Vorsteuerabzug auch ohne ordnungsgemäße Rechnung
Im Streitfall war dies der Fall, weil die mit Umsatzsteuer belastete Eingangsleistung für die Erbringung einer steuerpflichtigen Ausgangsleistung verwendet worden ist. Wird eine zunächst ohne die Anforderungen der §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung später berichtigt, ist das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum auszuüben, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde.
Rechnung fehlerhaft ausgestellt
Zum Sachverhalt: Die klagende in Asien tätige Rohstoffhändlerin tätigte erstmals und einmalig im Jahr 2018 ein in Deutschland steuerbares Geschäft mit der Lieferantin B Ltd. und mit der Abnehmerin D über den Verkauf von Gas. Das Gas wurde per Tanker von Großbritannien nach Deutschland und Frankreich geliefert. Die Klägerin stellte der Abnehmerin D Umsatzsteuer von 896.933 EUR in Rechnung. Dagegen wies die Rechnung der B Ltd. an die Klägerin vom 12.12.2018 nur den Nettobetrag aus. Ein Umsatzsteuerausweis sei nicht erfolgt, da beide Vertragsparteien irrtümlich zunächst von einem nach § 4 Nr. 4a UStG umsatzsteuerfreien Umsatzsteuerlager ausgegangen seien. Am 23.1.2019 erstellte die B Ltd. eine korrigierte Rechnung an die Klägerin mit erstmaligem Ausweis von Umsatzsteuer von 912.082 EUR.
Vorsteuerabzug strittig
Die streitige Vorsteuer von 912.082 EUR machte die Klägerin erstmals in der Umsatzsteuer-Voranmeldung für Januar 2019 geltend und beantragte die Verrechnung mit der Umsatzsteuer für 2018 von 890.163 EUR. Das Finanzamt lehnte die beantragte Verrechnung ab. Da die im Ausland ansässige Klägerin für 2019 keine inländischen Umsätze erzielt habe, könne der Vorsteuerabzug für 2019 nicht im allgemeinen Besteuerungsverfahren geltend gemacht werden. Auch eine Erstattung im Vorsteuervergütungsverfahren gem. § 18 Abs. 9 UStG komme nicht in Betracht, da keine Gegenseitigkeit gegeben sei (vgl. Abschn. 18.11 UStAE).
Nach Auffassung des FG steht der Klägerin der oben genannte Vorsteuerabzug bereits für das Jahr 2018 zu. Die Klägerin ist für das Streitjahr 2018 im Regelbesteuerungsverfahren gem. § 18 Abs. 3 UStG zu veranlagen. Für den Veranlagungszeitraum 2019, in dem erstmals eine ordnungsgemäße Eingangsrechnung mit Umsatzsteuerausweis vorlag, wäre das besondere Vergütungsverfahren gem. § 18 Abs. 9 UStG anstatt der Regelbesteuerung anzuwenden gewesen. Jedoch wäre die Vorsteuervergütung ausgeschlossen, da die Klägerin in einem Staat ansässig ist, in dem die Gegenseitigkeit der Vorsteuervergütung nicht gegeben ist.
Vorsteuerabzug ausnahmsweise ohne ordnungsgemäße Rechnung
Das Vorsteuervergütungsverfahren gem. § 18 Abs. 9 UStG findet für 2018 keine Anwendung, da die Klägerin mit der Gaslieferung an D im September 2018 eine im Inland steuerbare Lieferung ausgeführt hat. Im Gegensatz zum besonderen Vergütungsverfahren ist das oben genannte Gegenseitigkeitserfordernis in dem im Streitfall anzuwendenden Regelbesteuerungsverfahren gem. § 18 Abs. 3 UStG nicht anwendbar. Ein Unternehmer kann den Vorsteuerabzug grundsätzlich erst geltend machen, wenn er in Besitz einer ordnungsgemäßen Rechnung ist (vgl. zuletzt BFH, Urteil v. 12.3.2020, V R 48/17). Die ursprüngliche Rechnung der B Ltd. vom 12.12.2018 ohne gesondertem Umsatzsteuerausweis berechtigte danach die Klägerin nicht zum Vorsteuerabzug.
Grundprinzip der Neutralität der Mehrwertsteuer
Im Streitfall ist der Vorsteuerabzug aus der Lieferung der B Ltd. ausnahmsweise auch ohne ordnungsgemäße Rechnung möglich. Ausnahmsweise kann aufgrund des Grundprinzips der Neutralität der Mehrwertsteuer der Vorsteuerabzug auch ohne Erfüllung der formellen Anforderungen gewährt werden, wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind. Diese waren im Streitfall gegeben, da die umsatzsteuerbelastete Eingangsleistung für die Erbringung einer steuerbaren und steuerpflichtigen Ausgangsleistung verwendet worden ist. Insoweit ließ sich der Umfang der Vorsteuerabzugsberechtigung der Klägerin bereits aufgrund der im Jahr 2018 vorliegenden Unterlagen ermitteln.
Zusätzlich berücksichtigte das FG im Streitfall, dass anderenfalls der Vorsteuerabzug wegen Nichterfüllung der formellen Voraussetzungen endgültig versagt bliebe. Hilfsweise weist das FG darauf hin, dass im Streitfall die zunächst fehlerhafte Rechnung zudem durch die berichtigten Rechnungen vom 23.1.2019 mit Rückwirkung geheilt worden ist. Somit war die Klägerin auch deshalb im Streitjahr 2018 zum Vorsteuerabzug berechtigt. Wird eine zunächst nicht den Anforderungen der §§ 14, 14a UStG entsprechende ausgestellte Rechnung später nach § 31 Abs. 5 UStDV berichtigt, ist das Recht auf Vorsteuerabzug aufgrund der berichtigten Rechnung für den Besteuerungszeitraum auszuüben, in dem die Rechnung ursprünglich ausgestellt wurde, EuGH, Urteil v. 15.9.2016, C-518/14 (Senatex GmbH). Allerdings wäre nach den Kriterien des Urteils, BFH, Urteil v. 12.3.2020, V R 48/17, im Streitfall eine Rückwirkung der Rechnung nicht möglich, weil diese in hohem Maße fehlerhaft war (unter anderem kein Umsatzsteuerausweis, mangelhafte Leistungsbeschreibung).
Berichtigte Rechnung und Rückwirkung
Nach Überzeugung des FG kommt aber der am 23.1.2019 berichtigten Rechnung aufgrund der besonderen Konstellation des Streitfalls und abweichend von der Rechtsprechung des BFH eine Rückwirkung für den Besteuerungszeitraum 2018 zu. Schließlich sei es nicht sachgerecht, im Streitfall die Rückwirkung zu verneinen, da dies zu einem endgültigen Versagen des Vorsteuerabzugs führen würde. Auch das Niedersächsische FG, Urteil v. 17.9.2020, 11 K 324/19, hält eine rückwirkende Berichtigung trotz des fehlenden Ausweises von Umsatzsteuer für möglich, wenn Leistender und Leistungsempfänger irrtümlich von der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens ausgegangen sind. Vorliegend gingen die Vertragspartner zunächst von der Anwendung der Umsatzsteuerlager-Regelung des § 4 Abs. 4a UStG aus. Dabei ist zu berücksichtigen, dass B Ltd. die Rechnungen bereits im Januar 2019 berichtigt hat. Damit wurde die Korrektur zwar erst nach Ablauf des Besteuerungszeitraums vorgenommen, jedoch zu einem so frühen Zeitpunkt, dass bei Ablauf der Abgabefrist der Umsatzsteuererklärung für 2018 feststand, dass und in welchem Umfang die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt ist. Es wäre daher nicht gerechtfertigt, den Vorsteuerabzug endgültig allein an dem formellen Kriterium scheitern zu lassen, dass die Rechnung erst im Januar 2019 vorgelegen hat.
Revision beim BFH zugelassen
Das FG hat die Revision beim BFH gegen das Urteil zugelassen.
Insoweit ist die FG-Rechtsprechung derzeit sehr unterschiedlich. So hatte zuletzt das FG Münster, Gerichtsbescheid v. 23.3.2022, 5 K 2093/20 U, den Vorsteuerabzug nicht zugelassen, weil eine ordnungsgemäße Rechnung nicht vorlag. Allerdings handelte es sich bei dem Streitfall um Schwarzeinkäufe.
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