Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnungszeitraum für Mutterschutzlohn einer Assistenzärztin bei Wegfall des Bereitschaftsdienstes

 

Orientierungssatz

1. Gemäß § 11 Abs 1 MuSchG ist für die Berechnung des Mutterschutzlohnes der Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen vor dem Eintritt der Schwangerschaft maßgebend. Während oder nach Ablauf des Berechnungszeitraumes eingetretene Verdiensterhöhungen, die nicht nur vorübergehender Natur sind, werden zugunsten der Arbeitnehmerin berücksichtigt.

2. Eine Verdiensterhöhung liegt bei individueller Mehrleistung nur dann vor, wenn die Mehrarbeit auf einer allgemeinen Anordnung des Arbeitgebers beruht und einer betrieblichen Übung entspricht.

 

Normenkette

MuSchG § 11 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

LAG München (Entscheidung vom 20.06.1980; Aktenzeichen 6 Sa 232/80)

ArbG Rosenheim (Entscheidung vom 15.01.1980; Aktenzeichen 1 Ca 221/79)

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des an die Klägerin zu zahlenden Mutterschutzlohnes.

Die Klägerin ist seit dem 1. März 1978 als Assistenzärztin auf der chirurgischen Abteilung des von dem beklagten Landkreis betriebenen Kreiskrankenhauses Haag angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Alle im Krankenhaus des Beklagten angestellten Assistenzärzte sind arbeitsvertraglich verpflichtet, Bereitschaftsdienst zu leisten; dieser wird nach den tariflichen Regelungen vergütet. Bei dem Beklagten ist es betriebsüblich, daß die Assistenzärzte erst mit Beginn des zweiten Beschäftigungsmonats zum Bereitschaftsdienst herangezogen werden. Daher wurde auch die Klägerin erst ab 1. April 1978 im Wechsel mit den übrigen Assistenzärzten nach festliegendem Turnus zum Bereitschaftsdienst eingeteilt.

Im Juni 1978 wurde die Klägerin schwanger. Sie hat am 24. Januar 1979 entbunden. Wegen des arbeitszeitlichen Beschäftigungsverbots für Schwangere wurde die Klägerin ab 1. August 1978 vom Bereitschaftsdienst freigestellt. Die Parteien sind darüber einig, daß die Klägerin ohne die Schwangerschaft weiterhin in dem vom 1. April 1978 an praktizierten Umfang zu Bereitschaftsdiensten eingeteilt worden wäre und eine entsprechende Vergütung erzielt hätte.

Der Beklagte hat den Mutterschutzlohn und den Arbeitgeberzuschuß zum Mutterschaftsgeld nach dem Gesamtdurchschnittsverdienst errechnet, den die Klägerin in der Zeit vom 1. März 1978 bis 31. Mai 1978 erzielt hat.

Die Klägerin geht von einem höheren Durchschnittsverdienst aus. Sie hat die Auffassung vertreten, § 11 MuSchG garantiere der schwangeren Arbeitnehmerin den durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den sie bei Eintritt der Schwangerschaft gehabt habe und ohne das zwingende Beschäftigungsverbot hätte erzielen können. Da sie im März 1978 nicht zum Bereitschaftsdienst herangezogen worden sei, müsse der Mutterschutzlohn aus dem Durchschnittsverdienst der Monate April und Mai 1978 ermittelt werden. Bei dem durch die Leistung von Bereitschaftsdienst erzielten höheren Lohn handele es sich um eine Verdiensterhöhung nicht nur vorübergehender Art, so daß auch aus diesem Grunde von dem einschließlich des Bereitschaftsdienstes erzielten höheren Durchschnittseinkommen auszugehen sei. Für die Zeit vom 1. August 1978 bis zum Beginn der Mutterschutzfrist am 17. Januar 1979 ergebe sich daher ein um 3.039,60 DM brutto höherer Mutterschutzlohn und für die Zeit vom 17. Januar 1979 bis zum 24. Januar 1979, dem Tag der Niederkunft, ein um 77,-- DM höherer Arbeitgeberzuschuß zum Mutterschaftsgeld. In der rechnerischen Höhe sind diese Beträge zwischen den Parteien unstreitig.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an sie einen Betrag

von 3.039,60 DM brutto und 77,-- DM netto nebst

4 % Zinsen aus den Nettobeträgen seit dem 1. Februar

1979 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, der Berechnungszeitraum umfasse die Zeit vom 1. März bis 31. Mai 1978. Von dem von der Klägerin in diesem Zeitraum erzielten Durchschnittsverdienst sei sie bei der Berechnung des Mutterschutzlohns auch ausgegangen. Soweit die Klägerin durch die Leistung von Bereitschaftsdiensten ab 1. April 1978 einen höheren Verdienst erzielt habe, sei diese Verdiensterhöhung mit berücksichtigt worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Antrag auf Klageabweisung weiter.

 

Entscheidungsgründe

Die : Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat den Durchschnittsverdienst der Klägerin, nach dem sich die Höhe des von dem Beklagten zu zahlenden Mutterschutzlohnes und des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld richtet, richtig errechnet.

1. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 MuSchG sind der Schwangeren die durch die Beschäftigungsverbote oder das Mehr-, Nacht- und Sonntagsarbeitsverbot verursachten Verdienstminderungen auszugleichen. Da die Klägerin nach § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 8 Abs. 2 Nr. 3 MuSchG spätestens seit August 1978 nicht mehr zu der mit den Bereitschaftsdiensten verbundenen Mehr- und Nachtarbeit herangezogen werden durfte, ist ihr der hierdurch verursachte Verdienstausfall zu ersetzen.

2. Zur Berechnung des Mutterschutzlohnes bestimmt § 11 Abs. 1 MuSchG, daß vom Arbeitgeber mindestens der Durchschnittsverdienst der letzten 13 Wochen oder der letzten drei Monate vor Beginn des Monats, in dem die Schwangerschaft eingetreten ist, weiter zu gewähren ist. Die dieser Berechnung zugrunde liegende Bezugs- oder Referenzmethode ist allerdings im Gesetz dahin modifiziert, daß während oder nach Ablauf des Berechnungszeitraums eingetretene Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur zugunsten der Arbeitnehmerin berücksichtigt werden und andererseits im Berechnungszeitraum liegende Verdienstkürzungen zugunsten der Arbeitnehmerin außer Betracht bleiben (§ 11 Abs. 2 MuSchG). Hierdurch soll sichergestellt werden, daß der Lebensstandard der Mutter gewährleistet ist und sie tatsächlich mit der Arbeit aussetzt und nicht mit Rücksicht auf etwaige Verdiensterhöhungen weiter arbeitet (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, zuletzt Urteil vom 8. September 1978 - 3 AZR 418/77 - AP Nr. 8 zu § 11 MuSchG 1968; so auch Bulla/Buchner, MuSchG, 5. Aufl. 1981, § 11 Rz 1; Gröninger/Thomas, MuSchG 1982, § 11 Anm. 4; Meisel/Hiersemann, MuSchG, 2. Aufl. 1978, § 11 Rz 32).

3. Das Berufungsgericht ist bei der Berechnung des Durchschnittsverdienstes von einer Verdiensterhöhung im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 MuSchG ausgegangen. Es hat angenommen, wenn der Klägerin aufgrund der bei dem Beklagten herrschenden betrieblichen Übung Bereitschaftsdienste erstmals vom Beginn des zweiten Beschäftigungsmonates an übertragen worden seien, stehe das einer Verdiensterhöhung gleich. Diese sei nicht nur vorübergehend gewesen, denn die Klägerin hätte, falls sie nicht schwanger geworden wäre, weiterhin Bereitschaftsdienste geleistet. Das ist zutreffend.

a) Zu den in § 11 Abs. 2 Satz 1 genannten Verdiensterhöhungen nicht nur vorübergehender Natur gehören zwar in erster Linie Tariflohn- und Gehaltserhöhungen und sonstige tarifliche oder einzelvertraglich zugesagte Verdiensterhöhungen, die eintreten, weil die Arbeitnehmerin bestimmte vertragliche Voraussetzungen erfüllt (Meisel/Hiersemann, aaO, § 11 Rz 66). Eine Verdiensterhöhung im Sinne dieser Vorschrift liegt demnach nicht vor, wenn die erhöhte oder zusätzliche Vergütung auf einer individuellen Mehrleistung beruht. Die von einer Arbeitnehmerin erbrachte Mehrarbeit ist jedoch dann nicht von der individuellen Leistungsfähigkeit abhängig, wenn sie auf einer allgemeinen Anordnung des Arbeitgebers oder auf einer nicht auf die Arbeitnehmerin beschränkten Vereinbarung beruht. Entgegen der vereinzelt vorgetragenen Auffassung (vgl. Meisel, DB 1966, 860, 863) ist mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum der auf einer zusätzlichen Arbeit beruhende Mehrverdienst dann als eine Verdiensterhöhung nicht nur vorübergehender Natur zu verstehen, wenn die Mehrarbeit allgemein oder betriebsüblich ist und diese regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg geleistet wird (Bulla/Buchner, aaO, § 11 Rz 96; Gröninger/Thomas, aaO, § 11 Anm. 5 a; Zmarzlik/Zipperer, MuSchG, 3. Aufl. 1979, § 11 Rz 27).

b) Diese Voraussetzungen werden von der Klägerin erfüllt.

Nach Nr. 8 SR 2 c BAT ist die Klägerin zur Leistung von Bereitschaftsdiensten verpflichtet und hat Anspruch auf die sich hieraus ergebende Vergütung, sobald der Arbeitgeber Bereitschaftsdienste angeordnet hat. Die Klägerin hat, ebenso wie die übrigen Assistenzärzte, bei dem Beklagten im regelmäßigen Turnus zusätzliche Tätigkeiten wahrzunehmen. Die Ableistung von Bereitschaftsdiensten ist daher eine betriebsübliche, regelmäßige Verlängerung der monatsüblich zu leistenden Arbeitszeit. Sie beruht daher nicht auf einer individuellen Leistungserhöhung durch die Klägerin. Daß die Klägerin erst mit Beginn des zweiten Beschäftigungsmonats zu den Bereitschaftsdiensten eingeteilt worden ist, entspricht einer allgemeinen Übung bei dem Beklagten. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß die Klägerin diese Tätigkeit auch über einen längeren Zeitraum ausgeführt hätte, wenn sie nicht schwanger geworden wäre. Über diesen Verdienst hätte die Klägerin nach den Feststellungen in dem angefochtenen Urteil auch in der Zukunft verfügt. Für die Berechnung des Mutterschutzlohns der Klägerin ist damit von dem ab 1. April 1978 erhöhten Verdienst auszugehen. Danach ergibt sich für die Zeit vom 1. August 1978 bis zum 17. Januar 1979 ein zusätzlicher Mutterschutzlohn in der zwischen den Parteien unstreitigen Höhe von 3.039,60 DM brutto.

4. Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf einen entsprechend erhöhten Arbeitgeberzuschuß. Dieser ist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 MuSchG aus dem durchschnittlichen kalendertäglichen Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 MuSchG zu berechnen. Auch dieser Anspruch ist der Höhe nach mit 77,-- DM netto zwischen den Parteien unstreitig.

Dr. Thomas Dr. Heither ist durch Michels-Holl

Urlaub an der Unter-

schrift verhindert

Dr. Thomas

Polcyn Nipperdey

 

Fundstellen

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