Leitsatz
1. Art. 15 Abs. 1 DBA Belgien ermöglicht kein deutsches Besteuerungsrecht für eine Abfindungszahlung, die eine in Belgien ansässige Person von ihrem bisherigen inländischen Arbeitgeber aus Anlass der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erhält (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
2. Eine Übereinkunft zwischen den deutschen und belgischen Steuerbehörden (hier: Verständigungsvereinbarung mit dem belgischen Finanzministerium vom 15.12.2006 über die Zuordnung des Besteuerungsrechts bei Abfindungen an Arbeitnehmer, bekannt gegeben durch BMF-Schreiben vom 10.01.2007, BStBl I 2007, 261) nach Maßgabe von Art. 25 Abs. 3 DBA Belgien bindet die Gerichte nicht (ebenfalls Bestätigung der ständigen Rechtsprechung).
3. Natürliche Personen, die nach § 1 Abs. 3 EStG 2002 auf Antrag als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werden, unterfallen nicht der sog. Rückfallregelung des § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1 EStG 2002 i.d.F. des JStG 2007.
Normenkette
Art. 15 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Art. 25 Abs. 3 DBA Belgien, Art. 20 Abs. 3, Art. 59 Abs. 2, Art. 80 Abs. 1 GG, § 1 Abs. 3, § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d, § 50d Abs. 9 S. 1 Nr. 1
Sachverhalt
Der Kläger und seine Ehefrau hatten ihren Wohnsitz im Streitjahr 2005 in Belgien. Der Kläger erzielte im Streitjahr in Deutschland Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit. Sein Arbeitgeber kündigte ihm aus betriebsbedingten Gründen zum 31.12.2005.
Aus Anlass dieser Kündigung erhielt der Kläger neben einem Bruttoarbeitslohn eine Abfindung und eine Jubiläumszuwendung. Die Abfindung zahlte der Arbeitgeber i.H.v. 7 200 EUR steuerfrei aus. Die Jubiläumszuwendung und den nicht steuerfrei belassenen Teil der Abfindung besteuerte der Arbeitgeber nach § 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG ermäßigt.
Der Kläger und seine Ehefrau beantragten die Durchführung einer ESt-Veranlagung nach den Grundsätzen der unbeschränkten Steuerpflicht gem. § 1 Abs. 3 EStG.
Das FA entsprach diesem Antrag und bezog dabei die Abfindung nach Abzug des Freibetrags von 7 200 EUR nach § 3 Nr. 9 EStG in die Steuerfestsetzung mit ein.
Die anschließende Klage war erfolgreich (FG Köln, Urteil vom 13.08.2008, 4 K 3363/07, Haufe-Index 2039226, EFG 2008, 1775).
Entscheidung
Der BFH hat das vollauf bestätigt. Er hat dabei keinen Zweifel belassen: Zwischenstaatliche Verständigungsvereinbarungen bedürfen, um rechtsverbindlich zu sein, einer normativen Gesetzesgrundlage. Sie können zwar unabhängig davon zur Auslegung des Abkommenstexts herangezogen werden, sie dürfen das Abkommen aber nicht verändern.
Hinweis
Zusammen mit dem Urteil I R 111/08, das ebenfalls am 02.09.2009 erging (s. die vorhergehende Anmerkung) handelt es sich um zwei höchst wichtige Entscheidungen des BFH zur Verbindlichkeit sog. Verständigungsvereinbarungen zwischen den Finanzverwaltungen zweier DBA-Vertragsstaaten nach Maßgabe von Art. 25 Abs. 3 OECD-MA:
1. Es ist eine Binsenweisheit: DBA zwischen zwei Staaten bezwecken, Doppelbesteuerungen in den Vertragsstaaten zu vermeiden; das Besteuerungsrecht für bestimmte Einkünfte wird entweder dem einen oder dem anderen Staat zugeordnet. Zuweilen kann die Anwendung der DBA aber auch eine doppelte Nichtbesteuerung oder Keinmalbesteuerung nach sich ziehen, dann nämlich, wenn der eine Vertragsstaat eine Abkommensbestimmung anders auslegt als der andere Vertragsstaat und im Ergebnis jeder Staat das Besteuerungsrecht des jeweils anderen Staats annimmt. Man spricht dann von einem "negativer Qualifikationskonflikt" mit der Folge sog. weißer Einkünfte.
Abhilfe sollen in derartigen Fällen Verständigungsvereinbarungen der Finanzverwaltungen beider Staaten schaffen. Solche Vereinbarungen gründen auf Art. 25 Abs. 3 OECD-MA und den diesem Muster entsprechenden Regelungen in den jeweiligen DBA.
2. Der BFH hat nun durch die Urteile vom 02.09.2009 seine "alte" Spruchpraxis bekräftigt, dass solche Verständigungsvereinbarungen völkerrechtlich verbindlich sind und infolgedessen auch die beteiligten Finanzverwaltungen binden. Das gilt jedoch nicht für die FG. Für diese gilt uneingeschränkt der Gesetzesvorbehalt des Art. 20 Abs. 3 GG: Gerichte entscheiden nur nach dem Gesetz, also dem DBA, und nicht auf der Basis bloßer Verwaltungsvereinbarungen. Sie können das DBA nicht ändern. Ohne gesetzliche Legitimation dürfen die Vereinbarungen nicht zulasten der Steuerpflichtigen gehen und können keinen Steuereingriff begründen.
3. So verhielt es sich auch im Urteilsfall, in dem es um die Abfindungszahlung aus Anlass der Beendigung der Arbeitsverhältnisse ging. Empfänger der Zahlung war ein belgischer Staatsangehöriger, der in Belgien wohnte und in Deutschland arbeitete.
Der laufende Arbeitslohn wurde nach Maßgabe des zwischen Deutschland und Belgien geschlossenen DBA (nur) in Deutschland versteuert: Art. 15 Abs. 1 DBA Belgien bestimmt insoweit abweichend von dem grundsätzlichen Ansässigkeitsprinzip das sog. Quellenprinzip; besteuerungsbefugt ist (nur) der Tätigkeitsstaat.
Das gilt nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, welcher sich die ...