFG 1985; Urteil vom 19. August 1992 – 5 AZR 95/92 – nicht veröffentlicht; Urteil vom 3. Februar 1993 – 5 AZR 305/92 – nicht veröffentlicht). Diese Rechtsprechung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden (BVerfG Beschluß vom 18. Februar 1993 – 1 BvR 1594/92 – AP Nr. 25 zu § 2 BeschFG 1985). Sie steht aber nicht im Widerspruch zur Auffassung des Senats. Das Entgelt in Form einer betrieblichen Altersversorgung unterscheidet sich vom laufenden Entgelt, mit dem sich der Fünfte Senat befaßt hat, durch die unterschiedliche Zwecksetzung. Das laufende Arbeitsentgelt aus einem Zweitarbeitsverhältnis tritt stets neben das in einem ersten Arbeitsverhältnis Verdiente. Die hier zu beurteilende Versorgungsordnung unterscheidet dagegen nicht danach, ob die Arbeitnehmer aus ihrem ersten Arbeitsverhältnis eine betriebliche Versorgungsleistung erhalten oder nicht.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Dr. Reinfeld, Oberhofer
Fundstellen
Haufe-Index 857031 |
BAGE, 288 |
BB 1995, 2011 |
JR 1995, 440 |
NZA 1995, 733 |
ZIP 1995, 668 |