Prof. Dr. rer. pol. Karsten Paetzmann
7.1 Überblick
Rz. 115
Sofern kein Beherrschungsvertrag besteht, hat der Vorstand einer abhängigen Ges. nach § 312 Abs. 1 AktG in den ersten drei Monaten des Gj einen Bericht über die Beziehungen der Ges. zu verbundenen Unt (Abhängigkeitsbericht) aufzustellen. Diese Vorschrift steht im Zusammenhang mit den Regelungen zum sog. faktischen Konzern (§§ 311 bis 318 AktG), deren Zweck der Schutz einer abhängigen Ges. und ihrer außen stehenden Minderheitsaktionäre und Gläubiger vor Benachteiligung durch die herrschende Ges. ist. Nach § 311 Abs. 1 AktG darf eine abhängige AG oder KGaA durch Einflussnahme seitens eines beherrschenden Unt nicht dazu veranlasst werden, "ein für sie nachteiliges Rechtsgeschäft vorzunehmen oder Maßnahmen zu ihrem Nachteil zu treffen oder zu unterlassen, es sei denn, dass die Nachteile ausgeglichen werden". Durch dieses Benachteiligungsverbot soll die abhängige AG wirtschaftlich so gestellt werden, als sei sie eine unabhängige Ges. § 317 Abs. 1 AktG enthält eine Schadensersatzpflicht des herrschenden Unt für den Fall, dass ein erforderlicher Nachteilsausgleich nicht bis zum Ende des Gj erfolgt.
Rz. 116
Die Schwierigkeit kann darin liegen, dass die Organmitglieder (Vorstand und Aufsichtsrat) der abhängigen Ges., unter dem Einfluss des herrschenden Unt, nicht willens oder geneigt sind, das Benachteiligungsverbot ggü. dem herrschenden Unt durchzusetzen. An der Durchsetzung des Benachteiligungsverbots sind jedoch vor allem die außenstehenden Aktionäre (und bei Insolvenz die Gläubiger bzw. der Insolvenzverwalter) interessiert, denen jedoch zur Beurteilung unzureichende Informationen vorliegen. Der Abhängigkeitsbericht mit seiner Dokumentation der konzerninternen bzw. -veranlassten Rechtsgeschäfte und Maßnahmen soll die Erwartungen des genannten Adressatenkreises in dreierlei Hinsicht erfüllen: Er enthält erstens eine Dokumentation aller benachteiligungsverdächtigen Rechtsgeschäfte und Maßnahmen einschl. den zur Beurteilung ihrer Angemessenheit erforderlichen Angaben. Damit bildet er eine wichtige Grundlage für die Überprüfung der Angemessenheit durch den Aufsichtsrat (§ 314 AktG) und – bei Prüfungspflicht – durch den Abschlussprüfer (§ 313 AktG). Zweitens soll der Abhängigkeitsbericht eine ständige Mahnung für Vorstand und Aufsichtsrat der abhängigen Ges. sein, das Interesse der Ges. auch ggü. der herrschenden Ges. zu wahren. In der Literatur wie auch von der Praxis wird diese mahnende Wirkung besonders hervorgehoben, wirkt doch die vom Vorstand anzufertigende testatähnliche Schlusserklärung wie ein "Griff an’s Portepée". Drittens ergibt sich aus der Pflicht zur Offenlegung der Schlusserklärung des Vorstands und der Prüfungsergebnisse des Vorstands und Aufsichtsrats eine begrenzte Publizität, auf deren Basis jeder Aktionär eine Sonderprüfung beantragen kann.
7.2 Anwendungsbereich
Rz. 117
Die Pflicht zur Aufstellung eines Abhängigkeitsberichts besteht für inländische Ges. in der Rechtsform AG, nach h. M. auch für KGaA sowie für SE mit Sitz in Deutschland. Sofern ein Beherrschungsvertrag i. S. d. § 291 AktG abgeschlossen ist, besteht nach § 312 Abs. 1 AktG keine Berichtspflicht, da dann § 311 AktG nicht anwendbar ist. Hierin wird im Schrifttum eine systemgerechte Nebenwirkung gesehen, die zum Abschluss eines Beherrschungsvertrags zwingt, weil mit der Dokumentation komplexer Konzernbeziehungen ein sehr hoher Aufwand verbunden sein kann.
Rz. 118
Weitere Ausnahmen von der Berichterstattungspflicht betreffen Fälle mit bestehendem Ergebnisabführungsvertrag i. S. d. § 291 AktG, Fälle mehrstufiger Abhängigkeit, wenn zwischen der abhängigen Ges. und einem übergeordneten Unt ein Beherrschungs- und/oder Ergebnisabführungsvertrag besteht, sowie Fälle, in denen abhängige Ges. in eine andere AG eingegliedert sind (§ 323 Abs. 1 Satz 3 AktG). Begründung für die genannten Ausnahmefälle ist, dass jeweils kein Schutzbedürfnis außenstehender Aktionäre und Gläubiger existiert.
7.3 Berichtsinhalte
7.3.1 Allgemeine Anforderungen
Rz. 119
Nach § 312 Abs. 2 AktG hat der Abhängigkeitsbericht den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen. Hieraus werden die allgemeinen Berichtsgrundsätze der Wahrheit, Vollständigkeit sowie Klarheit und Übersichtlichkeit abgeleitet.
7.3.2 Berichtspflichtige Beziehungen und Vorgänge
Rz. 120
Nach § 312 Abs. 1 Satz 2 AktG ist über alle Rechtsgeschäfte mit dem herrschenden Unt oder e...