Leitsatz
Es verstößt gegen Art. 19 Abs. 1 der 6. EG-RL, wenn im Nenner des Bruchs zur Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs der Wert der noch nicht abgeschlossenen Arbeiten berücksichtigt wird, die von einem Steuerpflichtigen bei der Ausübung einer Tätigkeit im Bauhandwerk ausgeführt werden, sofern dieser Wert nicht Übertragungen von Gegenständen oder Dienstleistungen entspricht, die der Steuerpflichtige bereits erbracht hat oder für die Bauabrechnungen erteilt oder Anzahlungen vereinnahmt wurden.
Normenkette
Art. 10 6. EG-RL , Art. 17 6. EG-RL , Art. 19 6. EG-RL (vgl. ? 13 Abs. 1 Buchst. a, ? 15 UStG)
Sachverhalt
Die António Jorge Lda, ein Bauunternehmen mit Sitz in Portugal, führte teils steuerfreie, teils steuerpflichtige Leistungen aus. Hinsichtlich des Vorsteuerabzugs war streitig, ob bei der Aufteilung der für beide Teile verwendeten Eingangsleistungen – bei der Berechnung des Bruchs zur Ermittlung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs nach Art. 17 dieser Richtlinie – in den Nenner der Wert der am Ende jedes Jahrs noch nicht abgeschlossenen und noch nicht veräußerten Arbeiten, deren Gegenwert der Steuerpflichtige ganz oder teilweise noch nicht erhalten hat, aufzunehmen ist oder nicht.
Entscheidung
Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung des ? 15 Abs. 4 UStG zu berücksichtigen.
Hinweis
Werden Leistungen sowohl für Umsätze verwendet, für die der Vorsteuerabzug besteht, als auch für solche, für die das Recht auf Vorsteuerabzug nicht besteht, ist der Vorsteuerabzug nur in Bezug auf die zuerst genannten zulässig und deshalb die Vorsteuer entsprechend aufzuteilen (Art. 17 Abs. 5 der 6. EG-RL; ? 15 Abs. 4 UStG). Art. 17 Unterabs. 3 der 6. EG-RL sieht verschiedene Modalitäten der Vorsteueraufteilung vor, die die Mitgliedstaaten einführen können. Die Richtlinie geht von einem umsatzbezogenen Aufteilungsschlüssel aus und regelt den Aufteilungsschlüssel (Pro-rata-Satz) in Art. 19 der 6. EG-RL. Die Bestimmung mit der Überschrift "Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs" lautet wie folgt:
„(1) Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 1 ergibt sich aus einem Bruch; dieser enthält:
- im Zähler den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der zum Vorsteuerabzug nach Art. 17 Abs. 2 und 3 berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer;
- im Nenner den je Jahr ermittelten Gesamtbetrag der im Zähler stehenden sowie der nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze, abzüglich der Mehrwertsteuer. Die Mitgliedstaaten können in den Nenner auch die Subventionen einbeziehen, die nicht in Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a genannt sind.
Der Pro-rata-Satz wird auf Jahresbasis in Prozent festgesetzt und auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet.
(2) In Abweichung von Absatz 1 bleibt der Umsatzbetrag bei der Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs außer Ansatz, der auf die Lieferung von Investitionsgütern entfällt, die vom Steuerpflichtigen in seinem Unternehmen verwendet werden. Außer Ansatz bleiben auch die Hilfsumsätze im Bereich der Grundstücks- und Finanzgeschäfte sowie die in Art. 13 Teil B Buchst. d genannten Umsätze, wenn es sich um Hilfsumsätze handelt. ...”
Fraglich war, ob – im Besprechungsfall zulasten des Unternehmers – im Nenner auch der Wert von Arbeiten einbezogen werden darf, die noch nicht fertig gestellt und noch nicht abgerechnet worden und für die auch keine Anzahlungen geleistet worden sind.
Nach dem System der 6. EG-RL und des UStG knüpft der Steuertatbestand – der Steueranspruch und die Möglichkeit des Vorsteuerabzugs – an die tatsächliche Ausführung der Lieferung oder der Dienstleistung an. Lediglich bei Anzahlungen entsteht der Steueranspruch bereits zum Zeitpunkt der Vereinnahmung. Dieses System lässt keine Abweichung zu; insbesondere ergibt Art. 19 Abs. 1, der die Berechnung des Pro-rata-Satzes regelt, nichts für die Annahme her, es dürften im Nenner des Bruchs für die Berechnung des Pro-rata-Satzes andere noch nicht abgeschlossene Umsätze zu berücksichtigen sein, als solche, für die Anzahlungen geleistet oder Bauabrechnungen erstellt wurden (Rdnr. 25).
Es dürfen deshalb bei der Bestimmung des Bereichs des Vorsteuerabzugs noch nicht erbrachte Umsätze nicht berücksichtigt werden. Dem steht entgegen, dass der Steuertatbestand und folglich auch das Recht auf Vorsteuerabzug von der tatsächlichen Ausführung eines Umsatzes abhängen. Soweit für noch nicht abgeschlossene Arbeiten vom Steuerpflichtigen noch keine Rechnung ausgestellt wurde oder noch keine Bauabrechnungen erteilt wurden und keine Anzahlungen erfolgt sind, fehlt es an Übertragungen von Gegenständen oder Dienstleistungen oder einem anderen Vorgang dar, der den den Steueranspruch auslösenden Tatbestand bildet. Sie dürfen somit nicht für die Berechnung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs in den Nenner des Bruchs in Art. 19 Abs. 1 der 6. EG-RL aufgenommen werden.
Link zur Entscheidung
EuGH, Urteil vom 26.5.2005, Rs. C-536/03 – António Jorge Lda