Leitsatz
An der Umsatzsteuerpflicht der Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit bestehen auch nach Einführung der sog. virtuellen Automatensteuer (§ 36ff. RennwLottG i.d.F. vom 25.06.2021) zum 01.07.2021 keine ernstlichen Zweifel.
Normenkette
§ 4 Nr. 9 Buchst. b UStG, §§ 36 ff. RennwLottG, Art. 135 Abs. 1 Buchst. i EGRL 112/2006 (= MwStSystRL), § 69 FGO
Sachverhalt
Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) führt Umsätze mit Geldspielautomaten in Spielhallen u. Ä. aus.
Nach Inkrafttreten der virtuellen Automatensteuer für Online-Automatenspiele (§ 36 ff. RennwLottG) zum 1.7.2021 machte die Antragstellerin geltend, dass ihre Umsätze aus Gründen der Neutralität gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL umsatzsteuerfrei zu belassen seien, weil virtuelle Automatenspielumsätze seit 1.7.2021 nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG umsatzsteuerfrei seien. Dies folge aus dem Grundsatz der mehrwertsteuerrechtlichen Gleichbehandlung und der Neutralität der Mehrwertsteuer. Es sei unzulässig, auf terrestrische Automatenspiele USt zu erheben und auf virtuelle Automatenspiele nicht.
Das FA folgte dieser Auffassung nicht, sondern unterwarf die Umsätze aus dem Betrieb der Geldspielautomaten weiterhin der USt.
Dagegen legte die Antragstellerin Einspruch ein, über den noch nicht entschieden ist. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Gewährung von AdV lehnte das FA ab.
Das FG (FG Münster, Beschluss vom 27.12.2021, 5 V 2705/21 U, Haufe-Index 15070419, EFG 2022, 362) setzte die USt-Vorauszahlung August 2021 von der Vollziehung aus und hob, soweit der Bescheid bereits vollzogen ist, die Vollziehung auf. Aus seiner Sicht bestehen ernstliche Zweifel daran, dass die USt-Pflicht terrestrischer Automatenspielumsätze bei gleichzeitiger USt-Freiheit virtueller Automatenspielumsätze mit dem Grundsatz der Neutralität vereinbar ist.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und lehnte den AdV-Antrag ab. Eine AdV wegen unbilliger Härte hat er trotz der Belastungen durch die coronabedingten Spielhallenschließungen ebenfalls abgelehnt; denn sie ist nur möglich, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids nicht ausgeschlossen werden können, was hier nicht der Fall sei.
Hinweis
1. Der Besprechungsbeschluss beschäftigt sich in einem besonderen Gewand (den Glücksspielen mit Geldeinsatz, d.h. dem Erwerb einer Gewinnchance gegen Entgelt) mit einer weit darüber hinausgehenden, allgemeinen Frage: Dürfen Umsätze anders besteuert werden, (nur) weil sie online ausgeführt werden? Oder noch allgemeiner: Dürfen bestimmte Umsätze einer Mehrwertsteuer-Sonderregelung unterworfen werden und andere nach allgemeinen Regeln besteuert werden, obwohl sich die Umsätze zumindest ähneln?
2. Die Große Kammer des EuGH hatte im Urteil vom 7.3.2017, C-390/15, RPO, EU:C:2017:174) die unterschiedliche Besteuerung von Büchern (auf Papier und online) für zulässig erklärt. Er akzeptiert, dass eine unionsrechtliche Mehrwertsteuer-Sonderregelung u.a. für auf elektronischem Weg erbrachte Dienstleistungen existiert. Der BFH hat (auch) deshalb ernstliche Zweifel an der Zulässigkeit der unterschiedlichen Besteuerung von Online-Glückspielen und solchen in Spielhallen verneint. Sie ist u.a. aufgrund der Existenz der Sonderregelung gerechtfertigt.
3. Darüber hinaus hat der BFH aber (bereits auf der Stufe davor) die Gleichartigkeit der Umsätze verneint, sodass diese schon deshalb nicht gleichbehandelt werden müssen. Die dazu in den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 19/28400, 42 ff., 66 f.) enthaltenen ausführlichen, detaillierten Erwägungen der nationalen gesetzgebenden Körperschaften lassen aus Sicht des BFH einen Verstoß gegen das Unionsrecht (oder das Verfassungsrecht) nicht erkennen.
4. Im Übrigen könnte die Umsatzbesteuerung der Antragstellerin (mit den ihr verbleibenden Beträgen als Bemessungsgrundlage und Recht zum Vorsteuerabzug) gar keine Benachteiligung, sondern eine Bevorzugung gegenüber einer virtuellen Automatensteuer i.H.v. 5,3 % des Spieleinsatzes (§ 37, 38 Abs. 1 RennwLottG) sein; die von der virtuellen Automatensteuer betroffenen Unternehmer sehen jedenfalls umgekehrt die Nichteinbeziehung der terrestrischen Umsätze in die Rennwett- und Lotteriesteuer als unzulässige Beihilfe (vgl. Sächsisches FG, Beschluss vom 21.4.2022, 8 V 92/22, Haufe-Index 15155039, ZfWG 2022, 307; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 25.1.2022, OVG 6 S 41/21, ZfWG 2022, 189; beide verneinend). Der BFH wird sich damit möglicherweise im Verfahren IX B 42/22 (AdV) befassen können. Hätten die Veranstalter virtueller Automatenspiele damit Erfolg, wären ihre Umsätze im Inland umsatzsteuerpflichtig, da § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG dann nicht mehr eingriffe.
5. Zur Zulässigkeit der Besteuerung von Umsätzen aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit seit 6.5.2006 vgl. z.B. BFH, Urteil vom 11.12.2019, XI R 13/18 (BFH/NV 2020, 660, BStBl II 2020, 296; ständige Rechtsprechung).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 26.9.2022 – XI B 9...