Leitsatz (redaktionell)
Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über die Verrechnung künftiger Rentenansprüche mit Ansprüchen auf eine Abfindung nach §§ 9, 10 KSchG sind nichtig (§ 3 BetrAVG, § 134 BGB). Der Arbeitnehmer kann im Versorgungsfall seine Betriebsrente ungekürzt verlangen.
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Vereinbarung, nach der Rentenleistungen mit einer Abfindung aus Anlaß der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verrechnet werden sollen.
Der im September 1938 geborene Kläger war 34 Jahre bei der Beklagten als Angestellter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund eines Aufhebungsvertrages am 28. Februar 1991. Im Aufhebungsvertrag verpflichtete sich die Beklagte zur Zahlung einer "Sozialabfindung gemäß § 3, Ziffer 9, Einkommenssteuergesetz, §§ 9, 10 Kündigungsschutzgesetz in Höhe von 90.000,00 DM brutto". Der Betrag wurde am 28. Februar 1991 fällig und ausgezahlt.
Zum Zeitpunkt seines Ausscheidens war der Kläger Inhaber einer Anwartschaft auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung für den Fall der Invalidität und des Alters. Im Aufhebungsvertrag haben die Parteien über die Behandlung dieser Abfindung vereinbart:
"...
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3. |
Die heutige Abfindungszahlung kann mit Forderungen des Herrn Wü an die Versorgungseinrichtungen der W GmbH & Co. KG bis zum vollständigen Aufbrauch verrechnet werden, und zwara) wenn Herr Wü vorzeitig, d.h. früher als mit 65 Jahren |
bzw. 63 Jahren in Rente geht und/oderb) wenn Herr Wü durch Unfall in seinem weiteren Er- |
werbsleben vorzeitig invalidiert wird...." |
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Seit 19. Juli 1993 erhält der Kläger (er war damals 54 Jahre alt) von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Von der Beklagten forderte er die Zahlung einer Betriebsrente in der unstreitigen Höhe von monatlich 659,00 DM. Die Beklagte weigerte sich unter Berufung auf die Vereinbarung über die Verrechnung im Aufhebungsvertrag.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Verrechnungsvereinbarung sei unwirksam. Er hat zuletzt beantragt,
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1. |
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.613,00 DM brutto für die Monate September 1995 bis März 1996 nebst 4 % Zinsen aus dem sich für die Monate September 1995 bis Februar 1996 ergebenden Nettobetrag ab 6. Februar 1996 und aus dem sich für den Monat März 1996 ergeben-den Nettobetrag ab 2. März 1996 zu zahlen und |
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ab dem 1. April 1996 jeweils monatlich im voraus 659,00 DM brutto zu zahlen. |
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Vereinbarung in Nr. 3 des Aufhebungsvertrages für wirksam gehalten.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Betriebsrente. Der Anspruch ist nicht durch die Verrechnungsvereinbarung im Aufhebungsvertrag erloschen.
1. Der Anspruch des Klägers auf eine monatliche Betriebsrente ab 1. Septem-ber 1995 ist dem Grunde und der Höhe nach zwischen den Parteien nicht streitig.
2. Das Landesarbeitsgericht ist auf die Frage, ob der Bezug einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter die Verrechnungsvereinbarung fällt, nicht eingegangen. In der Vereinbarung wird unterschieden zwischen vorzeitiger Altersrente (Buchst. a) und Invalidenrente (Buchst. b). Die Invalidenrente soll nach dieser Vereinbarung nur verrechnet werden, wenn die Erwerbsunfähigkeit auf einem Unfall beruht.
Bei der Auslegung einer Vereinbarung zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages kommt es jedoch in erster Linie auf deren Verständnis an. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erklärt, daß nach seinen Vorstellungen jeder vorzeitige Rentenbezug mit der Abfindungszahlung verrechnet werden könne. An diese Erklärung ist der Senat gebunden. Der Tatbestand, der eine Verrechnung auslösen soll, ist nach der Vereinbarung damit eingetreten.
3. Die Vereinbarung ist jedoch nicht wirksam. Sie verstößt gegen § 3 BetrAVG. Sie ist nach § 134 BGB unwirksam. § 3 BetrAVG ist Verbotsnorm im Sinne dieser Vorschrift. Abfindungsvereinbarungen, die gegen diese Vorschrift verstoßen, sind nichtig (BAG Urteil vom 22. März 1983 - 3 AZR 499/80 - BAGE 44, 29 = AP Nr. 1 zu § 3 BetrAVG).
Nach § 3 BetrAVG dürfen unverfallbare Anwartschaften bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur unter sehr einschränkenden Voraussetzungen abgefunden werden. Diese einschränkenden Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt mithin davon ab, ob die dem Kläger gezahlte Abfindung eine solche ist, die von der Verbotsnorm des § 3 BetrAVG erfaßt wird. Das ist zu bejahen.
a) Von § 3 BetrAVG werden zunächst Vereinbarungen erfaßt, in denen sich die vereinbarte Abfindung unmittelbar auf die Anwartschaft bezieht. Die Rechtslage ist eindeutig, wenn die Parteien anstelle einer späteren Rente eine Barzahlung beim Ausscheiden des Arbeitnehmers vereinbaren. Dieser Fall liegt nicht vor. Insoweit hat die Revision der Beklagten Recht. Nach dem Wortlaut der Vereinbarungen hat der Kläger nicht über seine künftigen Betriebsrentenzahlungen verfügt. Die Betriebsrente sollte ihm weiterhin zustehen. Sie wurde weder dem Grunde noch der Höhe nach geschmälert.
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten geht die Verbotsnorm des § 3
BetrAVG jedoch weiter. Sie betrifft jede Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, durch die eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft mit oder ohne Zahlung einer Abfindung eingeschränkt oder aufgehoben wird. Das gilt auch für die Verrechnung der späteren Altersrente mit Forderungen des Arbeitgebers auf Rückzahlung einer Abfindung, die wegen des Verlustes des Arbeitsplatzes gezahlt wird.
Eine solche ausdehnende Auslegung ist nach dem Zweck der Regelung geboten. § 3 BetrAVG will sicherstellen, daß der Arbeitnehmer tatsächlich die für den Eintritt der Versorgungsfälle vereinbarten Leistungen erhält. Wird im voraus die Verrechnung mit Ansprüchen des Arbeitgebers vereinbart, kann der Versorgungsanspruch seinen Zweck nicht mehr erfüllen (vgl. Höfer, BetrAVG, Stand: September 1995, § 3 Rz 2073). Deshalb wird der Arbeitnehmer auch "vor sich selbst geschützt" (Blomeyer/Otto, BetrAVG, 2. Aufl., § 3 Rz 2).
Der Fall, daß dem versorgungsberechtigten Arbeitnehmer eine Abfindung nur dann verbleiben soll, wenn bestimmte Versorgungsfälle nicht eintreten, ist dem Fall, daß die Abfindung unmittelbar für eine unverfallbare Anwartschaft gezahlt wird, gemessen am Zweck des Gesetzes gleichzustellen. § 3 BetrAVG geht auf die zuvor übliche Berücksichtigung der Versorgungsanwartschaften bei der Bemessung einer Abfindung nach § 9 KSchG zurück. Vor Inkrafttreten des BetrAVG konnten Anwartschaften abgefunden werden, die aufgrund der Rechtsprechung unverfallbar waren (vgl. BAG Urteil vom 24. Oktober 1974 - 3 AZR 590/73 - BAGE 26, 333 = AP Nr. 6 zu § 242 BGB Ruhegehalt-Unverfallbarkeit; vgl. insoweit zustimmend auch Blomeyer/
Otto, BetrAVG, 2. Aufl., § 3 Rz 10).
Auch im vorliegenden Fall hängt die Höhe der Abfindung mit dem Wegfall von Ansprüchen im Versorgungsfall der Invalidität zusammen. Die Abfindung soll dem Kläger nur dann in voller Höhe zustehen, wenn er die Versorgung erst nach Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch nimmt. Geschieht dies, bleibt dem Kläger die Abfindung stets ungekürzt erhalten, also auch dann, wenn er anderweitigen Verdienst erzielt. Durch diese Abrede wird der Rechtsgrund für die Zahlung der Abfindung deutlich. Der Kläger erhält die Abfindung nicht als Überbrückungshilfe bis zu dem Zeitpunkt, von dem ab er entweder anderweitiges Einkommen oder Ersatz-einkommen in Form von gesetzlicher Rente bezieht. Die Abfindung ist der Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes. Darunter sind wie üblich sowohl Einkommen als auch weitere Sozialleistungen zu verstehen. Diesen Zweck bestätigt indirekt auch die Beklagte. Nach ihrer Auffassung ist die Abfindung nur deshalb so hoch ausgefallen, weil der Kläger im Anschluß an das beendete Arbeitsverhältnis entweder ein anderes Arbeitsverhältnis begründen oder sich anderweitig gewerblich betätigen wollte. Damit war die Abfindung nicht mehr am Bedarf des Klägers nach einer Absicherung für eine Übergangszeit orientiert. Vielmehr wollte die Beklagte das Risiko, wegen vorzeitiger Invalidität in Anspruch genommen zu werden, durch die vereinbarte Zahlung ausschließen. Das ist nicht statthaft.
Fundstellen
Haufe-Index 438770 |
BAGE, 212 |
BB 1998, 1423 |
DB 1998, 1340 |
FA 1998, 223 |
JR 1998, 396 |
NZA 1998, 1280 |
SAE 1999, 112 |
ZAP 1998, 752 |
ZTR 1998, 521 |
AP, 0 |
AuA 1998, 327 |
MDR 1998, 972 |
VersR 1999, 82 |