Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewerkschaftliche Mitgliederwerbung in Betrieben. Betriebliches Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zweck der Mitgliederwerbung. Ausgestaltung der grundrechtlich garantierten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften durch richterliche Rechtsfortbildung. Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem gewerkschaftlichen Recht auf Mitgliederwerbung und den verfassungsrechtlich geschützten Belangen des Arbeitgebers
Orientierungssatz
- In dem Rechtsstreit geht es weitgehend um dieselben materiell- und prozessrechtlichen Fragen wie im Urteil des Senats vom 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – (vgl. die dazu erstellten Orientierungssätze und Hinweise).
- Darüber hinaus ist prozessual das Verhältnis zwischen leugnender Feststellungsklage und positiver Leistungsklage von Bedeutung.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, 3 Sätze 1-2, Art. 2 Abs. 1, 13-14, Art. 20 Abs. 3; BetrVG § 2 Abs. 2-3, § 118 Abs. 2; TVG § 2 Abs. 1; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1, §§ 887-888, 890 Abs. 1, § 894 Abs. 1; GVG § 132 Abs. 4; ArbGG § 45 Abs. 4
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Urteil vom 01.04.2004; Aktenzeichen 11 Sa 1093/03) |
ArbG Frankfurt am Main (Urteil vom 05.06.2003; Aktenzeichen 1 Ca 503/03) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 1. April 2004 – 11 Sa 1093/03 – insoweit aufgehoben, als es der Widerklage entsprochen hat.
Die in der Widerklage liegende Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 5. Juni 2003 – 1 Ca 503/03 – wird zurückgewiesen.
- Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
- Die Kosten des Berufungsverfahrens und des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Hinsichtlich der Kosten der ersten Instanz verbleibt es bei der Entscheidung des Arbeitsgerichts.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten sowohl im Rahmen einer negativen Feststellungsklage als auch im Rahmen einer auf Duldung gerichteten Widerklage darüber, ob die beklagte Gewerkschaft berechtigt ist, in Betrieben der klagenden Arbeitgeberin durch betriebsfremde Beauftragte Mitgliederwerbung zu betreiben.
Die Klägerin, ein Technologieunternehmen, beschäftigt bundesweit ca. 7.500 Arbeitnehmer. Sie hat Betriebe in Bö…, R…, H…, Ha…, J…, B…, Be…, M… (Dor…), D…, Do, F…, K… und U…. Die Betriebe fallen in die Tarifzuständigkeit der Beklagten. Diese ist in den Betrieben durch Mitglieder in nicht näher festgestellter Anzahl vertreten. Betriebseigene Kantinen gibt es in Bö…, R…, B…, Her…, Dor… und Do….
Vor dem Hintergrund eines von der Klägerin beabsichtigten erheblichen Personalabbaus verpflichtete sie das Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 29. November 2002 im Wege der einstweiligen Verfügung, am 2. Dezember 2002 in der Zeit von 11.30 Uhr bis 14.00 Uhr betriebsfremden Beauftragten der Beklagten den Zutritt zu ihrem Betrieb in B… zu gestatten, um dort vor der Kantine Flugblätter zu verteilen. Das Arbeitsgericht Düsseldorf wies hinsichtlich des Betriebs in R… einen entsprechenden Antrag der Beklagten zurück.
Die Klägerin hat, nachdem die Beklagte zuvor eine auf Duldung des Zutritts zum B… Betrieb gerichtete Klage erhoben hatte (über diese hat der Senat mit Urteil vom 28. Februar 2006 – 1 AZR 460/04 – entschieden), die vorliegende Klage erhoben, mit der sie festgestellt wissen will, dass die Beklagte keinen Anspruch darauf hat, in ihren Betrieben durch betriebsfremde Beauftragte Mitgliederwerbung zu betreiben.
Sie hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass betriebsfremden Beauftragten der Beklagten kein Zutrittsrecht zu den Betrieben der Klägerin in Bö…, in R…, in Her, in Dor und in Do zusteht, um während der Mittagsöffnungszeiten vor der Kantine Mitgliederwerbung durchzuführen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Beklagte hat in der zweiten Instanz Widerklage erhoben und neben der Zurückweisung der Berufung beantragt,
die Klägerin zu verurteilen, den Zutritt von betriebsfremden Beauftragten der Beklagten in ihre Betriebe außerhalb des Betriebs B… innerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu gestatten, damit Gewerkschaftsbeauftragte während der Mittagsöffnungszeiten der He-Kantine oder, soweit eine Kantine dort nicht vorhanden ist, in den Aufenthaltsräumen der Arbeitnehmer während der Mittagspause Mitgliederwerbung durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern betreiben können.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und der Widerklage entsprochen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Feststellungsantrag weiter und begehrt die Abweisung der Widerklage.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet, soweit mit ihr die Zurückweisung der in der zweitinstanzlichen Widerklage liegenden Anschlussberufung der Beklagten begehrt wird. Soweit die Klägerin ihre Feststellungsklage weiterverfolgt, ist die Revision unbegründet. Klage und Widerklage sind unbegründet. Ein Anspruch der Beklagten, in Betrieben der Klägerin durch betriebsfremde Beauftragte Mitgliederwerbung betreiben zu können, kann weder generell bejaht noch generell verneint werden. Das Bestehen eines solchen Anspruchs hängt vielmehr von den Umständen des Einzelfalls ab.
A. Die Feststellungsklage ist zulässig, aber unbegründet.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
a) Zur hinreichenden Bestimmtheit eines Klageantrags iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss der zur Entscheidung gestellte Streitgegenstand so genau bezeichnet werden, dass im Falle einer Sachentscheidung der objektive Umfang der Rechtskraft zweifelsfrei feststeht. Es muss klar sein, worüber das Gericht entschieden hat.
b) Diesem Erfordernis genügt der negative Feststellungsantrag. Mit ihm soll generell festgestellt werden, dass die Beklagte kein Zutrittsrecht zu den im Einzelnen bezeichneten Betrieben hat, um dort während der Mittagsöffnungszeiten vor der Kantine durch betriebsfremde Beauftragte Mitgliederwerbung zu betreiben. Der Umfang der Rechtskraft eines diesem Antrag entsprechenden Sachurteils wäre hinreichend klar.
2. Die Klägerin besitzt das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens der streitigen Zugangsrechte. Das Feststellungsinteresse ist durch die von der Beklagten zweitinstanzlich erhobene Widerklage nicht entfallen.
a) Allerdings entfällt das Feststellungsinteresse für eine negative Feststellungsklage regelmäßig, wenn der Beklagte wegen desselben Streitgegenstands eine Leistungswiderklage erhebt und diese ohne Zustimmung des Klägers nicht mehr zurücknehmen kann (vgl. Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 256 Rn. 7d mwN). Das rechtliche Interesse an einem negativen Feststellungsantrag ist aber dann gegeben, wenn es sich bei dem auf Leistung gerichteten Widerantrag um einen Globalantrag handelt, der mit der Begründung abgewiesen wird, er umfasse jedenfalls auch Fallgestaltungen, in denen der Anspruch nicht bestehe. In diesen Fällen erreicht nämlich der Feststellungskläger mit der Abweisung der Leistungswiderklage nicht dasselbe Ziel wie mit der positiven Bescheidung seiner Feststellungsklage (vgl. BAG 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02 – BAGE 106, 188, zu B IV 2a der Gründe). Anders verhält es sich, wenn dem auf Leistung gerichteten Globalantrag stattgegeben oder er mit der Begründung abgewiesen wird, es gebe keine Fallgestaltung, in der er begründet ist. In diesen Fällen geht die Bescheidung des Feststellungsantrags sachlich nicht über die Bescheidung des Leistungsantrags hinaus. Die Auslegung des leugnenden Feststellungsantrags wird daher regelmäßig ergeben, dass er nur dann beschieden werden soll, wenn der auf Leistung gerichtete Globalantrag mit der Begründung abgewiesen wird, es gebe jedenfalls auch Fallgestaltungen, in denen er sich als unbegründet erweise (BAG 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02 – aaO, zu B IV 2a der Gründe).
b) Hiernach steht die von der Beklagten erhobene, auf Leistung gerichtete Widerklage der Zulässigkeit der leugnenden Feststellungsklage der Klägerin nicht entgegen. Die Widerklage erweist sich als unbegründet, weil der mit ihr verfolgte Globalantrag auch Fallgestaltungen erfasst, in denen der geltend gemachte Anspruch nicht besteht (BAG 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02 – BAGE 106, 188, zu B II der Gründe).
II. Die Klage ist unbegründet. Ein Zutrittsrecht der Beklagten, um in den Betrieben der Klägerin durch betriebsfremde Beauftragte Mitgliederwerbung zu betreiben, kann nicht generell verneint werden. Es besteht vielmehr dann, wenn ihm überwiegende Interessen der Klägerin nicht entgegenstehen. Maßgeblich dafür sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.
1. Gewerkschaften haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, in Betrieben auch mit betriebsfremden Beauftragten Mitgliederwerbung zu betreiben, soweit überwiegende schützenswerte Interessen des Arbeitgebers und Betriebsinhabers nicht entgegenstehen. Dies gilt auch dann, wenn Arbeitnehmer des Betriebs bereits Mitglieder der Gewerkschaft sind.
a) Das betriebliche Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung ist im Schrifttum umstritten (vgl. Brock Gewerkschaftliche Betätigung im Betrieb nach Aufgabe der Kernbereichslehre durch das Bundesverfassungsgericht S. 210 ff.; DKK-Berg 9. Aufl. § 2 Rn. 45 ff.; Kraft/Franzen GKBetrVG 8. Aufl. § 2 Rn. 95 f.; Richardi BetrVG 10. Aufl. § 2 Rn. 151 ff.). Teilweise wird es grundsätzlich bejaht (vgl. insb. Däubler Gewerkschaftsrechte im Betrieb 10. Aufl. Rn. 407 ff.; ders. DB 1998, 2014, 2016 f.; ErfK/Dieterich 6. Aufl. Art. 9 GG Rn. 40; ErfK/Eisemann § 2 BetrVG Rn. 8; Fitting 23. Aufl. § 2 Rn. 86; Scholz in Maunz/Dürig GG Stand August 2005 Art. 9 Rn. 252; AK-GG Kittner/Schiek 3. Aufl. Stand August 2002 Art. 9 GG Rn. 122; wohl auch Schaub/Koch § 215 Rn. 8; Hanau Das Arbeitsrecht der Gegenwart Bd. 17 S. 37 ff., 55; aA aber ders. in AuR 1983, 257, 260; vgl. auch ders. in ZIP 1996, 447), teilweise grundsätzlich verneint (so Richardi aaO; Kemper in v. Mangoldt/Klein/Starck GG 5. Aufl. Art. 9 Rn. 115; Brock S. 229 ff.). Ein weiterer Teil des Schrifttums hält ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter nur dann für gegeben, wenn die betreffende Gewerkschaft im Betrieb noch nicht durch Mitglieder vertreten ist (Kraft/Franzen § 2 Rn. 95, 96; MünchArbR/Löwisch/Rieble 2. Aufl. § 246 Rn. 163; Klosterkemper Das Zugangsrecht der Gewerkschaften zum Betrieb S. 151 ff.).
b) Auch in der Rechtsprechung ist die Frage nicht abschließend geklärt.
aa) Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung sogar für karitative kirchliche Einrichtungen iSv. § 118 Abs. 2 BetrVG bejaht. Es hat diesen Anspruch unmittelbar auf Art. 9 Abs. 3 GG und den dort verankerten Schutz der Koalitionen gestützt (14. Februar 1978 – 1 AZR 280/77 – BAGE 30, 122). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Entscheidung jedoch mit Beschluss vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220) aufgehoben und unter Hinweis auf die sog. Kernbereichsformel festgestellt, dass das Urteil des Bundesarbeitsgerichts das verfassungsmäßige Recht der beklagten Arbeitgeberin aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung verletze. Nach der Aufhebung und Zurückverweisung entschied das Bundesarbeitsgericht am 19. Januar 1982 (– 1 AZR 279/81 – BAGE 37, 331), dass Gewerkschaften in kirchlichen Einrichtungen jedenfalls dann keinen unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG ableitbaren Anspruch auf Duldung gewerkschaftlicher Werbe-, Informationsund Betreuungstätigkeit durch betriebsfremde Gewerkschaftsbeauftragte haben, wenn sie in diesen Einrichtungen bereits durch betriebsangehörige Mitglieder vertreten sind.
bb) Die Funktion und Bedeutung der Kernbereichsformel, mit der das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220, zu C II 4a der Gründe) maßgeblich argumentiert hatte, hat es mit Beschluss vom 14. November 1995 klargestellt. Es hat sich dazu “wegen der – nicht fernliegenden – Mißverständnisse, zu denen die früheren Entscheidungen geführt hatten, veranlaßt” gesehen (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B I 3c der Gründe; vgl. dazu Sachs JuS 1996, 931). Danach beschränkt die Kernbereichsformel den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG nicht von vornherein auf den Bereich des Unerlässlichen, sondern beschreibt allein die Grenze, die der Gesetzgeber bei der einfachrechtlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit zu beachten hat. Dementsprechend ist die Mitgliederwerbung nicht nur in dem Maße grundrechtlich geschützt, in dem sie für die Erhaltung und die Sicherung des Bestands der Gewerkschaft unerlässlich ist. Der Grundrechtschutz erstreckt sich vielmehr auf alle Verhaltensweisen, die koalitionsspezifisch sind (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – aaO, zu B I 3 der Gründe; ebenso 24. Februar 1999 – 1 BvR 123/93 – BVerfGE 100, 214, zu B II 1 der Gründe). Die Klarstellung der Kernbereichsformel durch das Bundesverfassungsgericht hat auch Eingang in die jüngere Rechtsprechung des Senats gefunden (vgl. etwa BAG 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – BAGE 91, 210, zu B II 2b bb der Gründe; 25. Januar 2005 – 1 AZR 657/03 – AP GG Art. 9 Nr. 123 = EzA GG Art. 9 Nr. 81, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 1a der Gründe).
c) Im Lichte der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist ein Zugangsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung grundsätzlich gegeben. Allerdings fehlt es hierfür an einer ausdrücklichen einfachgesetzlichen Regelung. Auch aus Art. 9 Abs. 3 GG ergibt sich das Zutrittsrecht nicht unmittelbar. Die Werbung von Mitgliedern ist aber Teil der durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften. Dazu gehört deren Befugnis, selbst zu bestimmen, welche Personen sie mit der Werbung betrauen, und die Möglichkeit, dort um Mitglieder zu werben, wo Arbeitnehmer zusammenkommen und als solche angesprochen werden können. Da eine gesetzliche Regelung fehlt, müssen die Gerichte auf Grund ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht im Wege der Rechtsfortbildung eine entsprechende Ausgestaltung vornehmen. Das den Gewerkschaften einzuräumende betriebliche Zutrittsrecht ist freilich nicht unbeschränkt. Gegenüber dem gewerkschaftlichen Interesse an einer effektiven Mitgliederwerbung sind die ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers und Betriebsinhabers abzuwägen. Dazu zählen dessen Haus- und Eigentumsrecht sowie sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in Gestalt eines störungsfreien Betriebsablaufs. Diese Rechte des Arbeitgebers können je nach den Umständen des Einzelfalls dem Zutrittsrecht der Gewerkschaft entgegenstehen.
aa) Das Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung ist gesetzlich nicht geregelt. Während den Gewerkschaften zur Wahrnehmung der im BetrVG genannten Aufgaben und Befugnisse in § 2 Abs. 2 BetrVG unter bestimmten Maßgaben ein Zugangsrecht zum Betrieb ausdrücklich eingeräumt ist, fehlt es für ihre allgemeine koalitionsspezifische Betätigung an einer gesetzlichen Ausgestaltung. § 2 Abs. 3 BetrVG stellt insoweit lediglich klar, dass die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, durch das BetrVG nicht berührt werden. Dagegen hat der Gesetzgeber bislang von der Verabschiedung eines (“Verbände”) Gesetzes, in dem die Rechte und Pflichten ua. der Gewerkschaften näher geregelt wären, abgesehen.
§ 2 Abs. 2 BetrVG steht einem Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu anderen als den in der Vorschrift genannten Zwecken nicht etwa entgegen. Das Zutrittsrecht aus § 2 Abs. 2 BetrVG dient – ebenso wie sonstige, im Rahmen der gesetzlichen Betriebsverfassung gewährte spezielle Zugangsrechte – besonderen, den Gewerkschaften im Rahmen der Betriebsverfassung zugewiesenen Aufgaben (vgl. BVerfG 17. Februar 1981 – 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220, zu C II 4b der Gründe). Die Regelung ist nicht abschließend (Brock S. 219; Däubler Rn. 426). Dies folgt schon aus § 2 Abs. 3 BetrVG.
bb) Ein betriebliches Zutrittsrecht der Gewerkschaften zum Zwecke der Mitgliederwerbung ist jedenfalls für Betriebe nicht kirchlicher Arbeitgeber durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 384/78 – BVerfGE 57, 220) nicht mit Bindungswirkung verneint (so auch Brock S. 211 f.; aA Richardi § 2 Rn. 151). Nach § 31 Abs. 1 BVerfGG binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Dementsprechend sind die sich aus dem Tenor und den tragenden Gründen der Entscheidung ergebenden Grundsätze für die Auslegung der Verfassung von den Gerichten und Behörden in allen künftigen Fällen zu beachten (BVerfG 20. Januar 1966 – 1 BvR 140/62 – BVerfGE 19, 377; BAG 19. Januar 1982 – 1 AZR 279/81 – BAGE 37, 331, zu I 1 der Gründe). Tragend für eine Entscheidung sind diejenigen Teile der Entscheidungsbegründung, die aus der Deduktion des Gerichts nicht hinwegzudenken sind, ohne dass sich das im Tenor formulierte Ergebnis ändert (BAG 19. Januar 1982 – 1 AZR 279/81 – aaO, zu I 1 der Gründe). Hiernach entfaltet der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 386/78 – aaO) jedenfalls keine Bindungswirkung für den nicht kirchlichen Bereich. Die Entscheidung betraf allein den Sonderfall des gewerkschaftlichen Zugangsrechts zu kirchlichen Einrichtungen. Auch die darin enthaltenen Ausführungen zu Art. 9 Abs. 3 GG erfolgten im Kontext des Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 Weimarer Reichsverfassung. Daher kann dahinstehen, ob die Bindungswirkung der Entscheidung vom 17. Februar 1981 (– 2 BvR 386/78 – aaO) dadurch eine wirksame Einschränkung erfahren hat, dass nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. November 1995 (– 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352) die Betätigungsfreiheit der Koalitionen nicht, wie es noch im Beschluss vom 17. Februar 1981 heißt, nur in ihrem Kernbereich geschützt ist.
cc) Ein betriebliches Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zu Zwecken der Mitgliederwerbung ergibt sich nicht unmittelbar aus Art. 9 Abs. 3 GG. Allerdings entfaltet Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG unmittelbare Wirkung auch in Rechtsverhältnissen Privater (vgl. BAG 20. April 1999 – 1 ABR 72/98 – BAGE 91, 210, zu B II 2a der Gründe; 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B I 3b bb der Gründe; 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – AP GG Art. 9 Nr. 124 = EzA GG Art. 9 Nr. 84, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 2b aa (1) der Gründe mwN; ErfK/Dieterich Art. 9 GG Rn. 42). Das folgt aus Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG. Danach sind Abreden, welche das durch Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Recht einschränken oder zu behindern suchen, nichtig und hierauf gerichtete Maßnahmen rechtswidrig. Die Koalitionsfreiheit ist damit auch vor privatrechtlichen Beeinträchtigungen geschützt (BAG 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – aaO). Eine auf die Verhinderung oder Beschränkung gewerkschaftlicher Betätigungsfreiheit gerichtete Maßnahme liegt aber nicht vor, wenn ein Arbeitgeber in Ausübung seines Haus- und Eigentumsrechts lediglich bestimmten Personen, wie insbesondere Arbeitnehmern und Kunden, den Zutritt zu seinem Betrieb gestattet und ihn sonstigen Personengruppen verwehrt. Eine nicht gezielt die Gewerkschaften ausgrenzende Wahrnehmung des Hausrechts ist keine Maßnahme, die das Betätigungsrecht der Gewerkschaft iSv. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 GG einzuschränken oder zu behindern sucht (vgl. Kemper in v. Mangoldt/Klein/Starck aaO).
dd) Ein Anspruch der Gewerkschaften, Mitgliederwerbung auch durch betriebsfremde Beauftragte durchzuführen und hierfür Zutritt zum Betrieb zu erhalten, folgt aus der von den Gerichten auf Grund ihrer Schutzpflicht im Wege der Rechtsfortbildung vorzunehmenden Ausgestaltung der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit.
(1) Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleistet für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftbedingungen Koalitionen zu bilden. Das Grundrecht schützt den Einzelnen, eine derartige Vereinigung zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben. Außerdem schützt es die Koalitionen in ihrem Bestand und ihrer organisatorischen Ausgestaltung sowie solchen Betätigungen, die darauf gerichtet sind, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und zu fördern (st. Rspr. des Bundesverfassungsgerichts, vgl. etwa BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN).
(2) Zu den geschützten Tätigkeiten, die dem Erhalt und der Sicherung einer Koalition dienen, gehört deren Mitgliederwerbung (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B I 2 der Gründe; vgl. auch 26. Mai 1970 – 2 BvR 664/65 – BVerfGE 28, 295; BAG 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – AP GG Art. 9 Nr. 124 = EzA GG Art. 9 Nr. 84, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 2b aa (2) der Gründe). Durch diese schaffen die Koalitionen das Fundament für die Erfüllung ihrer Aufgaben und sichern ihren Fortbestand. Ferner hängt von der Mitgliederzahl ihre Verhandlungsstärke ab (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – aaO). Ohne Werbung um neue Mitglieder besteht die Gefahr, dass der Mitgliederbestand einer Gewerkschaft im Laufe der Zeit in einem Umfang zurückgeht, dass sie ihrer Aufgabe, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu wahren und fördern, nicht mehr sachgemäß nachkommen kann (BAG 30. August 1983 – 1 AZR 121/81 – AP GG Art. 9 Nr. 38, zu III 1 der Gründe). Zu der Betätigungsfreiheit einer Gewerkschaft gehört daher das Recht, ihre Schlagkraft mit dem Ziel der Mitgliedererhaltung und Mitgliederwerbung zu stärken (BAG 31. Mai 2005 – 1 AZR 141/04 – aaO). Dabei ist für die Gewerkschaften die Mitgliederwerbung in den Betrieben von besonderer Bedeutung. Eine effektive Werbung setzt Aufmerksamkeit und Aufgeschlossenheit der umworbenen Arbeitnehmer voraus. Hiervon kann vor allem im Betrieb ausgegangen werden. Dort werden die Fragen, Aufgaben und Probleme deutlich, auf die sich das Tätigwerden einer Gewerkschaft bezieht und an welche die Werbung um neue Mitglieder anknüpfen kann (BAG 30. August 1983 – 1 AZR 121/81 – aaO). Eine Gewerkschaft kann daher nicht generell darauf verwiesen werden, sie könne auch außerhalb des Betriebs werben.
(3) Die Mitgliederwerbung ist, wie das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 14. November 1995 (– 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352) klargestellt hat, nicht etwa nur in dem Maße grundrechtlich geschützt, in welchem sie für die Erhaltung und die Sicherung des Bestands der Gewerkschaft unerlässlich ist. Der Grundrechtschutz des Art. 9 Abs. 3 GG betrifft nicht nur einen Kernbereich der Betätigungsfreiheit. Er erstreckt sich vielmehr auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Die Frage, ob eine koalitionsspezifische Betätigung für die Wahrnehmung der Koalitionsfreiheit unerlässlich ist, erlangt erst bei Einschränkungen dieser Freiheit Bedeutung (BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – aaO, zu B I 3 der Gründe).
(4) Art. 9 Abs. 3 GG überlässt einer Koalition grundsätzlich die Wahl der Mittel, die sie bei ihrer koalitionsspezifischen Betätigung für geeignet und erforderlich hält (BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe mwN; vgl. auch 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 1a der Gründe; Höfling in Sachs GG 3. Aufl. Art. 9 Rn. 81). Dementsprechend kann eine Gewerkschaft selbst darüber befinden, an welchem Ort, durch welche Personen und in welcher Art und Weise sie um Mitglieder werben will. Damit unterfällt auch ihre Entscheidung, Mitgliederwerbung im Betrieb und durch von ihr ausgewählte betriebsexterne Beauftragte durchzuführen, dem Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG (Scholz in Maunz/Dürig Art. 9 Rn. 251, 252). Dieser ist grundsätzlich umfassend und nicht etwa auf notwendige Werbemaßnahmen beschränkt.
(5) Zur Durchführung von Werbemaßnahmen im Betrieb ist eine Gewerkschaft auf die Mitwirkung des Betriebsinhabers angewiesen. Sie kann im Betrieb durch betriebsfremde Beauftragte nur tätig werden, wenn der Arbeitgeber diesen den Zutritt gestattet und ihre Tätigkeit duldet. Damit kollidiert eine derartige Mitgliederwerbung mit ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechten des Arbeitgebers und Betriebsinhabers, ua. dessen durch Art. 13 und 14 GG geschütztem Haus- und Eigentumsrecht sowie seiner jedenfalls durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit, die insbesondere bei einer Störung des Arbeitsablaufs und des Betriebsfriedens berührt wird (vgl. Scholz in Maunz/Dürig Art. 9 Rn. 251; vgl. auch BVerfG 14. November 1995 – 1 BvR 601/92 – BVerfGE 93, 352, zu B II 2 der Gründe).
(6) Der danach vorliegende Konflikt zwischen den widerstreitenden Interessen gleich geordneter Grundrechtsträger bedarf der Ausgestaltung durch die Rechtsordnung (vgl. BVerfG 10. September 2004 – 1 BvR 1191/03 – AP GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 167 = EzA GG Art. 9 Arbeitskampf Nr. 136, zu B II 1 der Gründe). Diese obliegt in erster Linie dem Gesetzgeber. Bei fehlenden oder unzureichenden gesetzlichen Vorgaben müssen die Gerichte das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Das gilt gerade auch dort, wo eine gesetzliche Regelung wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht geboten ist. Nur so können die Gerichte die ihnen vom Grundgesetz auferlegte Pflicht erfüllen, jeden vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht zu entscheiden (BVerfG 26. Juni 1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212, zu C I 2a der Gründe). Hierzu müssen sie koordinierende Regelungen entwickeln, die gewährleisten, dass die aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihres Gegensatzes nebeneinander bestehen können (vgl. BVerfG 2. März 1993 – 1 BvR 1213/85 – BVerfGE 88, 103, zu C II 2 der Gründe). Die damit verbundene Aufgabe und Befugnis der Gerichte zu richterlicher Rechtsfortbildung haben Gesetzgeber (vgl. etwa § 132 Abs. 4 GVG; § 45 Abs. 4 ArbGG) und Bundesverfassungsgericht innerhalb der durch Art. 20 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen anerkannt (vgl. BVerfG 19. Oktober 1983 – 2 BvR 485/80 und 2 BvR 486/80 – BVerfGE 65, 182, zu B II 1 der Gründe).
(7) Bei der hiernach den Gerichten obliegenden koordinierenden Regelung der gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung in Betrieben ist von Bedeutung, dass ein Arbeitgeber einer für seinen Betrieb tarifzuständigen Gewerkschaft nicht wie ein völlig unbeteiligter Dritter gegenübersteht. Vielmehr befinden sich Arbeitgeber und Gewerkschaften in einer Vielzahl unmittelbarer und mittelbarer Rechtsbeziehungen, die es rechtfertigen, Arbeitgebern unter bestimmten Voraussetzungen den Zutritt von Vertretern der Gewerkschaften zu ihrem Besitztum eher zuzumuten als einem unbeteiligten Dritten, der in keinerlei Rechtsbeziehung zu einer Gewerkschaft steht. Arbeitgeber nehmen in dieser Eigenschaft am Wirtschafts- und Arbeitsleben teil. Damit treten sie in mannigfacher Hinsicht auch in rechtliche Beziehungen zu den für ihre Betriebe zuständigen Gewerkschaften. Zum einen machen das die im BetrVG ausdrücklich normierten betrieblichen Aufgaben und Befugnisse der Gewerkschaften deutlich. Zum anderen entstehen Rechtsbeziehungen zumindest mittelbar dadurch, dass der Arbeitgeber in seinem Betrieb Arbeitnehmer und damit tatsächliche oder potentielle Gewerkschaftsmitglieder beschäftigt. Das führt dazu, dass die Gewerkschaften die sich aus den Arbeitsverhältnissen ergebenden Rechte ihrer Mitglieder gegenüber dem Arbeitgeber wahrzunehmen befugt sind. Außerdem finden die rechtlichen Verbindungen zwischen einzelnen Arbeitgebern und Gewerkschaften im TVG Niederschlag. So besitzen nach § 2 Abs. 1 TVG nicht nur Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, sondern auch der einzelne Arbeitgeber Tariffähigkeit (vgl. BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – BAGE 104, 155, zu B I 1a aa der Gründe). Damit ist der einzelne Arbeitgeber zumindest potentieller Tarifvertragspartner der tarifzuständigen Gewerkschaft. Er kann mit dieser Tarifverträge abschließen sowie Adressat von Arbeitskämpfen sein (BAG 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02 – aaO, zu B I 1b der Gründe).
(8) Die von den Gerichten geforderte Herstellung praktischer Konkordanz zwischen dem Recht der Gewerkschaften auf betriebliche Mitgliederwerbung einerseits und gegenläufigen Rechten des Betriebsinhabers und Arbeitgebers andererseits lässt eine generelle Anerkennung oder Versagung des Zutrittsrechts betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter für sämtliche möglichen Fallgestaltungen nicht zu. Maßgeblich sind vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalls. Dabei sind vor allem Ausmaß und Intensität des beanspruchten Zugangsrechts von Bedeutung. In diesem Zusammenhang können die Häufigkeit, der zeitliche Umfang und der jeweilige Zeitpunkt der Besuche, wie auch die ggf. ins Verhältnis zur Belegschaftsgröße zu setzende Anzahl der betriebsexternen Gewerkschaftsbeauftragten eine Rolle spielen. Vor allem aber sind bei der Prüfung im Einzelfall die berechtigten betrieblichen Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Dazu gehört dessen Interesse an einem störungsfreien Betriebsablauf und der Wahrung des Betriebsfriedens. Ebenso können seine Geheimhaltungs- und Sicherheitsinteressen von Bedeutung sein. Diese können im Einzelfall den personellen und organisatorischen Aufwand, der für ihn mit dem Besuch betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter – etwa durch Ausstellung von Ausweisen oder Gestellung von Begleitpersonen – verbunden ist, nicht unerheblich beeinflussen. Gleiches gilt für den konkreten Ort, zu dem innerhalb des Betriebs der Zugang gestattet werden soll. Schließlich können bei der Abwägung auch die in § 2 Abs. 2 BetrVG kodifizierten Maßgaben des gesetzlichen Zugangsrechts herangezogen werden (ebenso Däubler Rn. 438 ff.). Es dürfte deshalb in der Regel geboten sein, dass der Arbeitgeber zuvor über den Zeitpunkt des Besuchs und über die Person des oder der Beauftragten unterrichtet wird.
2. Hiernach ist die negative Feststellungsklage unbegründet. Sie erfasst zahlreiche Fallgestaltungen, in denen entgegen der Auffassung der Klägerin ein Zutrittsrecht der Beklagten besteht.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein Globalantrag, der eine Vielzahl von Fallgestaltungen erfasst, in vollem Umfang als unbegründet abzuweisen, wenn es darunter Fallgestaltungen gibt, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (vgl. BAG 3. Mai 1994 – 1 ABR 24/93 – BAGE 76, 364, zu C I der Gründe; 21. September 1999 – 1 ABR 40/98 – AP BetrVG 1972 § 99 Versetzung Nr. 21 = EzA BetrVG 1972 § 95 Nr. 30, zu B I der Gründe; 20. Oktober 1999 – 7 ABR 37/98 –, zu B I 2a der Gründe; 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02 – BAGE 106, 188, zu B II 2a der Gründe). Etwas anderes gilt nur, wenn sich der Antrag auf voneinander zu trennende und gegeneinander klar abgrenzbare Sachverhalte bezieht und der begründete Teil schon dem Antrag selbst als Teilziel des Verfahrens zu entnehmen ist (BAG 6. Dezember 1994 – 1 ABR 30/94 – BAGE 78, 379, zu B II 2 der Gründe; 19. Juli 1995 – 7 ABR 60/94 – BAGE 80, 296, zu B II 3 der Gründe; 20. Oktober 1999 – 7 ABR 37/98 –, zu B I 2a der Gründe).
b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt, in den Betrieben der Klägerin künftig auch durch betriebsfremde Beauftragte Mitgliederwerbung zu betreiben. Hierzu kann sie den Zutritt zu den Betrieben verlangen. Allerdings können im Einzelfall überwiegende Interessen der Klägerin dem Zutrittsrecht der Beklagten entgegenstehen. Diese Fallgestaltungen lassen sich aber nicht im Vorhinein eindeutig erfassen und sind dem leugnenden Feststellungsantrag nicht als Teilziel des Verfahrens zu entnehmen. Da eine Aufspaltung des Feststellungsantrags in einen begründeten und einen unbegründeten Teil nicht möglich ist, war er insgesamt abzuweisen.
B. Begründet ist die Revision der Klägerin insoweit, als mit ihr die Abweisung der Widerklage begehrt wird. Bei der zweitinstanzlich erhobenen Widerklage handelt es sich, wenngleich die Beklagte und das Landesarbeitsgericht dies nicht ausdrücklich kenntlich gemacht haben, der Sache nach um eine nach § 524 Abs. 1 Satz 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anschlussberufung. Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet. Mit ihr wird – ebenso wie mit der Klage – ein Globalantrag verfolgt, der Fallgestaltungen umfasst, in denen das von der Beklagten geltend gemachte Zutrittsrecht nicht besteht.
I. Die Widerklage ist zulässig.
1. § 533 ZPO steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Die Klägerin hat sich auf die Widerklage rügelos eingelassen. Auch hat das Landesarbeitsgericht sie für sachdienlich erachtet und seine Entscheidung auf die Tatsachen gestützt, die der Entscheidung über die Klage zugrunde liegen.
2. Der mit der Widerklage verfolgte Antrag bedarf der Auslegung.
a) Die Widerklage ist weder auf die Verurteilung zur Vornahme einer vertretbaren oder unvertretbaren Handlung iSv. §§ 887, 888 ZPO noch auf die Abgabe einer Willenserklärung iSv. § 894 Abs. 1 ZPO, sondern auf die Verurteilung der Klägerin zur Duldung von Handlungen der Widerklägerin iSv. § 890 Abs. 1 ZPO gerichtet. Zwar soll die Klägerin nach dem Wortlaut des Widerklageantrags verurteilt werden, den Zutritt von Beauftragten der Beklagten “zu gestatten”. Dies legt den Schluss nahe, die Klägerin solle bestimmte Handlungen vornehmen oder Erklärungen abgeben. Ein solches Verständnis würde aber dem Begehr der Beklagten nicht gerecht. Dieser geht es, wie ihr gesamtes Vorbringen ergibt, in erster Linie darum, selbst in den Betrieben der Klägerin Handlungen vornehmen zu können und hieran durch diese nicht gehindert zu werden. Ihr Antrag ist dahin zu verstehen, dass die Klägerin verurteilt werden soll, zu ihren Betrieben den Zutritt betriebsfremder, von der Beklagten beauftragter Personen zu dulden, damit diese dort Mitgliederwerbung betreiben können. Eine Zwangsvollstreckung hätte gemäß § 890 ZPO durch Verhängung von Ordnungsgeld für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Duldungspflicht zu erfolgen. Dabei würde sich die Verpflichtung zur Duldung nicht notwendig im Unterlassen der Behinderung des Zutritts erschöpfen. Vielmehr können damit je nach den konkreten Umständen Handlungspflichten verbunden sein, wie etwa das Öffnen von Türen, die einem ungehinderten Zugang im Wege stehen, oder die Anweisung an das Pfortenpersonal, die Gewerkschaftsbeauftragten hereinzulassen.
b) In dieser Auslegung ist der Antrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
aa) Anträge, mit denen die Duldung von Handlungen verlangt wird, müssen die zu duldenden Handlungen so genau bezeichnen, dass der in Anspruch Genommene im Falle einer dem Antrag entsprechenden gerichtlichen Entscheidung eindeutig erkennen kann, was von ihm verlangt wird. Diese Prüfung darf grundsätzlich nicht in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Schuldner einer Verpflichtung nachgekommen ist, nicht, wie diese aussieht (vgl. BAG 17. Juni 1997 – 1 ABR 10/97 –, zu B 1 der Gründe; 3. Juni 2003 – 1 ABR 19/02 – BAGE 106, 188, zu B I 1 der Gründe; 29. April 2004 – 1 ABR 30/02 – BAGE 110, 252, zu B III 1b aa der Gründe). Gleichwohl sind bei Unterlassungs- und Duldungsanträgen bisweilen generalisierende Formulierungen unvermeidlich. Andernfalls würde die Möglichkeit, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, durch prozessuale Anforderungen unzumutbar erschwert, wenn nicht gar beseitigt (vgl. BAG 25. August 2004 – 1 AZB 41/03 – AP BetrVG 1972 § 23 Nr. 41 = EzA ArbGG 1979 § 78 Nr. 7, zu B II 2c bb der Gründe). Dementsprechend sind die Gerichte auch verpflichtet, Anträge nach Möglichkeit so auszulegen, dass eine Sachentscheidung ergehen kann.
bb) Hiernach genügt der Antrag den Erfordernissen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
(1) Prozessual unschädlich ist zunächst der Umstand, dass die Modalitäten des begehrten Zugangs nicht noch näher beschrieben sind. Immerhin ist der Antrag dahin konkretisiert, dass es sich um die Betriebe der Widerbeklagten in Bö…, R…, H…, Ha…, J…, Be…, M… (Dor…), D…, Do…, F…, K… und U… handelt. Ferner ist klargestellt, dass es räumlich um die jeweiligen Kantinen, bzw. bei Fehlen einer solchen um die Aufenthaltsräume sowie zeitlich um die Mittagsöffnungszeiten der Kantinen, bzw. die jeweiligen Mittagspausen geht. Zur Anzahl der Gewerkschaftsbeauftragten und zur Häufigkeit der Besuche verhält sich der Antrag allerdings nicht. Er ist aber dahin zu verstehen, dass beides von der Entscheidung der Widerklägerin abhängen soll. Damit erfasst der Antrag grundsätzlich eine unbeschränkte Anzahl von Gewerkschaftsbeauftragten sowie sämtliche Tage, an denen die Kantine geöffnet ist, bzw. Mittagspausen stattfinden.
(2) Auch der im Antrag angegebene Zweck des begehrten Zutritts – “damit Gewerkschaftsbeauftragte … Mitgliederwerbung betreiben können durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern” – hat nicht dessen Unbestimmtheit zur Folge. Zwar wird für die Widerbeklagte im Einzelfall nicht ohne weiteres zuverlässig erkennbar sein, zu welchem Zweck die Gewerkschaftsbeauftragten den Zugang begehren. Der Antrag ist aber dahin zu verstehen, dass die Erklärung der Gewerkschaftsbeauftragten, sie begehrten den Zutritt zum Zwecke der Mitgliederwerbung durch Überreichung von Broschüren, Formularen und Flugblättern ausreichen soll. Das erscheint hinreichend bestimmt. Ob eine solche Erklärung genügt, um ein Zugangsrecht zu begründen, ist keine Frage der Bestimmtheit, sondern der Begründetheit des Antrags.
c) Der Zulässigkeit der Widerklage steht nicht entgegen, dass sie zumindest teilweise denselben Anspruch betrifft wie die negative Feststellungsklage. Als Leistungsklage geht sie über die Feststellungsklage hinaus (vgl. Zöller/Greger § 256 Rn. 16 mwN).
II. Die Widerklage ist unbegründet. Der mit ihr verfolgte Globalantrag umfasst Fallgestaltungen, in denen der behauptete Anspruch nicht besteht.
1. Wie unter A II 1 der Gründe im Einzelnen ausgeführt, lässt sich das Zutrittsrecht betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter zum Zwecke der Mitgliederwerbung generell weder für alle möglichen Fallgestaltungen bejahen noch verneinen, sondern hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Das bringt für die Gewerkschaften im Prozess zwar Schwierigkeiten bei der Formulierung eines generalisierenden, auf die Zukunft gerichteten Leistungsantrags mit sich. Diese Schwierigkeiten rechtfertigen es jedoch nicht, an den Anspruch generell geringere materiellrechtliche Anforderungen zu stellen. Andernfalls würden die grundrechtlich geschützten Positionen des einzelnen Arbeitgebers nicht hinreichend beachtet. Zudem werden die Gewerkschaften dadurch bei der Verwirklichung ihrer Betätigungsfreiheit verfahrensrechtlich nicht rechtlos gestellt. Zum einen können sie den materiellen Anspruchsvoraussetzungen durch eng gefasste Klageanträge Rechung tragen. Zum anderen haben sie, sofern im konkreten Einzelfall die Durchsetzung des Zugangsrechts wegen zu besorgender zeitlicher Überholung im Erkenntnisverfahren nicht möglich sein sollte, die prozessuale Möglichkeit, die Vereitelung ihres Rechts im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verhindern. Dies ist dem allgemeinen Zivil- und dem Arbeitsrecht nicht fremd und der Beklagten für den B… Betrieb der Klägerin am 2. Dezember 2002 auch gelungen.
2. Vorliegend erfasst der auf die Zukunft gerichtete Widerklageantrag auch mögliche Fallgestaltungen, in denen dem Zutrittsrecht der Beklagten überwiegende Interessen der Klägerin entgegenstehen können. Zwar hat die Beklagte ihr Begehr räumlich auf die Kantinen, bzw. Aufenthaltsräume in den Betrieben der Klägerin und zeitlich auf die mittäglichen Kantinenöffnungszeiten bzw. Mittagspausen beschränkt. Gleichwohl kann nicht ausgeschlossen werden, dass in einem künftigen Einzelfall einem Zutrittsrecht der Beklagten Notwendigkeiten des Betriebsablaufs entgegenstehen oder der Betriebsfrieden gefährdet ist, so dass im Rahmen der Interessenabwägung das berechtigte Interesse der Klägerin daran, den Zugang zu verweigern, überwiegt. Dies könnte zB der Fall sein, wenn Werbemaßnahmen in einer Häufigkeit, in einem Umfang (Anzahl der betriebsfremden Gewerkschaftsbeauftragten) oder in einer Art und Weise erfolgen sollen, die im Betrieb zu Auseinandersetzungen mit oder zwischen Arbeitnehmern oder mit einer anderen, dort ebenfalls Werbung treibenden Gewerkschaft führen.
Der Widerklageantrag enthält keinen hinreichend abgrenzbaren Teil, hinsichtlich dessen der Widerklage teilweise entsprochen werden könnte.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Münzer, Platow
Fundstellen
SAE 2007, 106 |
PuR 2007, 19 |