Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerklage. Rückwirkung der Zustellung bei Klagerücknahme zwischen An- und Rechtshängigkeit der Widerklage. Rechtsschutzinteresse. Zulässigkeit des Rechtsmittels. Umfang des Rückgewähranspruchs bei Insolvenzanfechtung. Klagerücknahme
Orientierungssatz
1. Die Zustellung der Widerklage wirkt unter den Voraussetzungen des § 167 ZPO auf den Zeitpunkt ihres Eingangs zurück, so dass eine zwischen der An- und der Rechtshängigkeit der Widerklage erfolgende Klagerücknahme nicht zur Unzulässigkeit der Widerklage führt.
2. Das Rechtsschutzinteresse stellt grundsätzlich keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar. Vielmehr ist mit dem Erfordernis der Beschwer im Allgemeinen gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht ohne ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers eingelegt wird. Das Rechtsmittel ist deshalb nur ausnahmsweise wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, wenn eine unnötige, zweckwidrige oder missbräuchliche Beschreitung des vom Gesetz vorgesehenen Rechtsmittelweges anzunehmen ist.
Normenkette
ZPO §§ 33, 167; InsO § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 8. Mai 2014 – 5 Sa 223/14 – unter Zurückweisung der weiter gehenden Revision teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 21. Februar 2014 – 13 Ca 3718/13 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert, soweit Zinsen für den 1. September 2013 zugesprochen wurden.
Insoweit wird die Widerklage abgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch über den mit der Widerklage verfolgten Anspruch auf Rückgewähr einer anfechtbar erlangten Abfindung an die Masse.
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter des auf Eigenantrag vom 5. Juni 2013 am 1. September 2013 eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin. Der Kläger war seit dem 15. August 1998 bei dieser als Finanzbuchhalter beschäftigt. Die Schuldnerin kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 29. Mai 2013. Am selben Tag schloss sie mit dem Kläger einen Aufhebungsvertrag, demzufolge das Arbeitsverhältnis zum 29. Mai 2013 gekündigt und im gegenseitigen Einvernehmen zum 31. Oktober 2013 beendet wurde. Zugleich verpflichtete sie sich, eine Abfindung von 75.000,00 Euro netto an den Kläger zu zahlen. Ein Fälligkeitstermin war nicht ausdrücklich vereinbart. Am 4. Juni 2013 zahlte die Schuldnerin die Abfindung an den Kläger. Dieser erhob gleichwohl anschließend Klage gegen die Kündigung. Das Kündigungsschutzverfahren war seit der Bestellung des Beklagten zum starken vorläufigen Insolvenzverwalter am 25. Juni 2013 unterbrochen.
Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 15. November 2013 vergeblich auf, die Abfindungssumme zurück zur Masse zu gewähren. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2013, der am Folgetag beim Arbeitsgericht einging, nahm er das Verfahren auf und erhob Widerklage auf Rückzahlung der Abfindung. Die Zustellung dieses Schriftsatzes wurde erst am 17. Januar 2014 veranlasst und erfolgte am 27. Januar 2014. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger mit Schriftsatz vom 23. Januar 2014, der am selben Tag bei Gericht eingegangen war, die Kündigungsschutzklage bereits zurückgenommen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Widerklage sei zulässig. § 167 ZPO sei entsprechend anwendbar. Der Kläger habe die Abfindung anfechtbar erlangt.
Der Beklagte hat beantragt,
den Kläger zu verurteilen, an den Beklagten 75.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2013 zu zahlen.
Der Kläger hat zur Begründung seines Antrags auf Abweisung der Widerklage die Ansicht vertreten, diese sei unzulässig. § 167 ZPO finde auf die vorliegende Konstellation keine Anwendung. Diese Bestimmung solle die Parteien vor gerichtlichen Verzögerungen schützen, nicht aber vor Verfahrenshandlungen der jeweils anderen Partei. Der Widerkläger müsse auch nicht vor der Klagerücknahme geschützt werden, weil er selbst jederzeit eine neue Hauptklage erheben könne. Zudem begebe er sich bewusst in Abhängigkeit von der Hauptklage. Von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin habe er, der Kläger, im Zeitpunkt der Zahlung keine Kenntnis gehabt.
Das Arbeitsgericht hat mit Versäumnisurteil vom 4. Februar 2014 der Widerklage entsprochen und dieses Urteil auf den Einspruch des Klägers aufrecht erhalten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Abweisung der Widerklage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist ganz überwiegend unbegründet. Erfolg hat sie nur hinsichtlich des Zinsantrags für den Tag der Insolvenzeröffnung, den 1. September 2013.
I. Die Revision ist insgesamt zulässig.
1. Der Revisionsbegründung lassen sich Richtung des Revisionsangriffs und der aus Sicht der Revision vorliegende Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts bei der Anwendung des § 167 ZPO noch hinreichend deutlich entnehmen. Sie legt dar, warum nach ihrer Auffassung entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts die Bestimmung des § 167 ZPO ausgehend von ihrem Zweck auf die vorliegende Konstellation weder unmittelbar noch analog anwendbar ist. Diese Angriffe sind im Fall ihrer Berechtigung geeignet, eine abweichende Entscheidung durch den Senat als möglich erscheinen zu lassen (vgl. BAG 16. April 2015 – 6 AZR 352/14 – Rn. 14). Eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Gründen des angegriffenen Urteils war im Hinblick darauf, dass das Revisionsgericht an die Revisionsgründe nicht gebunden ist, nicht erforderlich (vgl. BAG 31. Juli 2014 – 6 AZR 993/12 – Rn. 13). Ob die Ansicht des Klägers zutrifft, ist eine Frage der Begründetheit der Revision.
2. Damit ist – entgegen der Auffassung des Beklagten – die Revision insgesamt zulässig, obwohl sie gegen die materiell-rechtliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts keine substantiierten Rügen erhebt, sondern sich darauf beschränkt, diese zur Überprüfung durch den Senat zu stellen. Insoweit genügt ein Angriff durch eine Sach- oder Verfahrensrüge, die das Urteil in Frage stellt (Zöller/Heßler ZPO 30. Aufl. § 551 Rn. 13).
3. Der Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, der Revision fehle das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Kläger keine nennenswerten inhaltlichen Einwände gegen das Bestehen eines Anfechtungsanspruchs erhebe und er darum in einem neuen Prozess zur Rückgewähr der Abfindung an die Masse verurteilt werden müsse, wenn er im vorliegenden Rechtsstreit obsiege, weil die Widerklage unzulässig sei.
a) Das Rechtsschutzinteresse stellt grundsätzlich keine besondere Voraussetzung für die Zulässigkeit des Rechtsmittels dar. Mit dem Erfordernis der Beschwer ist im Allgemeinen gewährleistet, dass das Rechtsmittel nicht eingelegt wird, ohne dass ein sachliches Bedürfnis des Rechtsmittelklägers hieran besteht. Darum kann die Unzulässigkeit eines Rechtsmittels nur ausnahmsweise mit dem Fehlen des Rechtsschutzbedürfnisses begründet werden, nämlich dann, wenn eine unnötige, zweckwidrige oder missbräuchliche Beschreitung des vom Gesetz vorgesehenen Rechtsmittelwegs anzunehmen ist (BGH 3. Dezember 2014 – IV ZB 9/14 – Rn. 57). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Das Beharren des Klägers auf Abweisung der Widerklage aus formellen Gründen ist nicht rechtsmissbräuchlich. Aus § 269 Abs. 1 ZPO folgt, dass er grundsätzlich ein Recht auf Erlass eines Urteils über den mit der Widerklage verfolgten Anspruch hat (vgl. BGH 14. Mai 1979 – II ZR 15/79 – zu 2 b der Gründe). Ob der Anspruch dann, wenn der Kläger im vorliegenden Prozess aus Gründen des formellen Rechts obsiegen würde, in einem späteren Verfahren materiell zuerkannt würde, ist unerheblich. Folgte man der Ansicht des Beklagten, wäre eine Verteidigung mit Argumenten des Prozessrechts abgeschnitten.
b) Der Kläger ist durch die angefochtene Entscheidung materiell beschwert. Dafür genügt jeder nachteilige, der Rechtskraft fähige Inhalt der angefochtenen Entscheidung (BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 348/11 – Rn. 32, BAGE 144, 125).
II. Die Widerklage ist zulässig. Die Wirkung ihrer Zustellung am 27. Januar 2014 wird gemäß § 167 ZPO im Wege der Fiktion auf den Zeitpunkt ihres Eingangs bei Gericht am 19. Dezember 2013 zurückdatiert. In diesem Zeitpunkt dauerte die Rechtshängigkeit der Klage, die erst am 23. Januar 2014 zurückgenommen worden ist, noch an.
1. Die Widerklage setzt begrifflich voraus, dass eine Klage schon und noch anhängig ist. Erst nach ihrer zulässigen Erhebung wird sie wie eine selbständige Klage behandelt. Dann lässt eine Rücknahme der Hauptklage die Widerklage unberührt (vgl. BGH 17. Oktober 1963 – II ZR 77/61 – BGHZ 40, 185, 189). Liegt die besondere Prozessvoraussetzung der Rechtshängigkeit der Klage bei Erhebung der Widerklage nicht vor, ist die Widerklage dagegen als unzulässig abzuweisen (BGH 18. April 2000 – VI ZR 359/98 – zu II 3 der Gründe).
2. Die Revision geht zu Recht davon aus, dass die Widerklage unzulässig wäre, wenn § 167 ZPO keine Anwendung fände. Die Widerklage wurde erst am 27. Januar 2014 und damit nach der bereits am 23. Januar 2014 erfolgten Rücknahme der Klage zugestellt.
a) Die Klagerücknahme wurde mit ihrem Eingang bei Gericht am 23. Januar 2014 wirksam. Sie war als an das Gericht gerichtete Prozesshandlung trotz der am 23. Januar 2014 noch andauernden Unterbrechung des Rechtsstreits nach § 240 ZPO wirksam (vgl. für die Rechtsmitteleinlegung in st. Rspr. BAG 26. Juni 2008 – 6 AZR 478/07 – Rn. 10; BGH 16. Mai2013 – IX ZR 332/12 – Rn. 5). Einer Einwilligung des Beklagten bedurfte es gemäß § 269 Abs. 1 ZPO nicht.
b) Die Widerklage wurde erst am 27. Januar 2014 zugestellt.
aa) Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet (BGH 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – Rn. 6).
bb) Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat das auf den 27. Januar 2014 ausgestellte Empfangsbekenntnis nicht unterzeichnet. Er hat jedoch im Schriftsatz vom 6. Februar 2014 ausdrücklich angegeben, er habe „am 27.01.2014” die Ladung nebst Widerklage erhalten. Da er diesen Schriftsatz selbst unterzeichnet hatte, war damit das Empfangsbekenntnis jedenfalls mit Rückwirkung nachgeholt (vgl. BGH 19. April 1994 – VI ZR 269/93 – zu II 1 c der Gründe). Darum kann dahinstehen, ob wie nach § 212a ZPO aF (vgl. dazu BGH 19. April 1994 – VI ZR 269/93 – zu II 1 b der Gründe) auch nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO die Angabe des Datums und der Unterschrift unverzichtbare Wirksamkeitsvoraussetzungen für die Zustellung durch Empfangsbekenntnis sind (offengelassen von BGH 11. Juli 2005 – NotZ 12/05 – zu II 4 d aa der Gründe, insbesondere für das Fehlen einer Unterschrift; verneinend Stein/Jonas/ Roth ZPO 22. Aufl. § 174 Rn. 13; bejahend Wieczorek/Schütze/Rohe 4. Aufl. § 174 ZPO Rn. 51).
cc) Das Empfangsbekenntnis erbringt nach § 174 Abs. 4 Satz 1 ZPO vollen Beweis auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Rechtsanwalt. Den zulässigen Gegenbeweis der Unrichtigkeit des Empfangsdatums, der voraussetzt, dass die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses vollständig entkräftet wird und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können (BGH 19. April 2012 – IX ZB 303/11 – Rn. 6), hat der Beklagte nicht geführt. Darum ist trotz des erheblichen Zeitabstands von zehn Tagen zwischen der Absendung der zuzustellenden Schriftstücke am 17. Januar 2014 und deren im Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten des Klägers bescheinigter Zustellung am 27. Januar 2014 vom Zugang erst an diesem Tag auszugehen.
3. Die Zustellung der Widerklage wirkt jedoch auf den Zeitpunkt ihres Eingangs zurück, so dass eine zwischen der An- und Rechtshängigkeit der Widerklage erfolgende Klagerücknahme nicht zur Unzulässigkeit der Widerklage führt. Das ergibt die Auslegung des § 167 ZPO.
a) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung sind Zweckmäßigkeitsvorschriften (vgl. RG 17. Februar 1909 – I 387/08 – RGZ 70, 291, 293), die der Herbeiführung gesetzmäßiger und unter diesem Blickwinkel richtiger, aber in diesem Rahmen auch gerechter Entscheidungen dienen (BVerfG 30. Januar 1985 – 1 BvR 99/84 – zu B II 3 a der Gründe, BVerfGE 69, 126). Sie sollen nicht die Rechtsverfolgung erschweren oder verhindern und sind auch nicht Selbstzweck, sondern dienen der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten (BGH 2. Juli 2004 – V ZR 290/03 – zu II 1 a der Gründe). Wenn irgend vertretbar, müssen Verfahrensvorschriften daher so ausgelegt werden, dass sie eine Entscheidung über die materielle Rechtslage ermöglichen (vgl. GmS
5. April 2000 – GmS-OGB 1/98 – zu III 1 der Gründe, BGHZ 144, 160; BGH 6. November 1991 – XII ZR 240/90 – zu II 2 der Gründe; RG 8. Dezember 1922 – III 120/22 – RGZ 105, 422, 427). Bei ihrer Auslegung ist in besonderem Maße auf die Wahrung des mit der Norm verfolgten Zwecks Bedacht zu nehmen (vgl. BGH 15. Dezember 1960 – KZR 2/60 – zu II 3 der Gründe, BGHZ 34, 53; RG 17. Februar 1909 – I 387/08 – RGZ 70, 291, 293). Auch ist einer Auslegung der Vorrang zu geben, die Verfahrenstricks und Manipulationen der Parteien verhindert (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 30. Aufl. Einl. Rn. 99).
b) Nach diesem Auslegungsmaßstab findet § 167 ZPO ausgehend von seinem Zweck auch in der vorliegenden Konstellation Anwendung.
aa) § 167 ZPO kodifiziert mit dem prozessualen Nichtzurechnungsgrundsatz einen fundamentalen Grundsatz des Prozessrechts, indem die Partei von der Verantwortlichkeit für Vorgänge, auf die sie keinen Einfluss hat, befreit wird (Schumann FS Lüke 1997 S. 767, 779). Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen wird die Zustellung auf den Zeitpunkt zurückdatiert, in dem der zuzustellende Antrag oder die zuzustellende Erklärung in die Verfügungsgewalt des Gerichts gelangt und damit dem Einfluss des Antragstellers entzogen ist. Durch gesetzliche Fiktion wird die Zustellung als im Zeitpunkt der Einreichung des Antrags bewirkt angesehen (Förster/Kann Die Zivilprozeßordnung für das Deutsche Reich 3. Aufl. § 207 S. 525; Stein/Jonas/Roth ZPO 22. Aufl. § 167 Rn. 1). Der Gesetzgeber trägt dadurch dem Umstand Rechnung, dass er die Amtsstatt der Parteizustellung eingeführt hat. Er hat erkannt, dass die Zustellung seitdem jedem Einfluss der Partei entzogen ist, insbesondere von ihr nicht beschleunigt werden kann, und ihr darum die Zeitdauer bis zur Zustellung nicht zum Nachteil gereichen darf. Die Rückwirkungsfiktion soll der Partei, die bis dahin die Zustellung im Prozess selbst besorgen und deshalb deren Zeitpunkt zuverlässig selbst bestimmen konnte, nunmehr aber auf die Amtszustellung angewiesen ist, das von ihr nicht mehr kalkulierbare Risiko einer Verspätung der amtlichen Zustellung abnehmen (BAG 21. Oktober 2014 – 3 AZR 937/12 – Rn. 38, 40; BGH 8. November 1979 – VII ZR 86/79 – zu II 2 a der Gründe, BGHZ 75, 307; RG 8. Dezember 1922 – III 120/22 – RGZ 105, 422, 424, 428). § 167 ZPO ist darum entgegen der Annahme der Revision nicht restriktiv, sondern weit auszulegen, damit der beabsichtigte Schutz des Zustellungsveranlassers nach Möglichkeit gewährleistet wird (vgl. BGH 17. Dezember 2009 – IX ZR 4/08 – Rn. 12). Die von der Revision für ihre Auffassung angeführten Ausführungen des Bundesgerichtshofs in seiner Entscheidung vom 29. April 2014 (– VI ZR 246/12 – Rn. 26, BGHZ 201, 45) betreffen den hier nicht vorliegenden Fall rechtsbegründender oder rechtsverstärkender Folgen einer Zustellung der Klageschrift wie zum Beispiel den Verzugsbeginn nach § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB oder die verschärfte Haftung nach § 818 Abs. 4 BGB. Auf diese Folgen findet § 167 ZPO nach allgemeiner Auffassung keine Anwendung (Stein/Jonas/ Roth aaO Rn. 7).
bb) Die gesetzliche Rückwirkungsfiktion kommt allerdings auch in ihrem Anwendungsbereich dann nicht zur Anwendung, wenn das Gesetz an anderer Stelle eine entgegenstehende wertende Entscheidung getroffen hat (BAG 21. Oktober 2014 – 3 AZR 937/12 – Rn. 39 f.), wie es zum Beispiel bei der Anfechtungsfrist nach § 121 BGB wegen des im Vordergrund stehenden Gewissheitsinteresses des Anfechtungsgegners (vgl. BGH 17. Juli 2008 – I ZR 109/05 – Rn. 26, BGHZ 177, 319) oder bei § 16 BetrAVG der Fall ist (vgl. BAG 21. Oktober 2014 – 3 AZR 937/12 – Rn. 16 ff.), nicht aber bei § 15 Abs. 4 AGG (BAG 22. Mai 2014 – 8 AZR 662/13 – Rn. 11 ff., BAGE 148, 158).
cc) Die gesetzliche Rückwirkungsfiktion des § 167 ZPO soll demnach verhindern, dass die Partei, die wegen einer bestehenden Frist nur innerhalb eines feststehenden Zeitraums von einem Recht Gebrauch machen kann, dafür den Klageweg beschreitet und deshalb auf die Mitwirkung des Gerichts durch die Zustellung der Klage angewiesen ist, dieses Recht nur deshalb verliert, weil die Zustellung erst außerhalb des eröffneten Zeitraums erfolgt. Von diesem Zweck ist auch die vorliegende Konstellation erfasst.
(1) Die Widerklage bedarf – wie jede Klage – zu ihrer Rechtshängigkeit der Zustellung, § 261 Abs. 1 ZPO. Der Widerkläger darf erwarten, dass ihm durch die erforderliche Zustellung die mit einer solchen Klage verbundenen Vorteile, namentlich die Kostenprivilegierung durch § 45 Abs. 1 Satz 1 GKG (zu den Vorteilen einer Widerklage im Einzelnen siehe Hau ZZP Bd. 117 [2004], 31, 32 ff.; Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 33 Rn. 52 f.), nicht verlorengehen und er nicht darüber hinaus auch noch die dadurch entstehenden Kosten tragen muss.
(2) Die Zivilprozessordnung eröffnet das Recht, mittels einer Widerklage zum Gegenangriff überzugehen, nur innerhalb des Zeitraums der Rechtshängigkeit der Hauptklage. Das ist im Ergebnis eine nicht ausdrücklich gesetzlich geregelte, aus dem Wesen der Widerklage selbst folgende prozessuale Frist eigener Art, auf die § 167 ZPO nach dem Grundgedanken dieser Bestimmung, Rechtssicherheit zu gewährleisten und das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Gerichtsbetriebs zu schützen (vgl. BGH 17. Juli 2008 – I ZR 109/05 – Rn. 25, BGHZ 177, 319), Anwendung findet. Der Begriff „Frist” bezeichnet eine für einen bestimmten Zweck festgelegte Zeitspanne (Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl. S. 1323) bzw. einen festgesetzten Zeitraum (Wahrig Deutsches Wörterbuch 9. Aufl. S. 555). Das lässt eine Anwendung des § 167 ZPO in dem Zeitraum, in dem eine zulässige Widerklage erhoben werden kann, nicht nur zu, sondern gebietet sie sogar, um so dem prozessualen Nichtzurechnungsgrundsatz als fundamentalem Grundsatz des Prozessrechts Rechnung zu tragen.
(3) Entgegen der vom Kläger vertretenen Ansicht ist § 167 ZPO seinem Zweck nach nicht nur auf Fristen anwendbar, die von vornherein (datumsmäßig) bestimmt sind. Seiner Anwendung steht darum nicht entgegen, dass der Widerkläger nicht beeinflussen und auch nicht voraussehen kann, ob und wann der Kläger seine Klage zurücknimmt, sondern der Zeitraum, in dem eine Klage rechtshängig und eine Widerklage damit zulässig ist, von der Entscheidung eines Dritten abhängt.
(a) § 167 ZPO ist Ausdruck des Gedankens, dass von der Partei zur Wahrung der Frist nur ein Handeln im eigenen Wirkungskreis verlangt wird und sie das Risiko für das Geschehen außerhalb dieses Wirkungskreises nicht tragen muss (vgl. OLG Frankfurt/Main 10. September 1999 – 24 U 58/99 –). Darum gibt ihr diese Bestimmung die Möglichkeit, die Wahrung der Frist durch das bloße Einreichen eines Schriftsatzes und damit durch eigenes Handeln sicherzustellen (Zöller/Stöber/Greger ZPO 30. Aufl. § 167 Rn. 1).
(b) Ebenso wie bei einer durch Klage zu wahrenden Frist, deren Ablauf datumsmäßig von vornherein feststeht, ist dem Widerkläger die Möglichkeit entzogen, den Zeitpunkt der Zustellung zu beeinflussen. Er hat allein Einfluss auf den Zeitpunkt der Einreichung seiner Widerklageschrift. Entscheidet er sich dafür, eine Widerklage statt einer eigenständigen Klage zu erheben, um die vom Gesetzgeber eröffneten Vorteile der Widerklage zu nutzen, trägt er nach dem Zweck des § 167 ZPO nur das Risiko, dass bereits im Zeitpunkt des Eingangs der Widerklage bei Gericht die Klage zurückgenommen ist. Das gilt entgegen der Annahme des Klägers auch dann, wenn die Klage noch am Tag des Eingangs der Widerklage zurückgenommen wird, also auch bei größtmöglicher Beschleunigung der Zustellung diese nicht mehr vor Rücknahme der Klage hätte erfolgen können. § 167 ZPO greift auch dann, wenn die Klage am letzten Tag der Frist eingereicht wird (BAG 23. August 2012 – 8 AZR 394/11 – Rn. 38, BAGE 143, 50; BGH 27. Mai 1993 – I ZR 100/91 – zu II 2 der Gründe). Darum schützt diese Bestimmung den Widerkläger entgegen der Auffassung des Klägers auch davor, dass die Widerklage durch die Rücknahme der Klage nach Einreichung der Widerklageschrift bei Gericht unzulässig wird, selbst wenn die Rücknahme am selben Tag erfolgt, an dem die Widerklage anhängig wurde.
dd) Der Gesetzgeber hat hinsichtlich des Instituts der Widerklage auch keine abweichende Wertung getroffen, durch die er dem Interesse des Klägers, mit Eingang der Klagerücknahme bei Gericht den Zeitpunkt festlegen zu können, ab dem er nicht mehr von einem mittels Widerklage geführten Gegenangriff betroffen werden kann, Vorrang vor dem Schutz, den § 167 ZPO gewährleistet, eingeräumt hat. § 167 ZPO dient vorrangig dem Schutz des Zustellungsveranlassers (BAG 21. Oktober 2014 – 3 AZR 937/12 – Rn. 40). Zudem soll auch die Widerklage für Rechtssicherheit sorgen und privilegiert darum den Widerkläger.
(1) Die Widerklage dient dem Interesse der Parteien und des Gerichts, einen zusammenhängenden Sachverhalt einheitlich zu klären und so eine Gesamtbereinigung des Konflikts der Parteien herbeizuführen. Die Vervielfältigung und Zersplitterung der Prozesse mit der Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen soll vermieden werden (Pfaff ZZP Bd. 96 [1983], 334, 351 f.; Hau ZZP Bd. 117 [2004], 31, 35 f., jeweils unter Bezug auf Hahn Die gesamten Materialien zur Civilprozeßordnung 1880 S. 158; BGH 30. September 2010 – Xa ARZ 191/10 – Rn. 13, BGHZ 187, 112; 17. Oktober 1963 – II ZR 77/61 – BGHZ 40, 185, 188). Darum lässt die Rechtsprechung bei besonders engem Sachzusammenhang sogar eine isolierte Drittwiderklage gegen einen am Prozess bislang nicht beteiligten Dritten zu (vgl. BGH 7. November 2013 – VII ZR 105/13 – Rn. 15 f.; Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 33 Rn. 47 f.).
Darüber hinaus dient die Widerklage auch der Herstellung prozessualer Waffengleichheit, indem sie es dem Beklagten ermöglicht, seine Gegenansprüche in einem laufenden Prozess geltend zu machen. Diese Zwecke der Widerklage bringt § 33 ZPO zum Ausdruck und verwirklicht damit ein Prinzip mit Gerechtigkeitsgehalt (Stein/Jonas/Roth ZPO 23. Aufl. § 33 Rn. 1).
(2) Ausgehend von diesem Zweck verfängt das Argument des Klägers, der Beklagte könne unabhängig von der zurückgenommenen Klage seinerseits Klage erheben, nicht. Das gilt insbesondere dann, wenn der Widerkläger nur durch das Weiterbetreiben des vom Kläger eingeleiteten Rechtsstreits Prozessergebnisse, zum Beispiel Beweisergebnisse, sichern kann. Zudem lassen sich nur durch die Heranziehung des § 167 ZPO manipulatorische Klagerücknahmen, die sich den erforderlichen Zeitablauf bis zur Zustellung der Widerklage zunutze machen, um dieser zuvor zu kommen, verhindern.
c) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dass die Zustellung der Widerklage „demnächst” erfolgt ist. Es hat nicht festgestellt, dass Nachlässigkeiten auf Seiten des Beklagten zur Verzögerung der Zustellung geführt haben. Es hat den nach § 33 Abs. 1 ZPO erforderlichen Zusammenhang mit der Klage bejaht. Gegen diese Würdigungen erhebt die Revision keine Angriffe.
III. Die Widerklage ist – mit Ausnahme eines geringen Teils des Zinsantrags – begründet. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezug auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu Recht angenommen, dass der Kläger die Abfindung anfechtbar erlangt hat und deshalb gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO den Abfindungsbetrag von 75.000,00 Euro an die Masse zurückgewähren muss. Allerdings sind Zinsen auf diesen Anspruch erst seit dem Tag nach Insolvenzeröffnung zu zahlen.
1. Entgegen der Annahme des Beklagten ist der Senat nicht gehindert, das Berufungsurteil auf mögliche Rechtsfehler bei der Anwendung der Bestimmungen zur Insolvenzanfechtung in §§ 129 ff. InsO zu überprüfen, obwohl die Revision diesbezüglich keine Rüge erhoben hat. Sie rügt ausdrücklich eine fehlerhafte Auslegung und Anwendung des § 167 ZPO als Bestimmung des formellen Rechts und erhebt damit eine Sach- und keine Verfahrensrüge. Ist die Revision wie hier zulässig, hat das Revisionsgericht das angefochtene Urteil gemäß § 557 Abs. 3 Satz 1 ZPO innerhalb desselben Streitgegenstands ohne Bindung an die erhobenen Sachrügen unter allen rechtlichen Gesichtspunkten auf seine materielle Richtigkeit und mögliche Rechtsfehler hin zu prüfen (BAG 11. Dezember 2014 – 6 AZR 562/13 – Rn. 17) und ist nicht wie bei einer Verfahrensrüge auf den Umfang der ordnungsgemäßen Rüge beschränkt. Der Senat hatte deshalb auch zu prüfen, ob die Insolvenzanfechtung durchgreift, die den einzigen Streitgegenstand des Rechtsstreits bildet, soweit er in die Revisionsinstanz gelangt ist.
2. Die erlangte Deckung ist inkongruent. Das gilt sowohl für den Aufhebungsvertrag als Grundgeschäft als auch für die erlangte Zahlung. Der Kläger hat erst durch den in der kritischen Zeit geschlossenen Abwicklungsvertrag, auf den er keinen Anspruch hatte, den Abfindungsanspruch erworben. Zudem hat er die Zahlung bereits am 4. Juni 2013 und damit vor der erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Oktober 2013 eintretenden Fälligkeit erlangt. Den Fälligkeitszeitpunkt hat das Landesarbeitsgericht im Anschluss an die ausführliche Würdigung des Arbeitsgerichts festgestellt, ohne dass die Revision dagegen Rügen erhebt. Revisible Rechtsfehler sind insoweit nicht erkennbar. Die deutlich vor Fälligkeit erfolgte Zahlung begründete die Inkongruenz. Gerade das Recht des Gläubigers, die Leistung einzufordern, unterscheidet kongruente von inkongruenten Rechtshandlungen (BGH 9. Juni 2005 – IX ZR 152/03 – zu II 2 a der Gründe).
3. Vertragsabschluss und Zahlung erfolgten im letzten Monat vor dem am 5. Juni 2013 gestellten Eröffnungsantrag. Weitere subjektive oder objektive Tatbestandsvoraussetzungen als die Inkongruenz verlangt § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO nicht. Darum ist es unerheblich, ob eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vorlag und ob der Kläger – was er bestreitet – davon Kenntnis hatte.
4. Die erforderliche mittelbare Gläubigerbenachteiligung wird vorliegend dadurch begründet, dass durch den Abfluss des Abfindungsbetrags aus der Masse deren Aktiva verkürzt worden ist (BAG 29. Januar 2014 – 6 AZR 345/12 – Rn. 58, BAGE 147, 172).
5. Der Kläger hat den Rückgewähranspruch gemäß § 143 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 819 Abs. 1, § 291 Satz 1 Halbs. 2, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Der Zinslauf beginnt allerdings erst am Tag nach der Insolvenzeröffnung und damit nicht, wie beantragt und von den Vorinstanzen zuerkannt, mit dem 1., sondern erst mit dem 2. September 2013 (st. Rspr. seit BAG 27. Februar 2014 – 6 AZR 367/13 – Rn. 39 f.). Insofern hatte die Revision Erfolg.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Fischermeier, Spelge, Krumbiegel, D. Knauß, M. Geyer
Fundstellen
Haufe-Index 8720009 |
BB 2015, 2932 |
JR 2017, 319 |
ZTR 2016, 54 |
AP 2016 |
EzA-SD 2015, 16 |
EzA 2016 |
AUR 2016, 39 |
ArbR 2015, 590 |
GWR 2016, 237 |
LL 2016, 244 |