4.1 Überblick
Rz. 28
§ 241 Abs. 3 HGB erlaubt dem Kfm. eine vor- oder nachverlegte Stichtagsinventur. Die vor- oder nachverlegte Stichtagsinventur ist zunächst ihrer Art nach eine Stichtagsinventur, die an einem (oder mehreren) Tag(en) vor bzw. nach dem Abschlussstichtag stattfindet. Die ermittelten Bestände werden in einem besonderen Inventar festgehalten und bewertet und bis zum Abschlussstichtag dem Wert nach fortgeschrieben bzw. auf den Abschlussstichtag zurückgerechnet; eine Fortschreibung bzw. Rückrechnung von Art und Menge ist nicht erforderlich.
Rz. 29
Die Wertrückrechnung wird wie folgt vorgenommen:
Bestände am nachverlegten Inventurstichtag (Art, Menge, Wert) |
+ |
Wert Abgänge seit dem Abschlussstichtag |
– |
Wert Zugänge seit dem Abschlussstichtag |
= |
Wert der Bestände am Abschlussstichtag |
Rz. 30
Die Wertfortschreibung wird wie folgt vorgenommen:
Bestände am vorverlegten Inventurstichtag (Art, Menge, Wert) |
+ |
Wert Zugänge bis zum Abschlussstichtag |
– |
Wert Abgänge bis zum Abschlussstichtag |
= |
Wert der Bestände am Abschlussstichtag |
4.2 Anwendungsvoraussetzungen
Rz. 31
Der Kfm. darf die vor- bzw. nachverlegte Stichtagsinventur nach dem Gesetzeswortlaut unter folgenden Voraussetzungen anwenden:
- Der Kfm. nimmt eine körperliche Bestandsaufnahme vor oder er schreibt seine Bestände durch ein anderes Inventurverfahren i. S. d. § 241 Abs. 2 HGB fort und
- die körperliche Bestandsaufnahme findet innerhalb von drei Monaten vor bzw. innerhalb von zwei Monaten nach dem Abschlussstichtag statt und
- das Ergebnis der Bestandaufnahme wird in einem besonderen Inventar verzeichnet und
- der Kfm. nimmt eine wertmäßige Bestandsfortschreibung bzw. Rückrechnung vor, die den GoB entspricht.
- Darüber hinaus muss Bestandszuverlässigkeit für den Fortschreibungs- bzw. Rückrechnungszeitraum gegeben sein.
- Nach dem Gesetzeswortlaut ist die Anwendung nur für VG zulässig, jedoch ist die Anwendung nach h. M. auch für Rückstellungen zulässig.
4.3 Anwendung eines anderen Inventurverfahrens
Rz. 32
Der Kfm. führt seine Bestände i. R. e. permanenten Inventur (= anderes Inventurverfahren i. S. d. § 241 Abs. 2 HGB). Statt regelmäßig einzelne Teilbestände zu zählen, nimmt er für den gesamten Bestand am 15.11. eine vorverlegte Inventur vor und schreibt den Bestand mithilfe der permanenten Inventur auf den Abschlussstichtag am 31.12. fort.
Die Anwendung der vor- oder nachverlegten Stichtagsinventur bei der Anwendung anderer Inventurverfahren ist zulässig, i. d. R. aber wenig hilfreich, da sie keine Erleichterung bringt.
4.4 Frist
Rz. 33
Die Bestandsaufnahme darf nur innerhalb des Zeitraums von drei Monaten vor bzw. zwei Monaten nach dem Abschlussstichtag vorgenommen werden, wobei der Kfm. – für jedes Gj neu – den Tag frei wählen kann (auch eine Verteilung auf mehrere Tage ist zulässig). Es ist auch zulässig, die Grundsätze der ausgeweiteten Stichtagsinventur auf den ersten möglichen bzw. letzten zulässigen Termin der vor- bzw. nachverlegten Inventur anzuwenden, wenn die Anwendungsvoraussetzungen für eine ausgeweitete Stichtagsinventur erfüllt sind, also auch eine mengen- und wertmäßige Fortschreibung der Bestände erfolgt.
4.5 Besonderes Inventar
Rz. 34
Beim besonderen Inventar handelt es sich um ein Inventar, das auf den vor oder nach dem Abschlussstichtag liegenden Erfassungsstichtag (bzw. mehrere Erfassungsstichtage) aufgestellt wird.
Rz. 35
Das besondere Inventar ist die Ausgangsbasis für die wertmäßige Fortschreibung bzw. Rückrechnung der Bestände auf den Abschlussstichtag.
4.6 Zeitweilige Bestandszuverlässigkeit
Rz. 36
Zum Begriff Bestandszuverlässigkeit s. Rz 10 f.
Rz. 37
Anders als bei den übrigen Inventurvereinfachungsverfahren des § 241 HGB ist hier Bestandszuverlässigkeit nur für den Rückrechnungs- bzw. Fortschreibungszeitraum erforderlich.
Rz. 38
Die vor- bzw. nachverlegte Inventur ist deshalb i. d. R. nicht für Bestände zulässig, die nicht die Vermutung der Bestandszuverlässigkeit in sich tragen (§ 240 Rz 17).
4.7 Zugelassene Bestände
Rz. 39
Dem Gesetzeswortlaut nach darf die vor- oder nachverlegte Stichtagsinventur nur auf Vermögensgegenstände angewandt werden. Nach h. M. ist aber die Anwendung auf die Inventur bestimmter Rückstellungen zulässig (insb. Personalbestand für Pensionsrückstellung). Für die Inventur der Pensionsverpflichtungen können die Personaldaten, die Bewertungsparameter und der maßgebliche Zinssatz in Übereinstimmung mit den Fristen für die vorverlegte Stichtagsinventur bis zu drei Monate vor dem Abschlussstichtag erhoben werden, sofern nicht bis zum (oder seit dem) Abschlussstichtag wesentliche Änderungen eingetreten sind.
4.8 Probleme der vorverlegten bzw. nachverlegten Inventur
Rz. 40
Ein wesentliches Problem stellt die Anwendung des Niederstwerttests auf die Bestände (§ 253 Rz 278) dar. Bei der vorverlegten Stichtagsinventur werden die Bestände an einem Tag vor dem Abschlussstichtag aufgezeichnet, zum Durchschnittswert bewertet und zu Bestandsgruppen zusammengefasst. Abgänge nach dem Inventurstichtag werden zu den ermittelten Durchschnittswerten ausgebucht. Zugänge nach dem vorverlegten Inventurstichtag werden...