Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Unkündbarkeit. Tarifliche Unkündbarkeit, Ausschluß der außerordentlichen betriebsbedingten Beendigungskündigung. außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist. Pflicht des öffentlichen Arbeitgebers, auch außerhalb der Behörde oder Verwaltung nach anderen Beschäftigungsmöglichkeiten für den Arbeitnehmer zu suchen. Kündigung. Tarifrecht öffentl. Dienst
Leitsatz (amtlich)
Es sind Extremfälle denkbar, in denen auch einem nach § 55 BAT tariflich unkündbaren Angestellten des öffentlichen Dienstes nach § 626 BGB unter Gewährung einer notwendigen Auslauffrist außerordentlich betriebsbedingt gekündigt werden kann.
Orientierungssatz
- Zwar schließt § 55 BAT seinem Wortlaut nach auch die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung aus wichtigem Grund (§ 626 BGB) aus und verweist den Arbeitgeber insoweit auf eine Änderungskündigung.
- Die Möglichkeit zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund kann aber in einem Dauerschuldverhältnis nicht völlig beseitigt werden. Es sind deshalb Extremfälle denkbar, in denen auch im Rahmen des § 55 BAT eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit notwendiger Auslauffrist in Betracht kommen kann.
- Dies bedeutet jedoch nicht, daß jede Umorganisation oder Schließung einer Teileinrichtung mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen im öffentlichen Dienst zu einer außerordentlichen Kündiung führen kann.
- Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, eine Weiterbeschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers in der eigenen oder (Grundsatz der Einheit des öffentlichen Dienstes) auch in einer fremden Verwaltung zu versuchen, so ist eine Kündigung jedenfalls ausgeschlossen. Dies gilt erst recht, wenn der Arbeitgeber nicht einmal die Maßnahmen zur Vermeidung einer Beendigungskündigung ergriffen hat, zu denen er in dem vergleichbaren Fall von Rationalisierungsmaßnahmen tarifvertraglich verpflichtet ist.
Normenkette
BGB § 626; BAT §§ 55, 53 Abs. 3; Tarifvertrag über den Rationalisierungsschutz für Angestellte vom 9. Januar 1987 (TV Rat)
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen betriebsbedingten, mit Auslauffrist erklärten Kündigung.
Der 1952 geborene Kläger war auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 11. März 1981 seit 1. Dezember 1980 zunächst als nebenberufliche Lehrkraft für das Fach Trompete bei dem von der beklagten Stadt und der Samtgemeinde S… gegründeten Zweckverband “Musikschule B… und S…” beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 16. Juli 1985 vereinbarten der Kläger und der Zweckverband die Anwendung des Bundes-Angestelltentarifvertrages (BAT) in seiner jeweils gültigen Fassung. Der Arbeitsvertrag sah eine Pflichtstundenzahl von 21 Wochenstunden vor. Ab 1. April 1993 wurde dem Kläger die ständige Vertretung des Leiters der Musikschule übertragen und die wöchentliche Arbeitszeit auf 36,5 Stunden festgelegt, darunter 23 Unterrichtsstunden und sieben Zeitstunden zur Wahrnehmung der neuen Funktion. Der Kläger erhielt zuletzt eine Vergütung von 5.200,00 DM nach der Vergütungsgruppe BAT IVb.
Der Zweckverband erwirtschaftete in den Jahren 1993 bis 1999 jährlich ein Defizit zwischen 597.900,50 DM (1994) und 467.777,21 DM (1999). Die Defizite wurden jeweils durch die beiden Träger des Zweckverbandes ausgeglichen. Die Schülerzahlen gingen von 798 im Jahr 1990 auf 628 im Jahr 1999 zurück. Im Jahr 2000 sanken sie auf 488. Im Sommer 1997 wurde der Musikschulbetrieb einer Untersuchung durch den Landesverband Niedersächsischer Musikschulen unterzogen. Der Landesverband konnte keine nennenswerten Möglichkeiten zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit aufzeigen. Im November 1997 nahm der Zweckverband Verhandlungen mit einem privaten Anbieter auf, der sich bereit erklärte, die Musikschule zu übernehmen. Während die Beklagte mit Beschluß ihres Stadtrates vom 22. Juni 1998 eine Privatisierung befürwortete, schloß sich die Samtgemeinde S… diesem Ansinnen zunächst nicht an. Die Träger einigten sich darauf, der Musikschule eine Gelegenheit zu geben, durch neue Konzepte Einsparungen und Einnahmeverbesserungen zu erzielen. Die damalige Leiterin der Musikschule wurde mit Beschluß des Zweckverbandes vom 11. November 1998 abgelöst. Dem Kläger wurde die kommissarische Leitung und Geschäftsführung der Musikschule übertragen.
Bis Juni 1999 konnte eine Konsolidierung nicht erzielt werden. Die drei vollbeschäftigten Lehrer und der Kläger waren nicht vollständig ausgelastet. Der Kläger wollte die Geschäftsführung ab dem 19. Mai 1999 nicht weiter übernehmen. Hierauf nahm der Zweckverband die Verhandlungen mit dem privaten Anbieter wieder auf. Ab 1. Juli 1999 übernahm dieser die Leitung der Musikschule. Der Zweckverband beabsichtigte, den Kläger und die übrigen drei unkündbaren und vollbeschäftigten Musikschullehrer nach der Privatisierung der Einrichtung im Wege der Personalgestellung auf der Basis des BAT weiterzubeschäftigen. Zum Zweck der Tolerierung einer solchen Personalgestellung führte der Zweckverband vorbereitende Gespräche mit verschiedenen Behörden. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder riet, zur Vermeidung höherer Ausgleichszahlungen vor Durchführung einer Privatisierung einen Betriebsübergang auf einen der beiden Träger des Zweckverbandes herbeizuführen. In den weiteren Verhandlungen mit dem privaten Interessenten reduzierte dieser unter Hinweis auf die nicht vollständige Auslastung der Musikschullehrer seine Zusage für die Höhe des Gestellungsentgeltes. Hierauf führten Vertreter des Zweckverbandes am 17. November 1999 ein Gespräch mit den vollbeschäftigten Musikschullehrern, in welchem sie ihnen nahelegten, sich mit einer Verringerung ihrer vertraglichen Unterrichtsstunden und einem Abschlag auf ihre Vergütung einverstanden zu erklären. Der Kläger äußerte sich hierzu nicht. Am 16. Dezember 1999 beschloß die Verbandsversammlung, den Zweckverband zum 31. Dezember 1999 aufzulösen. Auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zwischen der Beklagten und der Samtgemeinde S… gingen die bisherigen Aufgaben des Zweckverbandes mit allen Rechten und Pflichten auf die Beklagte über.
Der Rat der beklagten Stadt beschloß in seiner Sitzung vom 31. Januar 2000, die Musikschule zum 31. Juli 2000 zu schließen. Mit Schreiben vom 14. Februar 2000 beantragte die Beklagte bei dem Personalrat die Zustimmung zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegenüber dem Kläger. Der Personalrat teilte der Beklagten mit Schreiben vom 25. Februar 2000 mit, er widerspreche der Kündigung nicht. Mit Schreiben vom 2. März 2000 kündigte die Beklagte dem Kläger außerordentlich mit einer Frist zum 30. September 2000 und begründete dies mit der beabsichtigten Schließung der Musikschule zum 31. Juli 2000.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam, da eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung bereits nach § 55 BAT ausgeschlossen sei. Im übrigen hätte die Beklagte zunächst mit allen zumutbaren Mitteln seine Weiterbeschäftigung versuchen müssen. Er hätte weiterhin im Schulbereich, im Bereich der Kulturverwaltung, der Sozialverwaltung oder der allgemeinen Verwaltung beschäftigt werden können.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das seit dem 1. Dezember 1980 auf der Grundlage der Arbeitsverträge vom 11. März 1981, 16. Juli 1985 und 1. April 1993 bestehende Arbeitsverhältnis zwischen dem Zweckverband Musikschule B… und S… und dem Kläger durch Kündigung der Beklagten vom 2. März 2000 nicht beendet worden ist.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, es sei ausnahmsweise trotz der tariflichen Unkündbarkeit eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt. Eine Beschäftigung des Klägers nach Schließung der Musikschule sei unter keinen Umständen mehr möglich. Es könne auch kein Zwang bestehen, ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis auf Dauer fortzusetzen. Musiklehrer seien von ihr ausschließlich in der Musikschule beschäftigt worden. Ein Einsatz des Klägers in der Verwaltung scheitere daran, daß der Kläger keinerlei Berührungspunkte zur öffentlichen Verwaltung habe. Er sei ausgebildeter Musiker und habe keine Verwaltungskenntnisse. Ein Kulturamt gebe es bei der Beklagten nicht. Kulturelle Angelegenheiten würden von dem Leiter des Fremdenverkehrsamtes mit erledigt. Im Sozialamt sei ein Bedarf nicht vorhanden. Aus dem Stellenplan ergebe sich, daß auch in absehbarer Zeit keine geeignete Stelle für den Kläger frei sein werde. Für eine Sachbearbeitertätigkeit in der Verwaltung sei eine zumindest dreijährige Ausbildung des Klägers erforderlich, was ihm nicht zugemutet werden könne. Im Schulbereich könne ein Einsatz nicht erfolgen, da die Schulen durch das Land betrieben würden. Andere Musikschulen hätten kein Interesse an der Beschäftigung des Klägers, wie sich aus Gesprächen nach Ausspruch der Kündigung ergeben habe.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Unterschriften
Rost, Bröhl, Eylert, Claes, Bartz
Fundstellen
BAGE 2004, 40 |
BB 2003, 314 |
DB 2003, 102 |
NWB 2003, 422 |
ARST 2002, 238 |
ARST 2003, 98 |
EWiR 2003, 105 |
FA 2002, 285 |
FA 2003, 81 |
FA 2003, 92 |
JR 2004, 395 |
ZAP 2003, 224 |
ZBR 2003, 181 |
ZTR 2002, 373 |
ZTR 2002, 471 |
ZTR 2003, 140 |
AP, 0 |
AuA 2002, 374 |
EzA-SD 2002, 4 |
EzA-SD 2002, 8 |
EzA |
MDR 2003, 220 |
PersR 2004, 118 |
PersV 2003, 314 |
RiA 2003, 107 |
ZMV 2002, 245 |
ZfPR 2002, 309 |
ZfPR 2004, 270 |
AUR 2002, 306 |
AUR 2003, 37 |
ArbRB 2003, 42 |
BAGReport 2003, 175 |
GdWZ 2003, 102 |
SPA 2003, 6 |