Leitsatz
1. Die von einem anderen Mitgliedstaat für das Vorsteuervergütungsverfahren erteilte Unternehmerbescheinigung begründet die Vermutung, dass das betreffende Unternehmen in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die Bescheinigung ausgestellt hat, steuerpflichtig und ansässig ist. Die inländische Steuerverwaltung ist grundsätzlich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an die Angaben dieser Bescheinigung gebunden (EuGH, Urteil vom 28.06.2007, Rs. C-73/06"Planzer Luxembourg Sarl", Slg. 2007, I-5655).
2. Die Bindungswirkung der Unternehmerbescheinigung entfällt, wenn die inländische Steuerverwaltung bei Zweifeln an deren Richtigkeit aufgrund von Aufklärungsmaßnahmen (z.B. eigene Auskünfte des Steuerpflichtigen, Amtshilfe) Informationen erhält, aus denen hervorgeht, dass die in der Bescheinigung angegebene Anschrift weder dem Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen entspricht noch die einer festen Niederlassung ist, von der aus der Steuerpflichtige seine Umsätze tätigt.
Normenkette
§ 18 Abs. 9 UStG 1993, § 61 Abs. 3 UStDV 1993, Art. 1 der 8. EG-RL (79/1072/EWG)
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts mit einem Stammkapital von 1 000 englischen Pfund. Ihre Direktoren waren ein deutsches Ehepaar. Sie hatte ihren Sitz in W in Großbritannien gemeldet. Ihre Adresse und Telefonnummer stimmten mit denen eines anderen Unternehmens überein, dessen Direktor C war, der bei der Klägerin zum Prokuristen bestellt war. Weitere Arbeitnehmer beschäftigte die Klägerin nicht.
Die Klägerin beantragte eine Vorsteuervergütung nach § 18 Abs. 9 UStG 1993 für das Jahr 1998 und fügte eine von der zuständigen britischen Behörde erstellte Unternehmerbescheinigung bei.
Das Bundesamt für Finanzen lehnte die Vorsteuervergütung ab, nachdem es mehrere Aufklärungsverfügungen erlassen hatte. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei der Klägerin um ein in Großbritannien "aktiv tätiges Unternehmen" handle.
Das FG wies die Klage ab. Es verneinte jegliche Bindungswirkung der Unternehmerbescheinigung und sah keine hinreichenden Anhaltspunkte für wirtschaftliche Tätigkeiten der Klägerin im Sitzstaat (FG Köln, Urteil vom 26.02.2004, 2 K 2769/00, Haufe-Index 1644123, EFG 2007, 387).
Entscheidung
Die Revision der Klägerin hatte im Ergebnis keinen Erfolg.
Der BFH führte aus, die nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich anzunehmende Bindungswirkung der Unternehmerbescheinigung des Sitzstaats sei im Streitfall entkräftet. Das Bundesamt für Finanzen habe im Verwaltungsverfahren mehrere Verfügungen zur Aufklärung des Sachverhalts erlassen. Aus den festgestellten Tatsachen ergebe sich, dass die Klägerin weder einen Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung in Großbritannien gehabt habe. Dabei sei der Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit in Art. 1 der 8. EG-RL ebenso zu verstehen wie die Definition zu Art. 1 Nr. 1 der 13. EG-RL.
Hinweis
1. § 18 Abs. 9 UStG bestimmt, dass die Vergütung der Vorsteuerbeträge (§ 15 UStG)"an im Ausland ansässige Unternehmer" durch Rechtsverordnung in einem besonderen Verfahren geregelt werden kann. Auf dieser Grundlage bestimmt § 61 Abs. 3 UStDV, dass der Unternehmer der zuständigen Finanzbehörde durch behördliche Bescheinigung des Staats, in dem er ansässig ist, nachweisen muss, dass er als Unternehmer unter einer Steuernummer eingetragen ist.
2. Gemeinschaftsrechtlich ist das Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige in der 8. EG-RL (79/1072/EWG) geregelt. Nach deren Art. 1 gilt als nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger derjenige Steuerpflichtige, der in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind.
Nach Art. 3 der 8. EG-RL muss der Steuerpflichtige durch eine Bescheinigung der zuständigen Behörde des Staats, in dem er ansässig ist, den Nachweis erbringen, dass er Mehrwertsteuerpflichtiger dieses Staats ist.
3. Zu dieser Bescheinigung hat der EuGH mit Urteil vom 28.06.2007, Rs. C-73/06, "Planzer Luxembourg Sarl" (BFH/PR 2007, 354) entschieden, dass sie grundsätzlich die Vermutung begründe, dass der Betreffende nicht nur in dem Mitgliedstaat, dessen Steuerverwaltung ihm die genannte Bescheinigung ausgestellt habe, mehrwertsteuerpflichtig sei, sondern dass er dort auch ansässig sei.
Er hat aber klargestellt, dass es der Steuerverwaltung des Staats, in dem die Erstattung der Vorsteuer beantragt werde, nicht verwehrt sei, sich bei Zweifeln an der wirtschaftlichen Realität des Sitzes, dessen Anschrift in der Bescheinigung angegeben ist, zu vergewissern, dass er wirtschaftlich tatsächlich existiere. Die Steuerverwaltung des Erstattungsstaats dürfe die Erstattung jedoch nicht ohne weitere vorherige Nachprüfung verweigern. Ihr stehe die Möglichkeit offen, den Steuerpflichtigen zu zwingen, ihr die Auskünfte zu erteilen, die erforderlich seien, um beurteilen zu können, ob der Erstattungsantrag be...