Versteckspiel des Gesetzgebers


Versteckspiel digitales Zugangsrecht der Gewerkschaften

Im Entwurf eines neuen Bundestariftreuegesetzes findet sich eine betriebsverfassungsrechtliche Regelung zum digitalen Zugangsrecht der Gewerkschaften zu den Betrieben. Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller fragt sich, warum das ausgerechnet an dieser Stelle mit hinein gemogelt wurde und rechnet vor, warum sich der Gesetzgeber bei den Kosten für die Arbeitgeber gewaltig verschätzt.

Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung heißt es auf Seite 56: "Wir schaffen ein zeitgemäßes Recht für Gewerkschaften auf digitalen Zugang in die Betriebe, das ihren analogen Rechten entspricht." Das lässt viele Möglichkeiten der Gestaltung offen. Lange hat man von dem Thema nichts mehr gehört. Unvermittelt ist es nun plötzlich wieder aufgetaucht.

Nein, ich habe nicht vor, altersmilde zu werden!

Ich habe mittlerweile, je nach Rechenart (mit oder ohne Rechtsreferendariat), rund 40 Berufsjahre hinter mir. Im Wesentlichen mit Arbeitsrecht und labour relations, aber auch mit Benefits und Compensation, sowohl deutschlandweit als auch mit globalem Bezug. Regelmäßige Leserinnen und Leser der Kolumne wissen, dass ich nach wie vor – hoffentlich konstruktiv, so zumindest meine Absicht – kritisiere. Schon mal die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, aber im Wesentlichen – er macht es einem in den letzten zehn Jahren ja auch leicht – den Gesetzgeber. Zumeist sind es die schlecht gemachten und damit nicht umsetzbaren Gesetze, die meine Kritik hervorrufen. Der politische Wille, bestimmte Themen in einer bestimmten Art und Weise regeln zu wollen, ist das eine. Das sei jeder Regierung unbenommen. Aber die Umsetzbarkeit - und diese ist es, die mich als Betriebspraktiker auf den Plan ruft - ist das andere. Besonders trifft es mich als bekennender Schwabe, wenn die Einschätzung (mehr als eine Schätzung kann es meist nicht sein) hinsichtlich der "Belastung für die Wirtschaft" daneben geht. Und diese liegt oft ganz gründlich daneben. Besonders harsch werde ich, wenn sowohl die Umsetzbarkeit einer gesetzlichen Regelung als auch die Schätzung der damit verbundenen Kosten daneben geht.

Schon wieder: ein gut verstecktes Gesetz

Nun kennen wir das ja bereits zur Genüge. In einem beliebigen Artikelgesetz (man erinnere sich nur an das Seemannsrechtsänderungsgesetz) finden sich, dort damals im Jahr 2001, eine Änderung der Regelungen zum Betriebsübergang, § 613 a BGB. Das Bundesarbeitsgericht würde jedem Arbeitgeber bei einem solchen Versteckspiel "Intransparenz" vorwerfen (bzw. sie ihm "um die Ohren hauen"). Jetzt finden wir im Referentenentwurf zum "Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes" versteckt in Art. 6 eine "Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes". Hofft das BMAS wirklich, dass das unentdeckt bleibt?

Schon wieder: mangelnde Umsetzbarkeit

Ich will mich hier nicht über die Intention des Gesetzes beklagen. Der Zugang der Gewerkschaften zu den Betrieben ist gesetzlich im Betriebsverfassungsgesetz geregelt und die Rechtsprechung hierzu ist auch klar. Im Übrigen haben Arbeitgeber nach meinem Dafürhalten auch ein Interesse an einer hinreichend die Belegschaft erfassenden Gewerkschaft – aber das ist ein anderes Thema. Nach dem Entwurf soll der Arbeitgeber nun den "im Betrieb vertretenen Gewerkschaften" (Plural!) die E-Mail-Adressen der Beschäftigten herausgeben.

Pardon, diese beabsichtigte Regelung krankt bereits an der Umsetzbarkeit.

Erstens: Definitionsgemäß müssten außertariflich Beschäftigte ausgenommen sein. Denn – dies sollte selbst dem BMAS bekannt sein – diese werden von gewerkschaftlichem Handeln nicht erfasst. Der Gesetzesentwurf schweigt hierzu.

Zweitens: Welcher Gewerkschaft sind welche E-Mail-Adressen welcher Beschäftigter zu übermitteln? Welche Gewerkschaften (Plural) sind im Betrieb (wirklich) vertreten? Nun, sicher wird sich beispielsweise in einem größeren Chemiebetrieb die IGBCE finden. Aber vermutlich auch ver.di. Der VAA und vielleicht auch der CGB und – je nach Historie – die NGG (wenn eine Kantine integriert wurde). Womöglich gar die IG Metall (wenn ein Metall- oder Holzbetrieb integriert wurde)? Im Tarifvertragsgesetz hat sich der Gesetzgeber zumindest bemüht, Tarifpluralität zu eliminieren – hier fehlt sogar das Bemühen.

Drittens: Bisher besteht das Zutrittsrecht nur insoweit, als es zur Wahrnehmung der im Betriebsverfassungsgesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften dient. Dies wird noch ergänzt durch eine detaillierte Kasuistik des Bundesarbeitsgerichts zur Mitgliederwerbung der Gewerkschaft(en). Eines dürfte sich schnell erweisen: Ausschließlich zum Zwecke der Ausübung der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte werden Gewerkschaften keine E-Mails versenden. Das ist auch nicht nötig, denn Betriebsversammlungen und Teilnahmen an Betriebsratssitzungen werden nicht durch E-Mails gestaltet. Es ist also klar, dass es sich ausschließlich um Werbemaßnahmen handeln wird. Das mag in Ordnung sein, aber dann muss es auch so benannt werden. Wenn nicht, sind die Rechtsstreitigkeiten doch schon jetzt als Silberstreif am Horizont ersichtlich. Eine gesetzwidrige Nutzung der E-Mail-Adressen durch eine Gewerkschaft führt zu – ja, zu was eigentlich? Schadenersatz? Das bleibt völlig unklar.

Viertens: Datenschutz, Wille der Arbeitnehmer, SPAM-Filter. Was, wenn ein Arbeitnehmender keine Weitergaben seiner oder ihrer Daten an die Gewerkschaft möchte? Was, wenn der Arbeitgeber einen SPAM-Filter hat, weil eine Betriebsvereinbarung regelt, dass ausschließlich dienstliche E-Mails erlaubt sind? Fragen, Fragen, Fragen und leider keine Antworten. Vermutlich denkt sich das BMAS "das Bundesarbeitsgericht mag künftige Fälle lösen".

Es gäbe noch ein Fünftens, Sechstens … aber nicht hinreichend Platz in dieser Kolumne.

Schon wieder: heruntergespielte Kosten

Der Erfüllungsaufwand der Wirtschaft beträgt laut Gesetzentwurf 700.000 Euro. So steht es im Referentenentwurf. Sind Zweifel daran angebracht? Ja! Ich weiß gar nicht, wie ich das nennen soll. Blauäugig? Rechenschwäche (aber eine enorme)? Vertuschung? Mir fielen noch andere Begriffe ein.

Rechnen wir mal sehr zurückhaltend:

Das Heraussuchen der E-Mail-Adressen im Betrieb (nicht im Unternehmen) ist ja kein Thema eines einzigen "Knopfdruckes". Das Herunterladen, Überprüfen, Versenden, zuvor Verschlüsseln benötigt – sagen wir einmal – 60 Minuten. Bei rund 100.000 mittleren und größeren Unternehmen also schon einmal 100.000 Stunden. Und weil Beschäftigte fluktuieren, wird man diese E-Mail-Adressenübermittlung sicherlich zwei, eher drei Mal im Jahr vornehmen müssen, also wären wir schon bei 200.000 bis 300.000 Stunden. Bei durchschnittlich vielleicht 4.500 EUR Monatsentgelt des Sachbearbeiters (Personalkosten also um die 6.000 EUR) sind wir schnell mal bei etwa 35 Euro Stundenkosten. Alleine damit kommen wir bereits auf sieben bis zehn Millionen Euro jährlich.

Es geht noch weiter:

Wir haben etwa 45 Millionen Beschäftige in Deutschland. Seien wir mal ganz großzügig und gehen davon aus, dass nur fünf Millionen davon diese E-Mails erhalten und lesen. Eine E-Mail mag vielleicht fünf Minuten Lesedauer verursachen. Bei zwei Aussendungen im Jahr (ich denke, insbesondere in Tarifverhandlungszeiten werden das eher fünf bis zehn werden) sind das bereits 10 Minuten Arbeitszeit, die dafür aufgewendet werden. Bei fünf Millionen Beschäftigten sind das mehr als 830.000 Stunden. Das wären Kosten in Höhe von 15 Millionen Euro für nur eine E-Mail! Für realistischere vier E-Mails im Jahr (von einer oder gar mehreren Gewerkschaften) wären also 60 Millionen Euro zu veranschlagen. Das ist noch sehr zurückhaltend gerechnet und dennoch liegt das Ergebnis ein klein wenig über den im Gesetzentwurf veranschlagten 700.000 Euro.

Ach, ich vergaß: in den 700.000 EUR sind sogar noch die Kosten für die Umsetzung des Tariftreuegesetzes beinhaltet.

Diesmal: Danke, Herr Lindner

Besonders herauszuheben ist, dass es bei allen Umsetzungen europäischen Rechts immer so dargestellt wird, als gebe es einen Handlungszwang, daher sei die bürokratiebegrenzende "one in - one out"-Regelung nicht anzuwenden. Auf eine solche Erklärung wird hier gänzlich verzichtet. Klar, denn es gibt keinen europarechtlichen Handlungszwang. Und klar, das BMAS will mit der Neuregelung auch keine andere Regelung eliminieren. Deshalb: "Alternativen: keine".

Man mag das alles politisch wollen. Dann sollte man das bitte aber auch so artikulieren!

Insofern ein klares Danke an Herrn Lindner, der das Gesetz nicht durchwinken mag, wenn nicht auch Entlastungen für die Wirtschaft geregelt werden. Wenigstens das Bundesfinanzministerium kann noch rechnen.


Unser Kolumnist Alexander R. Zumkeller Präsident des Bundesverbands der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU), sowie Vorstand und Arbeitsdirektor bei ABB, blickt in seiner Kolumne aus der Unternehmenspraxis auf arbeitsrechtliche Themen und Trends.


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Schlagworte zum Thema:  Gewerkschaft, Arbeitsrecht