Entscheidungsstichwort (Thema)
Geringe körperliche Belastung
Orientierungssatz
Parallelsache zu BAG - 4 AZR 707/87 vom 27.4.1988.
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 16.04.1987; Aktenzeichen 16 (9) Sa 701/84) |
ArbG Bochum (Entscheidung vom 31.01.1984; Aktenzeichen 3 Ca 220/83) |
Tatbestand
Die Klägerinnen stehen seit mindestens sechs Jahren als Arbeiterinnen in den Diensten der Beklagten und sind im Zweigwerk W beschäftigt, in dem vorwiegend Autokabelsätze hergestellt werden. Beide Parteien gehören den tarifschließenden Verbänden der Metallindustrie an. Die Beklagte zahlt den Klägerinnen Vergütung nach Lohngruppe 2 des Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 26. September 1967/15. April 1970 nach dem Stand vom 19. Februar 1975/ 25. Januar 1979 (LRA). Die Klägerinnen arbeiten im Zwei-Schicht-System in der sogenannten Schneiderei, in der auf Kabelringe aufgerollte Leitungen auf die gewünschte Länge geschnitten werden. In einer etwa 37 x 20 m großen Halle sind im Arbeitsbereich zwölf Schneidemaschinen in einem Abstand von 2,5 bis 3,5 m installiert. Es werden drei Maschinentypen bedient, nämlich die CS 9 zum Zuschneiden einadriger Kabel mit einer Zuschnittlänge unter 3 m, die CS 9 SK zum Zuschneiden mehradriger Spezialkabel und die CS 10 zum Zuschneiden einadriger Kabel bei einer Zuschnittlänge von 2 bis 9 m. Es handelt sich um Einzelarbeitsplätze; jedoch wird jede Klägerin je nach Arbeitsanfall an allen Maschinen eingesetzt.
Zu den typischen Arbeitselementen gehören für alle Maschinentypen das Einstellen der Maschine, das Auflegen der Kabelrollen und das Bündeln der Kabel. Beim Einstellen der Maschinen wird mit einem Imbusschlüssel der Anschlag für die Schnittlängenbegrenzung gelöst, der Kabelgreifer mit einem Handdraht in Anschlagstellung gefahren und die Schnittlänge durch Lösen der Feineinstellung mit einem Maulschlüssel und einer Handkurbel eingestellt. Beim Auflegen der Kabelrolle wird eine Mutter vom Spulendeckel gelöst, der Deckel abgehoben, die Kabelrolle auf einer horizontal orientierten Spule eingelegt, der Spulendeckel wieder montiert und danach werden die Kabelenden abisoliert und untereinander verknotet. Beim Bündeln der Kabel werden je nach Materiallaufzettel bis zu 100 Kabelabschnitte aus der Schneidemaschine entnommen, auf dem Arbeitstisch bzw. auf den Ablagehaken abgelegt, die Kabelzuschnitte ausgerichtet und zu einem Bündel zusammengebunden.
Mit ihren Klagen begehren die Klägerinnen die Zahlung der Lohndifferenz zwischen den Lohngruppen 2 und 4 LRA für zwei Monate in der rechnerisch unstreitigen Höhe von jeweils 217,98 DM brutto; die Forderung haben sie gegenüber der Beklagten erstmals im April 1983 geltend gemacht. Sie haben vorgetragen, die von ihnen verrichtete Arbeit sei mit mehr als nur geringer körperlicher Belastung verbunden. Es werde ein Arbeitsenergieumsatz von 1.346 kcal erzielt; dabei sei zu berücksichtigen, daß die Arbeiten im Stehen, zum Teil im Gehen, bei zum Teil gebückter Körperhaltung und beidarmig zu verrichten seien. Von Bedeutung sei insbesondere der vorzunehmende Transport des Leitungsmaterials aus Regalen zu den Arbeitsplätzen. Die Beklagte lasse außer Betracht, daß der Grenzwert für Frauen um etwa ein Drittel niedriger liege als der für Männer. Da kaum Männer nach Lohngruppe 2 LRA entlohnt würden, liege die Vermutung nahe, daß für die Eingruppierung nicht die tatsächliche Belastung, sondern das Geschlecht der Arbeitnehmer entscheidend sei. Die Anlernzeit betrage mehr als drei Wochen, nämlich über drei Monate.
Die Klägerinnen haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerinnen
G , K und T je
217,98 DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Arbeit der Klägerinnen sei nur mit geringer körperlicher Belastung verbunden. Der wesentliche Teil der Arbeiten bestehe in der Beobachtung des Maschinenlaufs und des Zielwerks und im Bündeln der Leitungen; kurzfristige Überschreitungen der geringen körperlichen Belastungen seien unbedeutend. Für Transportarbeiten stehe eine männliche Hilfskraft zur Verfügung, im übrigen fallen diese nur zwei- bis dreimal je Arbeitsstunde an. Der Arbeitsenergieumsatz betrage nur etwa 624 kcal. Das Stehen während der Arbeit stelle als solches keine erhöhte körperliche Belastung dar. Das durchschnittliche Gewicht der zu bearbeitenden Leitungsringe betrage an der Maschine CS 9 6,67 kg und an der Maschine CS 10 8,08 kg je Leitungsring; diese Gewichte seien aber nur kurzfristig zu bewegen. Mit dem Anziehen einer Schraube beim Umrüsten könne ebenso eine mehr als nur leichte Arbeit nicht begründet werden. Die Arbeit der Klägerinnen könnte üblicherweise nach zwei Wochen Anlernzeit selbständig ausgeführt werden.
Das Arbeitsgericht hat durch Teilurteil den Klageanträgen insoweit stattgegeben, als es den Klägerinnen die Lohndifferenz zwischen den Lohngruppen 2 und 3 LRA zugesprochen hat; die Frage, ob den Klägerinnen Lohn nach Lohngruppe 4 LRA zusteht, hat es offengelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerinnen beantragen Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der in der Revisionsinstanz anhängigen Klage auf Zahlung der Lohndifferenz zwischen den Lohngruppen 2 und 3 LRA mit revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung stattgegeben. Die Beklagte ist verpflichtet, den Klägerinnen Lohn nach Lohngruppe 3 LRA in rechnerisch unstreitiger Höhe von 217,98 DM brutto zu zahlen. Dieser Betrag entspricht der Lohndifferenz zwischen den Lohngruppen 2 und 3 LRA. Die Klägerinnen sind in die Lohngruppe 3 LRA eingruppiert, da ihre Arbeit nicht nur mit geringen körperlichen Belastungen verbunden ist.
Die Klage ist zulässig. Sie ist ausreichend bestimmt. Die Klägerinnen haben zwar nicht ausdrücklich vorgetragen, für welche Monate sie die Lohndifferenz zwischen den Lohngruppen 2 und 3 LRA begehren. Da sie ihre Ansprüche aber erstmals im April 1983 geltend gemacht haben, ist ihr Klageantrag dahin auszulegen, daß sie die Lohndifferenz für die vorangehenden beiden Monate Februar und März 1983 geltend machen. Dies genügt, um die Bestimmtheit des Klageantrags bejahen zu können.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Tarifbindung die Vorschriften des Lohnrahmenabkommens in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 26. September 1967/15. April 1970 nach dem Stand vom 19. Februar 1975/25. Januar 1979 (LRA) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Nach § 2 Ziff. 4 LRA gilt für Arbeitnehmer, denen Arbeiten übertragen werden, die verschiedenen Lohngruppen zuzuordnen sind, die Lohngruppe, die den überwiegenden Arbeiten entspricht (Stammlohngruppe). Damit ist für die Vergütung der Klägerinnen allein deren überwiegend ausgeübte Tätigkeit maßgebend, die in der Bedienung von Schneidemaschinen besteht. Für die Eingruppierung der Klägerinnen sind danach folgende Lohngruppen des LRA heranzuziehen:
Gruppe 2
Arbeiten
entweder
einfacher Art, die ohne vorherige Arbeitskenntnisse
nach kurzer Anweisung ausgeführt
werden können und mit geringen körperlichen
Belastungen verbunden sind
oder
die ein Anlernen von vier Wochen erfordern
und mit geringen körperlichen Belastungen
verbunden sind.
Gruppe 3
Arbeiten einfacher Art, die ohne vorherige
Arbeitskenntnisse nach kurzer Anweisung ausgeführt
werden können.
Gruppe 4
Arbeiten, die ein Anlernen von vier Wochen
erfordern.
Unstreitig verrichten die Klägerinnen zumindest Arbeiten einfacher Art, die ohne vorherige Arbeitskenntnisse nach kurzer Anweisung ausgeführt werden können. Damit erfüllen sie zumindest die Merkmale der Lohngruppe 3 LRA. Die Voraussetzungen der Lohngruppe 2 LRA sind hingegen nicht erfüllt, da die überwiegende Tätigkeit der Klägerinnen nicht mit geringen körperlichen Belastungen verbunden ist.
Mangels anderweitiger Anhaltspunkte in den tariflichen Bestimmungen ist davon auszugehen, daß der Begriff der "geringen körperlichen Belastungen" der körperlich leichten Arbeit im Sinne der Rechtsprechung des Senats gleichzusetzen ist. Da das LRA insoweit auch keine weiteren Anhaltspunkte enthält, ist der Begriff der körperlich leichten Arbeit nach der Verkehrsanschauung zu bestimmen (BAG Urteil vom 17. August 1966 - 4 AZR 398/65 -, nicht veröffentlicht). Die Verkehrsanschauung bewertete nach dem Senatsurteil vom 17. August 1966 eine Arbeit als "körperlich leicht" oder "körperlich nicht leicht" nach dem Ausmaß der Muskelbeanspruchung. Davon ist der Senat auch noch in seinen Urteilen vom 14. März 1984 - 4 AZR 433/81 - (AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie) und vom 17. April 1985 - 4 AZR 363/83 - (nicht veröffentlicht) ausgegangen, zumal in einem in dem Rechtsstreit 4 AZR 363/83 erstellten Gutachten die körperlich schwere Arbeit allein im Hinblick auf den Energieumsatz bestimmt wurde. Nunmehr stellt das Landesarbeitsgericht im vorliegenden Fall fest, daß sich die Verkehrsanschauung gewandelt hat. Nach der vom Landesarbeitsgericht ermittelten Verkehrsanschauung sind für die Bewertung der Arbeitsschwere alle Umstände zu berücksichtigen, die auf den Menschen belastend einwirken und zu körperlichen Reaktionen führen können. Deshalb seien u.a. zu berücksichtigen ausschließlich stehende Tätigkeit, notwendige Körperhaltung, taktgebundene, repetitive Arbeit, nervliche Belastungen und Lärmeinwirkung. Diese tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zur Verkehrsanschauung sind für den Senat bindend (§ 561 Abs. 2 ZPO). Verfahrensrügen hat die Revision insoweit nicht erhoben.
Durch die Änderung der Verkehrsanschauung hat sich damit der tarifliche Begriff der "geringen körperlichen Belastungen" inhaltlich verändert. Dies entspricht aber mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag dem Willen der Tarifvertragsparteien. Verzichten die Tarifvertragsparteien auf eine nähere Bestimmung des Begriffs der geringen körperlichen Belastungen, dann überlassen sie der Verkehrsanschauung die Ausfüllung des Begriffs und nehmen damit in Kauf, daß sich der Begriff bei Änderung der Verkehrsanschauung inhaltlich ändert. Dies erscheint auch durchaus sinnvoll und entspricht dem Grundsatz, daß im Zweifel derjenigen Tarifauslegung der Vorzug zu geben ist, die zu einer vernünftigen, gerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAGE 46, 308, 316 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung mit weiteren Nachweisen). Das gilt umso mehr, als die vom Landesarbeitsgericht festgestellte Änderung der Verkehrsanschauung auf arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen beruht und damit objektivierbar ist. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann deshalb der Begriff der geringen körperlichen Belastung nicht so ausgelegt werden, wie ihn die Tarifvertragsparteien vielleicht im Jahre 1967 subjektiv verstanden haben. Er ist vielmehr objektiv zu bestimmen und entspricht der danach feststehenden jeweiligen Verkehrsanschauung nach den für die Tarifauslegung allgemein geltenden Grundsätzen der objektiven Auslegung.
Darüber hinaus wird diese geänderte Verkehrsanschauung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts besser gerecht als die bisherige Verkehrsanschauung. Der Europäische Gerichtshof (Urteil vom 1. Juli 1986 - Rs 237/85 -, AP Nr. 13 zu Art. 119 EWG-Vertrag) verlangt beim System der beruflichen Einstufung, wenn es nicht diskriminierend sein soll, daß Kriterien zu berücksichtigen sind, hinsichtlich derer die Arbeitnehmer beider Geschlechter besonders geeignet sein können, soweit die Art der im Unternehmen zu verrichtenden Tätigkeiten dies zuläßt. Hinsichtlich der muskelmäßigen Beanspruchung sind erfahrungsgemäß Männer besser geeignet als Frauen. Wenn aber für den Begriff der körperlichen Schwere der Arbeit nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auch alle anderen Umstände außerhalb der muskelmäßigen Beanspruchung zu berücksichtigen sind, die auf den Menschen belastend einwirken und zu körperlichen Reaktionen führen können, können diese Umstände gleichermaßen bei Frauen und Männern eintreten, ohne daß hierbei Voraussetzungen ersichtlich sind, die bei Männern eher vorliegen können als bei Frauen. Damit können Frauen den Begriff der körperlich schweren Arbeit entsprechend besser erfüllen, als wenn es nur auf die muskelmäßige Beanspruchung ankäme.
Für die Eingruppierung der Klägerinnen in die Lohngruppe 3 LRA genügt es, wenn ihre Arbeiten mit normalen körperlichen Belastungen verbunden sind. Die Lohngruppen 3 und 4 LRA unterscheiden sich von der Lohngruppe 2 LRA nur dadurch, daß bei im übrigen gleichen Merkmalen in die Lohngruppe 2 LRA diejenigen Arbeiter eingruppiert sind, deren Arbeiten mit geringen körperlichen Belastungen verbunden sind. Demgegenüber ist in den Lohngruppen 3 und 4 LRA die körperliche Belastung kein Tätigkeitsmerkmal. Insbesondere wird hier keine hohe körperliche Belastung verlangt. Daraus folgt, daß Arbeiten mit geringen körperlichen Belastungen zur Eingruppierung in die Lohngruppe 2 LRA führen, Arbeiten mit einer normalen körperlichen Belastung die Eingruppierung in die Lohngruppe 2 LRA ausschließen und damit zur Eingruppierung in die Lohngruppen 3 und 4 LRA ausreichen. Die Arbeiten der Klägerinnen sind in diesem Sinne zumindest mit normalen körperlichen Belastungen verbunden.
Das Landesarbeitsgericht zieht im Anschluß an das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H als Bewertungskriterien für die Beurteilung der Arbeitsschwere den Arbeitsenergieumsatz (dynamisch-muskuläre Belastung) und die Arbeitspulsfrequenz (Beanspruchungsreaktion des Herz-Kreislaufsystems) heran. Dies ist zutreffend. In der Arbeitswissenschaft wird nach dem Sachverständigengutachten als Grundlage der Bewertung der Arbeitsschwere die Gesamtheit der auf den Menschen einwirkenden Belastungen und die Reaktion des Körpers auf diese Belastungen - als Beanspruchung ausgedrückt - herangezogen. Die Reaktion des Körpers auf Belastungen jedweder Art (z.B. Lärm), die sich u.a. in der Arbeitspulsfrequenz widerspiegelt, stellt selbst eine körperliche Belastung dar, da der körperliche Zustand verändert wird. Wenn der Sachverständige diese Reaktionen des Körpers als Beanspruchung bezeichnet, ändert dies entgegen der Auffassung der Beklagten nichts daran, daß hier durch bestimmte äußere Umstände der körperliche Zustand des Menschen verändert und damit der Körper belastet wird.
Ob die im Einzelfall festgestellten Arbeitsenergien und Arbeitspulsfrequenzen an bestimmten Arbeitsplätzen ausreichen, um die dort zu verrichtende Arbeit als körperlich leicht oder schwer zu qualifizieren, liegt mangels feststehender absoluter Größen im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz. Das Landesarbeitsgericht kommt hier im Anschluß an das Sachverständigengutachten zu dem Ergebnis, daß hinsichtlich der Arbeitsenergien die körperliche Belastung der Klägerinnen gering ist, hinsichtlich der Arbeitspulsfrequenz sich die körperliche Belastung bei zwei Maschinentypen im Grenzbereich zur Überschreitung der Dauerleistungsgrenze bewegt. Hinsichtlich der dritten Maschine (CS 9) sieht der Sachverständige die Intensität der Belastung als leicht bis mittelschwer an, wobei er für eine Frau die Belastung und Beanspruchung mehr in Richtung höhere Intensität sieht. Da die durchschnittliche Arbeitspulsfrequenz an den einzelnen Maschinen die gesamte Arbeit der Klägerinnen bestimmt, konnte das Landesarbeitsgericht damit die gesamte Tätigkeit der Klägerinnen rechtsfehlerfrei nicht mehr als körperlich leicht oder mit geringen körperlichen Belastungen verbunden ansehen.
Die Auffassung der Revision, das Landesarbeitsgericht und der Sachverständige hätten hinsichtlich der geringen körperlichen Belastungen nicht auf die Arbeiten, wie es das LRA fordere, sondern auf den Arbeitsplatz abgestellt, geht fehl. Ob Arbeiten mit geringen körperlichen Belastungen verbunden sind, läßt sich nach dem LRA nicht individuell für jeden einzelnen Arbeitnehmer festlegen, wie die Beklagte offenbar meint. Die Tarifverträge regeln generelle Tätigkeitsmerkmale, die für Arbeitnehmer generelle Geltung haben sollen. Deshalb ist für die Frage, ob Arbeiten mit geringen körperlichen Belastungen vorliegen, auf einen bestimmten Durchschnitt abzustellen und können nur Durchschnittswerte zur Messung der Schwere der Arbeiten zugrunde gelegt werden (BAG Urteil vom 17. April 1985 - 4 AZR 363/83 -, nicht veröffentlicht). Die durchschnittliche Belastung von Arbeitnehmern bei der Ausführung bestimmter Arbeiten bedeutet dann aber, daß damit der entsprechende Arbeitsplatz bewertet wird.
Die Durchschnittswerte hat der Sachverständige für Frauen und Männer getrennt gemessen und damit dem Umstand Rechnung getragen, daß die physische Leistungsfähigkeit der Frau im Durchschnitt um ein Drittel geringer ist als die des Mannes, wie sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt. Da die Schwere der Arbeiten für einen Arbeitnehmer sich nach seiner Belastbarkeit richtet und Frauen und Männer unterschiedlich belastbar sind, gebietet es der Gleichheitssatz des Art. 3 GG, daß für Frauen und Männer die Schwere ein und derselben Arbeit unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Belastbarkeit getrennt bewertet wird. Andernfalls könnten z.B. Arbeiten, die die Belastbarkeitsgrenze der Frau erreichen, nicht als sehr schwer angesehen werden, weil sie ein Drittel unter der Belastbarkeitsgrenze des Mannes und ein Sechstel unter der Belastbarkeitsgrenze liegen, wenn man aus der Belastbarkeit von Frauen und Männern einen gemeinsamen Durchschnittswert ermittelt. Dies wäre sachwidrig und verstieße gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 GG. Denn Arbeiten, die die Belastbarkeitsgrenze des Menschen erreichen, haben für den betreffenden Arbeitnehmer den höchsten Schwierigkeitsgrad.
Der Gutachter hat zwar festgestellt, daß die Belastbarkeit der Klägerinnen durchschnittlich 30 % unter dem Wert liegt, der für einen normalen Menschen gilt. Aufgrund mehrerer Untersuchungen unterschiedlich belastbarer Arbeitnehmer kommt der Sachverständige aber zu dem Ergebnis, daß der unterdurchschnittlichen Belastbarkeit der Klägerinnen bei der Bewertung der an ihnen vorgenommenen Messungen zur Ermittlung der Schwere der Arbeit praktisch keine Bedeutung zukommt. Der Sachverständige führt aus, die im Gutachten gemachten Ergebnisse seien, aus der Sicht des "Meßfühlers Mensch" als normal, d.h. als allgemein übertragbar, anzusehen. Dem hat sich das Landesarbeitsgericht angeschlossen. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden und wird auch von der Revision nicht gerügt. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß hinsichtlich der Arbeitspulsfrequenz der Gutachter von bestimmten Richtwerten zur Bestimmung der Schwere der Arbeit unabhängig von der Belastbarkeit der Klägerinnen ausgeht. Die individuelle Belastbarkeit der Klägerinnen zeigt nur die Grenze ihrer persönlichen Leistungsfähigkeit an. Die Arbeitspulsfrequenz bei den von ihnen verrichteten Arbeiten ist aber in etwa gleich hoch wie bei normalen Menschen mit normaler Belastbarkeit.
Die vom Gutachter festgestellte Durchschnittsleistung der Klägerinnen an ihren Arbeitsplätzen in Höhe von 140 % gegenüber der menschlichen Normalleistung (100 %) ist vorliegend für die Feststellung der körperlichen Belastungen an den Arbeitsplätzen der Klägerinnen unerheblich. Denn der Sachverständige hat auch für die Normalleistung eine nicht geringe körperliche Belastung bejaht. Dieser Auffassung hat sich das Landesarbeitsgericht angeschlossen. Rechtsfehler sind insoweit nicht ersichtlich und werden von der Revision auch nicht gerügt.
Die weiteren Einwendungen der Revision, die sie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertieft hat, sind unbegründet. Der Auffassung der Revision, die Tarifvertragsparteien hätten im LRA bei dem Begriff der "geringen körperlichen Belastungen" der bei Abschluß des Tarifvertrags bestehenden Verkehrsanschauung folgen und diese festschreiben wollen, kann der Senat nicht folgen. Verwenden Tarifvertragsparteien Begriffe, deren Inhalt durch Umstände bestimmt wird, die an bestehende, sich aber wandelnde Verhältnisse anknüpfen, ist mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag davon auszugehen, daß sich die Tarifvertragsparteien den wandelnden Verhältnissen anschließen wollen. Denn sich ändernde Verhältnisse beruhen im allgemeinen auf gesellschaftlichen und technischen Weiterentwicklungen oder - wie vorliegend - auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Es kann nicht angenommen werden, daß Tarifvertragsparteien sich solchen neuen Erkenntnissen verschließen wollen. Dies gilt jedenfalls, solange sie nichts anderes deutlich erkennbar regeln. Ein solcher gegenteiliger Wille der Tarifvertragsparteien ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich.
Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich aus § 5 LRA nicht, daß Umgebungseinflüsse für die körperliche Schwere der Arbeit, z.B. bei der Arbeitspulsfrequenz, nicht berücksichtigt werden dürfen. § 5 LRA regelt Erschwerniszulagen bei hohen körperlichen Belastungen oder besonders starken Umgebungseinflüssen. Daraus folgt zwar, daß die Tarifvertragsparteien unter hohen körperlichen Belastungen und besonders starken Umgebungseinflüssen etwas Unterschiedliches verstehen und nach ihrem Willen besonders starke Umgebungseinflüsse nicht stets den Begriff der hohen körperlichen Belastungen erfüllen, da sonst auf das Merkmal der besonders starken Umgebungseinflüsse hätte verzichtet werden können. Aber nach der vom Landesarbeitsgericht festgestellten Verkehrsanschauung führen besonders starke Umgebungseinflüsse nicht stets zu hohen körperlichen Belastungen im Sinne der festgestellten Verkehrsanschauung. Nach der Senatsrechtsprechung sind z.B. auch beim Tragen von Gehörschutzmitteln die Erschwerniszulagen wegen Lärms zu zahlen, obwohl die Gehörschutzmittel die Lärmeinwirkung auf das Ohr herabsetzen. Der Senat hat dies mit dem nach wie vor auf den Körper einwirkenden Lärm begründet (BAG Urteil vom 14. März 1984 - 4 AZR 433/81 -, AP Nr. 23 zu § 1 TVG Tarifverträge: Metallindustrie). Damit kann aber noch nicht ohne weiteres eine hohe körperliche Belastung bejaht werden. Dies zeigt, daß besonders starke Umgebungseinflüsse nicht zwingend zu hohen körperlichen Belastungen führen müssen.
Die weitere Rüge der Revision, die körperliche Belastung der Klägerinnen müsse für jede einzelne Arbeit getrennt bewertet werden, nur wenn überwiegend Arbeiten anfielen, die nicht mit nur geringen körperlichen Belastungen verbunden seien, sei eine Eingruppierung in die Lohngruppe 3 LRA gerechtfertigt, geht fehl. Der Revision ist einzuräumen, daß nach § 2 Ziff. 4 LRA für die Eingruppierung die überwiegende Tätigkeit des Arbeitnehmers maßgebend ist. Im vorliegenden Fall bedient jede der Klägerinnen je nach Arbeitsanfall drei Maschinen zum Zuschneiden von Kabeln. Für die Tätigkeit an jeder dieser Maschinen hat der Sachverständige, dem sich das Landesarbeitsgericht angeschlossen hat, eine zumindest "bis mittelschwere" körperliche Belastung angenommen. Die Tätigkeit an jeder Maschine selbst läßt sich nicht weiter aufspalten. Insoweit besteht für den gesamten Schneidevorgang eine bestimmte Pulsfrequenz. Die Beklagte hat nicht behauptet, daß leichte körperliche Belastungen, die der Sachverständige für einen Teil der Schneidearbeiten an der Maschine CS 9 bejaht hat, den überwiegenden Teil der Arbeitszeit der Klägerinnen betreffen. Damit sind die überwiegenden Arbeiten der Klägerinnen nicht mit nur geringen körperlichen Belastungen verbunden.
Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Freitag Dr. Etzel
H. Pallas Dr. Apfel
Fundstellen