Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Bei Geschäften mit Edelmetall oder anderen Metallen wird häufig mit Gewichtskonten für die beteiligten Personen gearbeitet. Dabei werden von einem Vertragspartner überlassene Metalle auf einem Gewichtskonto erfasst, teilweise entsteht durch die Vermengung Miteigentum der beteiligten Personen.
Früher ging die Finanzverwaltung unterschiedslos bei der Verfügung über Miteigentumsanteile (Bruchteilseigentum) davon aus, dass es sich umsatzsteuerrechtlich um sonstige Leistungen handelt. Nachdem der BFH aber festgestellt hatte, dass die Veräußerung des Miteigentumsanteils an einer Sache (im zu entscheidenden Fall ein Buch) auch Gegenstand einer Lieferung sein kann, hatte die Finanzverwaltung entsprechend darauf reagiert und in Abschn. 3.5 Abs. 2 Nr. 6 UStAE auch die Übertragung eines Miteigentumsanteils (Bruchteilseigentum) als Lieferung qualifiziert.
Die Finanzverwaltung konkretisiert jetzt diese Vorgaben für Transaktionen auf Gewichtskonten. Dabei sind abhängig von den jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen verschiedene Möglichkeiten mit unterschiedlichen umsatzsteuerrechtlichen Konsequenzen denkbar.
- Gewichtskontenbewegungen ohne Grundgeschäft: Werden lediglich Buchungen oder Umbuchungen auf Gewichtskonten vorgenommen, denen keine Grundgeschäfte zugrunde liegen, sind diese Vorgänge nicht steuerbar (z. B. werden von einem Gewichtskonto bei der Verwahrstelle A Guthaben auf ein Gewichtskonto bei der Verwahrstelle B umgebucht).
- Lieferungen bei Ausführung eines Grundgeschäfts: Grundsätzlich würde nach der Rechtsprechung des BFH bei einer Übertragung von Gewichtsguthaben eine Lieferung vorliegen. Abweichend von dem allgemeinen Grundsatz unterstellt die Finanzverwaltung eine Lieferung aber nur dann, wenn eine Konkretisierung des Metalls vorgenommen wurde oder zumindest bei Abschluss des Grundgeschäfts beabsichtigt ist.
Eine solche Konkretisierung setzt voraus, dass der Ort der physischen Übergabe, die Form und Stückelung des Metalls sowie die Reinheit feststehen. Liegen diese Voraussetzungen nicht alle vor, fehlt es an der Verschaffung der Verfügungsmacht an einem bestimmten physischen Bestand.
Indizien dafür sind, wenn der Belegenheitsort des physischen Metalls dem Gewichtskonteninhaber im Zeitpunkt des Erwerbs bekannt ist, zwischen den Beteiligten weitgehend feststeht, in welcher Form, Stückelung und Reinheit die Metalle abgerufen werden, ausreichend physische Vorräte am Erfüllungsort vorhanden sind und ein Herausgabeanspruch unter Berücksichtigung gegebener logistischer Anforderungen vereinbart wurde.
- Sonstige Leistungen bei Ausführung eines Grundgeschäfts: Werden Transaktionen auf einem Gewichtskonto vorgenommen, bei denen sich keine Konkretisierung über die physische Übergabe des Metalls ergeben hat, liegt eine sonstige Leistung vor.
- Differenzgeschäfte bzw. Absicherungsgeschäfte: Ein solches Differenz- bzw. Absicherungsgeschäft liegt nach den Feststellungen der Finanzverwaltung dann vor, wenn bereits im Zeitpunkt des Verkaufs des Edelmetalls ein Vertrag über den Rückkauf abgeschlossen wurde (z. B., um Preis- oder Liquidationsrisiken zu verringern). In diesen Fällen ist die physische Übertragung von Metallen nicht gewollt, eine sonstige Leistung liegt auch nicht vor, sodass der Vorgang nicht steuerbar ist.
Konsequenzen für die Praxis
Ob es sich bei Transaktionen auf Gewichtskonten um eine Lieferung oder eine sonstige Leistung handelt, ist in der Praxis insbesondere für die zutreffende Feststellung des Orts der Leistung von Bedeutung. Da solche Rechtsgeschäfte auch von und mit im Ausland ansässigen Unternehmern ausgeführt werden, ist die Abgrenzung von Lieferung und sonstiger Leistung bei den Umsätzen auf Gewichtskonten wichtig. Mit den von der Finanzverwaltung vorgestellten "Indizien" für die Annahme einer Lieferung haben die Vertragsparteien hinreichende Möglichkeiten, aufgrund von vertraglichen Vereinbarungen den Sachverhalt als Lieferung oder bei Nichteinhaltung dieser "Indizien" als sonstige Leistung auszugestalten. Ggf. sind die vertraglichen Vereinbarungen zu konkretisieren, um zu einer eindeutigen Einordnung zu kommen.
Damit im Rahmen der von der Finanzverwaltung vorgegebenen Indizien eine Lieferung angenommen werden kann, müssen alle genannten Voraussetzungen erfüllt sein.
Die Regelungen sind in allen offenen Fällen anzuwenden.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 17.1.2022, III C 2 – S 7100/19/10002 :002, BStBl 2022 I S. 161.