Prof. Dr. Heinz-Jürgen Pezzer
Leitsatz
Eine Sozietät von Rechtsanwälten, die neben ihrer anwaltlichen Tätigkeit als Berufsbetreuer tätig sind, erzielt aus der Berufsbetreuung Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG (Änderung der Rechtsprechung). Die Abfärberegelung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG findet daher keine Anwendung.
Normenkette
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG
Sachverhalt
Eine Sozietät von Anwälten erzielte ihre Einnahmen zu 80 % aus der Tätigkeit der Anwälte für die Übernahme von Betreuungen, die das FA als gewerblich ansah. Auf dieser Grundlage qualifizierte das FA die Gesamteinnahmen der Sozietät unter Bezugnahme auf § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG als gewerbliche Einkünfte und erließ einen GewSt-Messbescheid.
Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (FG Münster, Urteil vom 17.06.2008, 1 K 5087/06 G, Haufe-Index 2039222, EFG 2008, 1729).
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und gab der Klage statt. Die Betreuungstätigkeit gehöre zwar nicht zur typischen Anwaltstätigkeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, aber zur sonstigen selbstständigen Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG.
Hinweis
1. Eines der Hauptprobleme der Besteuerung der freien Berufe besteht in der Abgrenzung zur gewerblichen Tätigkeit: Dabei geht es in erster Linie um die Belastung mit GewSt, von der die freien Berufe verschont werden. Dadurch ergeben sich rechtfertigungsbedürftige Belastungsunterschiede. Diese Unterschiede sind zwar für Personenunternehmen zunächst durch § 32c EStG, sodann ab 2001 durch die Steuerermäßigung nach § 35 EStG deutlich gemildert worden. Beseitigt ist das Problem dadurch aber auch heute nicht. In Ballungsgebieten mit hohen GewSt-Hebesätzen (über 380 %) ergibt sich trotz § 35 EStG nach wie vor eine Mehrbelastung für Gewerbebetriebe. Eine solche Mehrbelastung entsteht auch dann, wenn die GewSt-Last durch die Hinzurechnungen nach § 8 GewStG entsteht, ohne dass ein einkommensteuerrechtlicher Gewinn aus Gewerbebetrieb vorhanden ist.
2. Die Willkürlichkeit der Unterscheidung von freien Berufen und Gewerbetreibenden zeigt sich bereits bei unbefangener Lektüre des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Das dort aufgelistete Sammelsurium von Berufen ist kaum auf einen Nenner zu bringen. Warum ist etwa der Lotse im Katalog der freien Berufe enthalten, der staatlich geprüfte Bergführer hingegen nicht, warum der Bildberichterstatter, aber der Toningenieur nicht? Und wie ist die spitzfindige Unterscheidung zwischen einem "beratenden" Betriebswirt und einem in sonstiger Weise selbstständig tätigen Betriebswirt zu rechtfertigen? Wie sind solche Unterscheidungen mit dem Gebot gleichmäßiger Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit vereinbar?
3. Das BVerfG hat bekanntlich an diesen gesetzlichen Unterscheidungen keinen Anstoß genommen (Beschluss des BVerfG vom 15.01.2008, 1 BvL 2/04, BFH/NV Beilage 2008, 247, Haufe-Index 1998894). Der Finanzgerichtsbarkeit bleibt daher nichts anderes übrig, als die Vorschrift des § 18 EStG so wie sie ist anzuwenden und dabei den Versuch zu unternehmen, zu halbwegs plausiblen Abgrenzungen zu gelangen. Die Willkürlichkeit und weitgehende Konturenlosigkeit der gesetzlichen Regelung hindert die Rechtsprechung allerdings weithin daran, ihre Lösungen methodisch aus dem Gesetz abzuleiten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Rechtsprechung nicht selten unberechenbar erscheint und die getroffenen Entscheidungen Kritik auf sich ziehen.
4. Die Tätigkeit des Berufsbetreuers (§§ 1896ff. BGB) hat sich heute zu einem selbstständigen Berufsbild entwickelt. Die bisherige Rechtsprechung des BFH hatte die Berufsbetreuung als gewerbliche und nicht als sonstige selbstständige Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG angesehen, weil diese Vorschrift nur vermögensverwaltende Tätigkeiten erfasse. Diese Voraussetzung erfülle die Tätigkeit eines berufsmäßigen Betreuers nicht, da sie nicht nur Vermögensfragen, sondern auch persönliche Angelegenheiten umfasse, wie etwa gesundheitliche Fragen, Wohnungsangelegenheiten, Bestimmung des Aufenthalts oder des Umgangs.
5. Nunmehr hat der (für die Besteuerung der freien Berufe inzwischen allein zuständige) VIII. Senat des BFH die vorgenannte Argumentation überprüft und die Rechtsprechung geändert: Berufsbetreuung ist danach keine gewerbliche Tätigkeit, sondern gehört zur sonstigen selbstständigen Arbeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Die Vorschrift enthält keinen abschließenden Katalog in Betracht kommender "Einkünfte aus sonstiger selbstständiger Arbeit", sondern lediglich die Auflistung der Regelbeispiele "Testamentsvollstreckervergütung", "Vermögensverwaltung", "Aufsichtsratstätigkeit". Weitere Tätigkeiten fallen danach in den Anwendungsbereich der Regelung, wenn sie ihrer Art nach den Regelbeispielen ähnlich sind. Das ist nicht nur der Fall, wenn die Tätigkeit die Betreuung fremder Vermögensinteressen umfasst, sondern darüber hinaus auch dann, wenn es sich um eine selbstständig ausgeübte fremdnützige Tätigkeit in einem fremden Geschäftskreis handelt. Dies trifft auf die Tätigkeit des Beru...