Entscheidungsstichwort (Thema)
Tariflohnerhöhung - Anrechnung einer Zulage
Orientierungssatz
Zur Frage der Verrechnung einer monatlichen Zulage mit Tariflohnerhöhungen.
Normenkette
TVG § 4; BGB §§ 133, 611
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 06.05.1988; Aktenzeichen 9 Sa 101/88) |
ArbG Siegburg (Entscheidung vom 02.12.1987; Aktenzeichen 2 Ca 1953/87) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Verrechnung einer monatlichen Zulage mit Tariflohnerhöhungen.
Die Klägerin ist seit dem 17. Oktober 1977 als Verkäuferin bei der Beklagten beschäftigt. Bei der Einstellung haben die Parteien im Arbeitsvertrag vom 11. Oktober 1977 ein monatliches Bruttogehalt von 1.400,-- DM zuzüglich einer Anwesenheitsprämie in Höhe von 10,-- DM arbeitstäglich vereinbart.
Mit Schreiben vom 14. August 1979 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Änderungskündigung zur Umwandlung der Anwesenheitsprämie in Lohnzulagen aus. Dementsprechend sollte sich das Gehalt der Klägerin wie folgt zusammensetzen:
"Tarif (Gruppe 6 I/4) DM 1.125,00 (173 Stunden)
außertarifliche Zulage
- jederzeit anrechenbar - DM 275,00 (173 Stunden)
freiwillige Zulage DM 210,00 (173 Stunden)
sonstige Zulage
(Mankogeld etc.) DM ...... (173 Stunden)
------------------------------------------------------
Gesamt Lohn/Gehalt DM 1.610,00 (173 Stunden)".
Zugleich ist der Klägerin mitgeteilt worden, bis zum 30. Juni 1980 werde die umgewandelte freiwillige Zulage nicht angerechnet. Vor dem 30. Juni 1980 werde aber mit dem Betriebsrat über eine Nichtanrechenbarkeit neu verhandelt. Die Klägerin hat das Arbeitsverhältnis zu diesen Bedingungen fortgesetzt, ohne die Kündigung anzugreifen.
Am 29. Februar 1980 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag, wonach die Klägerin ab 1. März 1980 nur noch als Teilzeitkraft mit einer monatlichen Arbeitsleistung von 117 Stunden tätig sein sollte. Die vorher in Höhe von insgesamt 485,-- DM gezahlten Zulagen sind entsprechend auf 338,-- DM herabgesetzt und als freiwillige, jederzeit widerrufliche und auf Tarif- und Lohnerhöhungen anrechenbare Zulagen bezeichnet worden.
Am 23. April 1981 hat die Beklagte mit ihrem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung zur Änderung der vertraglich vereinbarten Anwesenheitsprämie in freiwillige Zulagen mit folgendem Wortlaut abgeschlossen:
"
.....
1. Die ab 1.10.1979 in eine freiwillige Zulage um-
gewandelte Anwesenheitsprämie ... wird wie
folgt behandelt:
Jährlich können 25 % der freiwilligen Zulage auf
etwaige Tariferhöhungen angerechnet werden, so
daß mit der Tariferhöhung 1984 die freiwillige
Zulage in vollem Umfang auf Tariferhöhungen an-
rechenbar sein wird.
2. Eine höhere Anrechnung als 25 % pro Jahr wird
ausgeschlossen.
3. Die zentrale Geschäftsleitung hat derzeit nicht
die Absicht, im Rahmen der Tariferhöhung 1981
eine ganze oder teilweise Anrechnung auf überta-
rifliche Lohnbestandteile vorzunehmen."
Ab 1. März 1981 wurde die Arbeitszeit der Klägerin vereinbarungsgemäß auf wöchentlich 39,5 Stunden festgesetzt. In diesem Zusammenhang haben die Parteien folgende Gehaltsvereinbarung getroffen:
Tarifgruppe: G I/6
Vollzeit Teilzeit
Tarifgehalt DM 1.490,-- DM 1.474,24
Freiwillige, jeder-
zeit widerrufliche
und auf Tarif- u.
Gehaltserhöhung an-
rechenbare Zulage DM 66,-- DM 65,30
Nicht widerrufliche
Zulage DM 210,-- DM 207,78
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Bruttogehalt DM 1.766,-- DM 1.747,32.
Im Arbeitsvertrag vom 31. August 1981 entfiel nach einer Tariflohnerhöhung die freiwillige Zulage und es verblieb bei der nicht anrechenbaren Zulage.
Die Beklagte richtete am 13. Mai 1982 folgendes Schreiben an die Klägerin:
".....
wir teilen Ihnen mit, daß sich Ihr monatliches, zur
Zahlung fälliges Bruttogehalt mit Wirkung vom 01.04.
1982 wie folgt zusammensetzt:
(173 Std.) (171,17 Std.)
Tarifgehalt DM 1.675,-- DM 1.657,28
Freiwillige, jederzeit
widerrufliche und auf
Tarif- und Berufsjahres-
steigerungen anrechen-
bare Zulage DM ./. DM ./.
nicht anrechenbare Zu-
lage DM 157,50 DM 155,84
--------------------------
Bruttogehalt DM 1.832,50 DM 1.813,12
--------------------------
--------------------------
.....".
Am selben Tag haben die Parteien einen weiteren Arbeitsvertrag mit einer monatlichen Arbeitszeit von 110,5 Stunden ab 1. Juni 1982 abgeschlossen und neben dem Tarifgehalt von 1.219,97 DM für eine Teilzeitbeschäftigung eine "nicht anrechenbare Zulage" von 100,60 DM vereinbart. Dabei ist es im Arbeitsvertrag vom 26. Januar 1983 geblieben.
Die Beklagte hat der Klägerin in der Folgezeit Gehaltsmitteilungen zugesandt. Für das Bruttogehalt ab 1. April 1983 ist die "nicht anrechenbare Zulage" mit 67,07 DM (bei Vollzeittätigkeit entsprechend 105,-- DM) ausgewiesen. Für die Zeit ab 1. April 1984 beläuft sich die Zulage mit der bisherigen Bezeichnung auf 33,53 DM (entsprechend bei Vollzeitbeschäftigung 52,50 DM) gemäß der Gehaltsmitteilung vom 25. Juli 1984. Schließlich geht eine Gehaltsmitteilung vom 5. März 1986 dahin, daß ab 1. Januar 1986 eine nicht anrechenbare Zulage ganz entfällt.
Die Klägerin hat erst nach dem völligen Wegfall der Zulage für die Zeit ab 1. Januar 1986 den Betrag verlangt, den sie - entsprechend gekürzt aufgrund ihrer Arbeitszeit von nur 110,5 Stunden - ab 1. Juni 1982 in Höhe von 100,60 DM erhalten hatte und fordert für die von der tariflichen Verfallklausel nicht erfaßten Monate Januar bis einschließlich November 1986 insgesamt 1.106,60 DM.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläge-
rin 1.106,60 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus
dem Nettobetrag seit 31.12.1986 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hält sich nach der Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981 für berechtigt, die außertarifliche Zulage zu kürzen. Die Vereinbarung einer "nicht anrechenbaren Zulage" in den Arbeitsverträgen sei unter Berücksichtigung der Änderungskündigung und der Betriebsvereinbarung so zu verstehen, daß sie nach den vorher erfolgten Kürzungen derzeit nicht weiter anrechenbar sei. Eine Anrechnung in Zukunft habe man damit nicht ausschließen wollen. Im übrigen habe sich die Klägerin durch ihre widerspruchslose Weiterarbeit auf die Gehaltsmitteilungen mit der Kürzung der Zulagen einverstanden erklärt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung wurde zurückgewiesen. Mit der Revision will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen. Die Klage ist abzuweisen, denn der Klägerin steht seit dem 1. Januar 1986 keine Zulage von 100,60 DM mehr zu.
I. Das Landesarbeitsgericht legt Ziff. 3 des Arbeitsvertrages vom 26. Januar 1983 dahin aus, daß die Klägerin neben dem Tarifgehalt eine in der Höhe nicht anrechenbare Zulage von 100,60 DM monatlich erhalten solle. Es entnimmt dies einmal aus dem Vertragswortlaut, der ausdrücklich von einer "nicht anrechenbaren Zulage" spräche. Daneben finde sich im Arbeitsvertrag eine nicht ausgefüllte Spalte für die Eintragung einer freiwilligen, jederzeit widerruflichen und auf Tariflohnerhöhung anrechenbaren Zulage. Aus dieser Gegenüberstellung im Arbeitsvertrag entnimmt das Berufungsgericht, daß die nicht anrechenbare Zulage auch in Zukunft bei Tariflohnerhöhungen in vereinbarter Höhe fortbestehen solle.
II. Die Revision wendet sich zu Recht gegen diese nur am Wortlaut haftende Auslegung des Arbeitsvertrages und verweist demgegenüber auf die Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981, die eine Anrechnung der im Arbeitsvertrag vereinbarten Zulage in Höhe von 25 % regelt.
1. Zwar ist das Revisionsgericht in der Nachprüfung einer nichttypischen Willenserklärung - darum handelt es sich bei dem Arbeitsvertrag vom 26. Januar 1983 - nicht frei. Nachprüfbar ist aber in jedem Fall, ob der Tatsachenrichter bei der Auslegung einer privaten nichttypischen Willenserklärung die Vorschriften des materiellen Rechts beachtet hat. Nach § 133 BGB muß das Gericht bei der Auslegung einer Willenserklärung den wirklichen Willen erforschen. Das bedeutet, daß nicht nur auf den Wortlaut abzustellen ist, sondern alle Begleitumstände zu würdigen sind, die für die Frage, welchen Willen der Beteiligte bei seiner Erklärung gehabt hat, von Bedeutung sind. Fehlt es an einer solchen Würdigung, so kann die vom Tatsachenrichter vorgenommene Auslegung keinen Bestand haben (BAGE 22, 424, 426 = AP Nr. 33 zu § 133 BGB, zu 1 a der Gründe).
2. Das Berufungsgericht hat die für die Vertragsauslegung wichtigen Begleitumstände nicht hinreichend berücksichtigt.
Zwar spricht der Arbeitsvertrag von einer "nicht anrechenbaren Zulage". Dieser Wortlaut bezieht sich jedoch nicht auf die gegenwärtige Höhe der Zulage, sondern bezeichnet sie nur dem Gegenstand nach als die Zulage, die nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981 teilweise - nämlich in Höhe von 25 % jährlich - anrechenbar ist. Das ergibt sich aus der unstreitigen Vertragsentwicklung.
a) Die hier umstrittene Zulage ist der Klägerin in dem ab 1. Oktober 1979 geltenden Arbeitsvertrag als "freiwillige Zulage" von damals 210,-- DM, anstelle der vorher gezahlten Anwesenheitsprämie vertraglich zugesagt worden. Zugleich hat die Beklagte der Klägerin aber mitgeteilt, daß über die Kürzung der Zulage i.V. mit Tariflohnerhöhungen mit dem Betriebsrat vor dem 30. Juni 1980 eine Vereinbarung getroffen werde. Da alle Arbeitnehmer entsprechende Mitteilungen erhalten haben, hat die Beklagte damit eine Gesamtzusage erteilt unter dem Vorbehalt weiterer Regelungen mit dem Betriebsrat.
Die Beklagte hat sodann mit ihrem Betriebsrat am 23. April 1981 vereinbart, die freiwillige Zulage von 210,-- DM in Höhe von nicht mehr als 25 % jährlich auf Tariflohnerhöhungen anzurechnen. Mit dieser Regelung war die vertragliche Grundlage für das Schicksal der Zulage gegeben. Die freiwillige Zulage von 210,-- DM durfte in Höhe von 52,50 DM jährlich bei Tariflohnerhöhungen angerechnet werden.
b) Die Klägerin konnte und mußte die vorbezeichnete Regelung in diesem Sinne verstehen. Wenn die Beklagte sie demgegenüber im Arbeitsvertrag und in den Gehaltsmitteilungen als "nicht anrechenbare Zulage" bezeichnet hat, so ist das zwar mißverständlich ausgedrückt, weil die Zulage in den Grenzen der Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981 nur schrittweise abgebaut werden durfte und in restlicher Höhe nicht anrechenbar war. Es war insbesondere auch wegen der Höhe des Betrages für die Klägerin offensichtlich, daß damit die Zulage gemeint war, die aufgrund der Änderungskündigung ab 1. Oktober 1979 als freiwillige Zulage gezahlt wurde und auf die sich die Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981 bezog. Die Beklagte hat entsprechend dieser Betriebsvereinbarung die Zulage in den Jahren ab 1982 bei Tariflohnerhöhungen jeweils um 25 % gekürzt. Dies wurde der Klägerin mit den Gehaltsmitteilungen auch jeweils bekanntgegeben. Der Klägerin war daraus der Vollzug der Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981 hinsichtlich dieser Zulage erkennbar. Die Klägerin hat dagegen auch nichts unternommen. Zwar hat sie damit allein dieser Regelung nicht zugestimmt, jedoch war dafür ihr Einverständnis nicht nötig, weil die Rechtsgrundlage schon durch die Vertragsentwicklung im Zusammenhang mit der Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981 gegeben war. Andererseits hat sie aber durch ihr Verhalten erkennen lassen, daß sie die Anrechnungsfähigkeit der Zulage genauso verstanden hat wie die Beklagte. Die Klägerin hat dreimal hintereinander den schrittweisen Abbau der Zulage nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung vom 23. April 1981 bis zum völligen Wegfall ab 1. Januar 1986 hingenommen und damit deutlich gemacht, daß sie die Anrechnungsfähigkeit der Zulage genauso sieht wie die Beklagte.
Vors. Richter Prof. Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
ist im Urlaub und daher an der
Unterschrift gehindert.
Dr. Gehring
Polcyn Dr. Koffka
Fundstellen