Leitsatz
Die vom OECD-Musterabkommen abweichende Sonderregelung des Art. 16 Abs. 2 DBA‐Polen 2003, in der die Besteuerungsbefugnis für Vergütungen einer Person in ihrer Eigenschaft als "bevollmächtigter Vertreter" geregelt wird, gilt auch für Geschäftsführer einer deutschen GmbH. Sie erfasst auch Abfindungen.
Normenkette
Art. 16, Art. 3 Abs. 2 DBA-Polen 2003, § 39b Abs. 6, § 42d, § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c und d EStG, § 191 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Die Klägerin, eine inländische GmbH, bestellte die Beigeladene zum Mitglied der Geschäftsführung und schloss mit ihr einen entsprechenden Dienstvertrag. Die Beigeladene war für die Weiterentwicklung der Geschäftstätigkeit der Klägerin in Osteuropa zuständig und erfüllte ihre Aufgaben in Polen sowie in ihrem Zweitbüro im Inland. Ihr stand ein Dienstwagen zur Verfügung, den sie auch privat nutzen durfte. 2010 wurde der Dienstvertrag durch einen Geschäftsführer-Anstellungsvertrag mit erhöhten Bezügen bis zum 31.12.2015 verlängert.
Die Beigeladene hatte ihren Wohnsitz ausschließlich in Polen. Ihre Tätigkeit übte sie teilweise in Deutschland, zum überwiegenden Teil aber in Polen und anderen Staaten aus.
Im Juli 2013 wurde die Beigeladene von ihren Tätigkeiten freigestellt. Ihre Bestellung zur Geschäftsführerin wurde widerrufen und im Handelsregister gelöscht. Auf Grundlage des Aufhebungsvertrags endete der Anstellungsvertrag zum 31.10.2013. Die Beigeladene erhielt für das Jahr 2013 u.a. ihr anteiliges Festgehalt, eine variable Vergütung sowie einen Betrag zur Abgeltung von Urlaubsansprüchen. Zudem wurde eine Abfindung vereinbart. Von dieser Abfindung zahlte die Klägerin im Jahr 2013 insgesamt ... EUR an die Beigeladene.
Soweit die Beigeladene ihre Tätigkeit in Deutschland ausgeübt hatte, führte die Klägerin für das Festgehalt und die variable Vergütung zeitanteilig Lohnsteuer ab. Die Abfindungszahlung sowie der Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens wurden nicht der Lohnsteuer unterworfen. Eine Freistellungsbescheinigung lag der Klägerin nicht vor.
Im Anschluss an eine Lohnsteueraußenprüfung nahm das FA die Klägerin hinsichtlich derjenigen Vergütungen und geldwerten Vorteile, für die bisher keine Lohnsteuer angemeldet und abgeführt worden war, mit dem Haftungsbescheid vom 25.11.2014 gemäß § 42d EStG in Anspruch. Der Haftungsbescheid betraf Lohnsteuer der Beigeladenen für den Zeitraum Januar 2010 bis Dezember 2013. Dabei berücksichtigte das FA auch einen geldwerten Vorteil aus der privaten Nutzung des Dienstwagens.
Die gegen den Haftungsbescheid erhobene Klage wies das FG als unbegründet ab (FG Hamburg, Gerichtsbescheid vom 9.11.2017, 6 K 14/17, Haufe-Index 11427898, EFG 2018, 258).
Entscheidung
Der I. Senat des BFH hat die Revision der Klägerin einstimmig als unbegründet erachtet und deshalb das Rechtmittel im Beschlusswege (§ 126a FGO) zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Praxis-Hinweise verwiesen.
Hinweis
1. Der Geschäftsführer einer GmbH kann, obschon dieser nach deutschem Rechtsverständnis Organ der Kapitalgesellschaft ist, abkommensrechtlich als "bevollmächtigter Vertreter" zu qualifizieren sein. Das ist die Quintessenz der Besprechungsentscheidung.
2. Der I. Senat des BFH musste sich in jüngerer Zeit wiederholt mit der Frage befassen, wie sich die Besonderheiten des deutschen Gesellschaftsrechts in grenzüberschreitenden Zusammenhängen auswirken. Nach deutschem Gesellschaftsrecht handelt es sich streng genommen bei dem Geschäftsführer einer GmbH nicht um einen (gesetzlichen) Vertreter, sondern um das Organ der Gesellschaft. Bei anderen Kapitalgesellschaften gilt Ähnliches. Organhandeln ist streng genommen daher Eigenhandeln der Kapitalgesellschaft und nicht Vertreterhandeln, das ihr "lediglich" zugerechnet wird. Allerdings ist die Unterscheidung zwischen Organstellung und Vertretungsverhältnis bereits im deutschen Zivilrecht eher dogmatischer Natur und von geringer praktischer Relevanz. Denn bei der Beurteilung von Organhandeln werden die Regelungen des Vertretungsrechts (§§ 164 ff. BGB) in aller Regel analog angewendet.
Das Steuerrecht setzt diese Differenzierung ebenfalls nicht wirklich um. So spricht die AO z.B. in §§ 34 Abs. 1, 79 Abs. Nr. 3 die Organe von Kapitalgesellschaften ausdrücklich als gesetzliche Vertreter an. Der BFH hat auf dieser Grundlage bei der Beurteilung der beschränkten Steuerpflicht deshalb auch entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO sein kann (BFH, Urteil vom 23.10.2018, I R 54/16, BFH/NV 2019, 645, BFH/PR 2019, 154, BStBl II 2019, 365).
3. Die Besprechungsentscheidung setzt diese Rechtsprechungslinie fort. Es ging im Kern darum, ob die in Polen wohnhafte Geschäftsführerin einer deutschen GmbH, die in geringerem Umfang von einem inländischen Büro aus arbeitete, überwiegend aber in Polen und anderen osteuropäischen Ländern tätig war, mit ihren gesamten Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit der inländischen Einkommensteuer unterliegt.
a) Die beschränkte Einkommen...