Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzurlaub und tarifliche Ausschlußfrist
Leitsatz (redaktionell)
Eine tarifliche Ausschlußfrist (hier: Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer des privaten Verkehrsgewerbe im Lande Niedersachsen vom 1. April 1987 (MTV) §§ 9, 15 und Anl 3C), nach der gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis - ausgenommen Lohnansprüche - nur innerhalb einer Ausschlußfrist von einem Monat seit Fälligkeit des Anspruchs schriftlich geltend gemacht werden können, ist auf Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche nicht anzuwenden. Eine schriftliche Mahnung des Arbeitnehmers, ihm Urlaub zu gewähren, wahrt die tarifliche Ausschlußfrist auch für den nach Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraumes entstehenden Schadenersatzanspruch, der entweder auf Gewährung von Urlaub (Ersatzurlaubsanspruch) oder auf Zahlung gerichtet ist.)
Normenkette
BGB § 249; SchwbG § 47; BGB § 284 Abs. 1; BUrlG § 7 Abs. 3-4; BGB § 287 S. 2, § 280 Abs. 1
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 20.09.1991; Aktenzeichen 15 Sa 490/91) |
ArbG Braunschweig (Entscheidung vom 04.02.1991; Aktenzeichen 2 Ca 5/89) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung.
Die 1953 geborene schwerbehinderte Klägerin war seit 1982 bei der Beklagten als Busfahrerin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien waren aufgrund einzelvertraglicher Vereinbarung die Tarifverträge des niedersächsischen Verkehrsgewerbes in ihrer jeweiligen Fassung anzuwenden. Im Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer vom 1. April 1987 (MTV) ist u. a. bestimmt:
"§ 9 Urlaub
...
5. Gemäß der Betriebszugehörigkeit wird
folgender Zusatzurlaub gewährt:
Im Jahre 1988
Tage
nach vier Jahren
Betriebszugehörigkeit 5
10. Der Urlaubsanspruch entfällt bei durch
vorsätzliches Handeln bedingter fristloser
Entlassung und bei unberechtigter fristlo-
ser Auflösung des Arbeitsverhältnisses
durch den Arbeitnehmer, soweit er 1,5 Werk-
tage für jeden vollen Beschäftigungsmonat
überschreitet.
Anlage 3 C
...
3. Urlaubstage sind die Tage von Montag bis
einschließlich Sonnabend.
Der jährliche Grundurlaub beträgt
Lebensalter
bis zum vollendeten
33. Lebensjahr
24 Urlaubstage
vom vollendeten
33. Lebensjahr ab
28 Urlaubstage
Daneben wird Zusatzurlaub nach § 9 Nr. 5
dieses Manteltarifvertrages gewährt.
§ 15
...
2. Gegenseitige Ansprüche aller Art aus diesem
Arbeitsverhältnis - ausgenommen Lohnansprü-
che - können nur innerhalb einer Ausschluß-
frist von einem Monat seit Fälligkeit des
Anspruchs schriftlich geltend gemacht wer-
den."
Die Klägerin war von Januar 1987 bis zum 14. Dezember 1988 arbeitsunfähig erkrankt. Am 15. Dezember 1988 nahm sie die Arbeit wieder auf, erschien ab 16. Dezember 1988 jedoch nicht mehr im Betrieb. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle am 6. Januar 1989 fristlos. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin blieb erfolglos. Während des Rechtsstreits schrieb die Klägerin der Beklagten am 1. März 1989:
"Betr.: Jahresurlaub 1988
Sehr geehrte Frau B ,
hiermit mache ich meinen Jahresurlaub aus dem
Jahr 1988 geltend.
Der Jahresurlaub setzt sich wie folgt:
Grundurlaub 28 Tage
Zusatzurlaub nach Betriebszugehörigkeit 5 Tage
Zusatzurlaub nach dem Schwerbeschädigtengesetz
5 Tage
Gesamturlaub 38 Tage."
Die Beklagte lehnte ab. Mit der im Januar 1989 erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst eine Jahressonderzuwendung und später verschiedene Lohnansprüche geltend gemacht. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 1991 hat sie neben Lohnfortzahlung (312,-- DM) erstmals Urlaubsabgeltung für 23 Tage (1.989,50 DM) beansprucht.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin
2.301,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich
daraus ergebenden Nettobetrag seit Zustellung des
Schriftsatzes vom 10. April 1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin Urlaubsabgeltung für 23 Tage in Höhe von 1.989,50 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 11. April 1989 zu zahlen. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte weiter ihr Ziel der Klageabweisung. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist teilweise begründet. Die Klägerin hat lediglich einen Anspruch auf Schadenersatz für einen untergegangenen Urlaubsabgeltungsanspruch von 11 Urlaubstagen.
1. Der am Beginn des Urlaubsjahres 1988 entstandene Urlaubsanspruch der Klägerin ist von der Wirkung des tariflichen Ausschlußtatbestandes nach § 9 Nr. 10 MTV im gesetzlichen Umfang von 18 Werktagen nach § 3 Abs. 1 BUrlG und von 5 Arbeitstagen nach § 47 SchwbG unberührt geblieben.
2. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist der Urlaubsanspruch nicht in voller Höhe auf den Übertragungszeitraum des Folgejahres übergegangen. Die andauernde Erkrankung der Klägerin erfüllt zwar den Übertragungstatbestand "persönliche Gründe" nach § 7 Abs. 3 Satz 2 zweite Alternative BUrlG. Der Urlaubsanspruch wird aber nur übertragen, wenn der Arbeitnehmer wegen der Erkrankung seinen Urlaub bis zum Ablauf des Urlaubsjahres nicht nehmen kann. Das trifft nicht zu, wenn der Arbeitnehmer vor Ablauf des Urlaubsjahres wieder arbeitsfähig wird und den Urlaub - wenn auch nur teilweise - verwirklichen könnte. Dann kann er vom Arbeitgeber Urlaub verlangen. Dieser kann erfüllen. Wenn der Arbeitgeber nur noch teilweise erfüllen kann, gilt dasselbe für den erfüllbaren Teil. Der Urlaub geht nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nur insoweit auf den Übertragungszeitraum über, als er wegen der Erkrankung nicht mehr vollständig erfüllt werden kann. Ansonsten erlischt der erfüllbare Teil mit Ablauf des Kalenderjahres (BAG Urteil vom 23. Juni 1988 - 8 AZR 459/86 - AP Nr. 16 zu § 7 BUrlG Übertragung). Da die Klägerin in der Zeit vom 15. bis 31. Dezember 1988 noch an 12 Tagen Urlaub hätte nehmen können, ist ihr Anspruch in dieser Höhe mit Ende des 31. Dezember 1988 erloschen. Auf das erste Quartal 1989 sind daher lediglich 11 Urlaubstage übergegangen.
3. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien am 6. Januar 1989 entstand anstelle des Urlaubsanspruchs ein Urlaubsabgeltungsanspruch, § 7 Abs. 4 BUrlG. Dieser Anspruch ist nicht nach Ablauf eines weiteren Monats nach § 15 Nr. 2 MTV verfallen, weil die Klägerin es versäumt hat, den Abgeltungsanspruch binnen einem Monat nach dem Entstehen geltend zu machen. § 15 Nr. 2 MTV findet auf Ansprüche, die wie Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche befristet für einen bestimmten Zeitraum beste hen und deren Erfüllung während dieser Zeit stets verlangt werden kann, keine Anwendung. Das folgt aus der Ausgestaltung der Urlaubsvorschriften im Tarifvertrag und im Gesetz, die den Arbeitnehmer lediglich zwingen, seine Ansprüche rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraumes zu verlangen. Wäre daneben außerdem § 15 Nr. 2 MTV anzuwenden, müßten die Arbeitnehmer im Januar jeden Jahres ihre Urlaubsansprüche schriftlich geltend machen, wollten sie deren Verfall verhindern. Das entspricht weder den Vorstellungen der Tarifvertragsparteien über Bestand und Erlöschen von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen noch dem Gesamtzusammenhang der von ihnen getroffenen Regelungen.
4. Allerdings war der Abgeltungsanspruch als Surrogat des Urlaubsanspruchs wie dieser bis zum 31. März 1989 befristet (BAGE 56, 53 = AP Nr. 15 zu § 7 BUrlG Übertragung). Mit Ablauf dieses Tages ist der Abgeltungsanspruch der Klägerin für 11 Urlaubstage erloschen.
5. Der Abgeltungsanspruch besteht jedoch als Schadenersatzanspruch nach den §§ 249, 280 Abs. 1, 284 Abs. 1, 287 Satz 2 BGB fort, weil die Klägerin die Beklagte mit ihrem Schreiben vom 1. März 1989 in Verzug gesetzt hat. Das Schreiben erfüllt die Voraussetzungen des § 284 Abs. 1 BGB. Es enthält zwar nicht die Aufforderung, den Urlaubsanspruch abzugelten. Vielmehr richtet sich die Mahnung auf Erfüllung des Urlaubsanspruchs, weil die Klägerin zu dieser Zeit meinte, das Arbeitsverhältnis sei noch nicht beendet. Die Mahnung auf Erfüllung des Urlaubsanspruchs genügt aber auch für den Abgeltungsanspruch. Dem Arbeitgeber wird verdeutlicht, daß sich der Arbeitnehmer weiterer, noch nicht erfüllter Ansprüche berühmt und deren Erfüllung verlangen wird. Er kann sich darauf und auf die damit verbundene Entgeltbelastung einrichten und die Forderung erfüllen. Ob die mit Urlaub verbundene Geldleistung als Urlaubsentgelt oder als Urlaubsabgeltung zu erbringen sein wird, ist ohne Bedeutung.
6. Der Schadenersatzanspruch der Klägerin ist nicht nach § 15 Nr. 2 MTV verfallen. Zwar hat die Klägerin ihn nicht noch einmal nach dem 31. März 1989 binnen einen Monats seit Fälligkeit schriftlich geltend gemacht. Das ist unschädlich, weil das Mahnschreiben der Klägerin vom 1. März 1989, mit dem die Beklagte in Verzug gesetzt worden ist, als Geltendmachung i. S. des § 15 Nr. 2 MTV anzusehen ist. Schadenersatzansprüche auf Urlaub oder auf Urlaubsabgeltung beruhen zwar auf einer anderen Anspruchsgrundlage als die originären Ansprüche auf Urlaub oder Urlaubsabgeltung. Sie haben jedoch denselben Inhalt, nämlich Freistellung von der Arbeit oder Zahlung einer bestimmten Geldsumme. Wird der Schuldner einmal gemahnt und damit darauf hingewiesen, daß er zukünftig mit einer Forderung rechnen muß, genügt die Mahnung auf Erfüllung von Urlaub den Anforderungen an die tarifliche Ausschlußfrist auch im Bezug auf Ersatzansprüche.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Dr. Leinemann Dr. Reinecke Dörner
Dr. Gaber Fox
Fundstellen
Haufe-Index 441812 |
BB 1992, 2508 |
BB 1993, 654 |
BB 1993, 654-655 (LT1) |
DB 1993, 1423-1424 (LT1) |
NJW 1993, 2198 |
NJW 1993, 2198 (L) |
BuW 1993, 100 (K) |
ARST 1993, 138-140 (LT1) |
NZA 1993, 472 |
NZA 1993, 472-474 (LT1) |
WiR 1993, 35 (S) |
ZAP Fach 17 R, 47 (S) |
ZAP, EN-Nr 632/93 (S) |
ZTR 1993, 209-210 (LT1) |
AP § 1 BUrlG (LT1), Nr 23 |
AR-Blattei, ES 1640.9 Nr 1 (LT1) |
AR-Blattei, ES 350 Nr 140 (LT1) |
AuA 1994, 223 (LT1) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 102 (LT1) |
ZfPR 1993, 58 (L) |