Dr. Markus Leinen, Prof. Dr. Harald Kessler
1.1 Grundlegendes
Rz. 1
§ 255 Abs. 1 Satz 1 HGB definiert Anschaffungskosten (AK) als die Aufwendungen, die geleistet werden, um einen VG zu erwerben und ihn in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen. Die Aufwendungen müssen dem VG einzeln zuordenbar sein. Nach § 255 Abs. 1 Satz 2 HGB zählen zu den AK auch die Nebenkosten sowie die nachträglichen AK. Anschaffungspreisminderungen, die einem VG einzeln zuzuordnen sind, reduzieren den ursprünglichen Anschaffungspreis (§ 255 Abs. 1 Satz 3 HGB). Der AK-Begriff hat einen finalen Charakter: Nur solche Aufwendungen qualifizieren als AK, die der Bilanzierende im Zeitpunkt ihrer Leistung objektiv zu dem Zweck getätigt hat, einen VG zu erwerben und in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen.
Rz. 2
Die AK-Definition gilt für alle bilanzierenden Kfl. Die AK stellen den Zugangswert dar, mit dem ein angeschaffter VG erstmals bilanziert wird. Zweck der Bewertung eines VG zu AK ist zum einen, die Anschaffung als einen erfolgsneutralen Vorgang abzubilden, denn die AK eines erworbenen VG bestimmen sich durch die Gegenleistung des Erwerbers (Prinzip der Maßgeblichkeit der Gegenleistung). Zum anderen stellen die AK grds. die Wertobergrenze dar, mit der von außerhalb des Unt bezogene VG bilanziell erfasst werden. Dies gilt auch für den Fall von (vermeintlich) überhöhten AK. Ein Kfm. wird nur bereit sein, den Betrag zur Erlangung eines VG zu leisten, der den Wert widerspiegelt, den er dem VG zum Zeitpunkt des Erwerbs (mind.) beimisst. Erweisen sich die AK eines VG im Nachhinein tatsächlich als überhöht, so ist in der Folgebewertung eine Abwertung des VG auf den niedrigeren Stichtagswert durch die Vornahme einer außerplanmäßigen Abschreibung in Betracht zu ziehen.
1.2 Anschaffungsvorgang
1.2.1 Erwerb
Rz. 3
In Abgrenzung zur Herstellung eines VG handelt es sich bei der Anschaffung eines VG um den Zugang eines bereits existierenden VG von einem Dritten (Aspekt des Fremdbezugs). Der Anschaffungsvorgang beinhaltet den Erwerb eines VG sowie dessen erstmalige Versetzung in einen betriebsbereiten Zustand.
Rz. 4
Unter dem Erwerb eines VG ist dessen Überführung aus einer fremden Verfügungsgewalt in die eigene Verfügungsgewalt zu verstehen. Dem Erwerbsweck können nur solche Aufwendungen zugeordnet werden, die diesem im Zeitpunkt ihres Anfalls objektiv dienen. Das Erlangen der eigenen Verfügungsgewalt findet im Zeitpunkt des Übergangs des wirtschaftlichen Eigentums an einem VG statt. Die wirtschaftliche Betrachtungsweise ist heranzuziehen, um einem Hauptzweck der Bilanz – der Darstellung eines zutreffenden Bilds der Vermögenslage – gerecht zu werden.
Rz. 5
Die Zuordnung von VG zum Vermögen eines Bilanzierenden richtet sich demzufolge nicht nach dem zivilrechtlichen Eigentum, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Eine eigenständige handelsrechtliche Begriffsbestimmung des wirtschaftlichen Eigentums existiert nicht. Es erfolgt eine Orientierung an der in der Abgabenordnung (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) enthaltenen Definition. Wirtschaftlicher Eigentümer eines VG ist demnach, wer über diesen die tatsächliche Sachherrschaft in einer Weise ausübt, die es ihm ermöglicht, den rechtlichen Eigentümer wirtschaftlich auf Dauer von der Einwirkung auf den VG auszuschließen. Dem Herausgabeanspruch des rechtlichen Eigentümers darf hierbei keine nennenswerte wirtschaftliche Bedeutung zukommen. Die tatsächliche Sachherrschaft übt derjenige über einen VG aus, dem – bezogen auf die wirtschaftliche Nutzungsdauer – Eigenbesitz, Gefahr, Nutzen und Lasten zustehen.
Wirtschaftliches Eigentum kann im Einzelfall auch vorliegen, wenn einzelne Indizien fehlen. Entscheidend ist das Gesamtbild der Verhältnisse.
Die im Elektroeinzelhandel tätige B-KG bestellt am 1.12.01 bei dem Großhändler G-GmbH Schaltschränke im Gesamtwert von 50 TEUR. Die G-GmbH liefert die Schaltschränke am 15.12.01 an die B-KG mit einem firmeneigenen Lkw aus. In den Lieferbedingungen behält sich die G-GmbH bis zur vollständigen Bezahlung der Waren das Eigentum an den gelieferten Schaltschränken vor. Außerdem wurde vereinbart, dass der Gefahrenübergang der Waren mit dem Zeitpunkt der Anlieferung beim Kunden erfolgen soll. Die Schaltschränke werden bei der B-KG auf Lager gelegt.
Beurteilung
Aufgrund des Eigentumsvorbehalts bleibt die G-GmbH bis zum Zeitpunkt der vollständigen Bezahlung der Waren rechtlicher Eigentümer der an die B-KG gelieferten Schaltschränke. Im Zeitpunkt der Anlieferung gingen allerdings der Besitz, die Gefahr des zufälligen Untergangs (Diebstahl, Schwund) sowie der Nutzen und die Lasten (möglicher Gewinn/Verlust aus dem Verkauf) der Schaltschränke auf die B-KG über. Die B-KG ist damit im Zeitpunkt der Anlieferung wirtschaftlicher Eigentümer der Schaltschränke geworden. Die VG sind deshalb dem bilanziellen Vermögen...