Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. Unterhaltsaufwendungen können nur dann als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen.
2. Zum Nettoeinkommen gehören im Wesentlichen alle steuerpflichtigen Einkünfte und alle steuerfreien Einnahmen.
3. Das Nettoeinkommen ist um den in § 7g EStG geregelten Investitionsabzugsbetrag zu erhöhen.
Normenkette
§ 33a, § 2 Abs. 1, § 7g EStG, § 1602, § 1603 BGB
Sachverhalt
Eheleute K hatten drei Kinder, darunter die volljährige T, die mit ihrem Kind bei K lebte, und S, der in B studierte. K erklärten Einkünfte aus selbstständiger Arbeit (25.200 EUR), aus nichtselbstständiger Arbeit (366.119 EUR) und aus Gewerbebetrieb (./. 255.572 EUR). Im Verlust enthalten war ein Investitionsabzugsbetrag (§ 7g EStG) über 178.000 EUR. K machten an S und T geleistete Unterhaltszahlungen von insgesamt 15.360 EUR (= 2 Kinder x 7.680 EUR) als außergewöhnliche Belastungen geltend. Das FA lehnte das ab, weil Unterhaltsaufwendungen nur zu berücksichtigen seien, soweit sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stünden und diesem noch genügend für den eigenen Lebensunterhalt verbleibe. Das FA rechnete: Einnahmen insgesamt 137.815 EUR, Ausgaben samt Sozialabgaben, Lohnsteuer (152.947 EUR) etc. mit insgesamt 182.942 EUR, sodass ein Negativbetrag von 45.127 EUR verbleibe. Die Klage war erfolgreich (Niedersächsisches FG, Urteil vom 24.4.2012, 15 K 234/11, Haufe-Index 3019273, EFG 2012, 1349).
Entscheidung
Der BFH bestätigte das FG mit den in den Praxis-Hinweisen erläuterten Gründen.
Hinweis
1. Aufwendungen für Unterhalt können in Grenzen als außergewöhnliche Belastungen (agB) abgezogen werden (§ 33a Abs. 1 Satz 1 EStG). Vorausgesetzt ist die nach zivilrechtlichen Maßstäben zu beurteilende gesetzliche Unterhaltspflicht (BFH, Urteil vom 5.5.2010, VI R 29/09, BFH/NV 2010, 1897, BFH/PR 2010, 427). D. h.: Die unterhaltene Person muss bedürftig sein (§ 1602 BGB) und der Unterhaltspflichtige muss leistungsfähig sein (§ 1603 BGB). Deshalb berücksichtigt der BFH Unterhaltsleistungen grundsätzlich nur dann als zwangsläufig, wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum Nettoeinkommen des Leistenden stehen und diesem noch angemessene Mittel für den eigenen Lebensbedarf verbleiben ("Opfergrenze"). Nur bei Ehegatten mit minderjährigen Kindern und bei der sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft gilt die Opfergrenze nicht (BFH, Urteil vom 28.3.2012, VI R 31/11, BFH/NV 2012, 1233, BFH/PR 2012, 276; BMF, Schreiben vom 7.6.2010, BStBl I 2010, 582, Tz. 12).
2. Angesichts der Besonderheiten des Investitionsabzugsbetrags, der rein rechnerisch die Rechengrößen "Summe der Einkünfte", "Gesamtbetrag der Einkünfte" bis hin zum "zu versteuernden Einkommen" (§ 2 Abs. 2 bis Abs. 5 EStG) deutlich mindert, hätte man zwar an die Opfergrenze denken können. Aber das einkommensteuerrechtlich gewünschte Ergebnis der subventionierenden Liquiditätsförderung wird aus der hier einschlägigen zivilrechtlichen Perspektive – zu Recht – nicht als echte Minderung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten verstanden. Denn bei der Ermittlung des Nettoeinkommens für Zwecke der Bestimmung der zivilrechtlichen Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten kommen zwar grundsätzlich die einkommensteuerrechtlichen Grundsätze zur Anwendung. D.h. zum Nettoeinkommen gehören alle steuerpflichtigen Einkünfte. Allerdings werden einerseits Einkünfte um Beträge gekürzt, die faktisch nicht zur Verfügung stehen, andererseits werden Gewinnminderungen korrigiert, soweit tatsächlich kein Mittelabfluss vorliegt, wie dies typischerweise etwa bei Rücklagen der Fall ist (BGH, Urteil vom 19.2.2003, XII ZR 19/01, FamRZ 2003, 741). Dies trifft auch auf den hier gegebenen Investitionsabzugsbetrag nach § 7g EStG zu. Denn damit soll zwar Abschreibungspotenzial vorverlagert sowie Liquidität und Eigenkapital verbessert werden, Ausgaben und Wertverzehr liegen zu diesem Zeitpunkt aber mangels Investition noch nicht vor. Deshalb ist der Abzugsbetrag dem Gewinn zwecks Bestimmung der zivilrechtlichen Leistungsfähigkeit hinzuzurechnen; der BFH folgt insoweit der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur. Folgerichtig beeinflussen dann allerdings die Korrektur des Abzugsbetrags im Jahr der tatsächlichen Investitionen (§ 7g Abs. 2 EStG) oder die Rückgängigmachung der Fördermaßnahme (§ 7g Abs. 3 und 4 EStG) das Unterhaltsrecht. Um diese Veranlagungszeiträume ging es hier allerdings nicht.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.2.2014 – VI R 34/12