Dr. Markus Leinen, Dipl.-Kfm. Benjamin Paulus
1 Überblick
Rz. 1
§ 260 HGB kodifiziert die gerichtlichen Befugnisse zur Beweiserhebung von Handelsbüchern speziell in Auseinandersetzungen über das Vermögen eines Kaufmanns. Nach h. M. besteht die gerichtliche Anordnungsbefugnis gem. § 260 HGB nicht nur in Rechtsstreitigkeiten, die verfahrenstechnisch der ZPO unterliegen, sondern auch bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit (Rz 3). Das Gericht kann in solchen Vermögensauseinandersetzungen unter Hinzuziehung der Streitparteien in die gesamten Handelsbücher des Kaufmanns Einsicht nehmen (Rz 4, anders § 259 HGB). Anordnung und Umfang der Kenntnisnahme liegen im Ermessen des Gerichts (Rz 4).
2 Anwendungsbereich
Rz. 2
Die Anordnungsbefugnis des Gerichts aus § 260 HGB bezieht sich auf gerichtliche Vermögensauseinandersetzungen. Die Streitigkeiten müssen das Vermögen eines buchführungspflichtigen Kaufmanns betreffen. Dazu zählt auch der Besitz sämtlicher Anteile an einer Personengesellschaft. Für geringere Beteiligungen an Gesellschaften ist § 260 HGB nicht anwendbar. In diesen Fällen sind die Einblicksrechte nach §§ 118, 166, 233 HGB und § 51a GmbHG einschlägig. Das Vermögen nach § 241a HGB nicht buchführungspflichtiger Kaufleute ist nicht betroffen. Nicht abschließend ("insbesondere") weist § 260 HGB beispielhaft auf Streitfälle bei Erbschaften (§§ 2042ff. BGB) und Gütergemeinschaften (§§ 1471ff. BGB) sowie Gesellschafterauseinandersetzungen nach Gesellschaftsteilungen (z. B. §§ 145ff. HGB; §§ 730ff. BGB) hin. In den Anwendungsbereich fallen bspw. Auseinandersetzungen stiller Gesellschaften, Auflösung von Bruchteilsgemeinschaften oder Zugewinnausgleichsverfahren. Ist die Höhe des Auseinandersetzungsguthabens Gegenstand des Prozesses eines ausgeschiedenen Gesellschafters gegen die Gesellschaft, sind dem Gericht Einsichtsrechte in die Handelsbücher der Gesellschaft entsprechend § 260 HGB zu gewähren.
Rz. 3
Anders als § 258 HGB (§ 258 Rz 2) schränkt nach h. M. § 260 HGB die gerichtliche Einsichtsbefugnis in Handelsbücher nicht auf Rechtsstreitigkeiten ein, deren gerichtliche Zuständigkeit die ZPO bestimmt. Das Recht zur Vorlageanordnung steht außerhalb von Zivilgerichtsbarkeiten auch freiwilligen Gerichtsbarkeiten (z. B. bei Streitigkeiten über den Nachlass gem. §§ 363ff. FamFG oder zu Gütergemeinschaften gem. § 373 FamFG) zu. Diese Ansicht ist nicht unbestritten, eine praktische Bedeutung ist diesem Anwendungsdisput indes nicht beizumessen. Unabhängig von § 260 HGB hat das Gericht in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 26 FamFG von Amts wegen Ermittlungen zur Feststellung entscheidungserheblicher Tatsachen aufzunehmen.
3 Einsichtnahme
Rz. 4
Das Recht zur Vorlageanordnung und zur Einsichtnahme nach § 260 HGB bezieht sich ausschl. auf Handelsbücher. Das Begriffsverständnis entspricht den §§ 257–259 HGB (§ 257 Rz 10; siehe auch § 238 Rz 44). Für andere Buchführungsunterlagen (z. B. Inventare, Eröffnungsbilanzen, Jahres- und Konzernabschlüsse, (Konzern)Lageberichte, Handelsbriefe, Buchungsbelege) gilt die Vorlagebefugnis nicht. § 260 HGB gewährt ein umfassendes Einsichtsrecht. Einer generellen Einsichtsbeschränkung auf bestimmte Inhalte der Handelsbücher unterliegt das Gericht nicht. Dies ist insoweit konsequent, als sich die Auseinandersetzungen im Anwendungsbereich des § 260 HGB auf das Kaufmannsvermögen beziehen, zu deren Beurteilung die Einsicht in seine Handelsbücher im Ganzen notwendig sein kann. Etwaige Geheimhaltungsinteressen des Kaufmanns treten zurück. Ob und inwieweit das Gericht von seiner Vorlage- und Einsichtsbefugnis Gebrauch macht, liegt in seinem pflichtgemäßen Ermessen. Je nach Umfang der Bücher bieten sich in der Praxis Einschränkungen an. Auf den Antrag einer Streitpartei kommt es nicht an. Auch eine Vorlageanordnung von Amts wegen ist zulässig. Das Gericht sieht die Bücher unter Hinzuziehung der Streitparteien ein.