Leitsatz
1. Die Finanzbehörde muss eine Ermessensentscheidung treffen, ob sie auch ohne den Grundlagenbescheid der Denkmalschutzbehörde gem. § 7i Abs. 2 EStG einen Einkommensteuerbescheid gem. § 155 Abs. 2 AO erlässt sowie ob und in welcher Höhe der gem. § 10f Abs. 1 EStG geltend gemachte Abzugsbetrag gem. § 162 Abs. 5 AO zu berücksichtigen ist.
2. Weicht sie von der Steuererklärung des Steuerpflichtigen ab, muss sie überprüfbar darlegen, aus welchen Gründen sie die geltend gemachten Sanierungsaufwendungen nicht (vorläufig) ansetzt.
Normenkette
§ 10f Abs. 1, § 7i Abs. 1 und 2 EStG, § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 5 AO, § 74 FGO
Sachverhalt
Die Kläger bezogen 2008 eine von ihnen erworbene sanierte Wohnung. Mit qualifizierter Eingangsbestätigung teilte die Denkmalbehörde mit, ein Antrag der Kläger auf Ausstellung einer Bescheinigung gem. §§ 7i, 10f und 11b EStG sei eingegangen. Die Antragssumme für die zu bescheinigenden Aufwendungen für Baumaßnahmen an einem denkmalgeschützten Gebäude belaufe sich auf knapp 400.000 EUR. Außerdem enthielt die Eingangsbestätigung den Hinweis, eine Bestätigung der unteren Denkmalbehörde liege vor, nach der das erforderliche Abstimmungsverfahren eingehalten worden sei. Die Kläger machten Aufwendungen in Höhe von 35.321 EUR als Sonderausgaben für selbst genutztes Wohneigentum gem. § 10f Abs. 1 EStG geltend. Sie waren der Auffassung, diese Aufwendungen seien auch ohne Vorlage der erforderlichen Bescheinigung im Wege der Schätzung zum Sonderausgabenabzug zuzulassen, da das FA aufgrund des Kaufvertrags ohne Weiteres die Höhe der von ihnen aufgewendeten Sanierungskosten ermitteln könne und die Einsichtnahme in die Denkmalliste zeige, dass die Wohnung in einem denkmalgeschützten Gebäude liege. Das FA lehnte den geltend gemachten Sonderausgabenabzug sowohl bei der Einkommensteuerveranlagung als auch im Einspruchsverfahren u.a. mangels ausreichender Sachkunde ab. Das FG gab der Klage überwiegend statt (Sächsisches FG, Urteil vom 22.2.2012, Haufe-Index 2944298, 2 K 42/12, EFG 2012, 1001).
Entscheidung
Die Revision des FA hatte Erfolg. Der BFH hob das Urteil auf und wies die Klage ab. Das FA hatte im Streitfall seine Ermessensentscheidung, die nicht bescheinigten Aufwendungen noch nicht zu berücksichtigen, ausreichend begründet.
Hinweis
Das Kernproblem dieses Verfahrens, dem auch das BMF beigetreten war, liegt in den – kontrovers diskutierten – Fragen, ob die Finanzbehörde ohne weitere Prüfung den Ansatz von Sanierungsaufwendungen im Einkommensteuerbescheid verweigern kann, wenn der Steuerpflichtige Sanierungsaufwendungen gem. §§ 10f, 7i EStG geltend macht, ohne die erforderliche Bescheinigung der Denkmalbehörde zu erbringen, oder ob sie nicht vielmehr verpflichtet ist, eine Ermessensentscheidung zu treffen.
1. Nach Auffassung des X. Senats hat das FA eine Ermessensentscheidung zu treffen, ob es auch ohne die notwendige Bescheinigung nach § 7i Abs. 2 EStG einen Einkommensteuerbescheid gem. § 155 Abs. 2 AO erlassen will sowie ob und in welcher Höhe der geltend gemachte Abzugsbetrag gem. § 162 Abs. 5 AO zu berücksichtigen ist. Damit bestätigt der Senat seine bereits in dem Aussetzungsverfahren (Beschluss vom 20.7.2010, X B 70/10, BFH/NV 2010, 2007) vertretene Auffassung.
2. Lassen sich die Besteuerungsgrundlagen nicht ohne Weiteres ermitteln, können die feststellungsbedürftigen Voraussetzungen nach § 162 Abs. 5 AO geschätzt werden. Die Ermessensausübung der Finanzbehörde bezieht sich damit zum einen gem. § 155 Abs. 2 AO auf den Zeitpunkt, zum anderen gem. § 162 Abs. 5 AO auf den Inhalt der Steuerfestsetzung. Die Frage, ob gem. § 155 Abs. 2 AO ein Folgebescheid zu erlassen ist und – wenn ja – in welcher Höhe die noch nicht durch einen Grundlagenbescheid festgestellten (positiven oder negativen) Einkünfte nach § 162 Abs. 5 AO anzusetzen sind, kann nur einheitlich beantwortet werden, sodass insgesamt nur eine Ermessensentscheidung vorliegt.
3. Konsequenz dieses Urteils ist aber nicht – dies gilt es zu betonen –, dass das FA trotz fehlenden Grundlagenbescheids (im Streitfall Bescheinigung der Denkmalschutzbehörde) die Aufwendungen – vorläufig – ansetzen muss: Es hat lediglich sein Ermessen auszuüben, ob es überhaupt einen Folgebescheid bereits erlassen will und in welcher Höhe es ggf. die noch fehlenden Grundlagen übernehmen will bzw. aus welchen Gründen es davon absieht. Falls die Finanzbehörde von der Steuererklärung des Steuerpflichtigen abweichen will, muss sie aber überprüfbar darlegen, aus welchem Grund die Anerkennung versagt werden soll.
4. Obwohl das FA im Streitfall obsiegt hat, bleibt abzuwarten, ob die Finanzverwaltung dieses Urteil anwenden wird, da nunmehr eine Begründung des FA für den Nichtansatz von noch nicht durch einen Grundlagenbescheid bescheinigten Aufwendungen/Einkünfte notwendig ist. Dies gilt im Übrigen nicht nur für die Grundlagenbescheide der Denkmalschutzbehörden.
5. Die Ermessensausübung samt Begründungszwang beruht auf § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 5 AO. Eine teleologische Reduktio...